Deliktische Haftung für Kapitalanlegerverluste: Vermutung der Ursächlichkeit eines Prospektfehlers für die Anlageentscheidung - Prospektfehler, Ursächlichkeitsvermutung
Leitsatz
Prospektfehler, Ursächlichkeitsvermutung
Zu der durch Lebenserfahrung begründeten Vermutung der Ursächlichkeit eines Prospektfehlers für die Anlageentscheidung.
Gesetze: § 823 Abs 2 BGB, § 264a Abs 1 Nr 1 StGB
Instanzenzug: Az: 14 U 36/19 Urteilvorgehend Az: 13 O 313/17 Urteil
Tatbestand
1Die Klägerin verlangt von den Beklagten aus eigenem sowie abgetretenem Recht ihres Ehemannes Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Hypothekenanleihen der inzwischen insolventen W. G. und F. AG (im Folgenden: WGF AG).
2Die WGF AG verfolgte das Geschäftsmodell, Immobilien günstig zu erwerben, durch Entwicklungsmaßnahmen aufzuwerten und gewinnbringend zu veräußern. Ihre Geschäftstätigkeit finanzierte sie vornehmlich durch acht Hypothekenanleihen, welche öffentlich emittiert wurden. Zwei Anleihen über 20 Mio. € und 30 Mio. € wurden planmäßig 2009 und 2011 zurückgezahlt. Sechs Anleihen - A0LDUL, Emissionsvolumen 50 Mio. €; WGFH04, Emissionsvolumen 50 Mio. €; WGFH05, Emissionsvolumen 100 Mio. €; WGFH06, Emissionsvolumen 100 Mio. €; WGFH07, Emissionsvolumen 100 Mio. €; WGFH08, Emissionsvolumen 50 Mio. € - wurden nicht zurückgezahlt. Die Beklagten bildeten zum Zeitpunkt der Emissionen der Anleihen den Vorstand der WGF AG.
3Die WGF AG wies in ihrem testierten Jahresabschluss zum ein Eigenkapital von 4,5 Mio. € aus. Im Jahresverlauf erwarb sie sechs Immobilien zum Preis von insgesamt 43,597 Mio. €. Mit notariellen Kaufverträgen vom verkaufte sie diese für insgesamt 57,85 Mio. € an drei Fondsgesellschaften (im Folgenden auch: Erwerberkommanditgesellschaften), die von ihrer Tochtergesellschaft deboka D. AG (im Folgenden: deboka AG) gehalten wurden. Dabei wurden in den Kaufverträgen der Übergang von Besitz, Nutzungen und Lasten auf die Erwerberkommanditgesellschaften jeweils zum vereinbart und die Kaufpreise gestaffelt bis zum gestundet. Die Stundungen wurden wiederholt verlängert.
4In dem am testierten Jahresabschluss der WGF AG für das Geschäftsjahr 2008 vom wurden die zu Anschaffungskosten in Höhe von 43,597 Mio. € aktivierten Grundstücke ausgebucht und die Kaufpreisforderungen gegen die Erwerberkommanditgesellschaften in Höhe von 57,85 Mio. € aktiviert, wodurch der Jahresabschluss ein positives Eigenkapital in Höhe von 4,7 Mio. € auswies. Auch in dem am testierten Jahresabschluss der WGF AG für das Geschäftsjahr 2009 vom , der ein positives Eigenkapital in Höhe von 7,1 Mio. € auswies, waren die Kaufpreisforderungen in Höhe von 57,85 Mio. € aktiviert. Ebenso verhielt es sich in der ungeprüften Zwischenbilanz der WGF AG zum Stichtag ; die Aktivierung der Kaufpreisforderungen in Höhe von 57,85 Mio. € führte dort zu einem Jahresüberschuss von 3,84 Mio. €.
