Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer auf Einkünfte aus Kapitalvermögen für Veranlagungszeiträume vor 1993 sowie Verfolgung und Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen das bis geltende Recht weiterhin zulässig
Leitsatz
Bei summarischer Prüfung ist die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer auf Einkünfte aus Kapitalvermögen auch für Veranlagungszeiträume vor 1993 weiterhin zulässig. Die Anordnung im (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654), wonach das bisherige Recht zur Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen (Zinseinkünfte) auf alle bis zum verwirklichten Besteuerungstatbestände weiter anwendbar ist, ist nicht auf das Steuerfestsetzungsverfahren beschränkt. So können Zuwiderhandlungen gegen das bis zum geltende Recht zur Besteuerung der Kapitaleinkünfte nach wie vor strafrechtlich verfolgt und geahndet werden. Dem stehen weder verfassungsrechtliche Erwägungen noch § 2 Abs. 3 StGB entgegen.
Gesetze: AO 1977 § 235AO 1977 § 370FGO § 69 Abs. 2 und 3BVerfGG § 79 Abs. 1StGB § 2 Abs. 3
Instanzenzug: FG Hamburg
Tatbestand
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer zu 1 (Antragsteller zu 1) war bis 1988 mit der Antragstellerin und Beschwerdeführerin zu 3 (Antragstellerin zu 3) und ist seit 1992 mit der Antragstellerin und Beschwerdeführerin zu 2 (Antragstellerin zu 2) verheiratet.
Der Antragsteller zu 1 hatte in den Einkommensteuererklärungen 1988 bis 1997 - für den Veranlagungszeitraum 1988 im Rahmen der Zusammenveranlagung mit der Antragstellerin zu 3 und für die Veranlagungszeiträume 1992 bis 1997 im Rahmen der Zusammenveranlagung mit der Antragstellerin zu 2 - Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht erklärt. Nachdem die Antragsteller dies im Mai 1999 nachgeholt hatten, erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) geänderte Einkommensteuerbescheide für die genannten Zeiträume. Die Antragsteller fochten diese Änderungsbescheide nicht an. Mit Bescheiden vom setzte das FA überdies Hinterziehungszinsen fest, und zwar
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- gegenüber den Antragstellern zu 1 und 3 wegen Ein- kommensteuer 1988 . . . DM, - gegenüber dem Antragsteller zu 1 allein wegen Ein- kommensteuer 1989 bis 1991 . . . DM und - gegenüber dem Antragsteller zu 1 und der Antrag- stellerin zu 2 wegen Einkommensteuer 1992 bis 1997 . . . DM. |
Die Antragsteller legten gegen die Zinsbescheide Einspruch ein, soweit Zinsen auf die Einkommensteuer-Nachzahlungen für 1988 bis 1992 festgesetzt worden waren. Gleichzeitig beantragten sie beim FA, die Vollziehung der angefochtenen Zinsbescheide auszusetzen. Zur Begründung trugen sie u. a. vor, die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen für 1988 bis 1992 sei vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für verfassungswidrig erklärt worden. Verfassungswidrige Steuern könnten jedoch i. S. von § 370 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht hinterzogen werden, so dass auch keine Hinterziehungszinsen festgesetzt werden dürften. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsbescheide sei daher ernstlich zweifelhaft.
Das FA lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Daraufhin haben die Antragsteller den Antrag beim Finanzgericht (FG) gestellt. Das FG hat den Antrag als unbegründet abgelehnt. Es hat im Wesentlichen ausgeführt:
An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsbescheide bestünden keine ernstlichen Zweifel. Zunächst sei nicht zweifelhaft, dass die vom FA festgesetzten Einkommensteuern wirksam entstanden seien. Das BVerfG sei zwar in den Gründen seines Urteils vom 2 BvR 1493/89 (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) davon ausgegangen, dass bereits im Veranlagungszeitraum 1981 ein struktureller Erhebungsmangel bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften zu verzeichnen gewesen sei, der - weil er dem Gesetzgeber zuzurechnen sei - zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm (§ 20 Abs. 1 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes - EStG - 1979; heute: § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) führen könne. Diese Verfassungswidrigkeit sei aber wegen der verfassungsrechtlich neuen Erkenntnis, dass ein struktureller Erhebungsmangel zur Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden materiellen Norm führen könne, für eine Übergangszeit bis zum noch hinzunehmen.
