Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Mit Schreiben vom beantragten sie unter Vorlage der von ihrem Arbeitgeber, der B AG, berichtigten Lohnsteuerbescheinigungen 1990 bis 1992, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1990 bis 1992 zu ändern. Nach den Angaben in den berichtigten Lohnsteuerbescheinigungen hatte der Arbeitgeber die den Klägern gewährten Werksangehörigenrabatte beim Erwerb von Neufahrzeugen in den Lohnsteuerkarten bisher wie folgt zu hoch bescheinigt und versteuert:
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1990 | 1991 | 1992 | |||||||
DM | DM | DM | |||||||
Kläger | 807,27 | 1 332,65 | 3 896,22 | ||||||
Klägerin | 807,27 | 1 332,65 | 1 123,27 | ||||||
Der Arbeitgeber hatte bei der Ermittlung des geldwerten Vorteils nach § 8 Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Endpreis die von ihm angegebene unverbindliche Preisempfehlung zugrunde gelegt und nicht die niedrigeren Preise, zu denen er die fraglichen PKW im allgemeinen Geschäftsverkehr angeboten hatte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) lehnte die beantragte Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1990, 1991 und 1992 ab.
Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 771 veröffentlichten Gründen statt.
Dagegen richtet sich die Revision des FA, mit der es die Verletzung des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) rügt.
Das FA beantragt, das aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Für die Beurteilung der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache sei nach den Ausführungen des Großen Senats im Beschluss vom GrS 1/86 (BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180) nur auf die höchstrichterliche Rechtsprechung und bindende Verwaltungsanweisungen abzustellen. Die damalige Verwaltungspraxis des FA bei der Besteuerung der geldwerten Vorteile aus der Gewährung von Werksangehörigenrabatten beim Kauf von Neufahrzeugen sei deshalb unbeachtlich. Jedenfalls trage das FA die Feststellungslast, wenn es geltend mache, dass es nach der damaligen Verwaltungspraxis auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen keine niedrigere Steuer festgesetzt hätte.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Vorentscheidung verletzt § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen führen jedoch nur dann zu einer niedrigeren Steuer i.S. des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, wenn das FA bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer anderen Steuer gelangt wäre (Beschluss des Großen Senats in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter II. am Anfang).
Demgegenüber hat das FG die Auffassung vertreten, nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 sei bereits deshalb eine Änderung zugunsten der Kläger vorzunehmen, weil die Möglichkeit einer niedrigeren Steuerfestsetzung zumindest nicht ganz ausgeschlossen erscheine. Deshalb war die Vorentscheidung aufzuheben.
2. Die Sache ist spruchreif.
Die Klage wird abgewiesen. Die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen sind nicht rechtserheblich. Das FA hätte bei rechtzeitiger Kenntnis der erst nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen keine niedrigere Steuer festgesetzt.
a) Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen einen Sachverhalt im ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach damaliger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausgelegt wurde, und der die FÄ bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das FA gegolten haben. Maßgebend ist dabei grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Willensbildung des FA über die Steuerfestsetzung abgeschlossen wird, d.h. im Normalfall der Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens (bei EDV-mäßiger Abwicklung der Steuerfestsetzung) oder der Verfügung zum Steuerbescheid (, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1047; von Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 173 AO Rz. 47, m.w.N.).
b) Im Streitfall hätte das FA bei den Veranlagungen 1990, 1991 und 1992 auch bei rechtzeitiger Kenntnis nicht den Umstand berücksichtigt, dass der Arbeitgeber der Kläger die fraglichen PKW im allgemeinen Geschäftsverkehr zu einem niedrigeren Preis, als dem der unverbindlichen Preisempfehlung, angeboten hat. Nach dem Urteil des Senats vom VI R 95/92 (BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687) ist zwar angebotener Endpreis i.S. des § 8 Abs. 3 EStG grundsätzlich der nach der Preisangabenverordnung ausgewiesene Preis, sofern nicht davon auszugehen ist, dass nach den Gepflogenheiten im allgemeinen Geschäftsverkehr tatsächlich ein niedrigerer Preis gefordert wird. Im Streitfall erfolgte die abschließende Zeichnung der Eingabewertbögen zu den Einkommensteuerbescheiden 1990, 1991 und 1992 jedoch jeweils vor der Veröffentlichung des BFH-Urteils in BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687 in der Ausgabe Nr. 15 des BStBl 1993, das am ausgegeben wurde.
c) Bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen hätte das FA bei der Ermittlung des geldwerten Vorteils i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG somit jeweils Abschn. 32 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1990 angewendet. Satz 1 bestimmt, dass der steuerlichen Bewertung der Sachbezüge die Endpreise zugrunde zu legen sind, zu denen der Arbeitgeber die Waren fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr anbietet. Nach Satz 2 sind dies im Einzelhandel die Preise, mit denen die Waren ausgezeichnet werden. Gemäß den das FA bindenden LStR hätte es deshalb im Streitfall bei der Ermittlung des geldwerten Vorteils auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen jeweils die unverbindliche Preisempfehlung —als der Preis, mit dem die PKW ausgezeichnet sind— zugrunde gelegt und nicht den im allgemeinen Geschäftsverkehr tatsächlich geforderten niedrigeren Preis.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1527 Nr. 12
DStRE 2001 S. 1017 Nr. 19
FAAAA-88007