Urheberrechtliche Vergütung: Indizwirkung der gesamtvertraglichen Regelung für die Angemessenheit der Vergütung gegenüber Außenseitern
Gesetze: § 54 Abs 1 UrhG, § 54a UrhG
Instanzenzug: Az: 6 Sch 44/18 WG Urteil
Gründe
1I. Die Klägerin ist ein Zusammenschluss deutscher Verwertungsgesellschaften, die urheberrechtliche Vergütungsansprüche nach § 54 UrhG für die Vervielfältigung von Audiowerken und audiovisuellen Werken geltend machen können. Die VG WORT und die VG BILD-KUNST haben ihre Vergütungsansprüche nach §§ 54 ff. UrhG wegen der Vervielfältigung von stehendem Text und Bild, also Text- und/oder Bildwerken, die nicht Bestandteil von Audiowerken oder audiovisuellen Werken sind, an die Klägerin abgetreten.
2Die Beklagte importiert Haushalts- und Elektronikgeräte und hat nach ihren Angaben jedenfalls in der Zeit von 2014 bis 2016 Tablets im Inland vertrieben.
3Die Klägerin macht gegen die Beklagte wegen des Inverkehrbringens von Tablets in der Zeit vom bis zum Vergütungsansprüche nach §§ 54, 54a UrhG geltend.
4Die Klägerin, die VG WORT und die VG BILD-KUNST haben am mit dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) einen "Gesamtvertrag zur Regelung der urheberrechtlichen Vergütungspflicht gemäß §§ 54 ff. UrhG für Tablets für die Zeit ab dem " abgeschlossen und die darin vereinbarten Vergütungssätze nach § 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UrhG als Tarif im Bundesanzeiger vom veröffentlicht. Nach dem Tarif sind für Verbraucher-Tablets im Sinne von Abschnitt 4 des Tarifs von 2010 an progredierende Beträge zu entrichten, zuletzt 7,4375 € für jedes im Jahr 2014 und 8,75 € für jedes ab dem in Verkehr gebrachte Gerät (jeweils zuzüglich gesetzlicher Umsatzsteuer). Für Business-Tablets im Sinne von Abschnitt 4 des Tarifs sind niedrigere Vergütungssätze vorgesehen. Die Beklagte ist nicht Mitglied des Bitkom und sie ist dem Gesamtvertrag nicht beigetreten.
5Die Beklagte hat der Klägerin Auskunft darüber erteilt, in den Jahren 2011 bis 2013 keine Tablets, im Jahr 2014 4.320 Verbraucher-Tablets und im Jahr 2015 1.000 Verbraucher-Tablets in Verkehr gebracht zu haben.
6Im Jahr 2016 hat die Klägerin wegen der Vergütungspflicht der von der Beklagten in Verkehr gebrachten Tablets ein Schiedsstellenverfahren eingeleitet. Nach dem Einigungsvorschlag vom , gegen den die Klägerin fristgerecht Widerspruch eingelegt hat, fallen auf jedes im Inland in Verkehr gebrachten Verbraucher-Tablet umsatzsteuerfreie 4 € an.
7Die Beklagte hat am eine Teilzahlung von 21.280 € geleistet.
8Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 60.480 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 81.760 € seit dem bis zum sowie aus 60.480 € seit dem zu zahlen.
9Das Oberlandesgericht hat dem Zahlungsantrag hinsichtlich der Hauptforderung vollständig und hinsichtlich der Zinsen teilweise stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Anschlussrevision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, ihre Zinsforderung weiter.
10II. Der Senat beabsichtigt, die zugelassene Revision der Beklagten durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht mehr vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat.
111. Die Revision ist zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die klärungsbedürftige Frage von grundsätzlicher Bedeutung, die sich dem Oberlandesgericht im vorliegenden Fall gestellt hat, ist durch die Rechtsprechung des Senats geklärt.