5Nach Abschluss der notariellen Kaufverträge vom veröffentlichte die WGF AG Wertpapierprospekte unter anderem zu folgenden Anleihen:
6Den Wertpapierprospekten zu den Anleihen WGFH05 und WGFH06 war jeweils der testierte Jahresabschluss der WGF für das Geschäftsjahr 2008 beigefügt. Der Wertpapierprospekt zur Anleihe WGFH06 enthielt zusätzlich den ungeprüften Abschluss für das Geschäftsjahr 2009. Demgegenüber enthielt der Wertpapierprospekt zur Anleihe WGFH04 nur die testierten Jahresabschlüsse der WGF AG für die Geschäftsjahre 2006 und 2007 und die ungeprüfte Zwischenbilanz der WGF AG zum .
7Nachdem die drei Erwerberkommanditgesellschaften die mehrfach gestundeten Kaufpreise nicht hatten bezahlen können, trat die WGF AG am von den Kaufverträgen zurück und nahm dies im Folgejahr zum Anlass, die Jahresabschlüsse für die Jahre 2008 und 2009 in Höhe eines Betrages von 14,253 Mio. € (57,85 Mio. € - 43,597 Mio. €: Differenzbetrag zwischen Kaufpreisforderungen und Anschaffungskosten) wertzuberichtigen. Infolgedessen wiesen die berichtigten und am testierten Jahresabschlüsse 2008 und 2009 nunmehr eine Überschuldung der WGF AG aus, und zwar der Jahresabschluss für 2008 einen durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 6,6 Mio. € und der Jahresabschluss für 2009 einen solchen in Höhe von 6,8 Mio. €. Gleichzeitig testierten die Wirtschaftsprüfer den Jahresabschluss der WGF AG für 2010, in dem selbst unter Berücksichtigung der vorgenannten Wertberichtigung ein positives Eigenkapital in Höhe von 11 Mio. € festgestellt wurde.
8Im Zusammenhang mit der Präsentation des Jahresabschlusses für 2010 veröffentlichte die WGF AG am eine Pressemitteilung, in der darauf hingewiesen wurde, dass sie für das Geschäftsjahr 2008 eine Wertberichtigung im Zusammenhang mit dem Ausfall von Forderungen an drei Immobilienfonds vorgenommen habe, die bedingt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht platziert worden seien. Die Verkäufe an die Fonds seien rückabgewickelt und die dazugehörigen Immobilien erfolgreich einer neuen Verwertung zugeführt worden. Der Pressemitteilung war ein Link auf den vollständig abruf- und herunterladbaren Geschäftsbericht beigefügt. Im Januar 2012 wurden die berichtigten Jahresabschlüsse der WGF AG für 2008 und 2009 im Bundesanzeiger veröffentlicht.
9Der Jahresabschluss der WGF AG für das Geschäftsjahr 2011 wies zum eine Überschuldung aus. Am stellte der Vorstand der WGF AG einen Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Mit wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und die Eigenverwaltung angeordnet. Mit Hilfe einer Unternehmensberatung und eines Sachwalters wurde ein Insolvenzplan ausgearbeitet, der Forderungsverzichte und Stundungen seitens der Gläubiger der WGF AG vorsah. Nach Zustimmung der Gläubiger zum Insolvenzplan bestätigte das Amtsgericht Düsseldorf denselben und hob das Insolvenzverfahren am wieder auf. Nachdem die Restrukturierung misslungen war, wurde auf Antrag des Vorstandes der WGF am erneut das Insolvenzverfahren über das Vermögen der WGF AG angeordnet.
