Gegenvorstellung bei dem Ausgangsgericht, nicht außerordentliche Beschwerde an den BFH zur Beseitigung schweren Verfahrensunrechts in unanfechtbarer Gerichtsentscheidung
Leitsatz
1. Eine außerordentliche Beschwerde wegen sog. greifbarer Gesetzwidrigkeit ist im Finanzprozess seit In-Kraft-Treten des § 321 a ZPO nicht mehr statthaft.
2. Stattdessen kann zur Beseitigung schweren Verfahrensunrechts in mit förmlichen Rechtsmitteln nicht anfechtbaren Entscheidungen eine fristgebundene Gegenvorstellung bei dem Ausgangsgericht entsprechend § 321 a ZPO erhoben werden.
Gesetze: FGO §§ 128, 155ZPO § 321 a
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
Das Finanzgericht (FG) hat nach Rücknahme der Klage mit Beschluss vom das Verfahren eingestellt und die Kosten den als Prozessbevollmächtigte aufgetretenen Rechtsanwälten (den Beschwerdeführern) auferlegt, mit der Begründung, diese hätten trotz Aufforderung keine Vollmacht vorgelegt.
Mit der Gegenvorstellung, hilfsweise der außerordentlichen Beschwerde machen die Beschwerdeführer geltend, sie hätten auf entsprechende Aufforderung, die Vollmacht im Original vorzulegen, eine Originalvollmacht vorgelegt; nachdem das FG danach eine Ausschlussfrist gesetzt habe, ohne jedoch gleichzeitig die Vollmacht zu beanstanden oder die Vorlage einer Vollmacht anzufordern, hätten sie davon ausgehen können, dass den Anforderungen des § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügt sei. Das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es unter diesen Umständen ohne vorherige Rückfrage ihnen die Kosten auferlegt habe.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Gründe
II.
Der Bundesfinanzhof (BFH) ist für die Entscheidung über die Beschwerde nicht zuständig; die Beschwerde war an das zuständige FG zurückzugeben.
1. In Streitigkeiten über Kosten ist die Beschwerde gemäß § 128 Abs. 4 Satz 1 FGO nicht gegeben.
2. Eine außerordentliche Beschwerde ist nach In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes vom (BGBl. I 2001, 1887) und der Einfügung des § 321 a der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht mehr statthaft.
a) Bis zur Änderung der Zivilprozessordnung ist eine außerordentliche Beschwerde in Fällen greifbarer Gesetzwidrigkeit für möglich gehalten worden, um nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidungen der Vorinstanzen korrigieren zu können, wenn vorgetragen wurde, sie entbehrten jeder gesetzlichen Grundlage und seien inhaltlich dem Gesetz fremd (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom V S 3/00, BFH/NV 2000, 1132; vom IV B 98/00, BFH/NV 2001, 332; ; Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 428, § 37 BVermG Nr. 25, m. w. N.; Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2002, 775, m. w. N.). Nach den Neuregelungen im Zivilprozessrecht kommt eine solche Möglichkeit künftig aber nicht mehr in Betracht, denn nach § 155 FGO ist - soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen - die ZPO sinngemäß anzuwenden.
b) Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen des Zivilprozessreformgesetzes in BGBl. I 2001, 1887, 1902 ff. der Frage der ,,Selbstkontrolle'' der Gerichte für diejenigen Fälle angenommen, die im Wesentlichen Anlass zur Entwicklung der ,,außerordentlichen Beschwerde'' gegeben haben. Er hat mit § 321 a ZPO eine besondere Abhilfemöglichkeit für das erstinstanzliche Gericht bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör eingefügt. Nach dieser Vorschrift ist der Prozess vor dem Gericht des ersten Rechtszugs auf die Rüge der durch das Urteil beschwerten Partei fortzuführen, wenn eine Berufung nach § 511 Abs. 2 ZPO nicht zulässig ist und das Gericht des ersten Rechtszuges den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Die Regelung soll zum einen das Bedürfnis des erstinstanzlichen Gerichts befriedigen, vorwiegend unbeabsichtigte Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei Beanstandung korrigieren zu können, und andererseits das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entlasten (BTDrucks 14/4722 vom , S. 9, 85).