12a) Das Oberlandesgericht hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob und inwieweit gesamtvertragliche Regelungen zwischen der Klägerin und Nutzerverbänden Indizwirkung für die Angemessenheit der dort vereinbarten Vergütungssätze im Sinne des § 54a UrhG auch im Verhältnis zu gesamtvertraglich nicht gebundenen Außenseitern entfalten.
13b) Die vom Oberlandesgericht als klärungsbedürftig angesehene Rechtsfrage ist durch die Rechtsprechung des Senats geklärt.
14Die Festsetzung einer Vergütung in einem Gesamtvertrag kann einen gewichtigen Anhaltspunkt für die Angemessenheit dieser Vergütung bieten. Dies gilt insbesondere, wenn diese Verträge zwischen den Parteien oder unter Beteiligung einer der Parteien geschlossen worden sind (st. Rspr.; vgl. nur , GRUR 2013, 1220 Rn. 20 = WRP 2013, 1627 - Gesamtvertrag Hochschul-Intranet; Urteil vom - I ZR 36/15, GRUR 2017, 694 Rn. 58 = WRP 2017, 826 - Gesamtvertrag PCs; Urteil vom - I ZR 66/19, GRUR 2021, 604 Rn. 20 bis 22 = WRP 2021, 644 - Gesamtvertragsnachlass). Damit ist geklärt, dass die indizielle Wirkung von Gesamtverträgen auch gegenüber Vergütungsschuldnern eingreifen kann, die durch den Gesamtvertrag nicht berechtigt und verpflichtet werden (BGH, GRUR 2021, 604 Rn. 22 - Gesamtvertragsnachlass). Die Annahme der indiziellen Wirkung vereinbarter Gesamtverträge knüpft an den Umstand an, dass ein im Wege privatautonomer Verhandlungen zwischen sachkundigen Verhandlungspartnern erzieltes Vertragsergebnis ein angemessenes Abbild des den Urheberrechtsinhabern durch die in § 53 Abs. 1 bis 3 UrhG aF genannten Nutzungen tatsächlich entstehenden Schadens darstellt (vgl. BGH, GRUR 2021, 604 Rn. 22 - Gesamtvertragsnachlass). Dies gilt auch mit Blick auf Vergütungsschuldner, die durch den Gesamtvertrag nicht berechtigt oder verpflichtet werden.
15c) Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen daher zwar im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts vor, sind jedoch aufgrund der "Gesamtvertragsnachlass"-Entscheidung des Senats vom zwischenzeitlich entfallen. Dieser Fall wird vom Regelungsbereich des § 552a ZPO erfasst. Maßgeblich für die Beurteilung nach § 552a ZPO, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision vorliegen, ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts (vgl. , GRUR 2005, 448 Rn. 7 = WRP 2005, 508 - SIM-Lock II).
162. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
17a) Die Revision wendet sich nicht gegen das Bestehen der Vergütungspflicht der Beklagten gemäß §§ 54 ff. UrhG für die von ihr in Verkehr gebrachten Tablets dem Grunde nach. Insoweit wäre die Revision auch unzulässig, weil das Oberlandesgericht die Revision nur beschränkt auf die Höhe des Vergütungsanspruchs zugelassen hat.
18Zwar enthält der Entscheidungssatz des angegriffenen Urteils keine Beschränkung der Revisionszulassung. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jedoch anerkannt, dass sich eine Eingrenzung der Zulassung der Revision auch aus den Entscheidungsgründen ergeben kann. Die bloße Angabe des Grundes für die Zulassung der Revision reicht grundsätzlich nicht, um von einer nur beschränkten Zulassung des Rechtsmittels auszugehen. Von einer beschränkten Zulassung der Revision ist aber auszugehen, wenn die Zulassung wegen einer bestimmten Rechtsfrage ausgesprochen wird, die lediglich für die Entscheidung über einen selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs erheblich sein kann (st. Rspr.; vgl. nur , GRUR 2019, 522 Rn. 9 = WRP 2019, 749 - SAM; Beschluss vom - I ZR 91/18, MD 2019, 915 [juris Rn. 3], jeweils mwN).
