BGH Urteil v. - III ZR 228/20

Dieselabgasskandal: Schadensersatz nach Kauf eines Gebrauchtwagens - Klageänderung, Revisionsinstanz

Leitsatz

Klageänderung, Revisionsinstanz

Zur Zulässigkeit einer Klageänderung in der Revisionsinstanz in einem sogenannten "Dieselfall" (hier: Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage).

Gesetze: § 263 ZPO, § 559 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: Az: III ZR 228/20 Beschlussvorgehend Az: 12 U 1824/19vorgehend LG Trier Az: 5 O 87/19

Tatbestand

1Der Kläger macht - in dritter Instanz nur noch - gegen die Beklagte zu 2 Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal geltend.

2Mit Kaufvertrag vom erwarb der Kläger von der A.             GmbH in B.    , der vormaligen Beklagten zu 1, ein gebrauchtes Fahrzeug des Typs Audi Q 5 zum Preis von 41.000 €. Das Fahrzeug wies zu diesem Zeitpunkt einen Kilometerstand von 29.850 km aus. Es verfügt werksseitig über einen mit Dieselkraftstoff betriebenen Motor 3,0 l V6 Diesel (Euro 5).

3Der Kläger hat in den Tatsacheninstanzen im Wesentlichen vorgetragen, das Fahrzeug sei von dem Dieselskandal betroffen. In den von der Beklagten zu 2 hergestellten Dieselmotor seien drei unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut worden. Hierbei handele es sich um eine sogenannte "Aufheizstrategie", eine "Getriebemanipulation/Schalteinstellung" sowie um ein sogenanntes "Thermofenster". Die Beklagten haben in Abrede gestellt, dass in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger sein erstinstanzlich geltend gemachtes Klagebegehren weiterverfolgt und hinsichtlich der Beklagten zu 2 beantragt,

"2. festzustellen, dass die Beklagte zu 2 verpflichtet ist, ihm Schadensersatz für Schäden zu bezahlen, die daraus resultieren, dass die Beklagte zu 2 das Fahrzeug Audi Q 5, 3,0 l TDI, FIN …, dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr,

4. die beklagten Parteien jeweils getrennt, nicht gesamtschuldnerisch zu verurteilen, [ihn von den] … durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils 2.613,24 € freizustellen."

5Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat in der Sache dahingehend erkannt, dass dem Kläger die gegen die Beklagte zu 2 geltend gemachten Schadensersatzansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustünden.

6Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision hat der Kläger das Berufungsurteil "zur vollen Überprüfung" durch den Senat gestellt und bezüglich der Beklagten zu 2 - der Sache nach wie in erster Instanz - in der Hauptsache zunächst ausschließlich die Feststellung begehrt, dass diese "verpflichtet ist, ihm Schadensersatz für die Schäden zu bezahlen, die aus der Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs resultieren".

7Nach einem Hinweis des Senats vom auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des Feststellungsantrags hat der Kläger mit Schriftsatz vom sein Feststellungsbegehren in einen Leistungsantrag wie folgt geändert:

1. Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, an den Kläger 32.272,38 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw Audi Q 5, 3.0 TDI mit der FIN … .

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 2 mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 genannten Pkw im Annahmeverzug befindet.

3. Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.613,24 € freizustellen.

8In tatsächlicher Hinsicht hat der Kläger hierzu ergänzend vorgetragen, dass der Kilometerstand des Fahrzeugs am "ca. 98.000 km" betragen habe und der Berechnung der Nutzungsentschädigung eine übliche Laufleistung von 350.000 km zugrunde gelegt sei. In rechtlicher Hinsicht sei eine Ausnahme von der Regel, nach der eine Klageänderung in der Revisionsinstanz grundsätzlich unzulässig sei, anzunehmen. Zulässig sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Beschränkung oder Modifikation eines früheren Antrags, soweit sich dies auf einen Sachverhalt stütze, der vom Tatrichter bereits gewürdigt worden sei. Ausgehend hiervon sei die Umstellung des Sachantrags nicht ausgeschlossen. Der Kläger stütze den geltend gemachten Leistungsanspruch nicht auf einen neuen Sachverhalt. In dem Übergang vom Feststellungs- zum Leistungsantrag bei unverändertem Sachverhalt liege lediglich eine qualitative Beschränkung des Klageantrags ohne Änderung des Klagegrundes im Sinne des § 264 Nr. 2 ZPO. Gehe der Kläger von der positiven Klage auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht zu einer deckungsgleichen Leistungsklage über, handele es sich um eine ohne weiteres zulässige Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO. Ein Kläger könne von der Feststellungsklage auf die Leistungsklage oder umgekehrt wechseln, wobei es sich um eine Klageerweiterung beziehungsweise -beschränkung (§ 264 Nr. 2 ZPO) und nicht um eine Klageänderung (§ 263 ZPO) handele.

