Richterablehnung: Vorbeugende Ablehnung eines Richters; Ablehnung wegen Teilnahme des Richters an einer von der Partei veranstalteten juristischen Tagung
Gesetze: § 42 Abs 2 ZPO, § 44 ZPO, § 45 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: Az: II ZR 97/21 Beschlussvorgehend Az: II ZR 97/21 Beschlussvorgehend Az: 7 U 176/19 Urteilvorgehend Az: 5 O 32/19 Teilurteilnachgehend Az: II ZR 97/21 Beschluss
Gründe
I.
1Der Kläger wendet sich gegen seinen Ausschluss aus den Herausgeberkreisen der juristischen Fachzeitschriften Z. und E. sowie gegen seine Abberufung als Chief Managing Editor und Mitglied des Editorial Boards einer dieser Zeitschriften. Hilfsweise begehrt er im Wege der Stufenklage die Vorlage einer Auseinandersetzungsbilanz der beiden Herausgebergesellschaften auf den und die Zahlung eines auf der Grundlage dieser Bilanz noch zu bestimmenden Abfindungsbetrages. Das Landgericht hat die Klage mit den Hauptanträgen abgewiesen und die Beklagten auf den Hilfsantrag zur Vorlage der begehrten Auseinandersetzungsbilanz verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Der Kläger hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt.
2Nach Eingang der Nichtzulassungsbeschwerde sind Selbstablehnungen sämtlicher Richter des II. Zivilsenats gemäß § 48 ZPO wegen ihrer beruflichen und persönlichen Kontakte zu verschiedenen Beklagten durch , ZInsO 2021, 1781) mit Ausnahme derjenigen des damaligen Vorsitzenden Richters des II. Zivilsenats für unbegründet erklärt worden. Ein anschließendes Ablehnungsgesuch des Klägers gegen die danach noch nicht von der Entscheidung ausgeschlossenen Richter wegen ihrer persönlichen Beziehungen zu einer ehemaligen Richterin des II. Zivilsenats, die inzwischen mit einem der Beklagten verheiratet sei, ist durch Beschluss vom (II ZR 97/21, juris) zurückgewiesen worden.
3Mit Schreiben vom hat der Kläger die Richter am Bundesgerichtshof W. und Sa. wegen deren Teilnahme an einem von den Herausgebern der Z. veranstalteten "Z. -Jubiläumssymposium 2022" mit dem Thema "Zur Rolle des Gesellschaftsrechts in einer sich wandelnden Welt" am 22. und , zu dem der Kläger, einer seiner akademischen Schüler und sein Prozessbevollmächtigter nicht eingeladen worden waren, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten Richter sind dem Kläger mit Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt worden. Eine Stellungnahme ist innerhalb der dafür gesetzten Frist nicht erfolgt.
II.
4Der Senat entscheidet gemäß § 45 Abs. 1 ZPO ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter in der angegebenen, im Zeitpunkt der Entscheidung nach dem internen Geschäftsverteilungsplan des Senats (§ 21g GVG, Mitwirkungsgrundsätze für das Jahr 2022 i.V.m. Beschluss Juni 2022) zuständigen Besetzung (vgl. AnwZ (Brfg) 28/20, juris Rn. 9). Danach tritt Richter am Bundesgerichtshof Bo. als Stellvertretender Vorsitzender an die Stelle des durch Beschluss vom ausgeschlossenen und inzwischen aus dem richterlichen Dienst ausgeschiedenen Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof a.D. Prof. Dr. D. , Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. F. an die Stelle des abgelehnten Richters Sa. und Richterin am Bundesgerichtshof A. an die Stelle von Richter am Bundesgerichtshof Bo. als Beisitzerin.
III.
5Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom ist hinsichtlich Richter am Bundesgerichtshof W. unzulässig, hinsichtlich Richter am Bundesgerichtshof Sa. unbegründet.
61. Hinsichtlich Richter am Bundesgerichtshof W. ist das Ablehnungsgesuch mangels Rechtsschutzinteresses des Klägers unzulässig.
7Richter am Bundesgerichtshof W. ist nach I. Nr. 1 und 2 der Mitwirkungsgrundsätze des Senats nicht Mitglied der für die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zuständigen Sitzgruppe I und damit nicht zur Entscheidung über die Beschwerde berufen. Ein Ablehnungsgesuch kann aber sich nur gegen diejenigen Richter richten, die schon und noch mit dem Verfahren befasst sind (vgl. AnwZ (Brfg) 28/20, juris Rn. 25). Dass der Richter in Zukunft möglicherweise als weiterer Vertreter gemäß IV. der Mitwirkungsgrundsätze zur Mitwirkung berufen sein könnte, eröffnet dem Kläger keine gegenwärtige Ablehnungsmöglichkeit. Eine gewissermaßen vorbeugende Ablehnungsmöglichkeit gegen Vertreter vor Eintritt des Vertretungsfalls besteht nicht (vgl. , juris Rn. 23 mwN; Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 28/20, juris Rn. 25; Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 44 Rn. 1; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 44 Rn. 5).
82. Das Ablehnungsgesuch gegen Richter am Bundesgerichtshof Sa. ist nicht begründet. Die Teilnahme des Richters an dem von den Herausgebern der Z. veranstalteten zweitägigen Symposium im April 2022 rechtfertigt nicht die Besorgnis seiner Befangenheit nach § 42 Abs. 2 ZPO.
9a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich, da die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (, ZInsO 2021, 1781 Rn. 14 mwN). Maßgeblich ist, ob aus Sicht einer Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Richters aufkommen lassen. Solche Zweifel können sich aus einer besonderen Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits oder zu den Parteien ergeben. Maßgeblich sind die besonderen Umstände des Einzelfalls, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind (, ZInsO 2021, 1781 Rn. 15 mwN).
