Der Einsichtnahme des Konkursverwalters in die den Gemeinschuldner und seinen mit ihm zusammenveranlagten Ehegatten betreffenden Prozessakten steht das Steuergeheimnis nicht entgegen
Leitsatz
Haben zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute Klage erhoben und ist das einen Ehegatten betreffende Verfahren wegen Konkurseröffnung unterbrochen, ist der Konkursverwalter bereits vor Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens gemäß § 78 FGO berechtigt, Akteneinsicht in den gesamten Prozessstoff zu nehmen, der i. S. von § 96 i. V. m. § 78 FGO die Grundlage für die Entscheidung des FG bildet. Die Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO 1977) steht nicht entgegen.
Gesetze: AO 1977 §§ 30, 44FGO §§ 78, 96, 128 Abs. 2FGO § 155ZPO § 240
Instanzenzug: FG München
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führt gemeinsam mit ihrem - mit ihr zur Einkommensteuer zusammen veranlagten - Ehemann vor dem Finanzgericht (FG) einen Rechtsstreit wegen Einkommensteuer 1983 bis 1985, in dem zu entscheiden ist, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) zutreffend Zahlungen des Bruders ihres Ehemannes als sonstige Einkünfte der Klägerin i. S. von § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beurteilt hat. Während des Klageverfahrens ist im Jahre 1998 über das Vermögen des Ehemannes der Klägerin das Konkursverfahren eröffnet worden. Das FA hat die im FG-Verfahren streitige Steuerforderung zur Konkurstabelle angemeldet. Die Konkursverwalterin hat die Steuerforderung im Prüfungstermin bestritten.
Die Konkursverwalterin hat im FG-Verfahren Akteneinsicht beantragt. Das FA hat die Erteilung der Zustimmung abgelehnt, weil die Akteneinsicht wegen des gegenüber der Klägerin zu wahrenden Steuergeheimnisses unzulässig sei. Die Klägerin und ihr Ehemann haben sich im FG-Verfahren zur Frage der Akteneinsicht nicht geäußert.
In einem Zwischenstreit hat das FG daraufhin durch Beschluss vom 13 K 3177/93 entschieden, der Konkursverwalterin stehe das Akteneinsichtsrecht zu. Gegen den Beschluss hat die Klägerin Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat.
Die Klägerin beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und der Konkursverwalterin kein Akteneinsichtsrecht zuzugestehen, hilfsweise, die Akteneinsicht auf die den Ehemann der Klägerin betreffenden Teile der Verfahrensakten zu beschränken und die sie betreffenden Besteuerungsgrundlagen auszunehmen.
Die Konkursverwalterin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie macht geltend, für ihre Entscheidung über die Aufnahme des durch den Konkurs unterbrochenen Prozesses müsse sie die zugrunde liegenden Sachverhalte kennen und rechtlich beurteilen können; hierzu benötige sie die unbeschränkte Akteneinsicht.
Das FA ist der Ansicht, es bestehe kein Bedürfnis, der Konkursverwalterin Akteneinsicht in die die Klägerin betreffenden Besteuerungsgrundlagen zu gewähren. Die Konkursverwalterin könne durch einen Antrag auf Aufteilung der Steuerschulden verhindern, dass die Konkursmasse wegen der Gesamtschuldnerschaft der zur Einkommensteuer zusammen veranlagten Ehegatten zur Befriedigung von Steuerschulden herangezogen werde.
Gründe
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Gegen die Entscheidung des FG über die Gewährung von Akteneinsicht ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben (§ 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -); sie gehört nicht zu den prozessleitenden Verfügungen i. S. von § 128 Abs. 2 FGO (z. B. , BFH/NV 1989, 173, m. w. N.).
