Sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person: Anwendung des Günstigkeitsprinzips auf Schuldspruch und Strafzumessung
Gesetze: § 2 Abs 1 StGB, § 2 Abs 3 StGB, § 177 Abs 2 Nr 1 StGB vom , § 179 Abs 1 StGB vom , § 179 Abs 5 StGB vom
Instanzenzug: Az: 22 KLs 11/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Teilfreispruch wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, und wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrügen versagen entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Ergänzend bemerkt der Senat, dass das Landgericht auch im Blick auf die psychische Disposition des von der Verteidigung benannten Zeugen dessen - aus den Gründen des beanstandeten Beschlusses nicht durchführbare - persönliche Vernehmung in der Hauptverhandlung für unbedingt erforderlich und deswegen namentlich eine kommissarische Vernehmung für nicht ausreichend halten durfte. Gegen die Ablehnung des Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 5 StPO) ist daher rechtlich nichts zu erinnern.
32. Der Schuldspruch bedarf in zweifacher Hinsicht der Korrektur (§ 354 Abs. 1 StPO analog).
4a) Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person nach der zur Tatzeit geltenden Vorschrift des § 179 Abs. 1 und 5 StGB aF verurteilt. Die Strafe hat es demgegenüber - insoweit rechtsfehlerfrei - der Vorschrift des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF als dem milderen Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB entnommen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 366/16, NStZ-RR 2017, 240, 241; vom - 3 StR 43/17, NStZ 2018, 33). Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass der Günstigkeitsvergleich des § 2 Abs. 3 StGB nur Bedeutung für die Strafzumessung hat, während der Schuldspruch sich nach dem Tatzeitrecht (§ 2 Abs. 1 StGB) richtet. Dies trifft jedoch nicht zu. Vielmehr ist das mildere Gesetz stets in seiner Gesamtheit anzuwenden (vgl. , NStZ 2014, 586, 587; Beschluss vom - 3 StR 167/14 Rn. 30; MüKo-StGB/Schmitz, 4. Aufl. ,2020, § 2 Rn. 29, 51). Dies ist vorliegend der (Vergehens-)Tatbestand der sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB, was im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen ist.
5b) Ferner muss die tateinheitliche Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB betreffend Tat 3 der Urteilsgründe entfallen, weil insoweit Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Tat wurde „im Herbst 2013“ begangen. Demgemäß war die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) im Zeitpunkt der Anzeigeerstattung am bereits abgelaufen.
63. Der Wegfall der Verurteilung wegen des Körperverletzungsdelikts entzieht dem Strafausspruch betreffend Tat 3 die Grundlage. Denn das Landgericht hat die tateinheitliche Verwirklichung mehrerer Straftatbestände ohne Einschränkungen straferschwerend berücksichtigt (UA S. 45). Angesichts dessen kann die Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten nicht bestehen bleiben. Da die Einsatzstrafe betroffen ist, lässt sich auch nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender Bewertung eine noch geringere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte. Die Sache bedarf deshalb insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
7Die zugehörigen Feststellungen werden durch den Rechtsfehler nicht berührt und können aufrechterhalten werden. Neue Feststellungen sind möglich, sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:030522B6STR150.22.0
Fundstelle(n):
TAAAJ-16843