Bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge eines Kindes sind Rentennachzahlungen im Jahr des Zuflusses zu berücksichtigen
Leitsatz
Eine Rentennachzahlung (Halbwaisenrente) für das Vorjahr an ein in Ausbildung befindliches Kind ist bei der Ermittlung des Jahresgrenzbetrages i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mit dem Nachzahlungsbetrag im Jahr des Zuflusses zu berücksichtigen.
Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Sätze 2, 6 und 7
Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt (EFG 2001, 1305) (Verfahrensverlauf), ,
Tatbestand
I.
Die 1977 geborene Tochter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war bis zum in Berufsausbildung. Sie erhielt für die Monate Januar bis Juni eine Ausbildungsvergütung von monatlich 874 DM; im Monat Juni bezog sie außerdem noch Arbeitslohn in Höhe von 152,40 DM. Daneben erhielt sie für die Monate März bis Juni 1997 eine Halbwaisenrente von monatlich 264,60 DM einschließlich der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge von monatlich 19,84 DM. Die Rentennachzahlung für die Zeit vom Tode ihres Vaters im Mai 1996 bis Februar 1997 in Höhe von 2 319,23 DM erhielt sie im Januar 1997.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) hob die Kindergeldfestsetzung mit - bestandskräftigem - Bescheid vom für die Zeit ab Juli 1997 sowie mit dem - angefochtenen - Bescheid vom für die Monate Januar bis Juni 1997 auf und forderte das überzahlte Kindergeld in Höhe von 1 320 DM zurück, weil der maßgebliche Grenzbetrag von 6 000 DM überschritten sei.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend machte, es dürfe der Berechnung des Jahresgrenzbetrages nur der auf das Streitjahr entfallende Teil des Rentenbetrags von (3 833,97 DM ./. 360 DM Kostenpauschale =) 3 473,97 DM zugrunde gelegt werden, blieben erfolglos (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2001, 1305).
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts (§ 32 Abs. 4 Sätze 2, 6 und 7 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Sie wendet sich gegen die Auffassung des Finanzgerichts (FG), dass die Rentennachzahlung in voller Höhe im Jahre ihres Zuflusses zu erfassen sei.
Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des FG und den angefochtenen Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Der Beklagte war berechtigt, das 1997 an die Klägerin gezahlte Kindergeld zurückzufordern (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 § 175 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 - § 31 Satz 3, § 32 Abs. 4 Satz 2, § 70 Abs. 2, § 71 EStG).
1. Der Rückforderung stand die Bestandskraft der Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar bis einschließlich Juni 1997 nicht entgegen. Stellt sich nach Ablauf eines Kalenderjahres heraus, dass die Einkünfte und Bezüge eines Kindes den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten, so ist die Familienkasse berechtigt, die Festsetzung des Kindergeldes rückwirkend mit Wirkung zum Beginn dieses Kalenderjahres aufzuheben. Dabei kann offen bleiben, ob die Änderung in diesen Fällen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 allein oder i. V. m. § 175 Abs. 2 AO 1977 oder auf § 70 Abs. 2 EStG zu stützen ist (, BFHE 196, 270, BStBl II 2002, 86).
2. Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung auch zu Recht aufgehoben. Der Klägerin stand für die Monate Januar bis Juni 1997 kein Kindergeldanspruch zu.
a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 1997 ist ein über 18 Jahre altes Kind unter 27 Jahren, das für den Beruf ausgebildet wird, nur zu berücksichtigen, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12 000 DM im Streitjahr 1997 hatte. Zu den ,,Einkünften und Bezügen'' in diesem Sinne gehören unter anderem auch (Halb-)Waisenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit ihrem Ertragsanteil - abzüglich des Werbungskostenpauschbetrages gemäß § 9 a Satz 1 Nr. 1 c EStG 1997 - und ihrem Kapitalanteil - abzüglich der Unkostenpauschale in Höhe von 360 DM - einschließlich der Beiträge zu Versicherungen des Kindes (, BFHE 193, 453, BStBl II 2001, 489).
b) Im Streitjahr führte die Rentennachzahlung zu einer Überschreitung des Jahresgrenzbetrages.
aa) Dieser betrug im Streitfall 5 000 DM (§ 32 Abs. 4 Sätze 2, 6 und 7 EStG). Der Monat der Beendigung der Berufsausbildung bleibt als Kürzungsmonat außer Ansatz (vgl. dazu u. a. , BFHE 191, 62, BStBl II 2000, 462, und vom VI R 135/99, BFHE 191, 74, BStBl II 2000, 466).
bb) Der Rentenbetrag ist nicht auf den Zeitraum zu verteilen, für den er gezahlt wurde.