19Ein solcher Fall liegt hier vor. Die vom Oberlandesgericht in den Entscheidungsgründen als klärungsbedürftig angesehene Frage, ob und inwieweit gesamtvertragliche Regelungen zwischen der Klägerin und Nutzerverbänden Indizwirkung für die Angemessenheit der dort vereinbarten Vergütungssätze auch gegenüber Außenseitern entfalten, betrifft allein die Höhe der im Streitfall geltend gemachten Vergütungsansprüche gemäß §§ 54 ff. UrhG.
20b) Soweit sich die Revision gegen die vom Oberlandesgericht zugesprochene Vergütungshöhe wendet, ist sie unbegründet.
21aa) Nach § 54a Abs. 1 Satz 1 UrhG ist maßgebend für die Vergütungshöhe, in welchem Maß die Geräte und Speichermedien als Typen tatsächlich für Vervielfältigungen nach § 53 Abs. 1 bis 3 UrhG genutzt werden. Dabei ist nach § 54a Abs. 1 Satz 2 UrhG zu berücksichtigen, inwieweit technische Schutzmaßnahmen nach § 95a UrhG auf die betreffenden Werke angewendet werden. Nach § 54a Abs. 4 UrhG darf die Vergütung Hersteller von Geräten und Speichermedien nicht unzumutbar beeinträchtigen; sie muss in einem wirtschaftlich angemessenen Verhältnis zum Preisniveau des Geräts oder des Speichermediums stehen.
22bb) Das Oberlandesgericht hat zur Bemessung der angemessenen Vergütung maßgeblich auf den von der Klägerin und der VG WORT sowie der VG BILD-KUNST mit Bitkom abgeschlossenen Gesamtvertrag über die Vergütungspflicht für Tablets ab dem abgestellt. Das lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Die Festsetzung einer Vergütung in einem Gesamtvertrag kann einen gewichtigen Anhaltspunkt für die Angemessenheit dieser Vergütung bieten. Dies gilt insbesondere, wenn diese Verträge zwischen den Parteien oder unter Beteiligung einer der Parteien geschlossen worden sind (vgl. BGH, GRUR 2013, 1220 Rn. 20 - Gesamtvertrag Hochschul-Intranet; GRUR 2017, 694 Rn. 58 - Gesamtvertrag PCs; GRUR 2021, 604 Rn. 20 bis 22 - Gesamtvertragsnachlass). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
23(1) Der vom Oberlandesgericht indiziell herangezogene Gesamtvertrag betrifft zeitlich und gegenständlich die auch im Streitfall betroffenen Produkte. Er stellt daher eine vergleichbare Regelung dar.
24(2) Das Oberlandesgericht hat eine Indizwirkung des Gesamtvertrags mit Blick darauf zutreffend bejaht, dass er unter Beteiligung einer der Parteien des vorliegenden Rechtsstreits - der Klägerin - abgeschlossen worden ist. Es ist - entgegen der Ansicht der Revision - für die Annahme einer Indizwirkung unschädlich, dass die Beklagte an diesem Vertragsschluss nicht beteiligt ist.
25(3) Entgegen der Ansicht der Revision kann die Indizwirkung des vom Oberlandesgericht herangezogenen Gesamtvertrags nicht mit dem Argument verneint werden, der Gesamtvertrag trage nicht der gesetzlichen Vorgabe des § 54a UrhG Rechnung.