c) Der Regelung - sowie der bereits bisher bestehenden Abhilfemöglichkeit des Erstgerichts im Beschwerdeverfahren nach § 572 Abs. 1 ZPO (vgl. ferner § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; zum Ganzen Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 23. Aufl. 2002, Einl. Rn. 103; § 130 Abs. 1 1. Halbsatz FGO) - liegt der Rechtsgedanke zugrunde, dass dasjenige Gericht ggf. für Abhilfe zu sorgen hat, dem der Fehler - wie z. B. der der Verletzung rechtlichen Gehörs - unterlaufen ist. Demgemäß hat der (BGHZ 150, 133) aus der Neuregelung des Beschwerderechts gefolgert, dass seit dem In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes ein außerordentliches Rechtsmittel zum BGH auch dann nicht statthaft ist, wenn die angegriffene Entscheidung ein Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt oder aus sonstigen Gründen ,,greifbar gesetzwidrig'' ist (ebenso , Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 2002, 2657; Verwaltungsgerichtshof - VGH - München, Beschluss vom 22 C 02.1513, noch nicht veröffentlicht).
d) Diese Rechtsentwicklung hat auch für die FGO zur Folge, dass die gesetzliche Aufzählung der Zuständigkeiten des BFH und die Regelung des Beschwerderechts künftig eine Befassung mit außerordentlichen Beschwerden nicht mehr zulassen. Angesichts der ausdrücklichen Beschränkung der Beschwerdemöglichkeiten im Beschlussverfahren nach § 128 FGO, insbesondere des ausdrücklichen Ausschlusses der Beschwerde gegen Kostenentscheidungen (§ 128 Abs. 4 FGO) und dem erwähnten Rechtsgedanken, dass eine erforderliche ,,Selbstkorrektur'', soweit sie nicht innerhalb des allgemeinen Rechtsmittelzugs geleistet werden kann, dem Gericht obliegt, dem der Rechtsverstoß zur Last fällt (iudex a quo), kann für die Fälle, die im Wesentlichen Anlass für die Entwicklung der ,,außerordentlichen Beschwerde'' waren, auch im Rahmen der Finanzgerichtsordnung (vgl. § 155 FGO) durch entsprechende Anwendung des § 321 a FGO, also durch die Zulassung einer Gegenvorstellung bei dem Erstgericht nach näherer Maßgabe des § 321 a ZPO Rechnung getragen werden (ebenso BVerwG in NJW 2002, 2657). Mit der gesetzgeberischen Entscheidung im Rahmen der Reform des Zivilprozesses, die von der Verfahrensart unabhängig ist (vgl. § 155 FGO und § 173 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), wäre, es unvereinbar, weiterhin ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel zum BFH zuzulassen (vgl. BVerwG in NJW 2002, 2657; VGH München, a. a. O.; Lange, Der Betrieb 2002, 2396). Bleibt die Selbstkontrolle durch das Gericht, dem der geltend gemachte Verstoß zur Last fällt - wie im Streitfall - ohne Erfolg, ist der Betroffene in geeigneten Fällen auf die Verfassungsbeschwerde verwiesen.
3. Aus den zu 2. dargelegten Gründen hält der Senat an der bisherigen Rechtsprechung nicht fest, die bei ,,greifbar gesetzwidrigen'' Entscheidungen, insbesondere bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten, in eng begrenzten Ausnahmefällen eine außerordentliche Beschwerde zum BFH für zulässig gehalten hat. Eine Vorlage an den Großen Senat kommt nicht in Betracht.
Obwohl die bisherige Rechtsprechung auch von anderen Senaten des BFH vertreten worden ist, ist eine Anfrage oder eine Vorlage an den Großen Senat nicht erforderlich, weil alle Entscheidungen entweder vor In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes oder, soweit sie nach dem ergangen sind, vor dem eingelegte Rechtsbehelfe betreffen. Der IV. Senat und der VII. Senat haben in den Beschlüssen vom IV B 108/02 und vom VII S 20/02 (PKH) die Frage offen gelassen; der IV. Senat hat mit Beschluss vom IV B 190/02 inzwischen wie hier entschieden.
4. Das Verfahren wird zur Entscheidung über die Gegenvorstellung an das FG zurückgegeben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 270
BB 2003 S. 514 Nr. 10
BFH/NV 2003 S. 417
BFH/NV 2003 S. 417 Nr. 3
BFHE S. 46 Nr. 200
BStBl II 2003 S. 270 Nr. 5
DStRE 2003 S. 378 Nr. 6
KÖSDI 2003 S. 13642 Nr. 3
AAAAA-89465