Voraussetzung für die Erhebung von Hinterziehungszinsen sei darüber hinaus eine vollendete Steuerhinterziehung. Sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand des § 370 AO 1977 müssten erfüllt sein. Dies treffe im Streitfall zu. Daran ändere nichts, dass das BVerfG die damalige Art und Weise der Besteuerung von Zinseinkünften für verfassungswidrig angesehen habe. Die Ausführungen des BVerfG im Zinsurteil (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) hätten nicht zu einer in Gesetzeskraft erwachsenen Nichtigkeits- oder Unvereinbarkeitserklärung gemäß § 31 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) geführt. Vielmehr habe das BVerfG dort zum Ausdruck gebracht, dass das bisherige Recht noch für eine Übergangszeit hinzunehmen und dem Gesetzgeber Gelegenheit zu geben sei, sich binnen einer angemessenen Frist auf die nunmehr geklärte, verfassungsrechtliche Lage einzustellen. Im Übrigen könne eine Norm nur entweder gültig oder ungültig - also nichtig oder wegen einer Unvereinbarkeitserklärung trotz formalen Weiterbestehens unanwendbar - sein. Eine nur ,,halbgültige'' Norm, etwa in dem Sinne, dass zwar die Steuer geschuldet werde, aber keine Nebenpflichten wie Steuererklärungs-, Zahlungs- oder Verzinsungspflichten bestünden, also gleichsam eine Art freiwillige Steuerpflicht, kenne das gültige Rechtssystem nicht.
Auch aus § 2 Abs. 3 des Strafgesetzbuches (StGB) ergäben sich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung. Dabei könne offen bleiben, ob der Ansicht des Landgerichts (LG) München II in dessen Beschluss vom 5 Qs 12/99 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 2000, 372, betreffend Vermögensteuer) zu folgen sei, dass § 2 Abs. 3 StGB in Fällen der vorliegenden Art einer Bestrafung entgegenstehe. Denn jedenfalls seien die in § 2 StGB enthaltenen Regelungen im Bereich des Steuerschuldrechts nicht anwendbar, weil sie durch § 38 AO 1977 und die gesetzlichen Regelungen über die zeitliche Geltung der Einzelsteuergesetze verdrängt würden.
Mit ihrer dagegen erhobenen Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren auf Aussetzung der Vollziehung weiter. Sie tragen im Wesentlichen vor:
Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Ansicht bestünden an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsbescheide ernstliche Zweifel i. S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). § 235 AO 1977 setze das Vorliegen einer Steuerhinterziehung voraus. An deren Voraussetzungen fehle es im Streitfall.
In seinem Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 habe das BVerfG festgestellt, dass die Besteuerung von Zinseinkünften nach dem EStG seit dem Veranlagungszeitraum 1981 vornehmlich wegen des erheblichen Vollzugsdefizits verfassungswidrig sei. Das BVerfG habe zwar nicht die materielle Besteuerungsgrundlage (§ 2 Abs. 1 Nr. 5, § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG 1979), jedoch das diesbezügliche Erhebungsverfahren für verfassungswidrig erachtet und dem Gesetzgeber eine Frist für hinreichende gesetzliche Vorkehrungen bis zum gesetzt. Für die Frage der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bildeten die materielle Besteuerungsgrundlage und das betreffende Erhebungsverfahren jedoch eine untrennbare Einheit, so dass sich die Frage nach der Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen eine verfassungswidrige Regelung stelle. Nach dem Grundgedanken des § 79 Abs. 1 BVerfGG dürfe niemand wegen Verstoßes gegen eine verfassungswidrige Regelung strafrechtlich belangt werden. Dies gelte unabhängig davon, ob das BVerfG eine Nichtigkeits- oder Unvereinbarkeitserklärung ausgesprochen habe. Nach § 79 BVerfGG sei gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz (GG) für unvereinbar oder nach § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhe, die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) zulässig. Dieser Norm liege der Rechtsgedanke zugrunde, dass niemand gezwungen werden solle, den Makel einer Straftat auf sich lasten zu lassen, die auf einem verfassungswidrigen Strafgesetz beruhe (, BVerfGE 12, 338, 340). Die Weitergeltungsanordnung im Zinsurteil des BVerfG (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) sei daher dahin gehend einzuschränken, dass die gesetzlichen Regelungen zur Besteuerung der Kapitaleinkünfte nicht mehr zur Ausfüllung der Blankettnorm des § 370 AO 1977 dienen könnten.
Die Antragsteller zu 1 und 3 beantragen, die Vorentscheidung, soweit sie die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1988 betrifft, aufzuheben, und die Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheids zur Einkommensteuer 1988 - hilfsweise gegen Sicherheitsleistung - aufzuheben.
Der Antragsteller zu 1 beantragt, die Vorentscheidung, soweit sie die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1989 bis 1991 betrifft, aufzuheben, und die Vollziehung der angefochtenen Zinsbescheide zur Einkommensteuer 1989 bis 1991 - hilfsweise gegen Sicherheitsleistung - aufzuheben.
