Korrigierende Rückgruppierung - Höhergruppierungsantrag
Leitsatz
Die Darlegungs- und Beweislast für eine höhere Eingruppierung obliegt in einem Prozess grundsätzlich der Beschäftigten. Im Fall einer sog. korrigierenden Rückgruppierung, dh. bei einer beabsichtigten Zuordnung zu einer niedrigeren als der bisher als zutreffend angenommenen Vergütungsgruppe, kann sich die Beschäftigte jedoch auf die ihr zuvor als maßgebend mitgeteilte Vergütungsgruppe berufen. Dann hat die Arbeitgeberin die objektive Fehlerhaftigkeit der bisherigen Eingruppierung darzulegen und zu beweisen. Diese Grundsätze gelten auch, wenn durch die Änderung der Bewertung der Tätigkeit durch die Arbeitgeberin einem (ggf. erst später möglichen) Höhergruppierungsantrag nach § 29b TVÜ-VKA die Grundlage entzogen wird.
Gesetze: § 256 ZPO, § 12 TVöD, § 37 TVöD, Anl 1 Teil A Abschn I Entgeltgr 8 TVöD, Anl 1 Teil A Abschn I Entgeltgr 9a TVöD, § 29a TVÜ-VKA, § 29b TVÜ-VKA
Instanzenzug: ArbG Dresden Az: 3 Ca 2383/19 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 3 Sa 261/20 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin im Zeitraum vom bis zum .
2Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem Jahr 2013 beschäftigt und war zunächst im gemeindlichen Vollzugsdienst tätig. Im Juli 2015 bewarb sie sich erfolgreich auf eine interne Stellenausschreibung der Beklagten für die Tätigkeit einer „Sachbearbeiter/-in Bürgerbüro“, die „nach TVöD, Entgeltgruppe E 08 entspr. BAT-O/BMT-G-O Vc/1b bewertet“ sein sollte. In der Folge schlossen die Parteien unter dem einen Änderungsvertrag, nach dem sich „das Arbeitsverhältnis … nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) einschließlich der besonderen Regelungen für die Verwaltung (TVöD - Besonderer Teil Verwaltung) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung sowie des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA)“ bestimmt. Unter „Eingruppierung“ ist „Entgeltgruppe 08“ angegeben.
3In der Zeit vom bis zum war die Klägerin als „Sachbearbeiterin Zentrales Bürgerbüro“ beschäftigt. Die von der Beklagten für diese Tätigkeit erstellte Stellenbeschreibung hat unter der Überschrift „Tätigkeit / Arbeitsvorgänge / Arbeitsleistungen“ folgenden Inhalt:
4Unter „Bewertung“ war in der Stellenbeschreibung zunächst „VG Vc/1b“ und unter „Wertigkeit“ „≙ EG 8“ angegeben. Im August 2016 überprüfte die Beklagte im Rahmen der Ausschreibung einer gleichartigen Stelle die Eingruppierung und kam zu dem Ergebnis, für die Tätigkeit sei nicht eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b, sondern nach Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1a des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT-O) zutreffend. Daraufhin wurde die auf der Stellenbeschreibung vermerkte Bewertung unter dem Datum des in „VG Vc/1a“ handschriftlich geändert.
5Die Beklagte übersandte der Klägerin am ein Exemplar der Stellenbeschreibung ohne den handschriftlichen Zusatz aus Dezember 2016. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin keine Kenntnis von deren Inhalt. Mit Schreiben vom stellte die Klägerin einen „Antrag auf Höhergruppierung ab dem “ mit ua. folgendem Wortlaut:
6Im Nachgang wurde der Klägerin im Juli 2017 mitgeteilt, es sei im November 2016 eine Neubewertung der Stelle erfolgt, nach der eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1a BAT-O zutreffend sei. Es verbleibe daher bei einer Eingruppierung in Entgeltgruppe 8 TVöD/VKA. Im August 2017 übersandte die Beklagte der Klägerin die Stellenbeschreibung mit der geänderten Bewertung und lehnte schließlich mit Schreiben vom den Antrag ab. Die Klägerin erhielt während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums eine Vergütung nach Entgeltgruppe 8 TVöD/VKA. Seit dem ist sie als „1. Sachbearbeiterin Bürgerbüro“ tätig und wird nach Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA vergütet.
