BGH Beschluss v. - 4 StR 202/21

Strafverfahren wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr in einem Altfall: Notwendigkeit einer Wettbewerbslage; Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen

Gesetze: § 46 Abs 1 StGB, § 299 Abs 2 StGB vom , § 299 Abs 2 Nr 2 StGB vom , § 267 Abs 3 S 1 StPO, § 337 StPO, § 344 StPO, Art 6 Abs 1 S 1 MRK, Art 1 Nr 11 KBekG

Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 71 KLs 7/17

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 93 Fällen und wegen versuchten Betruges, in allen Fällen in Tateinheit mit Bestechung im geschäftlichen Verkehr, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Nach den Feststellungen übergab der Angeklagte ab bei der Lieferung von Messingschleifstäuben an einen Mitarbeiter der Abnehmerfirma in 94 Fällen jeweils einen Eimer mit einer Materialprobe, die – anders als die Liefermenge – die vereinbarten Anteile von Kupfer und Zink enthielt. Dem Mitarbeiter der Abnehmerfirma bezahlte er jeweils 150 Euro, damit dieser die Materialprobe zur Laboranalyse weiterleitete, deren Ergebnis Grundlage für die Bezahlung der Lieferungen war. Durch dieses Vorgehen sollte bei den Verantwortlichen der Abnehmerfirma der Eindruck erweckt werden, die Liefermengen enthielten die vereinbarten Anteile von Kupfer und Zink. Tatsächlich waren den Lieferungen zwischen 8% und 20% Sand beigemengt worden, so dass durch die Bezahlung der 93 Rechnungen insgesamt ein Schaden von rund 625.000 Euro entstand. Bei einer weiteren Lieferung am waren die Verantwortlichen der Abnehmerfirma durch ein anonymes Schreiben von den Abläufen unterrichtet worden, so dass sie den Liefervorgang beobachteten und im Anschluss die Zahlung verweigerten.

II.

31. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.

42. Auf die Sachrüge hat in sämtlichen urteilsgegenständlichen Fällen die jeweils tateinheitliche Verurteilung wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu entfallen, weil das Verhalten des Angeklagten den zur Tatzeit geltenden Tatbestand des § 299 Abs. 2 StGB nicht erfüllt.

5Das Verhalten des Angeklagten kann nicht nach § 299 Abs. 2 Nr. 2 StGB bestraft werden, da die Vorschrift zur Tatzeit zwischen dem und dem noch nicht in Kraft war (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB). Die Regelung des § 299 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist erst durch die Neufassung der Norm mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom (BGBl. I S. 2025) mit Wirkung vom eingefügt worden. Seit der Gesetzesänderung unterfallen dem Tatbestand auch solche Vorteile, die einem Angestellten oder Beauftragten eines Unternehmens im geschäftlichen Verkehr bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen ohne Einwilligung dieses Unternehmens als Gegenleistung für die Verletzung einer gegenüber dem Unternehmen bestehen Pflicht angeboten, versprochen oder gewährt werden.

6Das Verhalten des Angeklagten erfüllt nicht den zur Tatzeit geltenden Tatbestand des § 299 Abs. 2 StGB. Die bis geltende Fassung des § 299 Abs. 2 StGB stellt lediglich die korruptive Beeinflussung mit dem Ziel einer unlauteren Bevorzugung bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen zu Zwecken des Wettbewerbs unter Strafe. Aufgrund dieser Beschränkung auf Bevorzugungen im Wettbewerb sind von der früheren Fassung Fälle der mit Schmiergeldzahlungen erkauften Verletzung von Pflichten durch Angestellte und Beauftragte von Unternehmen außerhalb von Wettbewerbslagen nicht erfasst (vgl. BT-Drucks. 18/4350, S. 21 f.; MüKo-StGB/Krick, 3. Aufl. 2019, § 299 Rn. 3; Wollschläger in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 299 Rn. 5).

7Die jeweils tateinheitliche Verurteilung wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr hat daher in den Fällen II.2.1 bis II.2.94 der Urteilsgründe zu entfallen.

83. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

9a) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die jeweils tateinheitliche Bestechung im geschäftlichen Verkehr geringere Einzelstrafen verhängt hätte.

10b) Darüber hinaus ist zu besorgen, dass mit der langen Verfahrensdauer ein für die Strafzumessung wesentlicher Gesichtspunkt unberücksichtigt geblieben ist.

11Die Strafkammer hat strafmildernd herangezogen, dass zwischen den abgeurteilten Taten und dem Urteil „teilweise bereits über neun Jahre, zumindest aber über fünf Jahre“ vergangen sind.

12Dies lässt besorgen, dass sie der Verfahrensdauer im Rahmen der Strafzumessung keine eigenständige Bedeutung beigemessen hat. Eine überdurchschnittlich lange Verfahrensdauer ist indes ungeachtet eines geringeren Strafbedürfnisses aufgrund des zeitlichen Abstands zwischen Tatbegehung und Urteil und eines etwa gewährten Vollstreckungsabschlags bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (vgl. , BGHSt 52, 124, 142; Beschluss vom – 3 StR 173/09) und stellt einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO dar (vgl. Urteil vom – 2 StR 344/14 Rn. 49; Beschluss vom – 3 StR 157/08 Rn. 7).

13Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der aufgezeigte Rechtsfehler auf die Höhe der Einzelstrafen ausgewirkt hat.

14c) Die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Die Feststellungen können bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO), da es sich nur um einen rechtlichen Wertungsfehler handelt. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

154. Das Urteil unterliegt ebenfalls der Aufhebung, soweit eine Entscheidung über die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung unterblieben ist.

16a) Wird – wie hier – hinsichtlich einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung keine Verfahrensrüge erhoben, so unterliegt die Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt, nur dann der revisionsrechtlichen Überprüfung, wenn sich entweder die Verfahrensverzögerung aus den Urteilsgründen – gegebenenfalls unter Heranziehung der vom Revisionsgericht von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Verfahrenstatsachen – ergibt oder aber die Urteilsgründe jedenfalls ausreichende Anhaltspunkte enthalten, die das Tatgericht zur Prüfung einer Kompensation drängen mussten, so dass ein Erörterungsmangel gegeben ist (vgl. Rn. 24; Urteil vom – 4 StR 119/05, NStZ-RR 2006, 56, 57; Beschluss vom – 5 StR 376/03, BGHSt 49, 342).

17b) So liegt der Fall hier. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass der Angeklagte am durch Vertreter der Abnehmergesellschaft mit den Vorwürfen konfrontiert und ein Belastungszeuge aus dem Lieferunternehmen am polizeilich vernommen wurde, so dass es mit Blick auf eine mögliche rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung näherer Darlegung und Würdigung der Umstände bedurft hätte, die dazu führten, dass erst im November 2017 Anklage erhoben wurde und bis zum Beginn der Hauptverhandlung im Juni 2020 weitere zweieinhalb Jahre vergingen. Diese Prüfung wird das neue Tatgericht nachzuholen haben.

185. Im Übrigen hat die Prüfung des Urteils keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:150322B4STR202.21.0

Fundstelle(n):
wistra 2022 S. 4 Nr. 7
wistra 2022 S. 517 Nr. 12
CAAAJ-16853