Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Geltendmachung von Rechtsbehelfen gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen
Gesetze: § 13 SGB 10, § 56a S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 44a VwGO, BUK-NOG, GG
Instanzenzug: SG Freiburg (Breisgau) Az: S 4 R 4119/20 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 9 R 1485/21 Beschluss
Gründe
1I. Die Beteiligten streiten über die Beachtung einer an einen Rentenberater zur Vertretung des Klägers im Verwaltungsverfahren erteilten Vollmacht.
2Mit Schreiben vom beantragte der Rentenberater unter Vorlage einer vom Kläger unterschriebenen Vollmacht die Erteilung einer aktuellen Rentenauskunft von der Beklagten. Im Vollmachttext heißt es ua: "Die Vollmacht gilt für alle Instanzen und erstreckt sich auf Neben- und Folgeverfahren aller Art. Jeglicher Schriftwechsel hat nur mit dem Bevollmächtigten zu erfolgen." Mit Schreiben vom bestätigte die Beklagte den Antragseingang und erteilte unter dem die Rentenauskunft, die an den bevollmächtigten Rentenberater übersandt wurde. Unter dem und dem wandte sich die Beklagte mit zwei Schreiben direkt an den Kläger ohne Einschaltung des Rentenberaters. Daraufhin hat dieser im Namen des Klägers am "Unterlassungsklage" erhoben und beantragt, "die Beklagte dazu zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500,00 Euro, die Vollmacht, die für den Kläger bei ihr hinterlegt worden ist, nicht weiter zu missachten".
3Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Mit Beschluss vom hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Wie auch das SG sei der Senat der Auffassung, dass die erhobene Unterlassungsklage unzulässig sei. Nach § 56a SGG könnten Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen eingelegt werden. Lägen die Voraussetzungen des § 56a Satz 1 SGG vor, sei der Rechtsbehelf unzulässig. Eine Ausnahme folge hier auch nicht aus § 56a Satz 2 SGG. Ergänzend weise der Senat darauf hin, dass sich die Unzulässigkeit der Klage auch aus dem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis ergebe. Dem Kläger bzw seinem Bevollmächtigten sei es ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen, sich vor Klageerhebung zunächst an die Beklagte zu wenden.
4Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
5II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der geltend gemachte Grund für die Zulassung der Revision wurde nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
6Der Kläger legt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht anforderungsgerecht dar. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde mit diesem Zulassungsgrund (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) begründet, muss in der Beschwerdebegründung dargetan werden, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss zur ordnungsgemäßen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Die Beschwerdebegründung vom wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
8a) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger damit eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Die Bezeichnung einer solchen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl - juris RdNr 5 mwN). Der Frage lässt sich zwar entnehmen, dass es dem Kläger um die Anwendbarkeit des § 56a Satz 1 SGG auf Unterlassungsklagen geht. Was er aber unter "systematischer Nichtbeachtung der Vollmacht, die gemäß § 13 SGB X zu beachten ist" versteht, erschließt sich aus seiner Frage jedoch nicht ohne Weiteres. Zur Rechtsstellung des Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren enthält § 13 Abs 1 bis 3 SGB X verschiedene Regelungen und differenziert insbesondere danach, ob der Bevollmächtigte im Verwaltungsverfahren Erklärungen abgibt oder entgegennimmt (vgl dazu im einzelnen Roller in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 13 RdNr 9 f). Dem Gesamtzusammenhang des Vortrags nach wendet sich der Kläger dagegen, dass Verfahrenshandlungen nicht gegenüber seinem Bevollmächtigten vorgenommen worden seien.
9b) Jedenfalls zeigt der Kläger einen bestehenden (abstrakten) Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich beantwortet hat, jedoch bereits Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; aus jüngerer Zeit - juris RdNr 9 mwN). Dazu führt der Kläger ua aus, in der Sozialgerichtsbarkeit gebe es "selbstverständlich" zu § 56a SGG noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung und schon gar nicht im Zusammenhang mit "kollektiv, systematischen Vollmachtsmissachtungen". Das Rechtsgeschäft der Bevollmächtigung gehöre hinsichtlich seiner Beurteilung und Qualität nicht zum Aufgabenbereich der Sozialverwaltung. Auch zu § 44a VwGO habe seine Rechtsprechungsrecherche kein Ergebnis erbracht.