7Mit am bei Gericht eingegangener Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, ihr habe in der Zeit vom bis zum eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA zugestanden. Die Beklagte sei durch Zuordnung der Tätigkeit zur Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b BAT-O ursprünglich davon ausgegangen, für diese seien gründliche und vielseitige Fachkenntnisse sowie selbstständige Leistungen erforderlich. Damit seien zugleich die tariflichen Anforderungen der Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA erfüllt. Sie könne daher aufgrund ihres Höhergruppierungsantrags eine entsprechende Vergütung verlangen. Wenn die Beklagte nunmehr von einer Eingruppierung in Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1a BAT-O ausgehe, für die lediglich eine Zuordnung zu Entgeltgruppe 8 TVöD/VKA vorgesehen sei, handele es sich um eine korrigierende Rückgruppierung. Daher habe die Beklagte die Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Zuordnung darzulegen und zu beweisen. Deren Vortrag sei aber nicht hinreichend substantiiert.
8Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt
9Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, bei der Korrektur der Bewertung und Änderung der Fallgruppe habe es sich nicht um eine korrigierende Rückgruppierung gehandelt. Eine solche müsse sich unmittelbar auf die Vergütung auswirken. Zum Zeitpunkt der Änderung habe der Klägerin aber sowohl nach der ursprünglichen als auch nach der jetzigen Bewertung eine Vergütung nach Entgeltgruppe 8 TVöD/VKA zugestanden. Sie habe ohnehin nicht auf die Angabe der Vergütungsgruppe in der Stellenausschreibung vertrauen dürfen. Daher habe sie darzulegen und zu beweisen, dass ihre Tätigkeit die tariflichen Anforderungen der Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA erfülle. Das sei ihr nicht gelungen. Darüber hinaus erfordere die Tätigkeit lediglich zu einem Drittel, nicht aber mindestens zur Hälfte selbstständige Leistungen. Die geänderte Bewertung sei inhaltlich zutreffend. Bei der ursprünglichen Bewertung sei unzutreffend eine Gesamtbewertung der Tätigkeit vorgenommen und nicht auf die einzelnen Arbeitsvorgänge abgestellt worden. Jedenfalls sei der Anspruch der Klägerin nach § 37 TVöD/VKA verfallen.
10Das Arbeitsgericht hat der Klage im noch streitgegenständlichen Umfang stattgegeben, das Landesarbeitsgericht die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Gründe
11Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die zulässige Klage ist begründet.
12I. Die Klage ist als allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage zulässig. Dem nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse steht nicht entgegen, dass sich der Antrag allein auf einen bereits bei Klageerhebung in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezieht. Der erforderliche Gegenwartsbezug besteht. Die Klägerin erstrebt die (zukünftige) Erfüllung einer höheren, konkret bezeichneten Vergütung aus dem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum (vgl. hierzu - Rn. 20; - 6 AZR 571/12 - Rn. 10, BAGE 148, 1). Durch die alsbaldige Feststellung kann der Streit zwischen den Parteien über eine höhere Vergütung im streitgegenständlichen Zeitraum insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis abschließend geklärt werden.
13II. Die Klage ist begründet. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin könne im streitgegenständlichen Zeitraum eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA beanspruchen.
141. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Regelungen des TVöD/VKA und des TVÜ-VKA Anwendung.
152. Die Eingruppierung der Klägerin bestimmt sich, da sie einen Antrag nach § 29b Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA gestellt hat, nach §§ 12, 13 TVöD/VKA iVm. der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA).
16a) Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA gelten für die in den TVöD übergeleiteten Beschäftigten sowie für die zwischen Inkrafttreten des TVöD/VKA und dem neu eingestellten Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis über den hinaus fortbesteht, ab dem für (Neu-)Eingruppierungen § 12 und § 13 TVöD/VKA iVm. der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA. Eine Überprüfung und Neufeststellung der Eingruppierung anhand dieser Vorschriften fand jedoch anlässlich der Überleitung in die Entgeltordnung nicht statt (§ 29a Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA). Vielmehr erfolgte die Überleitung zum gemäß § 29a Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA unter Beibehaltung der bisherigen Entgeltgruppe. Dies ist nach der Protokollerklärung zu § 29a Abs. 1 TVÜ-VKA diejenige, die nach Anlage 1 oder 3 TVÜ-VKA in der bis zum geltenden Fassung der Vergütungsgruppe des BAT, deren tarifliche Anforderungen die Tätigkeit erfüllte, zugeordnet war (ausf. zu den insoweit inhaltsgleichen Regelungen des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten des Bundes in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts [§§ 24, 26 TVÜ-Bund] - Rn. 18 ff.; - 4 AZR 816/16 - Rn. 17 ff. mwN, BAGE 162, 81).
17Bei unveränderter Tätigkeit kommt eine Eingruppierung nach § 12 TVöD/VKA nur in Betracht, wenn sich nach der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA eine höhere Entgeltgruppe als in der Anlage 1 oder 3 TVÜ-VKA vorgesehen ergibt, und der Beschäftigte bis zum eine dementsprechende Eingruppierung beantragt hat.