10b) Nach diesen Maßgaben gibt die Teilnahme des Richters an dem von den Herausgebern der Z. veranstalteten Symposium keinen Anlass zu Zweifeln an seiner Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung.
11aa) Grundsätzlich sind nur nahe persönliche oder geschäftliche Beziehungen zwischen dem Richter und einem Verfahrensbeteiligten geeignet, die Unparteilichkeit eines Richters in Frage zu stellen. Allgemeine berufliche Kontakte des Richters zu einer Partei ohne besondere Nähe oder Intensität reichen dagegen nicht aus. Deshalb kann selbst ein Kollegialitätsverhältnis nur dann eine Ablehnung rechtfertigen, wenn damit eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit verbunden ist. Auch eine Mitautorenschaft als solche begründet weder enge berufliche noch nahe persönliche Kontakte zwischen den Mitautoren und -herausgebern (vgl. , BGHReport 2005, 1350; Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 24/12, NJW-RR 2013, 1211 Rn. 8; Beschluss vom - IX ZA 16/17, ZIP 2018, 2503 Rn. 6).
12Die bloße Teilnahme an einer zweitägigen Tagung mit Vorträgen zu rechtswissenschaftlichen Themen und anschließender Diskussion ist als solche nicht mit einer engen beruflichen Zusammenarbeit mit den Veranstaltern, Referenten oder übrigen Teilnehmern verbunden. Das gilt insbesondere bei einer größeren Tagung mit - wie hier laut vorgelegter Teilnehmerliste - über hundert Teilnehmern.
13Anhaltspunkte dafür, dass der abgelehnte Richter bei der Tagung mit den Beklagten engere berufliche oder persönliche Kontakte gehabt hat als bei einer solchen Teilnahme allgemein üblich, liegen nicht vor. Nach der dienstlichen Äußerung des Richters beschränkte sich sein Kontakt mit den Beklagten auf flüchtige Begrüßungen und Gespräche, deren Inhalt nicht über gesellschaftliche Alltagskontakte hinausgingen und insbesondere auch nicht den Rechtsstreit des Klägers mit den Beklagten und/oder Belange der Z. bzw. ihres Herausgeberkreises zum Gegenstand hatten. Die Mutmaßung des Klägers, man habe den Richter auf der Tagung auf eine mögliche zukünftige Mitarbeit im Herausgeberkreis der Z. angesprochen, trifft nach der dienstlichen Äußerung des Richters nicht zu. Die zwischen dem Richter und dem Beklagten zu 1 sowie der ehemaligen Richterin des II. Zivilsenats bestehenden persönlichen Beziehungen waren bereits Gegenstand der Beschlüsse vom und vom und sind demgemäß nicht geeignet, Anlass zu Zweifeln an seiner Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit zu begründen.
14bb) Soweit der Kläger geltend macht, der Richter habe mit seiner Teilnahme an der Tagung unentgeltlich eine Leistung der Beklagten entgegengenommen, so dass ein ähnlicher Fall wie bei der "Bewirtung" eines Richters durch eine Partei vorliege, trifft auch dies nicht zu. Nach der dienstlichen Äußerung des Richters erfolgte seine Teilnahme nicht unentgeltlich, sondern hat er den Tagungsbeitrag und weitere Kosten für Übernachtung und Verpflegung entrichtet.
15cc) Schließlich vermag auch der Umstand, dass das vorliegende Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren im Zeitpunkt der Teilnahme des Richters an der Tagung bereits beim Senat anhängig und dem Richter bekannt war, keine Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen. Bei vernünftiger Würdigung sämtlicher Umstände liegt darin weder eine "öffentliche Parteinahme" für die Beklagten, noch die Bekundung einer Verbundenheit mit ihnen oder Vorab-Bestätigung der Rechtmäßigkeit der aktuellen Zusammensetzung des Herausgeberkreises unter Ausschluss des Klägers.
16Anhaltspunkte für Äußerungen oder Handlungen des abgelehnten Richters während des Symposiums, die als Zeichen für eine solche "Parteinahme" verstanden werden könnten, liegen nicht vor und werden vom Kläger nicht geltend gemacht. Nach dem vom Kläger vorgelegten Programm der Tagung standen die dort behandelten rechtswissenschaftlichen Fragen in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Zudem nahmen an der Tagung laut vorgelegter Teilnehmerliste über hundert Teilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung teil. In Anbetracht dessen handelte es sich bei der Teilnahme des Richters an dieser Tagung bei vernünftiger Würdigung lediglich um seine Beteiligung an einem wissenschaftlichen Austausch mit Vertretern aus verschiedensten Bereichen über die dort behandelten allgemeinen Fragen und Probleme der künftigen Entwicklung des Gesellschaftsrechts, die als solche nichts über seine Beurteilung des vorliegenden Verfahrens besagt. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang außerdem geltend macht, der Richter habe ihn mit seiner Teilnahme an der Tagung auch wissenschaftlich und wirtschaftlich geschädigt bzw. den ihm insoweit durch seinen Ausschluss bereits entstandenen Schaden noch vertieft, weil ein Zweck der von der Herausgebergemeinschaft veranstalteten Symposien darin liege, einem ausgewählten Teilnehmerkreis den exklusiven Zugang zu den Entscheidungsträgern des zuständigen Senats zu verschaffen, erschließt sich eine Schädigung durch bloßen Tagungsbesuch schon nicht und wird von dem Kläger auch nicht näher erläutert.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:010722BIIZR97.21.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2022 S. 1222 Nr. 17
YAAAJ-19964