Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Prüfung hinreichender Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs
Gesetze: § 64 S 2 StGB, § 67d Abs 1 S 1 StGB, § 67d Abs 1 S 3 StGB
Instanzenzug: LG Bochum Az: 7 Ks 2/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu der Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafkammer bei der Bestimmung der Erfolgsaussicht gemäß § 64 Satz 2 StGB von einem unrichtigen Maßstab ausgegangen ist.
3a) Gemäß § 64 Satz 2 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Verurteilten innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf den Hang zurückgehen. Sofern sich dies nicht von selbst versteht, ist es dazu erforderlich, unter Berücksichtigung der Art und des Stadiums der Sucht sowie bereits eingetretener physischer und psychischer Veränderungen und Schädigungen in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Angeklagten konkrete Anhaltspunkte zu benennen, die dafür sprechen, dass es innerhalb eines zumindest „erheblichen“ Zeitraums nicht (mehr) zu einem Rückfall kommen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 147/19 Rn. 3 und vom ‒ 4 StR 54/18 Rn. 17). Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung vermag die Prognose eines hinreichend konkreten Therapieerfolgs nicht zu stützen (vgl. ‒ 1 StR 51/18 Rn. 14 mwN). Notwendig, aber auch ausreichend ist eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs; einer sicheren oder unbedingten Gewähr bedarf es nicht (vgl. BT-Drucks. 16/1110, 13).
4b) Diesen Maßstab hat die Strafkammer ihrer Entscheidung rechtsfehlerhaft nicht zugrunde gelegt. Das Landgericht hat sich lediglich den Erwägungen der Sachverständigen angeschlossen, es sei nicht auszuschließen, dass bei dem Angeklagten ein Problembewusstsein für seine Suchtproblematik durch psychoedukative Maßnahmen geweckt und er dadurch zumindest eine längere Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt werden könne (UA 52). Damit ist die für die Anordnung erforderliche begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs nicht belegt (vgl. Rn. 19). Vielmehr hat die Strafkammer entgegen § 64 Satz 2 StGB schon eine nicht von vornherein bestehende Aussichtslosigkeit eines Therapieerfolges ausreichen lassen.
5c) Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der Unterbringung entzieht zugleich der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe die Grundlage.
6Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten einer Maßregel nach § 64 StGB wird das neue Tatgericht im Rahmen einer Gesamtabwägung auch die prognoseungünstigen Umstände zu bedenken haben (vgl. Rn. 15 mwN). Hierzu zählen über die fehlende Einsicht in die Suchtproblematik hinaus der langjährige Drogenkonsum des berufslosen Angeklagten und seine psychiatrische Vorgeschichte mit diversen stationären Behandlungen, wobei er wegen mehrerer Verstöße gegen das Stationssetting auch disziplinarisch entlassen wurde.
72. Im Übrigen weist das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:231121B4STR289.21.0
Fundstelle(n):
DAAAI-61439