Gründe

9Die zulässige Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg. Sie wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag des Klägers auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zu 2, "ihm Schadensersatz für die Schäden zu bezahlen, die aus der Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs resultieren", statt als unbegründet als unzulässig abgewiesen wird.

101. Der vom Kläger begehrte Schadensersatz in Höhe des für das Fahrzeug aufgewandten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von ihm gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte zu 2 kann nicht zugesprochen und die Feststellung eines etwaigen Annahmeverzuges der Beklagten zu 2 nicht ausgesprochen werden, weil die hierauf gerichteten Anträge vom Kläger erstmals mit Schriftsatz vom im Revisionsverfahren anhängig gemacht worden sind und es sich hierbei um eine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung handelt.

11a) Eine Klageänderung in der Revisionsinstanz ist grundsätzlich unzulässig (st. Rspr., zB Senat, Urteile vom - III ZR 222/59, NJW 1961, 1467 f und vom - III ZR 57/14, NJW-RR 2016, 115 Rn. 31; , NJW-RR 2017, 416 Rn. 9; vom - IV ZR 243/17, NJW 2018, 3389 Rn. 14 und vom - VI ZR 573/20, NJW-RR 2021, 187 Rn. 7), insbesondere ein Übergang von der erhobenen Feststellungsklage auf eine Leistungsklage (Krüger in MüKo-ZPO, 6. Aufl., § 559 Rn. 20; Hk-ZPO/Koch, 9. Aufl., § 559 Rn. 9; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 559 Rn. 3). Anders verhält es sich ausnahmsweise dann, wenn es nur um eine Klarstellung, Beschränkung oder Modifikation des früheren Antrags auf der Grundlage eines Sachverhalts geht, der vom Berufungsgericht bereits gewürdigt worden ist (zB , NJW 1998, 2969, 2970; vom aaO und vom aaO Rn. 15; Kessal-Wulf in BeckOK ZPO, Stand: , § 559 Rn. 1). Eine Veränderung der Anträge in der Revisionsinstanz darf somit nicht zur Folge haben, dass die Würdigung eines Sachverhalts erforderlich wird, welcher der Beurteilung durch den Tatrichter noch nicht unterlag (Senat, Urteil vom aaO S. 1468). Neu gestellte Anträge sind daher nicht schon deswegen zulässig, weil sie sich im Rahmen des § 264 Nr. 2 ZPO halten (vgl. Senat aaO S. 1467 f zum wortgleichen § 268 Nr. 2 ZPO a.F.).

12b) Dies zugrunde gelegt, kann bezüglich der vom Kläger mit Schriftsatz vom gestellten Klageanträge zu 1 und 2 ein Ausnahmefall nicht angenommen werden. Denn sie lassen sich nicht ausschließlich auf den Sachverhalt stützen, der vom Berufungsgericht gewürdigt worden ist, sondern nur auf einen hiervon abgewandelten Lebenssachverhalt.

13Das ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen hatte, (Zug um Zug) zur Übergabe und Übereignung des im März 2017 erworbenen Fahrzeugs an die Beklagte zu 2 bereit zu sein. Diesen neuen Sachverhalt hat er vielmehr erst durch Prozesshandlungen während respektive in der Revisionsinstanz geschaffen (vgl. aaO Rn. 6), nämlich zum einen durch die mit Schriftsatz vom erklärte Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die vormalige Beklagte zu 1, von der er in den Vorinstanzen die Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs verlangt hatte, und zum anderen durch den Klageantrag zu 1 im Schriftsatz vom .

