Sachurteil gegen gelöschte, durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene GmbH
Leitsatz
Ist eine wegen Vermögenslosigkeit gelöschte GmbH im Klageverfahren durch einen vor der Löschung bevollmächtigten Prozessbevollmächtigten vertreten, kann das FG in der Sache entscheiden.
Gesetze: FGO §§ 57, 58, 119 Nr. 4, 134, 155ZPO §§ 56, 86, 241, 246, 579 Abs. 1 Nr. 4LöschG § 2GmbHG § 35 Abs. 1AktG § 273 Abs. 4
Instanzenzug: Hessisches FG (Verfahrensverlauf),
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine GmbH - hat beim Finanzgericht (FG) Klage erhoben. Sie ist aufgrund einer schriftlich erteilten Vollmacht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten. Nach Klageerhebung wurde die Klägerin wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen im Handelsregister gelöscht (§ 2 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften - LöschG - vom , RGBl I 1934, 914). Der Aufforderung des FG, einen Nachtragsliquidator für die Klägerin zu bestellen, kam der Prozessbevollmächtigte nicht nach.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab.
Zwar berühre die Löschung der GmbH nicht deren Beteiligtenfähigkeit i. S. des § 57 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Sie habe aber zur Folge, dass der bisherige Geschäftsführer als gesetzlicher Vertreter seine Vertretungsbefugnis (§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -) verloren habe, die Klägerin damit prozessunfähig geworden sei. Der Mangel der Prozessfähigkeit sei von Amts wegen zu beachten (§ 155 FGO i. V. m. § 56 Abs. 1 der Zivilprozessordnung - ZPO -). Sie führe zur Unzulässigkeit der Klage. Daran ändere nichts, dass die Klägerin einen Prozessbevollmächtigten bestellt habe, dessen Vollmacht gemäß § 155 FGO i. V. m. § 86 ZPO fortwirke. Dieser Umstand bewirke lediglich, dass infolge der Löschung der Klägerin keine Unterbrechung des Verfahrens eintrete (§ 155 FGO i. V. m. § 246 Abs. 1 ZPO). Es könne fortgesetzt und durch Urteil beendet werden. Dies bedeute indes nicht, dass auch ein Sachurteil ergehen könne.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 155 FGO i. V. m. §§ 56 Abs. 1, 86, 246 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) tritt der Revision entgegen.
Gründe
II.
Der erkennende Senat hat erwogen, die Vorentscheidung zu bestätigen. Er wäre damit von der Rechtsprechung des III., V. und VII. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen (Beschluss des III. Senats vom III R 21/91, BFH/NV 1996, 52; Urteil des V. Senats vom V R 112/77, BFH/NV 1987, 472, Beschluss vom V B 95/86, BFH/NV 1988, 648; Urteil des VII. Senats vom VII R 146/81, BFHE 146, 492, BStBl II 1986, 589, Beschluss vom VII B 176/94, BFH/NV 1997, 166). Daher hat er mit Beschluss vom bei den genannten Senaten angefragt, ob sie der beabsichtigten Abweichung von ihrer Rechtsprechung zustimmen. Die betroffenen Senate haben nicht zugestimmt.
III.
Der Senat hält nicht mehr an seiner im Beschluss vom zum Ausdruck gekommenen Auffassung fest.
Er hält die Revision für begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das FG hat die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil abgewiesen.
1. Eine wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 2 Abs. 1 LöschG von Amts wegen gelöschte GmbH gilt als aufgelöst, eine Liquidation findet nicht statt. Die Löschung führt aber analog § 273 Abs. 4 des Aktiengesetzes (AktG) nicht zur Vollbeendigung der GmbH, wenn diese noch an Abwicklungsmaßnahmen teilzunehmen hat (Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 16. Aufl., Anh. nach §§ 60, 2 LöschG Anm. 15). Auch steuerrechtlich wird eine gelöschte GmbH als fortbestehend angesehen, solange sie noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat oder gegen sie ergangene Steuerbescheide oder Haftungsbescheide angreift. Ihre Beteiligungsfähigkeit wird durch die Löschung nicht berührt (, BFHE 72, 468, BStBl III 1961, 171; vom I R 190/67, BFHE 96, 335, BStBl II 1969, 656; vom I R 111/79, BFHE 130, 447, BStBl II 1980, 587; , BGHZ 48, 303). Stellt sich nach der Löschung heraus, dass noch verteilbares Vermögen vorhanden ist, lebt die Gesellschaft fort und es findet eine Liquidation statt. Die Liquidatoren sind dann auf Antrag eines Beteiligten durch das Gericht zu ernennen (§ 2 Abs. 3 LöschG).
2. Allerdings hat die Löschung einer GmbH gemäß § 2 Abs. 2 LöschG zur Folge, dass ihr bisheriger gesetzlicher Vertreter (Geschäftsführer) seine Vertretungsbefugnis (§ 35 Abs. 1 GmbHG) verliert (BFH-Urteil in BFHE 130, 447, BStBl II 1980, 587; , BGHZ 53, 264). Daher wird das gerichtliche Verfahren gemäß § 155 FGO i. V. m. § 241 Abs. 1 ZPO bis zur Bestellung eines Liquidators unterbrochen. Diese Unterbrechung des Verfahrens tritt gemäß § 155 FGO i. V. m. § 246 Abs. 1 ZPO hingegen nicht ein, wenn die Gesellschaft durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. Im Streitfall wird die Klägerin seit Beginn des Klageverfahrens durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten. Die diesem erteilte Prozessvollmacht dauert über den Zeitpunkt der Löschung der Klägerin und des Verlustes der gesetzlichen Vertretungsmacht ihres Geschäftsführers fort (§ 155 FGO, § 86 ZPO). Eine Unterbrechung des Verfahrens ist deshalb gemäß § 246 Abs. 1 ZPO nicht eingetreten. Das Klageverfahren war fortzusetzen.
