Wohnungseigentum: Erstattungsanspruch des Wohnungseigentümers gegen die anderen Eigentümer bei Tilgung von Verbindlichkeiten der Wohnungseigentümergemeinschaft
Leitsatz
Ein Wohnungseigentümer, der Verbindlichkeiten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer getilgt hat, kann von den anderen Eigentümern auch dann keine unmittelbare (anteilige) Erstattung seiner Aufwendungen verlangen, wenn er später aus der Gemeinschaft ausgeschieden ist; das gilt auch bei einer zerstrittenen Zweiergemeinschaft (Fortführung von Senat, Urteil vom - V ZR 288/19, NZM 2021, 146).
Gesetze: § 9a Abs 4 S 1 WoEigG vom , § 10 Abs 8 S 1 WoEigG vom
Instanzenzug: Az: 5 S 25/20vorgehend Az: 42 C 84/19 (10)
Tatbestand
1Die Parteien bildeten eine seit längerem zerstrittene, aus zwei Einheiten bestehende Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Seit dem Jahr 2018 war kein Verwalter mehr bestellt. Beide Parteien tilgten Verbindlichkeiten der Gemeinschaft und verlangten wechselseitig die Erstattung der jeweils verauslagten Kosten in Höhe des Miteigentumsanteils des anderen. Der Beklagte veräußerte seine Einheit im Jahr 2019.
2Der Kläger hat von dem Beklagten Zahlung von 7.068,49 € verlangt. Das Amtsgericht hat der Klage unter teilweiser Berücksichtigung wechselseitig zur Aufrechnung gestellter Ansprüche in Höhe von 2.641,10 € stattgegeben. Die auf Zahlung weiterer 4.138,12 € nebst Rechtshängigkeitszinsen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landgericht in der Hauptsache abgewiesen; zuerkannt hat es einen Teil der Zinsen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger den aufgrund der Aufrechnung des Beklagten abgewiesenen Teil seiner Klage in Höhe von 4.138,12 € nebst Zinsen weiter.
Gründe
I.
3Das Berufungsgericht bejaht einen unmittelbaren, aufrechenbaren Ausgleichsanspruch des Beklagten gegen den Kläger nach § 9a Abs. 4 WEG. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs finde die Vorschrift zwar auch bei einer zerstrittenen Zweiergemeinschaft keine Anwendung auf Sozialverbindlichkeiten, weil sonst die vorrangige Beschlussfassung der Gemeinschaft über die Kostenabrechnung umgangen würde. Von diesem Grundsatz sei aber eine Ausnahme zu machen, wenn der Anspruchsteller aus der Gemeinschaft ausgeschieden sei. Der ausgeschiedene Wohnungseigentümer könne weder auf Beschlussfassungen der Gemeinschaft Einfluss nehmen noch über die Beschlussersetzungsklage ihre Ausstattung mit den zur Erfüllung der Ausgleichsforderung erforderlichen finanziellen Mitteln erreichen. Seine Position entspreche damit nicht mehr der eines Miteigentümers, sondern der eines außenstehenden Dritten. Aus diesem Grund müsse ihm als ausgeschiedenem Miteigentümer der anteilige Rückgriff gegen andere Miteigentümer aus § 9a Abs. 4 WEG eröffnet werden. Dem stehe das ) nicht entgegen, weil in dem dort entschiedenen Fall nicht der Ausgleichsberechtigte, sondern der Ausgleichsverpflichtete ausgeschieden sei, so dass der Anspruchsteller weiterhin Einfluss auf die Beschlussfassungen der Gemeinschaft habe ausüben können.
II.
4Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Revision hat Erfolg. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts scheitert die Erfüllungswirkung der Aufrechnung des Beklagten daran, dass es trotz dessen Ausscheiden aus der GdWE an einer Anspruchsgrundlage für einen unmittelbaren Aufwendungsersatzanspruch gegen den Kläger fehlt.
51. Ob dem Beklagten gegen den Kläger ein Ausgleichsanspruch zusteht, beurteilt sich mangels abweichender Übergangsvorschriften nach dem Wohnungseigentumsgesetz in der bis zum geltenden Fassung, da der maßgebliche Sachverhalt, nämlich die Tilgung von Verbindlichkeiten der GdWE, bereits abgeschlossen ist (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 32/21, Rn. 6 mwN, zur Veröffentlichung bestimmt).
