Ablaufhemmung bei Erweiterung der Fahndungsprüfung; Ende der Ablaufhemmung erst mit Unanfechtbarkeit der aufgrund der Fahndungsprüfung ergangenen Steuerbescheide
Leitsatz
1. Wird der Umfang einer Fahndungsprüfung nachträglich auf zusätzliche Veranlagungszeiträume erweitert, so wird hierdurch der Ablauf der Festsetzungsfrist für diese Veranlagungszeiträume nur dann gehemmt, wenn der Steuerpflichtige die Erweiterung bis zum Ablauf der Frist erkennen konnte. Der Eintritt der Ablaufhemmung setzt jedoch nicht voraus, dass für den Steuerpflichtigen erkennbar war, auf welche Sachverhalte sich die zusätzlichen Ermittlungen erstrecken sollten.
2. Die durch eine Fahndungsprüfung ausgelöste Ablaufhemmung endet nur dann, wenn aufgrund der Prüfung Steuerbescheide ergangen und diese unanfechtbar geworden sind.
Gesetze: AO 1977 § 169AO 1977 § 170AO 1977 § 171 Abs. 4 und 5
Instanzenzug: FG Düsseldorf (EFG 2001, 865) (Verfahrensverlauf), ,
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob Steuerbescheide nach Ablauf der Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist ergangen sind. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die einen Verlag betreibt. Ihre Gesellschafter waren ursprünglich J und G mit jeweils 24 v. H. Anteil am Stammkapital sowie verschiedene Mitglieder der B. In den Jahren 1982 und 1987 übertrugen letztere ihre Anteile entgeltlich auf J und G sowie auf deren Ehefrauen und Kinder.
Im Jahr 1986 begann bei der Klägerin eine steuerliche Außenprüfung durch das Finanzamt für Großbetriebsprüfung für den Prüfungszeitraum 1982 bis 1984. Im Rahmen dieser Prüfung wurde u. a. die Frage erörtert, ob die Anteilsübertragungen im Jahr 1982 zu marktüblichen Preisen erfolgt waren und ob die Klägerin ggf. Zuzahlungen an Firmen geleistet hatte, die den Veräußerern nahe standen. Nachdem im Juli 1986 eine Schlussbesprechung stattgefunden hatte, wurde unter dem ein Prüfungsbericht erstellt.
Eine Auswertung dieses Berichts unterblieb, da zwischenzeitlich das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (nachfolgend: Steuerfahndung X) ein Ermittlungsverfahren gegen die Eheleute B aufgenommen und seine Prüfungshandlungen auch auf die Klägerin ausgedehnt hatte. In diesem Zusammenhang leitete die Steuerfahndung X im Oktober 1986 ein Strafverfahren gegen die Geschäftsführer der Klägerin ein. Das Ermittlungsverfahren wurde später auf Vorgänge außerhalb der Anteilsübertragungen erstreckt. Hierauf bezieht sich ein in den Steuerakten befindlicher Aktenvermerk der Steuerfahndung vom , in dem es heißt, dass im Zuge einer Durchsuchung am ,,das Strafverfahren umfänglich erweitert'' worden sei und dass bei der Auswertung der Beweismittel Unterlagen vorgefunden worden seien, die Zweifel an der Höhe bestimmter Rückstellungen weckten. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Steuerfahndung wurden außerdem Strafverfahren gegen die Klägerin wegen Hinterziehung von Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer eingeleitet. Mit Beschluss vom lehnte jedoch das zuständige Landgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ab; dieser Beschluss wurde rechtskräftig.
Im Juli 1993 erstellte die Steuerfahndung X einen Bericht über die bei der Prüfung getroffenen steuerlichen Feststellungen, den sie der Klägerin im März 1994 übersandte. Die Klägerin erhob nach verschiedenen Fristverlängerungen im Dezember 1994 und im April 1995 Einwendungen gegen die Ausführungen im Bericht, woraufhin es zu weiteren Erörterungen kam. Im Jahr 1995 wurde im Anschluss an einen Befangenheitsantrag gegen den Prüfer die Überprüfung der Einwendungen der Steuerfahndung Y übertragen.
Die Steuerfahndung Y erstellte unter Berücksichtigung der Einwendungen im September 1996 einen Bericht, der der Klägerin im Oktober 1996 übersandt wurde. Die Klägerin erhielt Gelegenheit, zu diesem Bericht Stellung zu nehmen; die Frist hierfür wurde später bis zum verlängert. Unter dem 6. Februar und dem erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) Änderungsbescheide, in denen er die Prüfungsfeststellungen auswertete.