Die Antragsteller zu 1 und 2 beantragen, die Vorentscheidung, soweit sie die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1992 betrifft, aufzuheben, und die Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheids zur Einkommensteuer 1992 - hilfsweise gegen Sicherheitsleistung - aufzuheben.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Gründe
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht ist das FG im Ergebnis davon ausgegangen, dass an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsbescheide zur Einkommensteuer 1988 bis 1992 keine ernstlichen Zweifel bestehen.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag auszusetzen oder aufzuheben, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen. Die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts ist ernstlich zweifelhaft, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, der gerichtsbekannten Tatsachen und des unstreitigen Sachverhalts erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen eine Unklarheit in der Beurteilung von Tatsachen oder eine Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Bescheid als rechtswidrig erweisen könnte (z. B. , BFHE 125, 423, BStBl II 1978, 579; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 69 Rz. 77, m. w. N.).
2. Die Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide über Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer bildet § 235 Abs. 1 AO 1977. Nach § 235 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind ,,hinterzogene Steuern'' zu verzinsen. Die Zinspflicht nach dieser Vorschrift setzt folglich voraus, dass ein entsprechender Steueranspruch besteht und insoweit eine Steuerhinterziehung vorliegt.
a) Zutreffend hat es das FG für unzweifelhaft angesehen, dass die vom FA festgesetzten Einkommensteuern (auf die von den Antragstellern erzielten Kapitaleinkünfte) wirksam entstanden sind. Dies stellen auch die Antragsteller nicht in Abrede. Sie haben denn auch die entsprechenden Einkommensteueränderungsbescheide nicht angefochten.
b) Voraussetzung für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen ist darüber hinaus, dass eine vollendete Steuerhinterziehung vorliegt (vgl. auch , BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378, unter II. 3. a). Dies setzt - wie schon das FG zutreffend erkannt hat - die Erfüllung des objektiven und des subjektiven Straftatbestandes des § 370 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. den blankettausfüllenden materiellrechtlichen Steuernormen (hier: § 2 Abs. 1 Nr. 5, § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG 1979, jetzt: § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) sowie das Fehlen von Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen voraus (vgl. z. B. Klein/Rüsken, Abgabenordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 235 Rz. 5, m. w. N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 235 AO 1977 Tz. 5, m. w. N.).
aa) Mit Recht hat das FG angenommen, dass an der Verwirklichung des objektiven Straftatbestandes des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 im Streitfall keine ernstlichen Zweifel bestehen. Die Antragsteller haben bestimmte Einkünfte aus Kapitalvermögen entgegen den §§ 149 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, 25 Abs. 3 EStG, 56 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) nicht angegeben und dadurch bewirkt, dass die aus den steuererheblichen Tatsachen resultierenden Steuern i. S. von § 370 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 AO 1977 nicht rechtzeitig festgesetzt wurden.
bb) Ebenso zutreffend hat das FG keine Zweifel an der Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes der Steuerhinterziehung sowie an der Rechtswidrigkeit der Tat und am Fehlen von Schuldausschließungsgründen gehegt.
cc) An der Beurteilung der Tat als vollendete Steuerhinterziehung i. S. des § 235 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bestehen entgegen der Ansicht der Antragsteller und eines Teils des Schrifttums (vgl. z. B. Kohlmann/Hilgers-Klautzsch, Die Steuerberatung - Stbg - 1998, 485, 488 ff.) auch nicht deshalb ernstliche Zweifel, weil das BVerfG in seinem Zinsurteil (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) die Besteuerung der Zinseinkünfte im Hinblick auf das seit langem bestehende, vor allem auf den sog. Bankenerlass und dessen gesetzliche Nachfolgeregelung, den § 30 a AO 1977, zurückzuführende Erhebungsdefizit als gleichheitswidrig i. S. von Art. 3 Abs. 1 GG angesehen hat.
aaa) Zu Recht wird in der Literatur zwar darauf hingewiesen, dass im Falle des Fehlens eines Besteuerungstatbestandes (hier: §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG i. d. F. des Steuerbereinigungsgesetzes - StBereinG - 1985, BGBl I 1984, 1493) zugleich die Rechtsgrundlage für eine Bestrafung wegen Hinterziehung der auf Zinseinkünfte entfallenden Einkommensteuer entfiele. Die Strafbarkeit wäre solchenfalls nicht gesetzlich bestimmt i. S. von Art. 103 Abs. 2 GG (Kohlmann/Hilgers-Klautzsch, a. a. O., 485, 488 f.).