10Der Ehemann der Klägerin - der Zedent - hatte am und am jeweils die Anleihe WGFH06 erworben. Die Klägerin und ihr Ehemann hatten am die Anleihe WGFH04 und am die Anleihe WGFH05 gekauft. Die Klägerin hat vorgetragen, es bestehe eine deliktsrechtliche Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den §§ 263, 264a StGB, § 400 AktG, § 15a InsO sowie § 826 BGB. Die Beklagten hätten den Wertpapierprospekt zu der Anleihe WGFH04 innerhalb der Angebotsfrist aktualisieren müssen, weil dieser ein falsches Bild von der Finanz- und Ertragslage der WGF AG vermittle. Die Wertpapierprospekte zu den Anleihen WGFH05 und WGFH06 vermittelten ebenfalls ein falsches Bild von der Finanz- und Ertragslage der WGF AG in den Geschäftsjahren 2008 und 2009, um dadurch die Anleihen besser vermarkten zu können. Hätten die Risikohinweise in den Wertpapierprospekten einen Hinweis darauf enthalten, dass spätestens ab Februar 2009 bekannt gewesen sei, dass die Erwerberkommanditgesellschaften die gestundeten Kaufpreise nicht würden bezahlen können, hätten sie und ihr Ehemann die Anleihen niemals erworben. Ebenso hätten sie von Anleihekäufen abgesehen, wenn sie beizeiten darüber informiert worden wären, dass durch eine Planungsänderung bei der Platzierung der Anteile den drei Erwerberkommanditgesellschaften die Bezahlung der letztlich bis Ende 2010 gestundeten Kaufpreise unmöglich geworden sei. Erst recht hätten sie die Anleihen nicht erworben, wenn sie beide gewusst hätten, dass die WGF AG schon seit April 2008 insolvent gewesen sei.
11Das Landgericht hat der auf Erstattung der Kaufpreise - abzüglich erhaltener Zinsen und Ausschüttungen - nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte an den Anleihen, Feststellung des Annahmeverzugs sowie Erstattung entgangener Zinseinnahmen und außergerichtlich entstandener Kosten der Rechtsverfolgung gerichteten Klage im Wesentlichen stattgegeben; lediglich hinsichtlich entgangener Anlagezinsen hat es sie abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragen die Beklagten, das Berufungsurteil aufzuheben und unter Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Klage insgesamt abzuweisen.
Gründe
12Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
13Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner - in BeckRS 2020, 22126 veröffentlichten - Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
141. Bezüglich des Erwerbs der Anleihen WGFH05 und WGFH06
15Die Beklagten hafteten der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Sie hätten in den von ihnen als Vorstandsmitglieder der WGF AG verantworteten Wertpapierprospekten zu den Anleihen WGFH05 und WGFH06 falsche Angaben zur wirtschaftlichen Lage der WGF AG gemacht, indem sie darin die Anleger darüber getäuscht hätten, dass für die WGF AG die Geschäftsjahre 2008 (WGFH05) und 2009 (WGFH06) statt mit einem Gewinn mit einer bilanziellen Überschuldung in Höhe eines durch Eigenkapital nicht mehr gedeckten Fehlbetrages von mehr als 6,6 Mio. € (2008) beziehungsweise 6,8 Mio. € (2009) geendet hätten.
16Die in den Wertpapierprospekten enthaltenen positiven Angaben der WGF AG zu ihrer Ertrags- und Finanzlage für die Geschäftsjahre 2008 und 2009 seien bereits seit der Erstellung der Jahresabschlüsse für diese Geschäftsjahre durch die hierfür verantwortlichen Beklagten und damit auch zu den zeitlich späteren Zeitpunkten, zu denen die Wertpapierprospekte zu den Anleihen WGFH05 und WGFH06 zwecks Vertriebs veröffentlicht worden seien, unrichtig gewesen. Bei von Anfang an richtiger Bilanzierung hätten die Kaufpreisforderungen schon in dem unter dem von den Beklagten verantworteten Jahresabschluss 2008 sowie dem "Zwischenabschluss zum " und nicht erst in dem von den Beklagten zwei Jahre später im Mai 2011 im Wege der Rückwärtsberichtigung mit Rückwirkung auf den Stichtag korrigierten Abschluss 2008 um den Betrag von 14,253 Mio. € wertberichtigt werden müssen. In diesem Fall hätten "Bilanz/Zwischenabschluss für die Geschäftsjahre 2008 und 2009" dann keine Gewinne mehr, sondern vielmehr eine bilanzielle Überschuldung ausgewiesen.