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das FG hat der Konkursverwalterin zutreffend das Akteneinsichtsrecht gemäß § 78 FGO zugesprochen.
a) In dem den Ehemann der Klägerin betreffenden Klageverfahren ergibt sich das Recht der Konkursverwalterin zur Akteneinsicht vor Aufnahme des gemäß § 155 FGO i. V. m. § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochenen Prozesses aus der ab der Konkurseröffnung auf sie übergegangenen Prozessführungsbefugnis. Das Steuergeheimnis (§ 30 der Abgabenordnung - AO 1977 -) steht nicht entgegen. Über die steuerlichen Verhältnisse des Ehemannes der Klägerin als Gemeinschuldner kann die Konkursverwalterin Auskunft verlangen, da sie dessen Rechtsnachfolgerin ist (vgl. Beschluss des Senats vom IX S 5/00, m. w. N.).
b) Das Akteneinsichtsrecht der Konkursverwalterin ist auch nicht - wie das FA meint - durch die Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses der Klägerin (§ 30 AO 1977) eingeschränkt. Der Ehemann der Klägerin - an dessen Stelle die Konkursverwalterin im Rahmen der ihr zustehenden Prozessführungsbefugnis getreten ist - und die Klägerin sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute; hinsichtlich der streitigen Steuerforderung sind sie damit Gesamtschuldner i. S. von § 44 AO 1977. Unter Gesamtschuldnern hat die Wahrung des Steuergeheimnisses keine Bedeutung (, BFHE 109, 317, BStBl II 1973, 625, und vom IX R 252/84, BFH/NV 1987, 774; vgl. dazu ferner Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 30 AO 1977 Tz. 41). Das gilt auch im Falle des Konkurses, in dem das Steuergeheimnis als notwendige Folge der gesetzlichen Regelungen des Konkurs- und des Besteuerungsverfahrens ohnehin Einschränkungen unterliegt. Die durch die Zusammenveranlagung bedingte Information der Konkursverwalterin auch über Einkünfte der nicht am Konkurs beteiligten Klägerin als Ehefrau des Gemeinschuldners und eine sich daraus ergebende Beeinträchtigung des Steuergeheimnisses ist durch § 30 Abs. 4 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO 1977 gedeckt (vgl. dazu Frotscher, Steuern im Konkurs, 4. Aufl., S. 297 f.; Wagner, Zeitschrift für Insolvenzrecht 1986, 243 f.).
c) Die Konkursverwalterin ist berechtigt, den gesamten Prozessstoff einzusehen, der i. S. von § 96 i. V. m. § 78 FGO die Grundlage für die Entscheidung des FG bildet. Hierzu gehören auch die in den streitbefangenen Steuerbescheiden enthaltenen Besteuerungsgrundlagen der Klägerin. Sie unterliegen innerhalb des durch das Klagebegehren gezogenen Rahmens der Beurteilung und - bei fehlerhafter Behandlung - der Saldierung durch das FG; denn Streitgegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens ist nicht die einzelne Besteuerungsgrundlage der Steuerfestsetzung, sondern die Rechtmäßigkeit des festgesetzten Steuerbetrages (z. B. , BFH/NV 1997, 484, 488, unter B. 1., m. w. N.). Zu diesen Urteilsgrundlagen (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) muss sich die Konkursverwalterin im Rahmen ihrer durch die Eröffnung des Konkurses erlangten Prozessführungsbefugnis äußern und die dazu notwendigen Unterlagen einsehen können; dies ergibt sich aus ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. § 96 Abs. 2 FGO). Im Streitfall kommt hinzu, dass die vom FA im Konkurs geltend gemachte - streitige - Steuerforderung Einkünfte betrifft, die das FA der Klägerin zugerechnet hat. Sollten die vom FA dem FG vorgelegten Steuerakten Besteuerungsgrundlagen oder Unterlagen der Klägerin enthalten, die nicht mit den streitbefangenen Steuerbescheiden im Zusammenhang stehen, sind diese vor der Akteneinsicht zu entfernen (vgl. dazu Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 78 Anm. 3 f.).
d) Dass die Konkursverwalterin gehalten ist, ihre dabei erworbenen Kenntnisse nur im Konkurs zu verwerten, liegt auf der Hand (vgl. zur konkursrechtlichen Haftung § 82 der gemäß Art. 103 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung anwendbaren Konkursordnung).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2000 II Seite 431
BB 2000 S. 1510 Nr. 30
BB 2000 S. 1665 Nr. 33
BFH/NV 2000 S. 1303 Nr. 10
DB 2000 S. 1696 Nr. 34
DStRE 2000 S. 945 Nr. 17
UAAAA-88696