Was die Zinsbesteuerung angeht, lag jedoch durchgängig für den gesamten im Streitfall strafrechtlich relevanten Zeitraum (1988 bis 1992) ein formell gültiges Steuergesetz (§§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG i. d. F. des StBereinG 1985) vor, das auch hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen und seines Anwendungsbereichs keine Auslegungsprobleme aufwarf (so auch Kohlmann/Hilgers-Klautzsch, a. a. O., 485, 489).
bbb) Der in Rede stehende Besteuerungstatbestand ist auch nicht rückwirkend dadurch entfallen, dass er vom BVerfG mit Wirkung ex tunc, d. h. mit Wirkung für die streitigen Zinserhebungszeiträume 1988 bis 1992, für nichtig erklärt wurde. Das BVerfG hat vielmehr von einer solchen Nichtigerklärung im Zinsurteil (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) bewusst abgesehen; im Gegenteil hat es die Fortgeltung der in Rede stehenden materiellen Steuernormen bis zum Ende des hier streitigen Zinserhebungszeitraumes angeordnet.
ccc) Ist demzufolge aber nach dem im Zinsurteil eindeutig bekundeten Willen des BVerfG die Besteuerung der in den Veranlagungszeiträumen bis 1992 erzielten Kapitalerträge (Zinseinkünfte) nach wie vor rechtens, so begegnet es entgegen der von den Antragstellern und einem Teil der Literatur (vgl. z. B. Kohlmann/Hilgers-Klautzsch, a. a. O., 485, 490 f.) vertretenen Auffassung keinem ernstlichen Zweifel, dass der in Rede stehende materielle Steuertatbestand (§§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG i. d. F. des StBereinG 1985) auch die geeignete Grundlage für die Ausfüllung der Blankettnorm des § 370 AO 1977 bildet (ebenso schon, betreffend die Rechtslage zur Vermögensteuer für Veranlagungszeiträume bis 1996, BFH-Urteil in BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378, unter II. 2. der Gründe). Die Gegenauffassung führte, worauf schon der II. Senat des BFH in BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378, unter II. 2. der Gründe zutreffend hingewiesen hat, zu einem Recht minderer Qualität, gegen das die Normadressaten ohne jegliches Sanktionsrisiko verstoßen könnten. Zu Recht hat der II. Senat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Berechtigung zur Steuerfestsetzung einerseits und die Strafbarkeit der Hinterziehung solcher Steuern andererseits - wie auch § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 belegt - keine durchgängig voneinander getrennten Rechtsgebiete darstellen (BFH-Urteil in BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378, unter II. 2. a der Gründe). Materielles Steuerrecht und Steuerverfahrensrecht einerseits und materielles Steuerstrafrecht und Strafverfahrensrecht andererseits sind vielmehr in mehrfacher Hinsicht miteinander verwoben und ergänzen einander. Dies offenbart sich gerade im hier zu beurteilenden Bereich der Zinsbesteuerung, in welchem der Fiskus im Hinblick auf die durch § 30 a AO 1977 statuierten, wenn auch im Wege der verfassungskonformen Auslegung einzuschränkenden ,,Verifikationsbarrieren'' (vgl. dazu Senatsurteil vom VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499) zur effektiven, dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung tragenden Realisierung der (Zins-)Steueransprüche in erhöhtem Maße auf die generalpräventive Wirkung des Steuerstraftatbestandes und die durch das Strafverfahrensrecht den Finanzbehörden eröffneten zusätzlichen Ermittlungsbefugnisse angewiesen ist. Ohne diese den Finanzbehörden zusätzlich zu Gebote stehenden ,,Waffen'' des Straf- und Strafprozessrechts wäre der gleichmäßige Gesetzesvollzug in Bezug auf die nach der Anordnung des BVerfG im Zinsurteil für den Streitzeitraum weiter bestehende Zinssteuerpflicht ernsthaft in Frage gestellt, weil diese Pflicht von den Normadressaten gefahr- und sanktionslos missachtet werden könnte und überdies das Entdeckungsrisiko hinsichtlich derartiger Pflichtverletzungen in Ermangelung strafprozessualer Ermittlungsbefugnisse (etwa zur Anordnung und Durchführung von Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei Banken; vgl. hierzu z. B. die Kammerbeschlüsse des , NJW 1995, 2839, und vom 2 BvR 396/94, NJW 1994, 2079) deutlich herabgesetzt wäre. Dies aber liefe - worauf schon der II. Senat des BFH im Urteil in BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378 (unter II. 2. a) hingewiesen hat - offenkundig den im Zinsurteil (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) zum Ausdruck gelangten Intentionen des BVerfG zuwider, wonach das materielle Steuergesetz in ein normatives Umfeld eingebettet sein müsse, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolgs prinzipiell gewährleiste und gerade in den Fällen, in welchen - wie hier - die Steuerfestsetzung von der Erklärung des Steuerpflichtigen abhänge, der Gesetzgeber die Steuerehrlichkeit durch hinreichende, die steuerliche Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abstützen müsse (vgl. dazu auch Schmidt, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht - wistra - 1999, 121, 125 f.). Dementsprechend ist denn auch in den Kammerbeschlüssen des BVerfG in NJW 1994, 2079 und NJW 1995, 2839 mit keinem Wort davon die Rede, dass strafrechtliche Schritte und damit auch strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen in Bezug auf Steuerverkürzungen in Zeiträumen vor 1993 ausgeschlossen seien.
