Bei der Kürzung des Vorwegabzugs gehören auch nicht sozialversicherungspflichtige Entlassungsentschädigungen des Arbeitgebers zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit
Leitsatz
Zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, um die der Vorwegabzug zu kürzen ist, gehört auch eine vorn Arbeitgeber gezahlte Entlassungsentschädigung, für die kein Arbeitgeberbeitrag zu leisten war.
Gesetze: EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. aEStG § 19EStG § 24.
Instanzenzug: FG München (Verfahrensverlauf), ,
Tatbestand
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1998 die mit 14 041 DM geltend gemachten Versicherungsbeiträge lediglich in Höhe von 7 830 DM als beschränkt abziehbare Sonderausgaben. Bei der Berechnung der Kürzung des Vorwegabzugs (16 v. H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit) erfasste das FA auch eine Abfindung in Höhe von 144 000 DM, die der Kläger anlässlich des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis erhalten hatte. Laut der Lohnsteuerkarte hatte der Kläger 1998 für den Monat Januar ein Gehalt von 3 921,69 DM sowie eine Abfindung in Höhe von 144 000 DM bezogen. Der Arbeitnehmeranteil an der Sozialversicherung betrug 1 190,47 DM. Auf die Abfindung waren keine Arbeitgeberanteile zu leisten.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Mit der Bezugnahme auf Zukunftssicherungsleistungen i. S. des § 3 Nr. 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) umschreibe das Gesetz den Personenkreis, der von dem Vorwegabzug betroffen sei, und nicht die Bemessungsgrundlage für die Kurzungsregelung (vgl. , BFH/NV 1997, 848, Urteil vom X R 109/95, BFH/NV 1998, 1466).
Mit der Revision machen die Kläger geltend:
1. Werde der Vorwegabzug lediglich nach Maßgabe des sozialversicherungspflichtigen Gehalts gekürzt, ergebe sich ein Abzug von 11 175 DM.
2. Die vom FA vorgenommene Kürzung des Vorwegabzugs verstoße gegen Art. 14 des Grundgesetzes (GG). Die Einbeziehung der Einnahmen, die nicht der Versicherungspflicht unterlegen hätten, in die Berechnung der Kürzung des Vorwegabzugs sei eindeutig verfassungswidrig.
3. Bei sozialversicherungsfreien Bezügen sei der Vorwegabzug nicht zu kürzen, da sich aus diesen Bezügen keine späteren Rentenanwartschaften ergeben könnten.
4. Pauschalierungen und Typisierungen seien unzulässig, wenn diese zu einer Übermaßbesteuerung führten. Die Übermaßbesteuerung sei dadurch gegeben, dass nur durch das Gehalt für den Monat Januar Leistungen des Arbeitgebers zur Sozialversicherung erbracht worden seien und damit die Abfindung in die Bemessungsgrundlage für die Minderung des Vorwegabzugs einbezogen worden sei. Wenn der Arbeitgeber keine Beiträge zu erbringen habe, dürfe der Vorwegabzug nicht gemindert werden.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1998 vom in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom die Kürzung des Vorwegabzugs bei den Vorsorgeaufwendungen nur aus den sozialversicherungspflichtigen Bezügen vorzunehmen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
1. Die Kürzung des Vorwegabzugs bei dem Personenkreis, für den steuerfreie Zukunftssicherungsleistungen nach § 3 Nr. 62 EStG erbracht würden, sei grundsätzlich berechtigt und gegenüber dem Personenkreis, der solche Leistungen nicht erhalte, sogar geboten.
2. Die Kläger würden durch die Regelung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG nicht belastet, sondern nicht in gleichem Umfang entlastet wie der Personenkreis, der keine Zukunftssicherungsleistungen erhalte. Im Streitfall komme es nur deshalb zu dem dargestellten steuerlichen Ergebnis, weil die Einkünfte des Klägers fast ausschließlich aus sozialversicherungsfreien Einkünften bestanden hätten.
Gründe
II.
Die Revision wird gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückgewiesen.
1. Der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG ist um 16 v. H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i. S. des § 19 EStG zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i. S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG).
Da die Entschädigung dem Kläger vom Arbeitgeber in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner damaligen Beschäftigung im privaten Dienst gezahlt wurde (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG), gehört sie zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit i. S. des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG.
Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i. S. des § 19 EStG sind nicht nur der laufende Lohn, sondern auch Einmalzahlungen wie eine vom Arbeitgeber gezahlte Entlassungsentschädigung. Dies folgt aus § 24 Nr. 1 EStG. Danach gehören zu den Einkünften i. S. des § 2 Abs. 1 EStG auch Entschädigungen, die gewährt worden sind als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen. Die unter § 24 EStG zu subsumierenden Entschädigungen bilden keine selbständige Einkunftsart, wie sich aus § 2 Abs. 1 Satz 2 EStG sowie dem Wort ,,auch'' in § 24 EStG ergibt (vgl. z. B. , BFH/NV 1999, 40; vom XI R 43/94, BFHE 180, 433, BStBl II 1996, 516; Beschluss vom X B 240/96, BFH/NV 1997, 848).