18b) Die Klägerin hat einen solchen Antrag mit Schreiben vom rechtzeitig gestellt.
19c) Die Klägerin kann, wenn ihre Tätigkeit die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b BAT-O erfüllt, auf Grundlage der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA auch eine höhere Vergütung als diejenige verlangen, die sich infolge der Überleitung nach § 29a Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA ergibt.
20aa) Die maßgebenden Tätigkeitsmerkmale der Anlage 1a - Vergütungsordnung zum BAT-O lauteten:
21Bei Erfüllung des Tätigkeitsmerkmals der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b BAT-O war die Tätigkeit der Klägerin nach Anlage 3 TVÜ-VKA in der bis zum geltenden Fassung der Entgeltgruppe 8 TVöD/VKA zugeordnet. Eine Eingruppierung der Klägerin in Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1c BAT-O und damit eine Zuordnung zu Entgeltgruppe 9 TVöD/VKA war - unabhängig davon, dass die Klägerin die zeitlichen Anforderungen nicht erfüllt hätte - ausgeschlossen. Ein Bewährungsaufstieg war nach § 17 Abs. 5 Satz 1 TVÜ-VKA in der bis zum geltenden Fassung ab dem nicht mehr möglich.
22bb) Die maßgebenden Tätigkeitsmerkmale im Teil A Abschnitt I (Allgemeine Tätigkeitsmerkmale) Nr. 3 (Entgeltgruppen 2 bis 12 [Büro-, Buchhalterei-, sonstiger Innendienst und Außendienst]) der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA lauten:
23cc) In Anwendung von § 29a Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA konnte eine Überleitung nur in Entgeltgruppe 8 TVöD/VKA erfolgen, während - bei Erfüllung der tariflichen Anforderungen der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b BAT-O - nach der neuen Entgeltordnung eine höhere Eingruppierung nach der - inhaltsgleichen - Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA möglich ist.
243. Die Klägerin kann für den streitgegenständlichen Zeitraum eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA beanspruchen.
25a) Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 TVöD/VKA ist die Beschäftigte in die Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Das ist dann der Fall, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen (§ 12 Abs. 2 Satz 2 TVöD/VKA).
26b) Die Beklagte ist bei Übertragung der Tätigkeit im Jahr 2015 davon ausgegangen, bei dieser fielen zeitlich zu mindestens der Hälfte Arbeitsvorgänge an, die gründliche und vielseitige Fachkenntnisse sowie selbstständige Leistungen erfordern. Deshalb seien die tariflichen Anforderungen der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b BAT-O erfüllt. Da diese mit denen der Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA übereinstimmen, ist die Klägerin auf ihren Antrag hin ab dort eingruppiert. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass bei dieser Sachlage die Beklagte nach den Grundsätzen über eine sog. korrigierende Rückgruppierung die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, die tariflichen Anforderungen für eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA lägen nicht vor. Dem ist sie mit ihrem Vortrag nicht hinreichend nachgekommen.
27aa) Im Grundsatz muss die Beschäftigte die tatsächlichen Voraussetzungen einer von ihr klageweise begehrten Eingruppierung im Prozess darlegen und beweisen ( - Rn. 30; - 4 AZR 521/11 - Rn. 17). Im Fall einer sog. korrigierenden Rückgruppierung, dh. bei einer beabsichtigten Zuordnung zu einer niedrigeren als der bisher als zutreffend angenommenen Vergütungsgruppe, obliegt der Arbeitgeberin, wenn sich die Beschäftigte auf die ihr von der Arbeitgeberin zuvor als maßgebend mitgeteilte Vergütungsgruppe beruft, die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Fehlerhaftigkeit der bisherigen Eingruppierung ( - Rn. 22; - 4 AZR 521/11 - Rn. 18).
28Die spezifische Darlegungs- und Beweislast bei einer korrigierenden Rückgruppierung setzt einen „begrenzten Vertrauensschutz“ um, den die Beschäftigte aufgrund der Mitteilung der von der Arbeitgeberin vorgenommenen ursprünglichen Eingruppierung in Anspruch nehmen kann. Die Arbeitgeberin ist aufgrund ihrer Sachnähe und Kompetenz verpflichtet, die Eingruppierung sorgfältig und korrekt vorzunehmen. Die hierbei vertrauensbegründende Sorgfalt und Kompetenz bezieht sich jedoch nicht allein auf die Mitteilung der maßgebenden Vergütungsgruppe innerhalb der jeweiligen Vergütungsordnung. Sie erfasst auch die von der Arbeitgeberin aufgrund einer Bewertung vorgenommene Zuordnung der Tätigkeit der Beschäftigten sowie die von ihr angenommene Erfüllung von Anforderungen des konkreten Tätigkeitsmerkmals einer Vergütungsordnung. Auf die Richtigkeit gerade dieses Bewertungs- und Zuordnungsvorgangs darf eine Beschäftigte vertrauen ( - Rn. 20; - 4 AZR 62/99 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 93, 340).