17Die Beklagten hätten es zugelassen, dass die unrichtigen Abschlüsse in den hier in Rede stehenden Wertpapierprospekten zur Darstellung der Wirtschafts- und Ertragslage der WGF AG verwendet worden seien, indem sie die insoweit unrichtigen Prospekte zum Vertrieb der Anleihen WGFH05 und WGFH06 unter anderem auf der Homepage der WGF AG zur Information für den Anleger bereitgehalten hätten. Dies habe zur Folge, dass neben der grundsätzlich in Betracht kommenden - verjährten - Prospekthaftung im engeren Sinne der Straftatbestand des § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt sei.
18In subjektiver Hinsicht hätten die Beklagten vorsätzlich, zumindest mit dolus eventualis, gehandelt. Ein den Tatbestand des § 264a StGB ausschließender Irrtum habe nicht vorgelegen. Die Beklagten könnten sich weder mit Erfolg darauf berufen, ihr Handeln an der von der Kanzlei HLFP erteilten Rechtsberatung ausgerichtet zu haben, noch führe es bei ihnen zu einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum, dass die mit der Prüfung der Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre 2008 und 2009 beauftragte K. B. GmbH diese mit den in voller Höhe aktivierten Kaufpreisforderungen ohne Beanstandung testiert habe; der ungeprüfte "Zwischenabschluss 2009" sei von den Wirtschaftsprüfern ohnehin nicht testiert worden.
19Darüber hinaus hat das Berufungsgericht den Standpunkt eingenommen, die von den Beklagten verantwortete Verwendung der in Bezug auf die Darstellung der Finanz- und Ertragslage der WGF AG unrichtigen Wertpapierprospekte zu den Anleihen WGFH05 und WGFH06 sei auch ursächlich gewesen für den eingetretenen Schaden der Klägerin. Bei der Verwendung von Emissionsprospekten bestehe eine auf Lebenserfahrung basierende tatsächliche Vermutung dafür, dass der Prospektfehler ursächlich für den Entschluss des Anlegers zum Erwerb der Anlage gewesen sei, wobei diese Vermutung unabhängig davon gelte, ob das Schadensersatzbegehren auf eine vertragliche oder eine deliktische Anspruchsgrundlage gestützt werde. Diese Kausalitätsvermutung sei vorliegend nicht entkräftet worden.
202. Bezüglich des Erwerbs der Anleihe WGFH04
21Bezüglich der Anleihe WGFH04 hafteten die Beklagten der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a StGB für den ihr durch den Erwerb entstandenen Schaden, weil sie es als alleinige Vorstandsmitglieder der WGF AG unterlassen hätten, die in dem diese Anleihe betreffenden Wertpapierprospekt vom gemachten Angaben über einen erwarteten Gewinn der WGF AG für das Geschäftsjahr 2008 in Höhe von 1,48 Mio. € nachträglich innerhalb der Angebotsfrist zu berichtigen, nachdem dieses Geschäftsjahr für die WGF AG entgegen dem vorläufigen Bilanzergebnis tatsächlich mit einer bilanziellen Überschuldung in Höhe eines durch Eigenkapital nicht mehr gedeckten Fehlbetrages von mehr als 6,6 Mio. € geendet habe.
22Unrichtige Informationen im Sinne des Gesetzes verbreite auch derjenige, der nachträglich unrichtig gewordene Werbemittel im Sinne des § 264a Abs. 1 StGB gegenüber einem größeren Kreis anderer, bislang noch nicht angesprochener Anleger (weiter) verwende, indem er sie nach Eintritt der Unrichtigkeit zusende, auslege, verteile oder sonst zugänglich mache. Um die Erfüllung dieses Straftatbestandes zu vermeiden, hätte daher das insgesamt optimistische Bild, das der Prospekt von der Finanz- und Ertragslage der WGF AG und deren positiver Entwicklung im Geschäftsjahr 2008 auf der Grundlage der Zwischenbilanz zum und der Hochrechnung des Gewinns für das gesamte Geschäftsjahr gezeichnet habe, von den Beklagten innerhalb der bis zum laufenden Angebotsfrist durch einen Prospektnachtrag richtiggestellt werden müssen. Aus ihm hätte hervorgehen müssen, dass die WGF AG im abgelaufenen Geschäftsjahr 2008 statt des erwarteten Gewinns einen Verlust von über 10 Mio. € erlitten habe, der zu einer bilanziellen Überschuldung von mehr als 6,6 Mio. € geführt habe. Dieser Aktualisierungsverpflichtung seien die Beklagten nicht nachgekommen. Stattdessen hätten sie es zugelassen, dass der unrichtig gewordene Wertpapierprospekt in der Folgezeit weiter gegenüber den Anlegern verwendet worden sei, indem sie diesen unter anderem auf ihrer eigenen Homepage als Information bereitgehalten hätten.
