Haftungsinanspruchnahme der Geschäftsführerin einer spanischen S.L. für deutsche Umsatz- und Körperschaftsteuerschulden der
S.L. bei erfolglosem Bestreiten einer Betriebsstätte bzw. einer Steuerpflicht der S.L. im Inland, tatsächlich auch in Spanien
bestehender Körperschaftsteuerpflicht und unterlassener Klärung der streitigen Steuerpflicht durch unterlassene Beauftragung
z. B. eines fachkundigen Steuerberaters
Leitsatz
1. Da eine spanische „Sociedad (de Responsabilidad) Limitada” (S.L.) nach dem in Deutschland geltenden sogenannten Rechtstypenvergleich
mit einer deutschen GmbH vergleichbar ist, haftet ihre alleinige Geschäftsführerin nach § 69 AO in Verbindung mit § 34 Abs.
1 AO, wenn sie Körperschaft- und Umsatzsteuererklärungen für die sowohl in Spanien als auch in Deutschland steuerpflichtige
S.L. pflichtwidrig vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht (zeitnah) abgegeben hat.
2. Es ist von einer mindestens bedingt vorsätzlichen (dolus eventualis) Verletzung der Pflicht zur fristgemäßen Abgabe der
Körperschaftsteuererklärung bzw. von Umsatzsteuererklärungen in Deutschland auszugehen, wenn der Geschäftsführerin und damals
alleinigen Anteilseignerin der S.L. aufgrund einer Parallelwertung in der Laienspäre die für eine inländische Körperschaft-
bzw. Umsatzsteuerpflicht maßgeblichen Umstände (u. a. Erbringung von umsatzsteuerbaren Vermittlungsleistungen durch die S.L.
in Deutschland; Geschäftsleitungs-Betriebsstätte sowie feste Geschäftseinrichtung als Betriebsstätte in Deutschland; Erzielung
von in Deutschland steuerpflichtigen Beteiligungseinkünften) bekannt waren und sie es trotz gebotenen Anlasses (Steuerfahndungsprüfung)
gleichwohl zu keinem Zeitpunkt für erforderlich gehalten hat, zur Frage einer deutschen Steuerpflicht eine belastbare Aussage
eines mit dem deutschen Steuerrecht vertrauten Rechtsanwalts oder Steuerberaters einzuholen, sondern im Gegenteil gegenüber
den Finanzbehörden und auch dem Finanzgericht bewusst wiederholt den unrichtigen Eindruck erwecken bzw. aufrecht erhalten
wollte, es fehle an einer inländischen Betriebsstätte.
3. Mit ihrer zumindest bedingt vorsätzlichen Nichtabgabe der Körperschaft- bzw. Umsatzsteuererklärungen hat die Geschäftsführerin
zugleich sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht eine Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 AO begangen und
damit zugleich auch den Haftungstatbestand des § 71 AO verwirklicht. Insoweit ist unbeachtlich, dass zwar die S.L. nach spanischem
Steuerrecht schon allein aufgrund ihres dortigen Satzungssitzes ebenfalls unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig gewesen
ist,wenn jedoch trotz gerichtlicher Aufforderung kein Nachweis über die tatsächliche Entrichtung von Körperschaftsteuer in
Spanien für das Streitjahr erbracht worden ist.
4. Es besteht kein Anlass für eine Herabsetzung der haftungsrelevanten Säumniszuschläge wegen Insolvenzreife der Gesellschaft,
wenn bis heute von keinem einzigen Gläubiger der S.L. in Spanien oder in Deutschland jemals ein Insolvenzantrag gestellt worden
ist.
5. Der bei der Haftung des gesetzlichen Vertreters einer Kapitalgesellschaft für Betriebssteuern sowie steuerliche Nebenleistungen
zu beachtende Grundsatz der „anteiligen Tilgungsquote” kann nicht zugunsten der Geschäftsführerin berücksichtigt werden, wenn
die hierzu erforderlichen hinreichend validen Tatsachenfeststellungen aufgrund der fehlenden Mitwirkung der Geschäftsführerin
nicht getroffen werden können.
6. Es ist stets ermessensgerecht, den Täter von mehrfachen Steuerhinterziehungen persönlich in Haftung zu nehmen, auch wenn
die Haftungsinanspruchnahme nicht auf § 71 AO, sondern auf eine andere Haftungsvorschrift wie z. B. § 42d Abs. 1 EStG oder
auf § 69 AO gestützt wird (sog. Vorprägung des Ermessens).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n): DStRE 2023 S. 954 Nr. 15 GAAAI-61720
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