62. a) Im Ausgangspunkt nimmt das Berufungsgericht in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats zutreffend an, dass dem einzelnen Wohnungseigentümer, der eine Verbindlichkeit der GdWE tilgt, nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften - ungeachtet der Meinungsunterschiede über die zutreffende Anspruchsgrundlage - nur gegenüber der GdWE ein Aufwendungsersatzanspruch zusteht. Da der in Vorlage tretende Wohnungseigentümer für die Gemeinschaft tätig wird und sie von ihrer Schuld (vgl. § 10 Abs. 6 Satz 2 WEG aF) befreit, ergibt sich ein Erstattungsanspruch gegen die übrigen Wohnungseigentümer weder aus den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag noch aus Bereicherungsrecht (Senat, Urteil vom - V ZR 279/17, NZM 2019, 415 Rn. 5 ff.; Urteil vom - V ZR 254/19, NJW-RR 2021, 945 Rn. 4).
7b) Wie das Berufungsgericht weiter richtig ausführt, scheidet auch die Haftung eines Wohnungseigentümers nach § 10 Abs. 8 Satz 1 WEG aF (entsprechend § 9a Abs. 4 Satz 1 WEG) für Verbindlichkeiten der Gemeinschaft gegenüber einem anderen Wohnungseigentümer aus, wenn es sich - wie hier - um Ansprüche handelt, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis herrühren (sog. Sozialverbindlichkeiten), zu denen Aufwendungsersatzansprüche wegen der Tilgung einer Verbindlichkeit der Gemeinschaft gehören. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Befriedigung aus dem Gemeinschaftsvermögen zu erwarten ist oder nicht. Andernfalls würden die im Wohnungseigentumsgesetz für das Innenverhältnis der Wohnungseigentümer getroffenen Regelungen und das im Gesetz vorgesehene Finanzsystem der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer unterlaufen (vgl. im Einzelnen Senat, Urteil vom - V ZR 279/17, NZM 2019, 415 Rn. 5 ff.). Nichts Anderes gilt in einer (zerstrittenen) Zweiergemeinschaft, in der ein Verwalter nicht bestellt ist und in der wegen des Kopfstimmrechts keine Mehrheitsbeschlüsse möglich sind, oder wenn der zwischenzeitlich aus der GdWE ausgeschiedene Wohnungseigentümer für die während seiner Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft entstandenen oder während dieses Zeitraums fällig gewordenen Verbindlichkeiten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in Anspruch genommen werden soll (Senat, Urteil vom - V ZR 288/19, NZM 2021, 146 Rn. 7 ff., 22 ff.).
8c) Nach diesen Maßstäben kann der Beklagte allein die GdWE auf Ersatz der für sie getätigten Aufwendungen in Anspruch nehmen. Anders als das Berufungsgericht meint, haftet der Kläger dem Beklagten nicht deshalb ausnahmsweise unmittelbar, weil der Beklagte infolge der Veräußerung seiner Einheit nicht mehr Mitglied der Gemeinschaft ist. Ein Wohnungseigentümer, der Verbindlichkeiten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer getilgt hat, kann von den anderen Eigentümern auch dann keine unmittelbare (anteilige) Erstattung seiner Aufwendungen verlangen, wenn er später aus der Gemeinschaft ausgeschieden ist; das gilt auch bei einer zerstrittenen Zweiergemeinschaft.
9aa) Zwar nimmt ein ausgeschiedener Wohnungseigentümer nach der Veräußerung seiner Einheit die Stellung eines außenstehenden Dritten ein. Es ist ihm nicht mehr möglich, unmittelbar auf die Beschlussfassung der Gemeinschaft Einfluss zu nehmen und eine Beschlussersetzungsklage nach § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG anzustrengen.
10bb) Das Ausscheiden ändert aber nichts daran, dass es sich bei dem noch während seiner Mitgliedschaft entstandenen Erstattungsanspruch gegen die Gemeinschaft um eine Sozialverbindlichkeit handelt, auf die § 10 Abs. 8 WEG aF nicht anwendbar ist (a.A. Abramenko in Jennißen, WEG, 7. Aufl., § 9a Rn. 120; jurisPK-BGB/Lafontaine, 9. Aufl., § 9a WEG Rn. 263). Ob der Haftungstatbestand des § 10 Abs. 8 Satz 1 WEG aF nach Sinn und Zweck der Vorschrift eingreift, bestimmt sich nach der Art des gegen die Gemeinschaft begründeten Anspruchs in dem Zeitpunkt seines Entstehens. Forderungen eines Wohnungseigentümers auf Aufwendungserstattung wegen der Tilgung einer Verbindlichkeit der GdWE haben ihre Grundlage ausschließlich in dem Gemeinschaftsverhältnis und sind untrennbar mit der Stellung des Ausgleichsberechtigten als (früherem) Wohnungseigentümer verbunden (Senat, Urteil vom - V ZR 279/17, NZM 2019, 415 Rn. 15 ff.). Ansprüche dieser Art werden deshalb auch nicht durch die spätere Beendigung der Mitgliedschaft zu „normalen“ Drittgläubigerforderungen, auf welche die Außenhaftung nach § 10 Abs. 8 WEG aF entsprechend ihrer gesetzgeberischen Zielrichtung (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 279/17, NZM 2019, 415 Rn. 18, 20) jedoch beschränkt ist.