2. Der Arbeitgeber hat gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG für den Kläger Leistungen i. S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht. Dies ist unter den Beteiligten unstreitig. Unerheblich ist im Rahmen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG, dass der Arbeitgeber nicht für sämtliche Lohnaufwendungen Sozialversicherungsbeiträge zu leisten hatte (vgl. zur Sozialversicherungsfreiheit der Entlassungsentschädigung , BSGE 66, 219 = Betriebs-Berater - BB - 1990, 1350). Voraussetzung für die Kürzung des Vorwegabzugs ist nach dem Gesetzeswortlaut allein die Tatsache, dass der Arbeitgeber Leistungen i. S. des § 3 Nr. 62 EStG erbringt, nicht deren Höhe (vgl. auch , BFH/NV 2000, 1398). Dies folgt aus der Formulierung ,,wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i. S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden''. Sollte der Vorwegabzug nur in Höhe von 16 v. H. der beitragspflichtigen Einnahmen gekürzt werden, so würde das Gesetz nicht schlechthin von ,,Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit'', sondern von sozialversicherungspflichtigen Einnahmen o. Ä. sprechen oder zumindest statt des Wortes ,,wenn'' das Wort ,,soweit'' verwenden.
Der Vorwegabzug ist eingeführt worden, um insbesondere selbständig Tätigen einen Ausgleich dafür zu bieten, dass sie die Kosten ihrer Zukunftssicherung allein aufbringen müssen (, BFHE 175, 563, BStBl II 1995, 119; vom X R 191/96, BFH/NV 1999, 608; vom XI R 64/98, BFHE 189, 361, BStBl II 2001, 64; Beschlüsse vom X B 35/98, BFH/NV 1999, 169; vom X B 186/98, BFH/NV 1999, 1332; Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Stand November 1990, § 10 Rdnr. P 14).
Das Gesetz erreicht diesen Zweck, indem der Vorwegabzug zunächst allen gewährt, in einem zweiten Schritt aber um 16 v. H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gekürzt wird, wenn für die Zukunftssicherung Leistungen i. S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind. Dabei unterscheidet der Gesetzgeber nicht, ob die jeweiligen Einnahmen der Sozialversicherungspflicht unterliegen oder sozialversicherungsfrei sind. Der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, dass ein Bedürfnis für den Vorwegabzug nicht besteht, wenn Zukunftssicherungsleistungen i. S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden.
Der Gesetzgeber hat damit in zulässiger Weise eine generalisierende Regelung getroffen, die aus dem Umstand, dass überhaupt Zukunftssicherungsleistungen erbracht werden, darauf schließt, dass ein weiterer Vorwegabzug nicht geboten ist; eine individuelle Berechnung, die auf die Höhe der in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum erbrachten Zukunftssicherungsleistungen oder auf die Sozialversicherungspflicht der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit abstellt, ist nach diesem Konzept nicht geboten. Der Gesetzgeber hat bei der Ordnung von Massenerscheinungen eine weitreichende Gestaltungsfreiheit für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Der Gleichheitssatz fordert nicht eine immer stärker individualisierende und spezialisierende Steuergesetzgebung, sondern die Regelung eines allgemein verständlichen und möglichst unausweichlichen Belastungsgrundes (, BFH/NV 2000, 179). Der Gesetzgeber war daher nicht verpflichtet, der Berechnung der Kürzung des Vorwegabzugs nur sozialversicherungspflichtige Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zugrunde zu legen.
3. Aus der Verwendung des Begriffs ,,soweit'' in § 3 Nr. 62 EStG ergibt sich nichts anderes. Die Regelungsinhalte des § 3 Nr. 62 bzw. des § 10 Abs. 3 Satz 2 EStG unterscheiden sich, auch wenn sie durch die Verweisung in § 10 Abs. 3 EStG verknüpft werden. So ergeben sich aus § 3 Nr. 62 EStG die Voraussetzungen, unter denen Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers steuerfrei sind. § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG hingegen hat den Zweck, Arbeitnehmer und andere Personen, die im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit Anwartschaften auf bestimmte Leistungen erlangen, ohne eigene Beiträge zu leisten, mit selbständig Tätigen gleichzustellen. Dies soll nach dem Willen des Gesetzgebers durch eine pauschalierende und typisierende Regelung für die Kürzung des Vorwegabzugs erreicht werden (vgl. BTDrucks 12/5764, S. 19).
Aus der Entscheidung des erkennenden Senats in BFHE 189, 361, BStBl II 2001, 64 lässt sich nicht entnehmen, dass im Streitfall von einer Kürzung des Vorwegabzugs abzusehen sei. Sie betrat einen pflichtversicherten Steuerpflichtigen, der - im Gegensatz zum Kläger, der für die Entlassungsentschädigung keine eigenen Beitragsleistungen erbracht hat - die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung in vollem Umfang selbst trug (vgl. auch BFH in BFH/NV 1997, 848).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 343
BB 2003 S. 674 Nr. 13
BFH/NV 2003 S. 546
BFH/NV 2003 S. 546 Nr. 4
BFHE S. 544 Nr. 200
BStBl II 2003 S. 343 Nr. 7
DB 2003 S. 642 Nr. 12
DStR 2003 S. 504 Nr. 13
DStRE 2003 S. 512 Nr. 8
FR 2003 S. 473 Nr. 9
INF 2003 S. 364 Nr. 10
KÖSDI 2003 S. 13673 Nr. 4
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