Die Einsprüche der Klägerin gegen diese Bescheide hatten nur teilweise Erfolg. Daraufhin focht die Klägerin die Bescheide mit der Klage an. Sie machte u. a. geltend, dass die Bescheide nach Ablauf der Festsetzungs- und Feststellungsfristen ergangen und deshalb rechtswidrig seien. Dem schloss sich das Finanzgericht (FG) nicht an; es erließ ein Zwischenurteil, in dessen Tenor festgestellt wird, dass bei Erlass der angefochtenen Bescheide Festsetzungs- und Feststellungsverjährung nicht eingetreten war. Gegen dieses Urteil, das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 65 abgedruckt ist, richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Klägerin.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, die angefochtenen Bescheide und die hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass dem Erlass der angefochtenen Bescheide der Ablauf der maßgeblichen Festsetzungs- und Feststellungsfristen nicht entgegen stand.
1. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ist u. a. die Änderung einer Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt für die hier in Rede stehenden Steuern vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977), sofern die Steuer nicht hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden ist (§ 169 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Letzteres hat das FG im Streitfall nicht festgestellt.
2. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO 1977). Ist eine Steuererklärung einzureichen, so beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung eingereicht wird (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977); sie beginnt jedoch - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - spätestens drei Jahre nach Ablauf desjenigen Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Das FG hat nicht festgestellt, ob und ggf. wann die Klägerin für die Streitjahre Steuererklärungen abgegeben hat. Unabhängig von dieser Frage waren jedoch in dem Zeitpunkt, in dem die angefochtenen Bescheide ergingen, für alle Streitjahre die sich aus § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ergebenden Fristen abgelaufen.
3. Vor Ablauf jener Fristen hatte die Steuerfahndung X jedoch bei der Klägerin mit einer Fahndungsprüfung begonnen. Hierdurch wurde der Ablauf der Festsetzungsfristen gehemmt (§ 171 Abs. 5 Satz 1 AO 1977). Entgegen der Ansicht der Klägerin bezog sich diese Hemmung auch auf die Steueransprüche für die Streitjahre:
a) Nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 hat der Beginn von Ermittlungen der Steuerfahndungsbehörden zur Folge, dass die Festsetzungsfrist insoweit nicht abläuft, bis die aufgrund dieser Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Aus dieser Formulierung des Gesetzes ergibt sich einerseits, dass die Ablaufhemmung nur die Umsetzung derjenigen Erkenntnisse ermöglicht, die sich im Zuge der Ermittlungen ergeben haben (, BFHE 188, 286, BStBl II 1999, 478). Andererseits folgt aus der Anknüpfung an die ,,auf Grund dieser Ermittlungen'' zu erlassenden Steuerbescheide, dass die Ablaufhemmung hinsichtlich aller Steueransprüche eintritt, auf die sich die Prüfung tatsächlich erstreckt hat (, BFHE 186, 299, BStBl II 1999, 28, 32; vom VIII R 19/97, BFH/NV 1999, 1186). Im Ergebnis erlaubt § 171 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 mithin der Finanzbehörde, sämtliche durch eine Fahndungsprüfung gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen, wenn und soweit die Prüfung vor Ablauf der Festsetzungsfrist begonnen hat (Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 171 Rz. 78, m. w. N.).
b) Im Streitfall begannen die Ermittlungen der Steuerfahndung X zwar im Jahr 1986. Sie bezogen sich deshalb naturgemäß zunächst nicht auf die Verhältnisse der Streitjahre. Jedoch wurden sie spätestens im Jahr 1990 auf spätere Veranlagungszeiträume und insbesondere auf die Streitjahre ausgedehnt. Das ergibt sich aus dem strafrechtlichen Ermittlungsbericht der Steuerfahndung X vom , auf den das FG in seinem Urteil Bezug genommen hat und dessen Inhalt deshalb als vom FG festgestellt gilt.
