Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im sogenannten Dieselskandal; Verjährung des Schadensersatzanspruchs
Gesetze: § 195 BGB, § 199 Abs 1 Nr 1 BGB, § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 214 Abs 1 BGB, § 826 BGB, § 852 S 1 BGB
Instanzenzug: Az: 12 U 83/21vorgehend LG Tübingen Az: 4 O 393/20
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch.
2Die Klägerin erwarb im Oktober 2014 von einem Fahrzeughändler einen gebrauchten VW Sharan 2.0 TDI zum Preis von 16.779 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Die Motorsteuerungssoftware erkannte, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchlief. In diesem Fall schaltete sie in einen Betriebsmodus, bei dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und dadurch zu einem geringeren Stickoxidausstoß kam. Im normalen Fahrbetrieb schaltete die Software dagegen in einen Betriebsmodus, bei dem das Abgasrückführungssystem zu einem höheren Stickoxidausstoß führte.
3Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wertete die Motorsteuerungssoftware als unzulässige Abschalteinrichtung und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update. Nachdem die Klägerin von der Beklagten ein Rückrufschreiben erhalten hatte, ließ sie das Software-Update im Jahr 2017 auf ihr Fahrzeug aufspielen.
4Mit der im Jahr 2020 eingereichten Klage hat die Klägerin die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz von Schäden aufgrund der Fahrzeugmanipulation begehrt. Hilfsweise hat sie die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer vom Gericht zu schätzenden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden aufgrund der Fahrzeugmanipulation und die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten verlangt. Außerdem hat sie die Beklagte auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen.
5Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Einrede der Verjährung erhoben.
6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihre Hilfsanträge nunmehr als Hauptanträge weiterverfolgt und die Beklagte auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen hat. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen die Beklagte zur Zahlung von 8.669,29 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, soweit im Berufungsurteil zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.
Gründe
7Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat, und zur vollumfänglichen Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
A.
8Die Revision ist uneingeschränkt zulässig. Der Entscheidungssatz des Berufungsurteils enthält keine Beschränkung der Revisionszulassung. In den Entscheidungsgründen hat das Berufungsgericht ausgeführt, es lasse die Revision zu, nachdem höchstrichterlich noch nicht geklärt sei, ob die dreijährige Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche des Fahrzeugkäufers gegen die Beklagte schon mit dem Schluss des Jahres 2015 oder jedenfalls mit dem Schluss des Jahres 2016 begonnen habe, weil das Unterlassen von Nachforschungen über die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs vom sogenannten Abgasskandal als grob fahrlässig anzusehen sei. Damit hat es lediglich den Anlass der Revisionszulassung mitgeteilt, zumal eine Beschränkung auf die Rechtsfrage der Verjährung unzulässig und damit wirkungslos wäre (vgl. VIa ZR 441/21, NJW 2022, 2028 Rn. 5 mwN).
B.
9Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen durchsetzbaren Anspruch auf Schadensersatz.
I.
10Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe gegen die Beklagte wegen des Einbaus der als "Umschaltlogik" bezeichneten Motorsteuerungssoftware ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu, der nicht verjährt sei. Hierzu hat es - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt:
11Die dreijährige Verjährungsfrist habe erst Anfang des Jahres 2018 begonnen. Es stelle kein grob fahrlässiges Verhalten dar, dass die Klägerin in den Jahren 2015 und 2016 - ohne von der Beklagten informiert worden zu sein - keine Nachforschungen zur Betroffenheit ihres Fahrzeugs von dem sogenannten Dieselskandal angestellt habe. Die Beklagte habe in der Ad-hoc-Mitteilung vom darauf hingewiesen, sie arbeite mit Hochdruck daran, die Abweichungen zwischen Prüfstandwerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und stehe deswegen in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem KBA. Angesichts dieser Ankündigung habe die Klägerin darauf vertrauen können, dass sich die Beklagte im Fall der Betroffenheit des Fahrzeugs bei ihr melde und die angekündigten technischen Maßnahmen durchführe. Die Beklagte habe auch nicht nachgewiesen, dass die Klägerin bis Ende des Jahres 2016 Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs erlangt habe. Die Klägerin habe bei ihrer informatorischen Anhörung erklärt, sie habe dies nicht gewusst. Die Beklagte habe keinen Beweis für ihre Behauptung angetreten, sie habe die Klägerin noch im Jahr 2016 über das aufzuspielende Software-Update unterrichtet.
II.
12Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem die Entscheidung tragenden Punkt nicht stand.
131. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 826 BGB sei nicht verjährt. Der Anspruch war bei Einreichung der Klage im Jahr 2020 nach § 214 Abs. 1 BGB wegen Verjährungseintritts nicht mehr durchsetzbar.
14a) Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
15b) In Fällen der vorliegenden Art genügt es für den Beginn der Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von dem sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei die Kenntnis von letzterem nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß bei dem Geschädigten vorhanden ist (vgl. VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 36 mwN, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ). Entgegen der Einschätzung des Berufungsgerichts lagen diese Voraussetzungen spätestens bis zum Ende des Jahres 2016 vor.