26Zwar trifft es zu, dass die Schiedsstelle in ihrem Einigungsvorschlag ausgeführt hat, die im Gesamtvertrag vorgesehene Vergütungshöhe sei nicht angemessen, es sei vielmehr auf die nach dem Berechnungsmodell der Schiedsstelle sich ergebende Vergütungshöhe abzustellen. Das Oberlandesgericht hat sich diese Sichtweise allerdings nicht zu eigen gemacht, sondern ausgeführt, dass die im Gesamtvertrag vorgesehene Vergütungshöhe deshalb angemessen sei, weil darin die widerstreitenden Belange der Urheber einerseits und der Nutzer andererseits ebenso Eingang gefunden hätten wie das empirisch (mittels der von der Schiedsstelle veranlassten sogenannten TNS-Studie 2015) ermittelte Nutzerverhalten. Damit ist das Oberlandesgericht insbesondere der Auffassung der Schiedsstelle entgegengetreten, nur die von der Schiedsstelle so bezeichnete konkrete Berechnungsmethode entspreche der Vorgabe des § 54a UrhG. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, weil das Oberlandesgericht dem Einigungsvorschlag der Schiedsstelle mit nachvollziehbarer Begründung eine Indizwirkung abgesprochen hat (vgl. BGH, GRUR 2013, 1220 Rn. 19 bis 21 - Gesamtvertrag Hochschul-Intranet; GRUR 2017, 694 Rn. 58 - Gesamtvertrag PCs; GRUR 2021, 604 Rn. 22 - Gesamtvertragsnachlass).
27(4) Soweit das Oberlandesgericht ausgeführt hat, eine Unangemessenheit der tariflichen Vergütung habe auch das Deutsche Patent- und Markenamt, dem der Tarif als Aufsichtsbehörde vorgelegen habe, nicht konstatieren können, kommt darin - entgegen der Auffassung der Revision - kein Rechtsfehler zum Ausdruck. Selbst wenn - wie die Revision geltend macht - die Angemessenheitskontrolle der Aufsichtsbehörde auf Fälle grober Unangemessenheit beschränkt ist, ist es insbesondere nicht denkgesetz- oder erfahrungswidrig, bei der Bestimmung der angemessenen Vergütungshöhe im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung auch auf die fehlende Beanstandung eines Tarifs durch die Aufsichtsbehörde Bezug zu nehmen.
28(5) Das Oberlandesgericht ist - entgegen der Auffassung der Revision - nicht von einer unzutreffenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ausgegangen.
29Das Oberlandesgericht hat angenommen, die Beklagte habe ihrer Darlegungs- und Beweislast für die Unangemessenheit des von der Klägerin geltend gemachten Tarifs nicht genügt, weil sie nicht dargelegt habe, dass und inwiefern einzelne Gesichtspunkte, die für die Bewertung des den Urhebern durch die Ermöglichung rechtmäßiger Privatkopien entstehenden Nachteils von Bedeutung seien, in der vereinbarten Vergütungshöhe keinen Niederschlag gefunden hätten. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Oberlandesgericht ist erkennbar davon ausgegangen, dass die Klägerin der ihr obliegenden Darlegungs- und Beweislast für die Angemessenheit der geltend gemachten Vergütungshöhe durch die Bezugnahme auf den Gesamtvertrag genügt hat. In einem solchen Fall trifft die Beklagtenseite die Darlegungs- und Beweislast für Umstände, die für die Unangemessenheit der Vergütungshöhe sprechen (vgl. BGH, GRUR 2021, 604 Rn. 24 - Gesamtvertragsnachlass).
30(6) Das Oberlandesgericht hat die Darlegungen der Beklagten zur Unangemessenheit der Vergütungshöhe rechtsfehlerfrei als unsubstantiiert und daher unbeachtlich angesehen. Die Revision vermag insoweit lediglich auf den mit dem Angebot eines Sachverständigenbeweises unterlegten Vortrag der Beklagten zu verweisen, es fehle an einer zutreffenden Berechnung für die Vergütungssätze, durch welche eine sinnvolle Preisfindung im Wege der Lizenzanalogie erfolgen könne. Diesem pauschalen Vortrag musste das Oberlandesgericht nicht nachgehen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:041121BIZR138.20.0
Fundstelle(n):
DAAAI-61773