Dort ist u. a. ausgeführt, dass im Juni 1990 die Geschäftsräume der Klägerin durchsucht und die zuvor eingeleiteten Strafverfahren gegen die Geschäftsführer der Klägerin auf die hier streitigen Veranlagungszeiträume erweitert wurden. Hieraus folgt, dass die Steuerfahndung X jedenfalls von Juni 1990 an die Verhältnisse der Klägerin für die gesamte Zeit von 1978 bis 1988 - und damit auch für die Streitjahre - überprüft hat. Zu dieser Zeit waren die für die Streitjahre maßgeblichen Festsetzungsfristen nicht abgelaufen, so dass die in der weiteren Prüfung gewonnenen Erkenntnisse dem Anwendungsbereich des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 unterfallen.
c) Dem steht nicht entgegen, dass im Fall der Erweiterung einer Fahndungsprüfung die zusätzlich geprüften Veranlagungszeiträume nur dann von der Rechtsfolge des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 erfasst werden, wenn der Steuerpflichtige die Ausdehnung der Ermittlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennen konnte (, BFH/NV 1999, 1186, 1187; vom V R 98/98, BFH/NV 2000, 1143; Klein/Rüsken, a. a. O.; unentschieden BFH in BFHE 186, 299, BStBl II 1999, 28, 32). Das FG hat zwar zu dieser Frage keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen. Es hat jedoch ersichtlich darauf abgestellt, dass die Klägerin jedenfalls bei der im Jahr 1990 erfolgten Durchsuchung mit der Erweiterung der Ermittlungen auf die Streitjahre konfrontiert wurde. Das reicht für die Annahme einer rechtzeitigen Erkennbarkeit aus. Dass die Klägerin bereits vor Ablauf der Festsetzungsfristen erkennen konnte, auf welche einzelnen Sachverhalte sich die zusätzlichen Ermittlungen beziehen sollten, ist für den Eintritt der Ablaufhemmung nicht erforderlich.
4. Die hiernach eingetretene Ablaufhemmung dauerte bis zum Erlass der angefochtenen Bescheide an. Der abweichenden Ansicht der Klägerin schließt sich der Senat nicht an.
a) § 171 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 verknüpft seinem Wortlaut nach die Dauer der Ablaufhemmung mit der Unanfechtbarkeit der aufgrund der Ermittlungen erlassenen Steuerbescheide. Er macht sie nicht davon abhängig, dass die Bescheide innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Abschluss der Ermittlungen erlassen werden. Ebenso enthält er keine Bestimmung, nach der die Ablaufhemmung endet, wenn der Erlass von Bescheiden über längere Zeit unterbleibt. Die gesetzliche Regelung unterscheidet sich insoweit vor allem von derjenigen in § 171 Abs. 4 AO 1977, der - in Bezug auf die Außenprüfung - anordnet, dass die Festsetzungsfrist spätestens innerhalb einer bestimmten Zeit nach Durchführung der Schlussbesprechung oder nach dem Abschluss der Ermittlungen abläuft (§ 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977). Angesichts dessen lässt § 171 Abs. 5 AO 1977 bei wortgetreuer Auslegung den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an eine Fahndungsprüfung ohne zeitliche Begrenzung zu.
b) Allerdings führt eine solche Deutung des § 171 Abs. 5 AO 1977 im Ergebnis dazu, dass die durch die Vorschrift bewirkte Ablaufhemmung unbegrenzt fortdauert, wenn die Fahndungsprüfung nicht zu steuerlich erheblichen Feststellungen geführt hat und deshalb im Anschluss an die Prüfung keine Änderungsbescheide erlassen werden. Aus diesem Grund ist im Schrifttum die Ansicht verbreitet, dass im Rahmen des § 171 Abs. 5 AO 1977 die Regelung in § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 analog anwendbar sei (Söffing, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1996, 713; ders., DStZ 2001, 739; Offerhaus/Kiesel, Der Betrieb - DB - 2000,1984, 1987 f.; Beermann/Hartmann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 171 AO Rz. 62; Klein/Rüsken, a. a. O., § 171 Rz. 82, m. w. N.). Zu diesem Ergebnis gelangen auch die verschiedenen Rechtsgutachten, die die Klägerin im Verlauf des vorliegenden Verfahrens beigebracht hat. Der Senat hält eine solche Analogie jedoch nicht für gerechtfertigt:
aa) Die analoge Anwendung einer Vorschrift über ihren gesetzlichen Anwendungsbereich hinaus setzt voraus, dass das Gesetz selbst eine - bewusste oder unbewusste - Regelungslücke enthält. Eine solche Lücke kann in der Weise geschlossen werden, dass entweder auf eine für vergleichbare Fälle getroffene Regelung (Gesetzesanalogie) oder auf aus mehreren Regelungen abgeleitete Grundsätze (Rechtsanalogie) zurückgegriffen wird. Beide Formen der Analogie verbieten sich hingegen dort, wo das Gesetz selbst eine bestimmte Regelung trifft. Das gilt selbst dann, wenn diese Regelung unzweckmäßig erscheint oder aus rechtspolitischer Sicht auf Kritik stößt; der Rechtsanwender ist nicht berufen, in einem solchen Fall durch die analoge Anwendung einer abweichenden Regelung den Willen des Gesetzgebers zu verfälschen.