Aus der Gesetzesbegründung zu § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ergibt sich, dass insoweit das Zuflussprinzip gelten soll (BTDrucks 13/3084, S. 20, zu Art. 1 Nr. 7 Buchst. b aa; vgl. auch , BFHE 191, 55, BStBl II 2000, 459). Die Rechtslage ist - wie der BFH in diesem Urteil ausgeführt hat - eine andere als bei Einkünften und Bezügen, die während eines Jahres zufließen und für die nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG zu bestimmen ist, auf welchen Monat sie ,,entfallen''. Die für die Aufteilung der Einkünfte und Bezüge im Zuflussjahr geltende zeitanteilige wirtschaftliche Zurechnung zu den Monaten, für die sie gezahlt werden, beruht zum einen auf dem bewusst unterschiedlich gefassten Wortlaut beider Bestimmungen. Sie beruht zum anderen auf einer systematischen Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der bis zum geltenden Fassung; denn es sind die dort genannten ,,Einkünfte und Bezüge'', die den einzelnen Kalendermonaten wirtschaftlich zuzurechnen sind und deren Begriffsinhalt und Rechtsfolgen sich nach dem System des EStG bestimmen. Der Begriff der ,,Einkünfte'' im Sinne dieser Vorschrift entspricht der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG (, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566), nach der sich die Einkünfte - soweit sie nicht zu den Gewinneinkünften gehören - nach dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten bestimmen, der nach dem Zuflussprinzip zu ermitteln ist (§ 11 Abs. 1 EStG). Entsprechend ist der Begriff der ,,Bezüge'' in dem Sinne zu verstehen, in dem er auch sonst im Einkommensteuerrecht verwendet wird (, BFHE 192, 485, BStBl II 2000, 684; zum Begriff der Bezüge vgl. ergänzend § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002), und sind die Bezüge auch im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG im Zeitpunkt ihres Zuflusses zu erfassen (vgl. u. a. , EFG 2000, 876; , Deutsches Steuerrecht-Entscheidungsdienst - DStRE - 2001, 642; FG des Landes Sachsen-Anhalt in EFG 2001, 1305; Jachmann in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 32 Rdnrn. C 42, 51, 60, m. w. N.; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., § 32 Rz. 28). Das bedeutet unter Berücksichtigung des für das Einkommensteuerrecht geltenden Jahresprinzips (§ 2 Abs. 7 EStG), dass bei der Feststellung, ob der Jahresgrenzbetrag überschritten ist, alle Einkünfte und Bezüge des Kindes anzusetzen sind, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeignet und bestimmt sind und die diesem im Laufe eines Jahres zufließen. Zuflüsse und Abflüsse in anderen Jahren bleiben außer Betracht (vgl. auch , BStBl II 2002, 205).
Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch dem mit § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfolgten Zweck. Mit dieser Regelung soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden, indem sie solche Steuerpflichtige (regelmäßig die Eltern) von der Gewährung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes ausnimmt, deren Kind über Einkünfte und Bezüge in einer den Grenzbetrag übersteigenden Höhe verfügt (vgl. z. B. BFH-Urteile in BFHE 192, 316, BStBl II 2001, 566, unter II. 2. b der Gründe und in BFHE 192, 485, BStBl II 2000, 684). Derartige Einkünfte und Bezüge führen zu einer Minderung oder einem Wegfall der Bedürftigkeit des Kindes i. S. des § 1602 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), so dass der Unterhaltspflichtige eine Herabsetzung des Unterhalts verlangen kann (BFH-Urteil in BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566, unter II. 2. c der Gründe, m. w. N.). Diesem Anspruch kann das Kind nicht entgegenhalten, die Zahlungen entfielen anteilig auf Zeiträume, in denen es noch bedürftig gewesen sei.
Der Senat hat bei dieser Beurteilung auch berücksichtigt, dass es sich bei § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG um eine typisierende Regelung handelt, die der Vereinfachung der Rechtsanwendung dienen und in vertretbarem Umfang Verwaltungsmehraufwand vermeiden soll.
cc) Ein Ertragsanteil der Rente war nicht zu berücksichtigen. Er war wegen der kurzen Laufzeit der Rente und des geringen Lebensalters der Tochter mit 0 v. H. anzusetzen (§ 55 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung). Eine Waisenrente gehört zu den abgekürzten Leibrenten im Sinne dieser Vorschrift (vgl. u. a. Schmidt, a. a. O., § 22 Rz. 44; Jansen in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 22 EStG Anm. 295; Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 1998 H 167 ,,Waisenrente''). Damit ist die Rente in voller Höhe den Bezügen i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zuzurechnen; sie ist lediglich um die anteilige Unkostenpauschale zu kürzen. Ob der danach verbleibende Nachzahlungsbetrag - wie das FG angenommen hat - nur zeitanteilig mit 5/12 oder - wie der Beklagte meint - wegen seines Zuflusses im Ausbildungszeitraum in vollem Umfang zu berücksichtigen ist, kann offen bleiben; der Jahresgrenzbetrag ist in beiden Fällen überschritten.
3. Da die Kindergeldfestsetzung zu Recht aufgehoben worden ist, konnte der Beklagte das für dieses Jahr gezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zurückfordern.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2002 II Seite 525
BB 2002 S. 1410 Nr. 27
BFH/NV 2002 S. 1090 Nr. 8
BFHE S. 116 Nr. 199
BStBl II 2002 S. 525 Nr. 14
DB 2002 S. 1356 Nr. 26
DStRE 2002 S. 884 Nr. 14
FR 2002 S. 834 Nr. 15
KÖSDI 2002 S. 13342 Nr. 7
HAAAA-89279