ddd) Demgegenüber vermag die Ansicht der Antragsteller, die pauschal gehaltene Weitergeltungsanordnung des BVerfG im Zinsurteil müsse in verfassungskonformer Auslegung in der Weise eingeschränkt werden, dass sie nicht für den Bereich der Steuerhinterziehung gelte (ebenso z. B. Kohlmann/Hilgers-Klautzsch, a. a. O., 485, 490; betreffend Vermögensteuer vgl. z. B. auch Ulsamer/Müller, wistra 1998, 1, 6; Resing, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1999, 922, 923; Daragan, DStR 1999, 2116, 2117; anderer Auffassung z. B. Schmidt, wistra 1999, 121, 123 ff.; Meine, DStR 1999, 2101, 2102 ff.; Rolletschke, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 2000, 211, 214 f.), nicht zu überzeugen. Wie schon der II. Senat im Urteil in BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378 (unter II. 2. b, betreffend Vermögensteuer für Zeiträume vor 1997) überzeugend ausgeführt hat, sind formell ordnungsgemäß zustande gekommene Gesetze solange und soweit für Bürger, Behörden und Gerichte uneingeschränkt verbindlich, als sie nicht vom BVerfG aufgrund dessen Kassationsmonopols (Art. 100 Abs. 1 GG) wegen eines verfassungsrechtlichen Makels aufgehoben worden sind. Ordnet das BVerfG die befristete weitere Anwendung eines von ihm für materiell verfassungswidrig erkannten Gesetzes an, so hat es dieses insoweit gerade nicht aufgehoben. Daher ist das Gesetz von den Normadressaten weiterhin zu beachten. Das mit Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz verbundene objektive Unwerturteil (vgl. z. B. Tröndle in Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, 49. Aufl. 1999, Vor § 13 Anm. 24) bleibt bestehen. Dafür spricht im Streitfall auch die Begründung der Weitergeltungsanordnung durch das BVerfG. Dieses hat die Fortgeltung der materiellen Steuernormen nicht etwa (allein) mit fiskalischen Gesichtspunkten gerechtfertigt. Die von Teilen der Literatur aufgestellte These, eine Perpetuierung von (Verfassungs-)Unrecht (aus haushaltspolitischen Gründen) passe nicht zum Steuerstrafrecht (vgl. z. B. Urban, DStR 1998, 1995, 1999, m. w. N.; Kohlmann/Hilgers-Klautzsch, a. a. O., 485, 490), greift daher im Streitfall von vornherein nicht ein. Das BVerfG hat die Fortgeltung der §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG 1979 (jetzt: § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) - jedenfalls primär - aus dem ,,rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebot'' (Art. 20 Abs. 3 GG) hergeleitet (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C. II. 5. b der Gründe). Die materiellen Steuernormen (§§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG 1979) seien ,,an sich'' verfassungsrechtlich unbedenklich. Ihr verfassungsrechtlicher Mangel ergebe sich erst aus der Einsicht, ,,dass den die Steuerpflicht begründenden Normen auch eine Gewährleistungsfunktion für die Gleichheit im Belastungserfolg (zukomme)''. Diese Rechtslage sei (vom Gesetzgeber) bislang nicht erkannt worden. Es bestehe deshalb Anlass, das bisherige Recht noch für eine Übergangszeit hinzunehmen und dem Gesetzgeber Gelegenheit zu geben, sich binnen einer angemessenen Frist auf die nunmehr geklärte verfassungsrechtliche Lage einzustellen. Die Notwendigkeit solcher Übergangsfristen habe das BVerfG in ähnlich gelagerten Fällen gewandelter Verfassungsauslegung (vgl. z. B. , BverfGE 58, 257, 280) verschiedentlich anerkannt (BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C. II. 5. b der Gründe).