29bb) Die Grundsätze zur korrigierenden Rückgruppierung finden auch dann Anwendung, wenn zwar eine - formelle - Umgruppierung aufgrund einer Überleitung aus einer Vergütungsordnung in eine andere erfolgt, dabei aber sowohl die Anforderungen des - bisher als erfüllt vorausgesetzten - Tätigkeitsmerkmals identisch sind als auch die maßgebenden allgemeinen Eingruppierungsregelungen in der alten wie in der neuen Vergütungsordnung einander weitgehend entsprechen (ausf. - Rn. 19 ff.).
30cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten gelten die Grundsätze zur korrigierenden Rückgruppierung zudem, wenn sich die Änderung der Bewertung der Tätigkeit zwar nicht „unmittelbar“ auf die Vergütung auswirkt, durch diese aber einem (auch erst später möglichen) Höhergruppierungsantrag nach § 29b TVÜ-VKA die Grundlage entzogen wird.
31(1) Eine „höhere Entgeltgruppe“ iSd. § 29b Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA kann sich nicht nur aus der Einführung neuer Tätigkeitsmerkmale ergeben, sondern auch - wie vorliegend - bei gleichbleibenden Tätigkeitsmerkmalen aufgrund veränderter Zuordnung dieser zu den Entgeltgruppen der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA.
32(a) Nach Anlage 3 TVÜ-VKA in der bis zum geltenden Fassung waren zum Teil mehrere Vergütungsgruppen oder jedenfalls mehrere Fallgruppen einer Vergütungsgruppe - vorläufig bis zum Inkrafttreten der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA - derselben Entgeltgruppe zugeordnet, obwohl diese unterschiedliche tarifliche Anforderungen enthielten. So führten sowohl eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe Vc BAT-O ohne Aufstieg nach Vergütungsgruppe Vb BAT-O (Fallgruppe 1a) als auch eine solche mit Aufstieg nach Vergütungsgruppe Vb BAT-O (Fallgruppe 1b), obwohl nach Fallgruppe 1a lediglich zu einem Drittel und nach Fallgruppe 1b zu mindestens der Hälfte selbstständige Leistungen erforderlich waren, zu einer Vergütung nach Entgeltgruppe 8 TVöD/VKA.
33Im letzteren Fall war unter Geltung des BAT-O nach dreijähriger Bewährung ein Aufstieg in Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1c BAT-O möglich. Gemäß § 17 Abs. 5 Satz 1 TVÜ-VKA in der bis zum geltenden Fassung gab es allerdings keine Bewährungsaufstiege mehr; die Unterscheidung ua. der hier streitgegenständlichen Fallgruppen war vom bis zum Inkrafttreten der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA für die Vergütung nicht mehr relevant.
34(b) In der neuen Entgeltordnung sind die unterschiedlichen Tätigkeitsmerkmale - ohne das Erfordernis der Bewährung - jedoch verschiedenen Entgeltgruppen zugeordnet worden, hinsichtlich der vorliegend streitgegenständlichen Anforderungen den Entgeltgruppen 8 und 9a TVöD/VKA. Sich daraus ergebende höhere Eingruppierungen konnten Beschäftigte nach § 29b TVÜ-VKA auf Antrag erreichen (vgl. zu vergleichbaren Fallkonstellationen im TV-L Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen TV-L Stand März 2022 § 29a TVÜ-Länder Rn. 44 ff.).
35(2) Unter Berücksichtigung dieser Tarifentwicklung sind bei einer Änderung der einer Beschäftigten mitgeteilten Vergütungs- und Fallgruppe nach dem BAT-O im Zeitraum zwischen dem und dem die Grundsätze der korrigierenden Rückgruppierung auch dann anzuwenden, wenn sich aufgrund der geänderten Bewertung für die Beschäftigte nach der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA keine höhere Entgeltgruppe iSd. § 29b Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA mehr ergibt.