16aa) Anders als die Revisionserwiderung annimmt, hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Klägerin vor dem Jahr 2017 Kenntnis von dem sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen hatte. Das Berufungsgericht hat es als außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegend angesehen, dass eine in Deutschland lebende Person in den Jahren 2015 und 2016 nichts von dem sogenannten Abgasskandal gehört habe. In diesem Zusammenhang hat es auf die Erklärung der in der Berufungsverhandlung informatorisch angehörten Klägerin verwiesen, der Abgasskandal sei ihr in den Jahren 2015 und 2016 durch verschiedene Medien bekannt gewesen. Diese Ausführungen beinhalten die auf einer freien Überzeugungsbildung (§ 286 Abs. 1 ZPO) beruhende Feststellung, dass die Klägerin vor dem Jahr 2017 von dem sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen Kenntnis erlangt hat (vgl. VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 37 mwN).
17bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe ohne grobe Fahrlässigkeit nicht vor dem Jahr 2017 Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs erlangen müssen, hält den Angriffen der Revision nicht stand.
18(1) Die tatgerichtliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu machen ist, unterliegt als Ergebnis tatgerichtlicher Würdigung nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht darauf, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob das Tatgericht den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grads der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat ( VIa ZR 441/21, NJW 2022, 2028 Rn. 13 mwN).
19(2) Anhand dieses Prüfungsmaßstabs ist die Annahme des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft, es sei nicht grob fahrlässig, dass die Klägerin bis Ende des Jahres 2016 keine Nachforschungen zur Betroffenheit ihres Fahrzeugs von dem sogenannten Dieselskandal angestellt hat. Die Revision rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat, aufgrund derer es im Sinne grober Fahrlässigkeit unverständlich erscheint, dass die Beklagte die Betroffenheit ihres Fahrzeugs von dem sogenannten Dieselskandal nicht vor dem Jahr 2017 in Erfahrung gebracht hat.
20Nach den Feststellungen des Landgerichts und dem von ihm ergänzend in Bezug genommenen schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten, auf die das Berufungsgericht verwiesen hat, bezogen sich die Ad-hoc-Mitteilung vom und die umfangreiche Presseberichterstattung auf Fahrzeuge unter anderem der Marke VW. Mit Blick darauf hatte die Klägerin angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verstrichenen Zeitraums jedenfalls bis Ende des Jahres 2016 Veranlassung, die Betroffenheit ihres Fahrzeugs selbst zu ermitteln (vgl. , juris Rn. 31; Urteil vom - VII ZR 692/21, MDR 2022, 559 Rn. 30 und 32; Urteil vom - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 43 und 45; Urteil vom - VII ZR 422/21, zVb). Der Umstand, dass die Beklagte angekündigt hat, sie arbeite in Abstimmung mit dem KBA an technischen Maßnahmen zur Beseitigung der Abschalteinrichtung, und die Klägerin im Jahr 2016 noch kein Anschreiben der Beklagten bekommen haben mag, begründete kein zeitlich unbegrenztes berechtigtes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr Fahrzeug mangels einer entsprechenden Benachrichtigung seitens der Beklagten nicht betroffen sei (vgl. , aaO, Rn. 32; Urteil vom - VII ZR 422/21, zVb).
21Die Klägerin hätte sich unschwer Gewissheit über die Betroffenheit ihres Fahrzeugs verschaffen können. Nach den vom Landgericht getroffenen und vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen bestand für die Klägerin seit Oktober 2015 die Möglichkeit, die Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer auf einer von der Beklagten eingerichteten und öffentlich bekannt gemachten Webseite zu überprüfen. Die Klägerin hat daher auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht hätten, nicht ausgenutzt. Dann aber war ihr Unterlassen eigener Recherchen bis zum Ablauf des Jahres 2016 grob fahrlässig (vgl. , juris Rn. 31 f.; Urteil vom - VII ZR 692/21, juris Rn. 31 f.; Urteil vom - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 44 f.).
22cc) Der Klägerin, die Kenntnis von dem sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen hatte und der hinsichtlich der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, war es im Jahr 2016 auch zumutbar, Klage zu erheben und ihren Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB gerichtlich geltend zu machen (vgl. , juris Rn. 36; Urteil vom - VII ZR 692/21, juris Rn. 36; Urteil vom - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 47).
232. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB scheidet im vorliegenden Fall des Erwerbs eines gebrauchten Fahrzeugs aus. Bei dem Kauf eines vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebrachten und vom Geschädigten erst später von einem Dritten erworbenen Gebrauchtwagens hat der Hersteller im Verhältnis zum Geschädigten aus dem Fahrzeugverkauf an diesen nichts im Sinne des § 852 Satz 1 BGB erlangt, weil er einen etwaigen Vermögensvorteil bereits mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs als Neuwagen realisiert hat und nicht an einem etwaigen Vermögensvorteil des Verkäufers aus dem Kaufvertrag partizipiert (vgl. , NJW 2022, 1311 Rn. 30; Urteil vom - VII ZR 717/21, juris Rn. 39).
III.
24Danach ist auf die Revision der Beklagten das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Berufungsurteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt und danach die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Auch im Umfang der Aufhebung ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts zurückzuweisen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:250722UVIAZR750.21.0
Fundstelle(n):
HAAAJ-20903