bb) Der im Streitfall zu beurteilende § 171 Abs. 5 AO 1977 ist nicht im vorstehenden Sinne lückenhaft. Er enthält eine abschließende Regelung des Inhalts, dass die durch eine Fahndungsprüfung ausgelöste Ablaufhemmung nur durch die Bestandskraft nachfolgender Steuerbescheide beendet wird. Auf § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 nimmt der Gesetzgeber dort gerade nicht Bezug, was um so schwerer wiegt, als er Satz 2 des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 für den Bereich der Fahndungsprüfung ausdrücklich für sinngemäß anwendbar erklärt (§ 171 Abs. 5 Satz 1 letzter Satzteil AO 1977). Gerade diese Bezugnahme zeigt, dass er die Frage einer inhaltlichen Abstimmung zwischen Abs. 4 und Abs. 5 des § 171 AO 1977 durchaus als Problem erkannt hat. Wenn er gleichwohl nur die Regelung in § 171 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 auf den Bereich der Fahndungsprüfung erstreckt hat, muss dem entnommen werden, dass § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 in diesem Bereich gerade nicht entsprechend gelten soll.
cc) Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 - anders als § 171 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 - nachträglich in das Gesetz eingefügt worden sei und dass der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit das Erfordernis einer Anpassung des § 171 Abs. 5 AO 1977 schlicht übersehen habe. Es ist zwar richtig, dass die Regelung in § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 erst im Jahr 1986 - durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 - geschaffen und dass § 171 Abs. 5 AO 1977 in diesem Zusammenhang nicht geändert worden ist. Weder die Gesetzesmaterialien noch sonstige Umstände lassen jedoch den Schluss zu, dass die unveränderte Beibehaltung des § 171 Abs. 5 AO 1977 auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht. Vielmehr ist es zumindest ebenso gut vorstellbar, dass der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet hat, die Regelung in § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 auf den Bereich der Fahndungsprüfungen zu erstrecken.
Das gilt umso mehr, als eine in diesem Punkt unterschiedliche Behandlung beider Regelungsbereiche in der Sache durchaus nachvollziehbar ist. Denn für eine Regelung nach Art des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 besteht im Fahndungsbereich nicht dasselbe Bedürfnis wie im Bereich der Außenprüfung: Der Beginn einer Außenprüfung führt zu einer umfassenden Ablaufhemmung hinsichtlich aller Steuern, auf die sich die Prüfung erstreckt (§ 171 Abs. 4 Satz 1 AO 1977); der Steuerpflichtige muss hinsichtlich dieser Steuern also nicht nur eine Verwertung der Prüfungsfeststellungen, sondern ggf. auch eine Änderung von Bescheiden aus anderen Gründen hinnehmen. Er hat deshalb ein schützenswertes Interesse daran, dass der durch die Festsetzungsfrist vermittelte Rechtsfrieden innerhalb einer bestimmten Zeit nach Abschluss der Prüfung eintritt. Ein vergleichbares Interesse hat der von Fahndungsmaßnahmen Betroffene nicht, da hier die Ablaufhemmung ohnehin auf die Umsetzung der Ermittlungsergebnisse beschränkt ist. Wenn sich aufgrund einer Fahndungsprüfung keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt, läuft die Ablaufhemmung in der Regel ins Leere; der Steuerpflichtige ist durch sie letztlich nicht in nennenswerter Weise beschwert. Diese unterschiedliche Wirkung mag der Gesetzgeber im Auge gehabt haben, als er davon abgesehen hat, in § 171 Abs. 5 AO 1977 eine entsprechende Geltung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 anzuordnen. Angesichts dessen kann von einer erkennbar lückenhaften Regelung, wie sie die Klägerin als gegeben annimmt, nicht die Rede sein.