36Ebenso wie bei einer Rückgruppierung mit unmittelbarer Vergütungsreduzierung handelt es sich um eine von der Arbeitgeberin gewollte Abkehr von der der Beschäftigten früher mitgeteilten und in der Folgezeit praktizierten Eingruppierung. Will die Arbeitgeberin vermeiden, dass die Beschäftigte durch einen Antrag nach § 29b TVÜ-VKA eine höhere Entgeltgruppe erhält, indem sie sich nunmehr auf die Unrichtigkeit der von ihr selbst mitgeteilten Vergütungs- und Fallgruppe beruft, steht dies in der Wirkung - wenn auch ggf. erst zu einem späteren Zeitpunkt eintretend - dem Fall einer sich unmittelbar auf die Vergütung auswirkenden Rückgruppierung gleich (vgl. bereits zur Verweigerung eines Zeit- oder Bewährungsaufstiegs nach dem BAT - zu A II 2 der Gründe; - 4 AZR 447/01 - zu II 3 der Gründe; - 4 AZR 157/99 - zu I 3 a bb (3) der Gründe, BAGE 94, 287). Ein Unterschied besteht nur insoweit, als eine Höhergruppierung nur dann erfolgt, wenn die Beschäftigte rechtzeitig einen Antrag nach § 29b Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 TVÜ-VKA gestellt hat. Für diese Voraussetzung verbleibt es bei deren Darlegungs- und Beweislast.
37dd) Nach diesen Grundsätzen obliegt vorliegend der Beklagten die Darlegungs- und Beweislast dafür, die Tätigkeit der Klägerin erfülle nicht die tariflichen Anforderungen der Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA. Die Klägerin hat - unstreitig - rechtzeitig einen Antrag nach § 29b Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 TVÜ-VKA gestellt.
38(1) Die von der Beklagten vorgenommene Änderung der Fallgruppe entzieht - wie dargelegt - einem Antrag der Klägerin nach § 29b TVÜ-VKA die Grundlage. Wäre die Beklagte bei ihrer in der Stellenausschreibung mitgeteilten Auffassung verblieben, die Tätigkeit erfülle die Anforderungen der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b BAT-O, hätte sie dem Antrag der Klägerin stattgeben müssen. Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b BAT-O und Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA enthalten das gleiche Tätigkeitsmerkmal, die Eingruppierung richtet sich nach denselben Grundsätzen (§ 22 BAT-O und § 12 TVöD/VKA).
39(2) Die Mitteilung der Beklagten über die Bewertung der Tätigkeit in der Stellenausschreibung war ausreichend, um den erforderlichen begrenzten Vertrauensschutz für die Klägerin zu begründen.
40(a) Entgegen der Auffassung der Beklagten entsteht dieser nicht erst dann, wenn die Arbeitgeberin bei der Mitteilung der ihrer Auffassung nach zutreffenden Vergütungs- oder Entgeltgruppe gegenüber der Beschäftigten mit Rechtsbindungswillen gehandelt hat. Ein solcher ist lediglich für eine vertragliche Vereinbarung erforderlich. Bestünde eine arbeitsvertragliche Vereinbarung über die Zahlung einer Vergütung nach einer bestimmten Vergütungs- oder Entgeltgruppe, bedürfte es zu deren Korrektur einer Änderungskündigung. In Fällen der korrigierenden Rückgruppierung geht es demgegenüber um die einseitige Korrektur der - nach Auffassung der Arbeitgeberin - rechtsfehlerhaften Tarifanwendung ( - zu I 1 d der Gründe; - 4 AZR 352/94 - zu II 1 b der Gründe, jeweils mwN). Die Anwendung der Grundsätze der korrigierenden Rückgruppierung setzt daher gerade voraus, dass keine - übertarifliche - Vergütungsvereinbarung vorliegt.
41(b) Zur Begründung des begrenzten Vertrauensschutzes ist es ausreichend, wenn die Arbeitgeberin die durch sie vorgenommene Bewertung der Tätigkeit der Beschäftigten mitteilt. Soweit es für den Vertrauensschutz nicht nur auf eine bestimmte Vergütungs- oder Entgeltgruppe, sondern auch auf die Fallgruppe ankommt, muss auch diese der Beschäftigten zur Kenntnis gegeben worden sein (vgl. - Rn. 18; - 4 AZR 1/03 - zu II 3 a aa der Gründe; - 4 AZR 499/99 - zu II 2 d aa der Gründe).
42(c) Danach hat die Beklagte durch die Angabe der ihrer Auffassung nach maßgebenden Vergütungs- und Fallgruppe „BAT-O Vc/1b“ in der Stellenausschreibung den begrenzten Vertrauensschutz für die Klägerin begründet.
43(aa) Bei einer solchen Angabe handelt es sich zwar lediglich um eine Information über die vom Arbeitgeber beabsichtigte Eingruppierung (vgl. - Rn. 47, BAGE 130, 1), von der bei Vertragsschluss noch abgewichen werden könnte. Auch für diese ist die Arbeitgeberin aufgrund ihrer Sachnähe und Kompetenz aber verpflichtet, vor einer solchen Mitteilung die Eingruppierung sorgfältig zu prüfen (vgl. - Rn. 20; - 4 AZR 62/99 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 93, 340). Daher entsteht auch aufgrund der Information ein begrenzter Vertrauensschutz, wenn eine anderweitige Vereinbarung unterbleibt und für die Beschäftigte auch sonst keine Anhaltspunkte bestehen, die Arbeitgeberin habe ihre diesbezügliche Auffassung vor Vertragsschluss geändert.
