BGH Beschluss v. - VII ZR 99/21

Aussetzung des Revisionsverfahren bei Anschluss an eine Musterfeststellungsklage vor einem Oberlandesgericht

Leitsatz

Der Bundesgerichtshof ist nicht Gericht im Sinne des § 613 Abs. 2 ZPO (Fortführung von Rn. 12, NJW 2014, 3362).

Gesetze: § 613 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Az: VII ZR 99/21 Beschlussvorgehend Az: 12 U 406/20vorgehend Az: 1 O 285/19nachgehend Az: VII ZR 99/21 Beschluss

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im April 2014 als Gebrauchtwagen von der Beklagten erworbenen und von ihr hergestellten Fahrzeugs Mercedes Benz GLK 220 CDI 4MATIC in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Euro 5) ausgestattet und unterfiel einem Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA).

2Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen.

3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

4Mit Beschluss vom hat der Senat den Kläger darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, die Revision durch Beschluss gemäß § 552a ZPO auf seine Kosten zurückzuweisen.

5Mit Schriftsatz vom hat der Kläger beantragt, den Rechtsstreit nach § 613 Abs. 2 ZPO auszusetzen, nachdem er sich der vor dem Oberlandesgericht Stuttgart anhängigen, gegen die Beklagte gerichteten Musterfeststellungsklage (Az. 16a MK 1/21) angeschlossen hat.

II.

6Der Antrag auf Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 613 Abs. 2 ZPO wird abgelehnt.

7Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens nach § 613 Abs. 2 ZPO zu dem Zweck, die Klärung tatsächlicher und rechtlicher Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnisse im Musterfeststellungsklageverfahren abzuwarten, kommt im Revisions- wie im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht in Betracht. Der Bundesgerichtshof ist nicht Gericht im Sinne des § 613 Abs. 2 ZPO.

81. Die Zulassung von Rechtsfragen als Gegenstand des Musterfeststellungsklageverfahrens dient dem Ziel, eine höchstrichterliche Klärung solcher Fragen, die eine Vielzahl von Einzelfällen betreffen, herbeizuführen. Diesem Ziel liefe es zuwider, wenn der zur Klärung grundsätzlicher Fragen zuvörderst berufene (§ 543 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 2 ZPO) Bundesgerichtshof verpflichtet wäre, Individualverfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Oberlandesgerichts im Musterfeststellungsklageverfahren abzuwarten ( Rn. 12, NJW 2014, 3362 zu § 8 Abs. 1 KapMuG; Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl., § 8 Rn. 8; a.A. Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 613 Rn. 25; Vollkommer, EWiR 2020, 319, 320). Der Senat schließt sich den Ausführungen der zitierten Entscheidung des XI. Zivilsenats zu § 8 Abs. 1 KapMuG an; diese sind auf § 613 Abs. 2 ZPO übertragbar (vgl. MünchKommZPO/Menges, 6. Aufl., § 613 Rn. 5).

92. Soweit auch für das Individualverfahren erhebliche Tatsachen Gegenstand der Musterfeststellungsklage sind, können diesbezügliche Feststellungen im Musterfeststellungsurteil für das bereits im Revisionsrechtszug anhängige Individualverfahren nach allgemeinen revisionsrechtlichen Grundsätzen keine Berücksichtigung mehr finden. Nach § 545 Abs. 1 ZPO ist das Revisionsgericht auf die Überprüfung der Rechtsanwendung beschränkt und dabei gemäß § 559 Abs. 1 ZPO an die Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden. Eine geänderte Tatsachengrundlage kann daher im Revisionsverfahren der rechtlichen Bewertung grundsätzlich nicht mehr zugrunde gelegt werden (vgl. Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl., § 8 Rn. 7).

103. Eine Aussetzung des Verfahrens noch in der Revisionsinstanz liefe insbesondere dem mit der Einführung der Musterfeststellungsklage verfolgten gesetzgeberischen Zweck zuwider.

11a) Durch die Musterfeststellungsklage soll Verbrauchern ein effektives Mittel der Rechtsdurchsetzung an die Hand gegeben werden, die ohne dieses auf die individuelle Rechtsdurchsetzung verzichten würden (BT-Drucks. 19/2439, S. 2, 14 ff., 19). Die Musterfeststellungsklage soll dabei der zügigen Klärung von Tatsachen- und Rechtsfragen dienen und gerade hierdurch zu diesem effektiven Mittel werden (BT-Drucks. 19/2439, S. 17, 19).

12b) Dieser den gesetzgeberischen Willen prägende Effektivitätsgrundsatz würde verletzt, wenn ein bereits bis in die Revisionsinstanz vorgedrungenes Individualverfahren nach § 613 Abs. 2 ZPO ausgesetzt werden müsste, um ein erst neu beginnendes Musterfeststellungsklageverfahren vor einem Oberlandesgericht und ein sich etwaig anschließendes, gemäß § 614 ZPO stets zulässiges Revisionsverfahren abzuwarten.

13c) Dass demgegenüber noch nach Schluss der mündlichen Verhandlung ein im Berufungsrechtszug anhängiger Individualrechtsstreit nach Anmeldung der Klagepartei zur Musterfeststellungsklage auszusetzen ist (vgl. , NJW 2020, 1973), gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Vor Beendigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz rechtfertigt die grundsätzliche Vorrangigkeit des Musterfeststellungsklageverfahrens zur endgültigen Klärung von Rechtsfragen im Vergleich zum Individualverfahren die Aussetzung ( Rn. 19, NJW 2020, 1973), da das Berufungsgericht anders als der Bundesgerichtshof diese im Individualverfahren nicht herbeiführen kann.

III.

14Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers ist gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und das Rechtsmittel auch keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 552a Satz 1 ZPO). Der Senat nimmt auf die Gründe des Beschlusses vom Bezug, zu denen der Kläger nicht mehr Stellung genommen hat.

IV.

15Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:200422BVIIZR99.21.0

Fundstelle(n):
BB 2022 S. 1423 Nr. 25
NJW-RR 2022 S. 927 Nr. 13
WM 2022 S. 1858 Nr. 38
GAAAI-62877