23Die Beklagten hätten insoweit auch vorsätzlich, zumindest mit dolus eventualis, gehandelt. Sie hätten im Jahr 2009 bewusst von einer Aktualisierung des nachträglich unrichtig gewordenen Wertpapierprospekts innerhalb der Angebotsfrist bis zum abgesehen und die Anleihe WGFH04 ohne richtigstellenden Nachtrag weiter vertreiben lassen, um nicht ihr Geschäftskonzept zu gefährden.
24Die Beklagten seien auch insoweit keinem den Tatbestand des § 264a StGB ausschließenden Irrtum unterlegen. Der ihnen gegenüber erhobene strafrechtliche Vorwurf bestehe darin, dass sie es als Vorstandsmitglieder der Emittentin unterlassen hätten, die im Prospekt vom zur Anleihe WGFH04 gemachten Angaben über einen erwarteten Gewinn der WGF AG für das Geschäftsjahr 2008 in Höhe von 1,48 Mio. € nachträglich innerhalb der Angebotsfrist zu berichtigen, nachdem dieses Geschäftsjahr für die WGF AG entgegen dem vorläufigen Bilanzergebnis tatsächlich mit einer bilanziellen Überschuldung in Höhe eines durch Eigenkapital nicht mehr gedeckten Fehlbetrages von über 6,6 Mio. € geendet habe. Gegenüber diesem Vorwurf könnten sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen, im Vertrauen auf die Angaben der Kanzlei HLFP oder das Testat der K. B. GmbH gehandelt zu haben.
25Die unterlassene Richtigstellung des Prospekts zur Anleihe WGFH04 durch die Beklagten sei auch ursächlich gewesen für den Schaden der Klägerin. Insoweit gälten die vorstehend gemachten Ausführungen zur Kausalitätsvermutung und deren Widerlegung entsprechend.
II.
26Diese Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
271. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass eine Schadensersatzpflicht der Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht kommt; § 264a StGB ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des einzelnen Kapitalanlegers (zB Senat, Urteil vom - III ZR 79/12, WM 2013, 1016 Rn. 37; , BGHZ 116, 7, 13 f; vom - II ZR 218/03, BGHZ 160, 134, 141; vom - II ZR 213/08, WM 2010, 796 Rn. 23 f; vom - VI ZR 560/13, WM 2014, 1470 Rn. 24; vom - VI ZR 102/14, WM 2015, 1562 Rn. 24 und vom - VI ZR 101/14, juris Rn. 25).