Neben diesem Aspekt der Rechtskontinuität dürften für die Weitergeltungsanordnung unausgesprochen aber auch haushaltspolitische und vor allem auch Gesichtspunkte der materiellen Steuergerechtigkeit (Besteuerungsgleichheit) eine Rolle gespielt haben. So wäre es ungeachtet des bestehenden Erhebungsdefizits unter dem Aspekt der Besteuerungsgleichheit kaum zu rechtfertigen gewesen, die bis einschließlich 1992 erzielten Zinseinkünfte i. S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n. F. von der Besteuerung auszunehmen, wohingegen die übrigen Kapitaleinkünfte (z. B. nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG), die anderen Einkünfte aus Vermögensverwaltung (insbesondere aus § 21 EStG) sowie alle übrigen Einkünfte der Besteuerung zu unterwerfen waren. Die durch eine ex-tunc-Verwerfung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n. F. bewirkte Beseitigung der Ungleichbehandlung bei der Erhebung der Zinssteuern hätte sich daher nur um den Preis eines weiteren - noch gravierenderen - Gleichheitsverstoßes erkaufen lassen.
Entsprechende Erwägungen gelten aber auch für den Fall, dass man - wie es die Antragsteller begehren und ein Teil des Schrifttums (vgl. z. B. Kohlmann/Hilgers-Klautzsch, a. a. O., 485, 490) befürwortet - die Bestrafung wegen Steuerhinterziehung von der Weitergeltungsanordnung ausnähme. Wie sollte etwa dem Hinterzieher von Steuern auf Kapitaleinkünfte i. S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG oder auf Einkünfte i. S. von § 21 EStG die Strafwürdigkeit seines Tuns plausibel gemacht werden, wenn andererseits der Hinterzieher von Zinssteuern i. S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG straffrei ausgehen soll, wiewohl auch dieser unter Missachtung der fortgeltenden materiellen Steuernormen die Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen getäuscht und dadurch Steuern verkürzt hat?
Salditt (Strafverteidiger Forum - StraFO - 1997, 65, 68) versucht die von ihm vertretene Ansicht, verfassungswidrige Steuern könnten nicht hinterzogen werden, mit der These zu rechtfertigen, schützenswertes Rechtsgut der Steuerhinterziehungsvorschriften seien nur die Steueransprüche, welche dem Verfassungsgebot der Lastengleichheit genügten. Dieser Ansatz vermag zunächst schon deswegen nicht zu überzeugen, weil nach ständiger Rechtsprechung und ganz herrschender Meinung (vgl. z. B. Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 370 AO 1977 Rz. 9, mit zahlreichen Nachweisen; Klein/Gast-de Haan, a. a. O., § 370 Rz. 2, m. w. N.; Meine, DStR 1999, 2101, 2103 f., m. w. N.) das strafrechtlich geschützte Rechtsgut des § 370 AO 1977 der Anspruch der steuerberechtigten Körperschaften auf den Ertrag der betreffenden Steuern ist. Selbst wenn man aber der Schutzgutbestimmung Salditts folgen würde, könnte auch dies im Streitfall nichts an der Strafbarkeit der Zinssteuerhinterziehung ändern; denn die Fortgeltungsanordnung durch das BVerfG diente - wie dargelegt - gerade auch dazu, diese Lastengleichheit im Verhältnis der Bezieher von Einkünften i. S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n. F. zu den Beziehern anderer Einkünfte zu bewerkstelligen. Wie schon unter II. 2. b, cc, ccc ausgeführt, spielt das Instrumentarium des Straf- und Strafprozessrechts bei der effektiven Durchsetzung der fortbestehenden Steueransprüche eine gewichtige Rolle.
eee) Entgegen der von den Antragstellern vertretenen Auffassung kann die Strafbarkeit der Zinssteuerhinterziehung hinsichtlich der Streitjahre und damit zugleich die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsbescheide auch nicht mit dem Rechtsgedanken des § 79 Abs. 1 BVerfGG in Zweifel gezogen werden. Nach dieser Vorschrift findet eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen ein rechtskräftiges Strafurteil statt, das auf einer vom BVerfG für nichtig oder mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärten Norm beruht. Hierbei muss es sich um eine Norm des materiellen Rechts handeln; Verfahrensvorschriften werden von § 79 Abs. 1 BVerfGG nicht erfasst (vgl. z. B. Ulsamer in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, § 79 Anm. 9, m. w. N.).