11cc) Der ausgeschiedene Wohnungseigentümer muss sich daher an die Gemeinschaft als Schuldnerin seiner Ersatzforderung halten und ggf. die Vollstreckung gegen diese betreiben. Die Durchsetzung von Ansprüchen gegen die GdWE ist trotz des damit - insbesondere bei fehlender Finanzausstattung der Gemeinschaft - einhergehenden Aufwands weder aussichtlos noch unzumutbar.
12(1) Ist die Gemeinschaft nicht mit Finanzmitteln ausgestattet und fehlen Beschlüsse über Wirtschaftspläne, Jahresabrechnungen oder die Erhebung einer Sonderumlage, kann der Gläubiger den Anspruch der Gemeinschaft gegen ihre Mitglieder auf ordnungsmäßige Verwaltung, insbesondere durch Beschlussfassungen über die Zuführung von Mitteln an die Gemeinschaft, oder aber deren Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Pflichten der Mitglieder im Zusammenhang mit der ordnungsgemäßen Finanzausstattung der Gemeinschaft pfänden (vgl. im Einzelnen Senat, Beschluss vom - V ZB 32/05, BGHZ 163, 154, 174 ff.; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 3 Rn. 107 f.).
13(2) Die mit einer solchen Vorgehensweise verbundenen Schwierigkeiten, die den Gesetzgeber 2007 bewogen haben, die anteilsmäßige Außenhaftung in § 10 Abs. 8 WEG aF zugunsten externer Gläubiger der GdWE einzuführen (vgl. BT-Drucks. 16/887 S. 63 ff.), treffen den ausgeschiedenen Wohnungseigentümer überdies nicht derart unvermeidbar wie einen unbeteiligten Dritten. Der frühere Eigentümer kann die Innenverhältnisse der Gemeinschaft erheblich besser überblicken und die Vollstreckung deshalb von vornherein zielgerichteter angehen. Außerdem hat es jeder Wohnungseigentümer in der Hand, noch vor der Veräußerung seiner Einheit - ggf. anwaltlich beraten - die Erstattung seiner Aufwendungen in der für die Mitglieder der Gemeinschaft vorgegebenen Weise zu verfolgen, also durch Beschlussanträge und ggf. Beschlussersetzungsklagen für eine ordnungsgemäße Finanzausstattung der Gemeinschaft zu sorgen. Zudem steht es ihm offen, geeignete Vereinbarungen mit seinem Erwerber zu treffen, um letztlich den von ihm erstrebten Ausgleich zu erreichen.
14dd) Bestätigt wird dieses Ergebnis dadurch, dass sich der Gesetzgeber durch die Entscheidung des Senats vom (V ZR 279/17, NZM 2019, 415) nicht veranlasst gesehen hat, eine anderweitige Regelung in Bezug auf die Haftung einzelner Wohnungseigentümer für Sozialverbindlichkeiten zu treffen. Vielmehr hat er die Vorschrift des § 10 Abs. 8 Satz 1 bis 3 WEG aF in der Sache unverändert in § 9a Abs. 4 WEG übernommen (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 48) und Ergänzungen auch an anderer Stelle nicht vorgenommen. Bereits in seiner Entscheidung vom hatte der Senat jedoch die Haftung nach § 10 Abs. 8 WEG aF maßgeblich davon abhängig gemacht, dass die Forderungen nicht aus dem Gemeinschaftsverhältnis herrühren, und eine Haftung eines Wohnungseigentümers gegenüber einem anderen auf Fälle beschränkt, in denen die geltend gemachten Ansprüche in keinerlei Zusammenhang mit dessen Stellung als Wohnungseigentümer stehen (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 279/17, NZM 2019, 415 Rn. 15 ff.).
III.
15Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben, soweit die Klage wegen der Aufrechnung des Beklagten in der Hauptsache und wegen des weitergehenden Zinsanspruchs abgewiesen worden ist, und ist insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu treffen sind (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Klage ist im Umfang der nicht durchgreifenden Aufrechnung in Höhe weiterer 4.138,12 € stattzugeben; die Klageforderung als solche ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Der Zinsausspruch ist dahingehend abzuändern, dass dem Kläger Prozesszinsen (durchgehend) seit Eintritt der Rechtshängigkeit zustehen (§ 291 BGB).
IV.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO sowie aus §§ 565, 516 Abs. 3 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:250322UVZR92.21.0
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 8 Nr. 21
NJW-RR 2022 S. 955 Nr. 14
GAAAI-60894