282. Das Berufungsgericht hat sich auch mit Recht an einer Verurteilung der Beklagten zum Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht durch die von ihm getroffene Feststellung gehindert gesehen, die Klägerin und ihr Ehemann hätten von den hier in Rede stehenden Anleihen die Anleihen WGFH04 und WGFH05 "im Wege des Zweiterwerbs" gekauft. Anders als die Revision meint, scheidet ein Schadensersatzanspruch nach diesen Vorschriften nicht schon dann aus, wenn ein Wertpapier über den (Börsen-)Handel unter den Marktteilnehmern, also über den Sekundärmarkt, erworben wird (so aber Ceffinato in MüKo/StGB, 4. Aufl., § 264a Rn. 76 f; Fuchs in Fuchs, WpHG, 2. Aufl., Vor §§ 37b, 37c Rn. 67; ablehnend demgegenüber Tiedemann/Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 264a Rn. 35). Dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (zur Entstehungsgeschichte vgl. Entwurf der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drucks. 10/318, S. 21 bis 25) lässt sich eine Differenzierung beim Wertpapiererwerb zwischen Primär- und Sekundärmarkt nicht entnehmen. Auch nach dem Zweck der Norm ist die Einbeziehung des Sekundärmarkts geboten. Denn jener besteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darin, potentielle Kapitalanleger vor möglichen Schädigungen zu schützen und zugleich die "Funktion des Kapitalmarkts" zu sichern (Senat, Urteil vom - III ZR 84/21, ZIP 2022, 581 Rn. 24; aaO; vom aaO Rn. 31; vom aaO Rn. 31 und vom aaO Rn. 32; BT-Drucks. 10/318, S. 23). Von einem funktionierenden Kapitalmarkt könnte jedoch nicht mehr die Rede sein, wenn nur noch der Primärmarkt funktionierte, der Sekundärmarkt - in Sonderheit der (Börsen-)Handel unter den Marktteilnehmern - hingegen nicht mehr. Der Kapitalmarkt besteht nicht nur aus dem Primärmarkt, auch der Sekundärmarkt gehört mit dazu. Darüber hinaus bedarf es des Schutzes des zumeist unerfahrenen Anlegers (vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 21) auf beiden (Teil-)Märkten gleichermaßen.
29Dem steht das von der Revision herangezogene (aaO, S. 141 f) nicht entgegen. Der II. Zivilsenat hat darin Schadensersatzansprüche der dortigen Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a Abs. 1 StGB - tragend - deswegen verneint, weil die Ad-hoc-Mitteilungen der dortigen Beklagten zu 3 weder als "Prospekte" noch als "Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand" anzusehen waren. Den in § 264a Abs. 1 StGB außerdem vorausgesetzten Zusammenhang der Tathandlung mit dem Vertrieb von Anteilen (Nr. 1) oder mit einem Erhöhungsangebot (Nr. 2) hat er im Weiteren dann unabhängig davon - nicht tragend - lediglich einzelfallbezogen verneint (arg.: "hier"; aaO, S. 142). Den von der Revision propagierten Rechtssatz, ein im Tatbestand des § 264a Abs. 1 StGB vorausgesetzter Zusammenhang mit dem Vertrieb von Anteilen bestehe nur bei einem Erwerb derselben über den Primärmarkt, nicht hingegen bei einem solchen über den Sekundärmarkt, etwa über eine Börse, hat der Bundesgerichtshof nicht aufgestellt.
303. Von Rechts wegen nicht zu beanstanden ist auch die Würdigung des Berufungsgerichts, dass die Beklagten verpflichtet waren, in den Verkaufsprospekten für die von der Klägerin und dem Zedenten erworbenen Anleihen WGFH05 und WGFH06 zu berücksichtigen, dass die Kaufpreisforderungen gegen die Erwerberkommanditgesellschaften nicht mit 57,85 Mio. €, sondern mit 43,597 Mio. € zu bewerten waren, mithin schon zu den Zeitpunkten der Veröffentlichung der Prospekte im September 2009 (WGFH05) und im Mai 2010 (WGFH06), - und nicht erst im Mai 2011 - eine Berechnung mit dem um 14,253 Mio. € geringeren Betrag vorzunehmen. Das Gleiche gilt, soweit es hinsichtlich der Anleihe WGFH04 die Beklagten für verpflichtet gehalten hat, die in dem diese Anleihe betreffenden Wertpapierprospekt gemachten Angaben über einen erwarteten Gewinn der WGF AG für das Geschäftsjahr 2008 in Höhe von 1,48 Mio. € nachträglich zu berichtigen (vgl. , WM 2010, 796 Rn. 13 mwN).
31a) Ob die dem zugrundeliegende tatrichterliche Feststellung, dass die Kaufpreisforderungen wertmäßig nicht berücksichtigungsfähig waren, nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte getroffen werden dürfen (vgl. Senat, Urteil vom - III ZR 194/19, ZIP 2022, 425 Rn. 19 bis 25), kann auf sich beruhen. Jedenfalls rügt die Revision die Nichteinholung eines solchen Gutachtens nicht. Ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel (§ 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO) ist nicht gegeben.