dd) Aus den Materialien zur AO 1977, die die Klägerin in diesem Zusammenhang herangezogen hat, ergibt sich eine solche Gesetzeslücke ebenfalls nicht. Es mag richtig sein, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 171 AO 1977 - wie die Klägerin dartut - die Verjährungsregelungen für das Außenprüfungs- und das Steuerfahndungsverfahren weitgehend parallel hat ausgestalten wollen. Das schließt jedoch nicht aus, dass er bei der Einfügung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 im Jahre 1986 - also ca. zehn Jahre später - eine auf die Außenprüfung beschränkte Regelung hat treffen wollen. Letzteres liegt umso näher, als die genannte Vorschrift vorrangig an den Zeitpunkt der Schlussbesprechung anknüpft, eine solche jedoch für die Fahndungsprüfung gesetzlich gar nicht vorgesehen ist (, BFHE 185, 98, BStBl II 1998, 367, 370; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 208 AO Tz. 114, m. w. N.). Angesichts dessen bieten die Gesetzesmaterialien keine hinreichende Grundlage für die Annahme der Klägerin, dass der Gesetzgeber die hier interessierende Problematik schlicht übersehen habe. Erst recht kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber ,,geradezu verpflichtet gewesen'' sei, eine bewusste Beschränkung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 auf den Bereich der Außenprüfung in den Materialien zu erläutern (a. A. Offerhaus/Kiesel, DB 2000, 1984, 1987). Im Ergebnis vermag daher der Blick auf das Gesetzgebungsverfahren die Position der Klägerin nicht zu stützen.
ee) Schließlich ist die Erstreckung des § 171 Abs. 4. Satz 3 AO 1977 auf das Fahndungsverfahren nicht, wie die Klägerin meint, aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Denn wenn es im Anschluss an eine Fahndungsprüfung nicht zum Erlass von Änderungsbescheiden kommt, ist der Steuerpflichtige - wie erläutert - nicht ernstlich beschwert; allein der Umstand, dass eine tatsächlich und wirtschaftlich folgenlose Ablaufhemmung rechtlich fortbesteht, ist kein Anknüpfungspunkt für die Annahme eines Verstoßes gegen Vorschriften des Grundgesetzes (GG). Verfassungsrechtlich relevant könnte allenfalls ein allzu verzögerter Erlass von Bescheiden im Anschluss an eine Fahndungsprüfung sein; hiervor wird der Bürger jedoch dadurch hinreichend geschützt, dass ggf. zu seinen Gunsten die Regeln über die Verwirkung des Steueranspruchs eingreifen. Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit für die von der Klägerin befürwortete Analogie besteht folglich nicht.
c) Im Ergebnis wird die zeitliche Grenze für den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an Fahndungsmaßnahmen mithin nicht durch § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977, sondern nur durch den Eintritt der Verwirkung gezogen (ebenso Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 171 Rz. 79 b; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 171 Rz. 63; Rößler, DStZ 1997, 117 f.). Eine solche setzt indessen über den Zeitablauf hinausgehende Umstände voraus, die die verspätete Rechtsausübung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (, BFH/NV 1989, 260, 261; BFH in BFH/NV 1999, 1186, 1187, m. w. N.). Solche Umstände liegen im Streitfall nicht vor. Denn die hier eingetretene Verzögerung beruht nicht zuletzt darauf, dass die Klägerin zunächst den Übergang der Prüfungszuständigkeit von der Steuerfahndung X auf die Steuerfahndung Y erwirkt und später eine Verlängerung der ihr gesetzten Äußerungsfrist erhalten hat. Da zudem die angefochtenen Bescheide alsbald nach Ablauf der verlängerten Frist erlassen wurden, konnte sich zu keinem Zeitpunkt ein berechtigtes Vertrauen der Klägerin darauf herausbilden, dass das FA die Verfolgung des Steueranspruchs auf Dauer aufgegeben habe. Damit scheidet die Annahme einer Verwirkung aus.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2002 II Seite 586
BB 2002 S. 1582 Nr. 31
BFH/NV 2002 S. 1195 Nr. 9
BFHE S. 303 Nr. 198
BStBl II 2002 S. 586 Nr. 16
DB 2002 S. 1589 Nr. 31
DStR 2002 S. 1297 Nr. 31
DStRE 2002 S. 1036 Nr. 16
KÖSDI 2002 S. 13421 Nr. 9
ZAAAA-89299