44(bb) Aufgrund der Mitteilung in der Stellenausschreibung war für die Klägerin ersichtlich, die Beklagte gehe von der Erfüllung der tariflichen Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b BAT-O aus. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte durfte die Klägerin hierauf vertrauen. Im Änderungsvertrag vom war zwar „Entgeltgruppe 08“ angegeben. Diese Zuordnung war aber nach Anlage 3 TVÜ-VKA in der bis zum geltenden Fassung für die in der Stellenausschreibung angegebene Bewertung zutreffend und gab daher keinen Anlass, an der Mitteilung in der Stellenausschreibung zu zweifeln (ähnlich - Rn. 19).
45(3) Unerheblich ist, dass die Beklagte die Änderung der Fallgruppe vor Inkrafttreten der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA vorgenommen hat. Die Zuordnung nach Anlage 3 TVÜ-VKA in der bis zum geltenden Fassung war ausdrücklich vorläufig. Es war daher von vornherein nicht auszuschließen, die Zuordnung zu einer der Fallgruppen könne bei Inkrafttreten der neuen Entgeltordnung von Relevanz sein. Der begrenzte Vertrauensschutz konnte deshalb trotz unmittelbar fehlender Auswirkungen entstehen.
46ee) Mit ihrem Vortrag hat die Beklagte der ihr obliegenden Darlegungslast nicht genügt. Diesem lässt sich nicht entnehmen, aus welchen Gründen eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA fehlerhaft wäre.
47(1) Die Arbeitgeberin muss die objektive Fehlerhaftigkeit der bisher gewährten Vergütung darlegen und ggf. beweisen. Dieser Darlegungslast wird genügt, wenn sich aus ihrem Vorbringen - einschließlich des unstreitigen Sachverhalts - ergibt, es fehle jedenfalls an einer der tariflichen Voraussetzungen für die mitgeteilte Eingruppierung ( - Rn. 12, BAGE 148, 217; - 4 AZR 673/10 - Rn. 19, BAGE 142, 271; - 4 AZR 66/05 - Rn. 16). Es reicht nicht aus, überhaupt einen Fehler bei der Bewertung der Tätigkeit aufzuzeigen. Die Vermeidung des aufgezeigten Fehlers muss dazu führen, dass die mitgeteilte Vergütungsgruppe nicht diejenige ist, in der die Beschäftigte tarifgerecht eingruppiert war ( - zu 1 d der Gründe, BAGE 108, 245).
48(2) Die Beklagte hat eine solche objektive Fehlerhaftigkeit nicht dargelegt.
49(a) Der Darlegungslast ist nicht bereits genügt, weil die Beklagte behauptet, hinsichtlich der selbstständigen Leistungen eine „Gesamtbetrachtung“ durchgeführt zu haben. Die Beurteilung, ob eine Tätigkeit selbstständige Leistungen im tariflichen Sinne erfordert, kann zwar der Natur der Anforderung nach nicht im Wege der Gesamtbetrachtung, sondern nur bezogen auf den jeweiligen Arbeitsvorgang beurteilt werden ( - Rn. 38). Unterstellt, die Beklagte habe dennoch eine solche Gesamtbetrachtung durchgeführt, folgt allein daraus aber noch nicht, dass selbstständige Leistungen nicht in dem erforderlichen Maß anfallen.
50(b) Der Senat kann anhand des Vortrags der Beklagten keine Arbeitsvorgänge bestimmen. Dies wäre aber erforderlich, da die Beklagte selbst davon ausgeht, die Tätigkeit der Klägerin erfordere gründliche und vielseitige Fachkenntnisse und - teilweise - selbstständige Leistungen. Eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA wäre nur dann fehlerhaft, wenn die Tätigkeit aus mehreren Arbeitsvorgängen bestünde, von denen lediglich solche, die insgesamt weniger als die Hälfte der Arbeitszeit ausmachen, selbstständige Leistungen erfordern.