32b) Abweichend von der Ansicht der Revision ist dem Berufungsgericht bei diesen Feststellungen kein Denkfehler (Rückschaufehler) unterlaufen. Es hat nicht aus der Rückschau gefolgert, dass die von den Erwerberkommanditgesellschaften zu tragenden Kaufpreise nicht hätten refinanziert werden können. Vielmehr hat es auf die Situation im Februar/März 2009 (BU 25 ff), mithin auf zu dieser Zeit bereits bekannte Umstände abgestellt. Dass die Finanzierungsmöglichkeiten ungewiss und die Kaufpreise langfristig gestundet waren, sind Umstände, die spätestens im März 2009 bekannt waren und deswegen denkfehlerfrei in die Würdigung aus ex ante-Sicht mit einbezogen werden konnten.
33c) Alle weiteren Rügen von Verfahrensmängeln, welche die Beklagten im Zusammenhang mit der hier vom Berufungsgericht für geboten gehaltenen Teilwertberichtigung erhoben haben, hat der Senat ebenfalls geprüft, aber für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
344. Dahinstehen kann, ob das Berufungsgericht die Feststellungen, die Beklagten hätten vorsätzlich - zumindest mit dolus eventualis - gehandelt, als sie es zugelassen hätten, dass die unrichtigen Wertpapierprospekte zum Vertrieb der Anleihen WGFH05 und WGFH06 verwendet worden seien und der unrichtig gewordene Wertpapierprospekt zur Anleihe WGFH04 ohne richtigstellenden Nachtrag weiterhin Verwendung gefunden habe, ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum habe bei den Beklagten nicht vorgelegen, rechtsfehlerfrei getroffen hat (siehe dazu Senatsurteil vom selben Tag in der Parallelsache III ZR 131/20 unter B I 4). Denn jedenfalls sind die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es die "von den Beklagten … verantwortete Verwendung der in Bezug auf die Darstellung der Finanz- und Ertragslage der WGF AG unrichtigen Wertpapierprospekte zu den Hypothekenanleihen WGFH05 und WGFH06" sowie die "unterlassene Richtigstellung des Wertpapierprospekts der WGFH04 durch die Beklagten" als ursächlich für den Schaden der Klägerin angesehen hat, von Rechtsirrtum beeinflusst.
35a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspricht es der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist (zB Senat, Urteile vom - III ZR 70/12, juris Rn. 11; vom - III ZR 94/12, aaO Rn. 14; vom - III ZR 139/12, aaO Rn. 15; vom aaO Rn. 28 und vom aaO Rn. 29; , NJW 2000, 3346, 3347; vom - II ZR 21/06, WM 2008, 391 Rn. 16; vom - II ZR 42/08, juris Rn. 23 und vom - II ZR 200/17, juris Rn. 14). Diese auf Tatsachenerfahrung beruhende Vermutung gilt für die quasi-vertragliche Prospekthaftung und für Schadensersatzansprüche wegen falscher Prospektangaben auf deliktischer Grundlage gleichermaßen (Senat, Urteile vom und vom aaO Rn. 29, jew. aaO). Die Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Davon ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Prospekt bei dem konkreten Vertragsschluss keine Verwendung gefunden hat (Senat, Urteile vom und vom ; und vom ; jew. aaO); allein die Tatsache, dass der Prospekt im Internet abrufbar war, reicht für das Eingreifen der Vermutung nicht aus (Senat, Urteil vom aaO).
36b) Letzteres hat das Berufungsgericht nicht beachtet. Es hat die vorgenannte Kausalitätsvermutung zugunsten der Klägerin eingreifen lassen, obschon es insoweit auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin lediglich festgestellt hat, dass die Beklagten die Prospekte "u.a. auf der Homepage der WGF AG zur Information für den Anleger bereit hielten". Dass die Prospekte im Internet abrufbar waren, reicht, wie ausgeführt, jedoch nicht aus.