§ 79 Abs. 1 BVerfGG liegt der Rechtsgedanke zugrunde, dass niemand gezwungen sein soll, den Makel einer Bestrafung wegen eines schuldhaften Gesetzesverstoßes auf sich lasten zu lassen, die auf verfassungswidriger Grundlage beruht (Ulsamer in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, a. a. O., § 79 Anm. 10, m. w. N.). ,,§ 79 (Abs. 1 ) BVerfGG setzt implizit voraus, dass die Annullierung einer Norm dazu führt, die auf ihr beruhenden Rechtsverhältnisse rückwirkend (Hervorhebung durch beschließenden Senat) ohne Rechtsgrundlage zu stellen'' (Stuth in Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 1992, § 79 Rz. 17, m. w. N.).
Auf einer verfassungswidrigen Grundlage in diesem Sinne würde eine Bestrafung der Antragsteller wegen der im Streitfall vorliegenden Steuerhinterziehung zweifelsfrei dann beruhen, wenn das BVerfG in seinem Zinsurteil (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) die die Blankett-Vorschrift des § 370 AO 1977 ausfüllenden materiell-rechtlichen Steuernormen (§§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n. F.) mit Wirkung ex tunc für nichtig erklärt hätte (vgl. Ulsamer in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, a. a. O., § 79 Anm. 15). Dies ist indes gerade nicht geschehen.
Auf einer verfassungswidrigen Grundlage würde eine Bestrafung der Antragsteller zum anderen aber auch dann beruhen, wenn das BVerfG die materiellen Steuernormen mit der Folge einer sofortigen Rechtsanwendungssperre für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hätte (näher dazu Ulsamer in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, a. a. O., § 79 Anm. 16 und 17, m. w. N.).
Jedoch sind auch diese Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt. Dabei mag dahinstehen, ob es der direkten oder analogen Anwendung des § 79 Abs. 1 BVerfGG oder der Heranziehung des dort verkörperten Rechtsgedankens bereits entgegensteht, dass der Tenor des Zinsurteils die erforderliche Unvereinbarkeitserklärung nicht enthält, sondern vielmehr dahin geht, dass die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen werden. Ebenso kann offen bleiben, ob den (tragenden) Gründen des Zinsurteils des BVerfG überhaupt die eindeutige Feststellung entnommen werden kann, dass die materiellen Steuernormen der §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 8 (jetzt Nr. 7) EStG bereits in den hier streitigen Zeiträumen vor 1993 als verfassungswidrig anzusehen waren. Dagegen könnte die im Zinsurteil (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C. II. 5. b) enthaltene Äußerung des BVerfG sprechen, dass der Gesetzgeber verpflichtet sei, die Besteuerungsgleichheit innerhalb einer angemessenen Frist, spätestens mit Wirkung vom , durch hinreichende gesetzliche Vorkehrungen für die Zukunft zu gewährleisten. Im Anschluss daran heißt es wörtlich: ,,Sollte der Gesetzgeber diesen verfassungsrechtlichen Auftrag zur Nachbesserung nicht erfüllen, wird (Hervorhebung durch beschließenden Senat) die materielle Steuernorm selbst verfassungswidrig.'' Dem könnten allerdings die Ausführungen des BVerfG an früherer Stelle des Zinsurteils entgegenstehen, wonach ,,jedenfalls gegenwärtig'' (meint offenbar bei Erlass des Zinsurteils vom ) alle Voraussetzungen vorlägen, unter denen das vom BVerfG konstatierte beträchtliche (strukturelle) Erhebungsdefizit ,,zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm (führe)'' (BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C. II., vor 1.). Ausdrücklich offen gelassen hat das BVerfG jedenfalls, ab welchem genauen Zeitpunkt vor 1991 sich dem Gesetzgeber die Erkenntnis aufdrängen musste, dass das für die Besteuerung der Kapitalerträge geltende Recht die gebotene Gleichheit im Belastungserfolg verfehle mit der Folge, dass - nach erfolglosem Verstreichen einer dem Gesetzgeber zustehenden angemessenen Mängelbeseitigungsfrist - die an sich unbedenkliche materielle Steuernorm selbst verfassungswidrig werde (BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C. II., vor 1.). Damit fehlt es im Unterschied zum Rechtszustand bei der Vermögensteuer (vgl. dazu , BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) zumindest in Bezug auf die Hinterziehungszinsen für die Einkommensteuer betreffend die Streitjahre 1988 bis 1990 an einer eindeutigen Feststellung der Verfassungswidrigkeit der §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n. F. durch das BVerfG. Die Wertung des § 79 Abs. 1 BVerfGG kann folglich insoweit eine Bestrafung wegen Steuerhinterziehung und damit auch eine Festsetzung von Hinterziehungszinsen von vornherein nicht ausschließen.
