Strafzumessungserwägungen: Einordnung einer dissozialen Persönlichkeitsstörung als schwere andere seelische Störung
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 46 StGB
Instanzenzug: LG München I Az: 19 KLs 257 Js 217947/19
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 500 € angeordnet. Die gegen seine Verurteilung mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Die Strafzumessung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen einem Angeklagten Anlass, Tatmotive oder -modalitäten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie ihm in vollem Umfang vorwerfbar sind, nicht aber, wenn hierfür eine von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretende geistig-seelische Beeinträchtigung ursächlich ist (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 145/20 Rn. 7; vom – 4 StR 103/18 Rn. 2; vom – 3 StR 541/14 Rn. 16 und vom – 5 StR 69/14 Rn. 6; je mwN). Gleiches gilt für das Nachtatverhalten ( Rn. 7).
4b) Bei der Strafzumessung würdigt das Landgericht als straferschwerend, der Angeklagte habe "durch die Vielzahl seiner erheblichen und umfangreichen Vorstrafen – die zum großen Teil längere Freiheitsstrafen darstellen und einschlägiger Natur sind – und auch [durch] sein Nachtatverhalten eindrücklich gezeigt, dass die gegen ihn verhängten Strafen bislang keinerlei Wirkung hatten, er nach der jeweiligen Haftentlassung nie das ernsthafte Bestreben hatte, ein geordnetes, verantwortungsvolles, straffreies Leben zu führen, sondern – unbeeindruckt von der jahrelangen Haft – erneut einschlägige Delikte beging" (UA S. 50). Diese Erwägung lässt sich indes nicht mit der landgerichtlichen Wertung vereinbaren, die dissoziale Persönlichkeitsstörung des Angeklagten (ICD 10 F 60.2), die sich unter anderem darin zeige, dass er "unwillig (sei), aus negativer Erfahrung – insbesondere aus Bestrafung – zu lernen" (UA S. 43), erreiche grundsätzlich den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB (UA S. 43 f.); sollte dies zutreffen, wäre zu erörtern gewesen, warum dem Angeklagten trotz eines solchen Zustands sowohl die Vorstrafen als auch die nach der verfahrensgegenständlichen Tat begangenen Eigentumsdelikte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in vollem Umfang vorgeworfen werden dürfen.
52. Der Senat hebt den Strafausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem nunmehr zur Strafzumessung berufenen Tatgericht eine widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen.
6Es wird, naheliegender Weise unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen, vor allem zu prüfen sein, ob die bislang diagnostizierte Persönlichkeitsstörung tatsächlich das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB erfüllt. Der Täter muss aufgrund der Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt haben (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 305/21 Rn. 11 mwN und vom – 3 StR 350/20 Rn. 17 f.). Für eine solche Annahme bedarf es einer Gesamtschau, ob die Persönlichkeitsstörung Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen; der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit sind entscheidend (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 562/19 Rn. 23; vom – 1 StR 402/15 Rn. 12 und vom – 4 StR 498/14 Rn. 6; Urteile vom – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f. und vom – 2 StR 530/18 Rn. 14; je mwN). Die hier diagnostizierte dissoziale Persönlichkeitsstörung ist eher unspezifisch (vgl. Rn. 6 mwN); die bloße Angabe einer Diagnose im Sinne eines der Klassifikationsmerkmale ICD-10 genügt jedenfalls nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 352 und vom – 3 StR 160/99 Rn. 7, BGHR StGB § 63 Zustand 34). Die Charakter- und Verhaltensauffälligkeiten müssen Besonderheiten erkennen lassen, die sich nicht mehr "normalpsychologisch" und nicht mit der Dissozialität erklären lassen, die der (mehrfachen) Begehung von schweren Straftaten immanent ist (vgl. Rn. 14 mwN).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:110122B1STR447.21.0
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 1967 Nr. 13
LAAAI-61231