37c) Die Verwendung der Prospekte lässt sich dem - ohnehin bestrittenen - Vortrag der Klägerin, sie und der Zedent hätten die Anleihen aufgrund der Werbung der WGF AG in Tageszeitungen, in Flyern und auf deren Website erworben, ebenfalls nicht entnehmen. Auch kann im vorliegenden Verfahrensstadium auf sich beruhen, ob dem - gleichfalls bestrittenen - Vorbringen der Klägerin, sie und der Zedent hätten die Hypothekenanleihen niemals erworben, wenn in den Prospekten darauf hingewiesen worden wäre, dass spätestens ab Februar 2009 bekannt gewesen sei, dass die Erwerberkommanditgesellschaften die gestundeten Kaufpreise nicht würden bezahlen können, der (konkludente) Vortrag zu entnehmen ist, sie hätten die Prospekte gelesen. Das Berufungsgericht hat weder die Feststellung getroffen, dass der Vortrag in diesem Sinne zu verstehen ist, noch ob eine Behauptung mit einem solchen Inhalt zutrifft.
38d) Entgegen der Ansicht der Klägerin vermag die Kausalität auch nicht auf die Tatbestandswirkung des Tatbestands des Urteils des Landgerichts gestützt werden. Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, auf Seite 12 des Tatbestands dieses Urteils sei festgehalten, dass die Klägerin und ihr Ehemann konservative Anleger seien, die die Anleihen nicht erworben hätten, wenn sie erfahren hätten, dass die Kaufverträge mit den Erwerberkommanditgesellschaften vom nicht durchführbar gewesen wären, und diese Tatbestandswirkung stehe dem Bestreiten der konservativen Anlagestrategie der Klägerin und ihres Ehemannes durch die Beklagten entgegen. Das von der Klägerin in Bezug genommene Vorbringen betrifft aber nicht den im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Aspekt der Kausalität der Pflichtverletzungen der Beklagten für den Anlageentschluss der Klägerin und des Zedenten. Ob diese konservative oder eher wagnisbereite Anleger waren, ist eine Frage von deren Risikobereitschaft. Dies ist ein anderer Gesichtspunkt als die hier erörterte, prüfungstechnisch vorgelagerte Frage, ob die Prospekte bei dem Erwerb der jeweiligen Anleihen keine Verwendung gefunden haben, so dass die auf Lebenserfahrung gründende Kausalitätsvermutung widerlegt ist.
39Für das neue Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass unabhängig davon das Abstellen auf die Tatbestandswirkung des erstinstanzlichen Urteils rechtsfehlerhaft ist, weil die Beklagten in ihrer Berufungsbegründung die vom Landgericht angenommene konservative Anlagestrategie der Klägerin und ihres Ehemannes in Abrede gestellt haben. Da der Tatbestand des landgerichtlichen Urteils nur den Sach- und Streitstand im ersten Rechtszug gemäß § 314 Satz 1 ZPO bindend feststellt, muss das Berufungsgericht dem neuen Vorbringen nach Maßgabe von §§ 530, 531 ZPO nachgehen (vgl. Senat, Urteil vom - III ZR 38/20, NJW-RR 2021, 1223 Rn. 19).
III.
40Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache selbst ist dem Senat verwehrt, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da die Vorinstanz den Vortrag der Klägerin zum Eingreifen der Kausalitätsvermutung - anders als der Senat - als ausreichend angesehen hat, muss ihr noch Gelegenheit gegeben werden, hierzu ergänzend vorzutragen (vgl. , NJW 2021, 1669 Rn. 38 und vom - VI ZR 875/20, juris Rn. 18).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:050522UIIIZR135.20.0
Fundstelle(n):
DB 2022 S. 1636 Nr. 27
NJW 2022 S. 2266 Nr. 31
WM 2022 S. 1273 Nr. 26
ZIP 2022 S. 1377 Nr. 28
LAAAJ-16260