Aber auch in Hinsicht auf die übrigen Streitjahre 1991 und 1992 vermag die Wertung des § 79 Abs. 1 BVerfGG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Zinsbescheide nicht zu begründen. Dem steht jedenfalls die im Zinsurteil (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) angeordnete Weitergeltung der materiellen Steuernormen bis 1992 entgegen. Diese beinhaltet gerade das Gegenteil einer für die Anwendung des § 79 Abs. 1 BVerfGG vorausgesetzten, einer Bestrafung (rückwirkend) die Rechtsgrundlage entziehenden Rechtsanwendungssperre. Die von den Antragstellern erhobenen (verfassungs-)rechtlichen Bedenken dagegen, dass das BVerfG zu der von ihm getroffenen - wie dargelegt, auch für den Bereich der Steuerhinterziehung beachtlichen - Weitergeltungsanordnung berechtigt war, greifen nicht durch. Die dem BVerfG zukommende Kompetenz, eine Norm mit Wirkung ex tunc für nichtig oder mit dem Grundgesetz für unvereinbar zu erklären, schließt als ,,Minus'' auch die Befugnis ein, dies mit Wirkung ab einem zukünftigen Zeitpunkt zu tun.
fff) Schließlich steht einer Bestrafung wegen Hinterziehung der Einkommensteuer auf Zinseinkünfte in den Streitjahren 1988 bis 1992 und damit der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsbescheide auch nicht § 2 Abs. 3 StGB entgegen. Dieserhalb ist zunächst festzuhalten, dass die Anwendung dieser Vorschrift auf die Hinterziehung von Steuern auf Kapitalerträge - im Unterschied zur Rechtslage bei der ab 1997 nicht mehr erhobenen Vermögensteuer - von vornherein allenfalls partiell, d. h. lediglich insoweit zu erwägen ist, als das am in Kraft getretene Zinsabschlaggesetz (ZinsAbschlG) vom gegenüber dem früheren, bis 1992 geltenden Rechtszustand eine Erhöhung der Sparerfreibeträge auf 6 000 DM/12 000 DM (vgl. § 20 Abs. 4 EStG i. d. F. des ZinsAbschlG vom , BStBl I 1992, 682) angeordnet hat (vgl. auch Kohlmann/Hilgers-Klautzsch, a. a. O., 485, 493). Gleichwohl greift § 2 Abs. 3 StGB im Streitfall aber auch insoweit nicht ein, als es den (relativ geringen) Teil der Kapitaleinkünfte betrifft, die ab 1993 dem erhöhten Sparerfreibetrag unterfallen wären (anderer Auffassung aber Kohlmann/Hilgers-Klautzsch, a. a. O., 485, 493). Dies folgt daraus, dass die Erhöhung des Sparerfreibetrages ab die Gesetzeslage bezüglich der hier streitigen früheren Zeiträume nicht verändert hat (zu der insoweit vergleichbaren Rechtslage zum Vermögensteuergesetz vgl. BFH-Urteil in BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378, unter II. 3. a, m. w. N.). Denn das ZinsAbschlG sieht die Erhöhung der Sparerfreibeträge auf 6 000 DM/12 000 DM erst ab vor. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass für frühere Zeiträume das bisherige Recht mit den dort vorgesehenen niedrigeren Sparerfreibeträgen von 300 DM/600 DM (bis Veranlagungszeitraum 1988; vgl. § 20 Abs. 4 EStG i. d. F. des Einkommensteuerreformgesetzes vom , BStBl I 1974, 530) bzw. 600 DM/1 200 DM (mit Wirkung ab Veranlagungszeitraum 1989 bis Veranlagungszeitraum 1992; vgl. § 20 Abs. 4 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 sowie zur Förderung des Mietwohnbaus und von Arbeitsplätzen in Privathaushalten vom , BStBl I 1989, 251, 252, 254) fortgilt (vgl. auch Tröndle in Tröndle/Fischer, a. a. O., § 2 Rz. 13 c; Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 25. Aufl., § 2 Rz. 22 und 23, m. w. N.; vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378, unter II. 3. a, betreffend Vermögensteuergesetz). Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob das Rückwirkungsgebot des § 2 Abs. 3 StGB zudem, wofür vieles spricht, durch den Charakter des § 20 Abs. 4 EStG i. d. F. vor 1993 als Zeitgesetz i. S. von § 2 Abs. 4 StGB ausgeschlossen wird.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2001 II Seite 16
BB 2000 S. 2562 Nr. 50
BFH/NV 2001 S. 226 Nr. 2
BFHE S. 63 Nr. 193
DB 2000 S. 2573 Nr. 51
DStR 2000 S. 2128 Nr. 50
DStRE 2001 S. 45 Nr. 1
INF 2001 S. 90 Nr. 3
JAAAA-88827