3. Die Fortführung des Verfahrens bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass es auch mit einem Sachurteil beendet werden kann. Die Vorschrift des § 155 FGO i. V. m. § 246 Abs. 1 ZPO lässt vielmehr die gegenteilige Interpretation zu, wonach unberührt von der Fortführung des Verfahrens wegen Fehlens der gesetzlichen Vertretung lediglich ein Prozessurteil ergehen kann. Diese Auslegung ist allerdings nicht zwingend, sie wird vom Gesetzeswortlaut auch nicht gefordert. Es erscheint dem Senat vielmehr zulässig, in den Fällen des § 155 FGO i. V. m. § 246 Abs. 1 ZPO von der Fortsetzung der bestehenden Prozesslage auszugehen, wonach das Verfahren durch Prozess- oder Sachurteil beendet werden kann.
Für diese Ansicht spricht vor allem die Regelung des § 155 FGO i. V. m. § 86 ZPO, wonach der Wegfall der gesetzlichen Vertretung einer Partei nicht zur Aufhebung der zuvor erteilten Bevollmächtigung eines Prozessvertreters zur (Fort-)Führung eines Rechtsstreits führt. Da die GmbH nach wie vor beteiligtenfähig ist, kommt ihr die Fähigkeit zu, Subjekt eines (fortgeführten) finanzgerichtlichen Prozessrechtsverhältnisses zu sein.
Die (unveränderte) Fortführung des Verfahrens scheitert auch nicht am Mangel der Prozessfähigkeit der Klägerin. ,,Prozessfähigkeit'', d. h. die Fähigkeit zur Vornahme von Prozesshandlungen i. S. des § 58 Abs. 1 FGO, kommt einer GmbH als solcher nicht zu. Für sie handeln gemäß § 58 Abs. 2 FGO die nach dem bürgerlichen Recht dazu befugten Personen. Zwar verfügt die gelöschte GmbH nicht mehr über einen gesetzlichen Vertreter i. S. des § 35 Abs. 1 GmbHG. Im laufenden Verfahren ist die Klägerin aber durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, der nach Zivil- und Verfahrensrecht zu ihrer Vertretung befugt ist. Diese Vertretung ist im Prozessrechtsverhältnis als Sachurteilsvoraussetzung ausreichend. Sie ermächtigt den Prozessbevollmächtigten ohne Einschränkungen zur Vornahme aller Prozesshandlungen; darüber hinaus ist er im Rechtsmittelverfahren postulationsfähig.
Für die Klägerin tritt somit ein Prozessbevollmächtigter auf, dem sie Vollmacht erteilt hatte, als sie noch ,,prozessfähig'' war und dessen Vollmacht über ihre Löschung hinaus fortwirkt. Damit ist die Klägerin im laufenden Verfahren i. S. von § 155 FGO i. V. m. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nach Vorschrift der Gesetze vertreten (, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1964, 126). Die Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage gemäß § 134 FGO i. V. m. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gegen ein ergangenes Sachurteil scheidet somit aus. Ebenso wäre ein absoluter Revisionsgrund i. S. des § 119 Nr. 4 FGO nicht gegeben.
4. Diese verfahrensrechtliche Beurteilung durch den Senat entspricht der anderer obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl. etwa die , BGHZ 121, 263; vom XI ZR 95/93, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 1994, 542). Sie führt auch zu sinnvollen Ergebnissen.
Denn der Prozessbevollmächtigte einer gelöschten GmbH hat danach die Möglichkeit, einerseits die Aussetzung des Verfahrens, andererseits aber ohne Verzögerung eine Sachentscheidung herbeizuführen. Ergibt diese, dass noch verteilbares Vermögen vorhanden ist (z. B. Erstattungsansprüche), so lebt die Gesellschaft fort und es findet eine Liquidation statt. Erst dann ist die Bestellung eines Nachtragsliquidators erforderlich, um das weitere Prozessverhalten der GmbH zu bestimmen. Die Fortführung des Verfahrens kann auch im Interesse Dritter verfolgt werden, im Falle einer Kapitalgesellschaft wie vorliegend etwa im Interesse eines Anteilseigners an einer Steueranrechnung. Andererseits kann auch ein Interesse des FA an einer Sachentscheidung bestehen, etwa im Hinblick auf ein sich anschließendes Haftungsverfahren.
Zu beachten ist letztlich, dass die gesetzliche Vertretung einer GmbH auch aus anderen Gründen als deren Löschung entfallen oder unterbrochen sein kann. Würde dies - trotz Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten - stets das Ergehen eines Sachurteils hindern, wäre die gesetzliche Vertretung von den Gerichten fortwährend zu prüfen. Diese Konsequenz soll durch die Vorschriften der § 155 FGO i. V. m. § 86 ZPO gerade vermieden werden.
5. Die Sache geht an das FG zurück, damit es über die Klage der Sache nach entscheidet. Ihm wird auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2000 II Seite 500
BB 2000 S. 1718 Nr. 34
BB 2001 S. 613 Nr. 12
BFH/NV 2000 S. 1298 Nr. 10
DB 2000 S. 1799 Nr. 36
DStRE 2000 S. 944 Nr. 17
INF 2000 S. 604 Nr. 19
RAAAA-88726