51(aa) Bezugspunkt der tariflichen Bewertung ist nach § 12 TVöD/VKA der Arbeitsvorgang. Maßgebend für die Bestimmung des Arbeitsvorgangs ist das Arbeitsergebnis. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, sind eine natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber vorgenommene Arbeitsorganisation ausschlaggebend. Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Einzeltätigkeiten können dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein getrennt sind. Hierfür reicht jedoch die theoretische Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf andere Beschäftigte zu übertragen, nicht aus. Bei der Zuordnung zu einem Arbeitsvorgang können wiederkehrende oder gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden. Dem Arbeitsvorgang hinzuzurechnen sind dabei nach Satz 1 der Protokollerklärung zu § 12 Abs. 2 TVöD/VKA auch Zusammenhangsarbeiten. Das sind solche, die aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit bestimmten Aufgaben einer Beschäftigten bei der tariflichen Bewertung zwecks Vermeidung einer tarifwidrigen „Atomisierung“ der Arbeitseinheiten nicht abgetrennt werden dürfen, sondern diesen zuzurechnen sind. Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt dabei zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten (vgl. hierzu umfassend zum inhaltsgleichen § 12 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder [TV-L] - Rn. 27 ff., BAGE 172, 130).
52(bb) Die darlegungsbelastete Partei - in der Regel die Beschäftigte, vorliegend die Arbeitgeberin - hat neben der Darstellung der Arbeitsinhalte Angaben insbesondere zu den Arbeitsergebnissen, zu den Zusammenhangsarbeiten und zur Abgrenzbarkeit der verschiedenen Einzelaufgaben zu machen, die dem Gericht die Bestimmung von Arbeitsvorgängen ermöglichen. Die Bestimmung der Arbeitsvorgänge selbst ist eine Rechtsfrage und damit Aufgabe des Gerichts ( - Rn. 19; - 4 AZR 173/19 - Rn. 17, BAGE 170, 214).
53(cc) Soweit sich die Beklagte zur Darlegung der Arbeitsinhalte auf die Stellenbeschreibung bezieht (vgl. zur Bedeutung der Stellenbeschreibung bei der Bestimmung von Arbeitsvorgängen - Rn. 15), lassen sich dieser zwar einige Tätigkeiten der Klägerin entnehmen, sie ermöglicht aber keinen Rückschluss auf deren Organisation. Die Stellenbeschreibung lässt insbesondere für die unter den Nrn. 1 bis 5 aufgeführten Tätigkeiten keine Bewertung zu, ob diese zur einheitlichen Bearbeitung je nach Anfall oder getrennt zugewiesen worden sind. Daher ist ua. nicht ersichtlich, ob die Tätigkeiten im Zusammenhang mit Pass- und Meldeangelegenheiten von den übrigen Tätigkeiten organisatorisch getrennt auszuüben sind und verschiedenen oder einem einheitlichen Arbeitsergebnis (zB einer umfassenden Bürgerberatung) dienen. Weiterhin erschließt sich anhand des Vortrags der Beklagten nicht, ob es sich bei den Tätigkeiten zu Nrn. 6 bis 8 um Zusammenhangstätigkeiten handelt und welchen Arbeitsvorgängen diese zuzuordnen wären. Allein durch die Zuordnung der Tätigkeiten nach Nrn. 7 und 8 zu dem durch die Beklagte zuletzt angenommenen, 40 vH der Arbeitszeit erfassenden Arbeitsvorgang „Bürgerberatung/Soziales/Wohngeld“ würde sich bereits ein Arbeitsvorgang mit 50 vH der Arbeitszeit ergeben. Das weitere Vorbringen der Beklagten zu Arbeitsvorgängen im Schriftsatz vom erschöpft sich in der Mitteilung von ihr angenommener Arbeitsergebnisse. Es fehlt auch an dieser Stelle an einer Darlegung der konkret anfallenden Tätigkeiten und deren Organisation.
54(c) Selbst wenn die Annahme der Beklagten zur Aufteilung der Tätigkeiten in mehrere Arbeitsvorgänge zutreffend sein sollte, hätte diese nicht hinreichend dargelegt, dass die tarifliche Anforderung der selbstständigen Leistungen nicht im erforderlichen zeitlichen Ausmaß erfüllt wäre. Die Beklagte geht davon aus, von ihr angenommene Arbeitsvorgänge würden mit einem Zeitanteil von 40 vH der Gesamtarbeitszeit selbstständige Leistungen erfordern. Sie hat aber nicht nachvollziehbar vorgetragen, warum für die weiteren „Arbeitsvorgänge“ keine selbstständigen Leistungen benötigt werden.