10Die Vorschrift des § 56a SGG war bereits mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Danach können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen grundsätzlich nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dieser zunächst nur für das verwaltungsgerichtliche Verfahren in § 44a VwGO ausdrücklich geregelte Grundsatz galt auch im sozialgerichtlichen Verfahren schon vor Inkrafttreten des § 56a SGG (vgl - BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 27). Die durch Gesetz vom (BGBl I 3836) eingefügte Regelung dient der Vereinfachung und der Beschleunigung des sozialgerichtlichen Verfahrens und soll verhindern, dass durch Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen die Sachentscheidung der Behörde verzögert wird (vgl - SozR 4-2500 § 35a Nr 6 RdNr 48 unter Hinweis auf BT-Drucks 17/12297 S 39). Das BVerwG hat vor diesem Hintergrund ausdrücklich entschieden, dass auch Verpflichtungs-, Feststellungs- und Leistungsklagen zu den ausgeschlossenen Rechtsbehelfen zählen (stRspr; vgl 9 A 20.01 - BVerwGE 115, 373 - RdNr 54 mwN; vgl auch Wolf-Rüdiger Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl 2021, § 44a RdNr 4: "allg Leistungs- bzw Unterlassungsklagen"). Der Kläger nimmt auf keine dieser Entscheidungen Bezug und legt deshalb auch nicht dar, ob oder inwieweit dadurch seine Frage noch nicht beantwortet worden ist.
11Mit seinem Vortrag, es bestünden zudem massive verfassungsrechtliche Zweifel an § 44a VwGO und § 56a SGG, zeigt der Kläger ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage hinreichend auf. Er benennt zwar Verstöße gegen Art 19 Abs 4 GG und Art 2 Abs 1 GG. Eine mögliche Verletzung von Verfassungsrecht wird aber nicht weiter begründet. Dazu wäre unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzuzeigen gewesen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der infrage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit und die Nennung der als verletzt angesehenen Normen des GG genügt nicht (vgl - juris RdNr 7 mwN).
12c) Schließlich legt der Kläger auch die (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage nicht dar. Eine solche ist gegeben, wenn das Revisionsgericht nach und aufgrund der Zulassung der Revision in der Lage ist, über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich entscheiden zu können. Zur Darlegung der Klärungsfähigkeit ist daher darzutun, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste (vgl zuletzt - juris RdNr 8 mwN).
13Der Kläger führt dazu lediglich aus, das Revisionsgericht sei an einer Entscheidung prozessrechtlich nicht gehindert. Betroffen sei "genau die Rechtsfrage" zur Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs. Weitere Ausführungen wären aber zur Begründung dafür erforderlich gewesen, dass die Klage nicht auch aus anderen Gründen unzulässig ist. Der Kläger hat eine Unterlassungsklage erhoben, die ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse voraussetzt. Dafür muss eine Wiederholungsgefahr gegeben sein (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 54 RdNr 42a mwN). Der Kläger hat dazu lediglich vorgebracht, es handele sich um eine "systematische Vollmachtsmissachtung", und geltend gemacht, es seien "in 2 Jahren 36 Fälle aufgelaufen". Dabei geht es jedoch um Fälle des vom Kläger in den Vorinstanzen bevollmächtigten Rentenberaters. Ein Rechtsschutzinteresse des Klägers selbst lässt sich daraus nicht entnehmen.
14Nähere Ausführungen zur Zulässigkeit seiner Klage wären auch deshalb angezeigt gewesen, weil das LSG die Unzulässigkeit der Klage nicht nur im Zusammenhang mit § 56a Satz 1 SGG bejaht, sondern auch aus einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis. Dem Kläger bzw seinem Bevollmächtigten sei es ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen, sich vor Klageerhebung zunächst an die Beklagte zu wenden. Werden von einem Gericht mehrere selbstständige Begründungen gegeben, die den Urteilsausspruch jeweils für sich genommen tragen, muss in der Beschwerde für jede der Begründungen ein Revisionszulassungsgrund mit Erfolg geltend gemacht werden (vgl B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 14; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 291). Daran fehlt es hier.
152. Soweit der Kläger "desweiteren und darüber hinaus" geltend macht, im allgemeinen Verwaltungsrecht werde bei Anwendung der VwGO die Sache anders betrachtet, zumindest was die Frage der Bevollmächtigung angehe, "wenn es um die Zurückweisung von Bevollmächtigten" gehe, legt der Kläger schon nicht den Bezug zum vorliegenden Verfahren dar. Vielmehr trägt er selbst an anderer Stelle in seiner Beschwerdebegründung vor, dass sein Bevollmächtigter nicht nach § 13 Abs 5 SGB X zurückgewiesen wurde.
16Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
173. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG. Düring Hannes Hahn
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:100322BB5R30921B0
Fundstelle(n):
YAAAI-60674