14Darüber hinaus hat der Kläger in diesem Schriftsatz zumindest mit den Angaben, dass der Kilometerstand des Fahrzeugs am "ca. 98.000 km" betragen und er bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung eine Laufleistung von 350.000 km zugrunde gelegt habe, neue tatsächliche Umstände vorgebracht, mit denen sich das Berufungsgericht noch nicht befassen konnte. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist mit Blick auf die vom Kläger gezogenen Nutzungen in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters ( VIa ZR 8/21, NJW-RR 2022, 740 Rn. 85; Beschluss vom - VIa ZR 360/21, juris Rn. 5). Das Revisionsgericht kann eine solche Schätzung nicht selbst vornehmen ( aaO) und unter Einbeziehung des im Revisionsrechtszug neu vorgetragenen Prozessstoffs darüber befinden, ob die Beklagte zu 2 in Annahmeverzug geraten ist oder nicht.

152. Ist die Klageänderung unzulässig, ist auf der Grundlage der bisherigen Klageanträge zu entscheiden (vgl. Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 533 Rn. 16; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 263 Rn. 11; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl., § 263 Rn. 17). Danach bleibt die Revision ebenfalls ohne Erfolg.

16a) Der vom Kläger anhängig gemachte Feststellungsantrag ist unzulässig. Dabei kann dahinstehen, ob er trotz seiner weiten Formulierung noch hinreichend bestimmt ist im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er ist jedenfalls unzulässig, weil es am erforderlichen Feststellungsinteresse des Klägers fehlt (vgl. zB , WM 2021, 2208 Rn. 5 und 14 und vom - VI ZR 24/20, juris Rn. 4, 9 und 11). Dieses lässt sich insbesondere nicht darauf stützen, dass sich der Kläger die Wahl offenhalten möchte, ob er den sogenannten großen oder den sogenannten kleinen Schadensersatz verlangt, und auch nicht darauf, dass ihm die Bezifferung der Höhe des auf den Schadensersatz anzurechnenden Nutzungsvorteils nicht zumutbar sei (vgl. zB aaO Rn. 16 bis 22 sowie vom aaO Rn. 12 f). Etwaige weitere Umstände, aus denen sich ein Feststellungsinteresse ergeben könnte, sind weder vom Kläger aufgezeigt worden noch sonst erkennbar.

17Der Senat kann selbst auf die Unzulässigkeit des Feststellungsantrags erkennen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Bestehen eines Feststellungsinteresses ist als Prozessvoraussetzung auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachten (vgl. , BGHZ 18, 98, 105 f und vom - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 14 mwN). Einer Abweisung der Klage als unzulässig statt, wie im Berufungsurteil ausgesprochen, als unbegründet stehen das verfahrensrechtliche Verschlechterungsverbot und der Umstand, dass nur der Kläger Revision eingelegt hat, nicht entgegen (vgl. , WM 2021, 633 Rn. 55 mwN).

18b) Soweit der Kläger mit dem im Schriftsatz vom enthaltenen Klageantrag zu 3 einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten gegenüber der Beklagten zu 2 geltend macht, liegt zwar eine zulässige Klage vor. Dem Senat ist jedoch eine Entscheidung über die Nebenforderung verwehrt, weil der Freistellungsanspruch als Nebenforderung von dem Bestehen der Hauptforderung abhängt und eine solche - wie ausgeführt - aus prozessualen Gründen nicht zuerkannt werden kann (vgl. aaO Rn. 6; vom - VII ZR 283/20, juris Rn. 11 und vom - VII ZR 340/20, juris Rn. 9).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:040822UIIIZR228.20.0

Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 10 Nr. 40
NJW-RR 2022 S. 1288 Nr. 18
WM 2022 S. 1738 Nr. 36
ZIP 2022 S. 1834 Nr. 36
MAAAJ-20816