55(aa) Selbstständige Leistungen erfordern ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbstständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative; eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderung nicht erfüllen. Das Merkmal „selbstständige Leistungen“ darf nicht mit dem Begriff „selbstständig arbeiten“ verwechselt werden, worunter eine Tätigkeit ohne direkte Aufsicht oder Leitung zu verstehen ist. Eine selbstständige Leistung im Tarifsinn ist dann anzunehmen, wenn eine Gedankenarbeit erbracht wird, die im Rahmen der für die Entgeltgruppe vorausgesetzten Fachkenntnisse hinsichtlich des einzuschlagenden Weges, insbesondere hinsichtlich des zu findenden Ergebnisses, eine eigene Beurteilung und eine eigene Entschließung erfordert. Kennzeichnend für selbstständige Leistungen im tariflichen Sinn ist - ohne Bindung an verwaltungsrechtliche Fachbegriffe - ein wie auch immer gearteter Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielraum bei der Erarbeitung eines Arbeitsergebnisses. Es werden Abwägungsprozesse verlangt, in deren Rahmen Anforderungen an das Überlegungsvermögen gestellt werden. Dabei müssen für eine Entscheidung unterschiedliche Informationen verknüpft und untereinander abgewogen werden. Dass diese Abwägungsprozesse bei entsprechender Routine durchaus schnell ablaufen können, steht nicht entgegen ( - Rn. 33; - 4 AZR 514/16 - Rn. 19).
56(bb) Die Beklagte hat nicht hinreichend aufgezeigt, warum insbesondere für die von ihr angenommenen Arbeitsvorgänge Pass- und Meldeangelegenheiten und Essengeldbearbeitung keine selbstständigen Leistungen erforderlich sein sollten. Welche Normen die Klägerin in diesem Zusammenhang zu beachten und anzuwenden hat, ergibt sich weder aus der Stellenbeschreibung noch aus dem sonstigen Vortrag der Beklagten. Ebenso wenig ist ersichtlich, aus welchen Gründen es sich allein um „korrekten Normenvollzug, der bis in die einzelnen Details vorgegeben ist“ handeln soll. Eventuelle Vorgaben an die Klägerin werden nicht näher beschrieben. Der Hinweis auf Entscheidungen anderer Instanzgerichte kann den erforderlichen Sachvortrag nicht ersetzen.
574. Die Ansprüche der Klägerin sind nicht nach § 37 Abs. 1 TVöD/VKA verfallen. Der Höhergruppierungsantrag der Klägerin vom enthielt eine ausreichende Geltendmachung.
58a) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD/VKA verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von der Beschäftigten schriftlich geltend gemacht werden. Nach § 37 Abs. 1 Satz 2 TVöD/VKA reicht für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällig werdende Leistungen aus.
59b) Tarifliche Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Die Anspruchsgegnerin soll sich auf die aus Sicht der Anspruchstellerin noch offene Forderung rechtzeitig einstellen, Beweise sichern und ggf. Rücklagen bilden können. Sie soll vor der Verfolgung von Ansprüchen, mit deren Geltendmachung sie nicht rechnet und auch nicht rechnen muss, geschützt werden ( - Rn. 32, BAGE 166, 285; - 4 AZR 816/16 - Rn. 50, BAGE 162, 81). Ausgehend von ihrem Sinn und Zweck ist die Ausschlussfrist nur gewahrt, wenn die Anspruchstellerin unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass sie Inhaberin einer nach Grund und Höhe spezifizierten Forderung ist und auf der Erfüllung dieser Forderung besteht ( - Rn. 34 mwN). Einer ausdrücklichen Zahlungsaufforderung bedarf es zur Geltendmachung nicht.
60c) Die Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TVöD/VKA wird für Ansprüche, die im Zusammenhang mit einer Überleitung in die neue Entgeltordnung nach § 29b TVÜ-VKA stehen, nicht von der in § 29b Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA genannten Ausschlussfrist als einer Spezialregelung verdrängt. Die Wirkung der Ausschlussfrist nach § 29b Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA ist vielmehr auf das Antragsrecht nach § 29b Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA beschränkt (ausf. - Rn. 26 ff., BAGE 168, 13). Ob ein Antrag nach § 29b Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA zugleich eine - ausreichende - Geltendmachung iSv. § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD/VKA enthält, hängt von dessen Inhalt ab und ist deshalb in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen ( - Rn. 32, aaO).
61d) Diesen Anforderungen genügt der Höhergruppierungsantrag. Die Klägerin verlangt nicht lediglich eine „Überprüfung“ oder „Neubewertung“ ihrer Tätigkeiten, sondern eine „Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9a rückwirkend ab dem “. Dadurch ist für die Beklagte hinreichend deutlich geworden, dass die Klägerin die Auffassung vertritt, einen Anspruch auf eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA ab dem zu haben. Für einen Höhergruppierungsantrag allein hätte es der Angabe der Entgeltgruppe nicht bedurft. Die Höhe der sich daraus ergebenden Differenzvergütung war für die Beklagte unschwer erkennbar.
62III. Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2022:270422.U.4AZR463.21.0
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 10 Nr. 32
FAAAJ-17918