BFH Urteil v. - XI R 24/20

Zurechnung von Umsätzen einer Betriebskantine

Leitsatz

NV: Ob bei Eheleuten der Ehemann, die Ehefrau oder eine aus den Eheleuten bestehende Gemeinschaft als Unternehmer eine Leistung ausführt oder bezieht, richtet sich danach, wer nach außen auftritt.

Gesetze: UStG § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; UStG § 2 Abs. 1;

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Die Beteiligten streiten darum, ob die Abgabe von Speisen in einer Kantine dem ermäßigten Steuersatz unterliegt.

2 Nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) betreiben der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau seit dem aufgrund eines Dienstleistungskonzessionsvertrags eine Kantine in einem Institut (X). In dem Vertrag werden X als Auftraggeber (AG) und der Kläger und seine Ehefrau als Auftragnehmer (AN) benannt. X vergibt danach für die Dauer von zwei Jahren eine Konzession zur Bewirtschaftung der Kantine innerhalb seiner Räume. Neben den Beschäftigten des X können zu bestimmten Zeiten auch andere Gäste das Angebot nutzen. Außerdem ist der AN für sämtliche hausinterne Veranstaltungen des X zuständig.

3 Vertraglich vereinbart war die Verpachtung und Bewirtschaftung der Kantine und Cafeteria des X einschließlich der Bewirtschaftung von Lebensmittelautomaten sowie die Konferenz- und Pausenbewirtung (Cateringservice) zur Verpflegung der Mitarbeiter und Gäste. Zur von X überlassenen Infrastruktur gehören u.a. auch die vorhandene Küche, Geschirr, Besteck, Töpfe und Pfannen etc. Für die Zurverfügungstellung der Räume wurde kein Entgelt gezahlt.

4 Der AN ist zum Betrieb der Kantine verpflichtet und hat die Versorgungssicherheit (u.a. unter Einhaltung der Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung) zu gewährleisten.

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Als Versorgungsumfang ist vorgesehen:  
- Cafeteria mit normalem Frühstücksangebot, mit kalten und warmen Speisebestandteilen sowie warmen und kalten Getränken;
- ständig verfügbares Imbissangebot;
- eine Mittagsversorgung mit warmen, frisch zubereiteten Speisen im Komponentensystem.

6 Die Mitarbeiter der Kantine kochen das Essen in der Küche selbst. Die Betreuung hat durch speziell geschulte Mitarbeiter zu erfolgen. Der AN hat ausreichend Ausgabepersonal zu stellen.

7 Der Kläger verkauft nach den tatsächlichen Feststellungen des FG innerhalb der Öffnungszeiten wöchentlich wechselnd zubereitete Mittagessen (Speisen: Pasta mit Gulasch, Gefüllte Paprikaschote mit Reis, Westernpfanne, Erbsensuppe mit Rauchwurst, Hackbraten mit Püree, Kartoffeln mit Quark, Nudelauflauf, Schupfnudelpfanne, Spinat-Gorgonzola-Gnocchi, Currygemüse mit Reis, Rostbrätl selbst eingelegt, Hähnchenbrust überbacken, Schnitzel, Salzbraten, Seelachs im Knuspermantel) sowie Snacks und Getränke. Das Mittagessen wurde auf Tellern portioniert durch das Kantinenpersonal ausgeteilt. Zudem wurden den Gästen Besteck, Gläser und Tassen zur Verfügung gestellt. Im Kantinenraum standen Tische und Stühle zur Einnahme der Mahlzeiten oder Snacks zur Verfügung. Die Reinigung der Küche, der Theken, des Mobiliars sowie von Besteck und Geschirr wurde durch das Kantinenpersonal durchgeführt.

8 Der Kantinenraum hat drei Zugänge. Der Essbereich stellt aufgrund des offenen Baukonzepts einen Bereich dar, von dem die Mitarbeiter und Besucher zu den Büros auf dieser und den weiteren Etagen gelangen können. Die vorhandenen Türen sind jederzeit geöffnet. Auf der Etage, auf der sich die Kantine befindet, befinden sich weitere Sitzgruppen zum Verweilen, Warten und Treffen von Gästen bzw. Mitarbeitern.

9 In seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat April 2018 vom wendete der Kläger den ermäßigten Steuersatz nicht mehr nur z.B. auf Umsätze aus dem Verkauf von belegten Brötchen, die von Kunden abgeholt worden waren, an, sondern auch auf Umsätze aus dem Verkauf von Mittagessen.

10 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) nahm nach einer Außenprüfung im Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für den Monat April 2018 vom an, auf die Umsätze aus dem Verkauf von Mittagessen sei der Regelsteuersatz anzuwenden. Diese Umsätze seien aufgrund der unterstützenden Dienstleistungen, die den sofortigen Verzehr vor Ort ermöglichen, als sonstige Leistung anzusehen. Die Zurverfügungstellung von Tischen und Stühlen reiche für das Vorliegen des Dienstleistungscharakters aus. Es komme nicht darauf an, ob die Kunden die Speisen tatsächlich vor Ort verzehren würden. Im Übrigen führe die Reinigung des Geschirrs, des Bestecks und der Tische durch das Küchenpersonal, das portionsweise Austeilen des Mittagessens, die Nutzungsüberlassung von Geschirr und Besteck, das ständig wechselnde Speisenangebot, die Möglichkeit der individuellen Zusammenstellung von Gemüse, Beilagen, Fisch oder Fleisch als vollwertige Mahlzeit in der Kantine zur Annahme einer Dienstleistung. Den Gästen stünden auch Toiletten und eine Garderobe zur Verfügung.

11 Das FA stimmte der am ohne Durchführung eines Vorverfahrens erhobenen Klage am zu.

12 Das FG wies mit Urteil vom  - 5 K 1604/19 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 786) die Klage ab. Es entschied, die Klage sei als sog. Sprungklage (§ 45 Abs. 1 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) zulässig, aber unbegründet. Das FA habe zu Recht die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für die Umsätze des Klägers in Gestalt der Abgabe von Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle versagt.

13 Zwar könne —entgegen der Annahme des FA— das Bereithalten des Mobiliars, das nicht ausschließlich dazu bestimmt sei, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern, das außerdem nicht vom Unternehmer selbst, sondern von X gestellt werde und sich in einem Bereich befinde, der auch als Treffpunkt für Institutsmitarbeiter diene und schließlich von Mitarbeitern und Gästen des Instituts auch für den Verzehr von mitgebrachten Speisen und Getränken genutzt werden könne, nicht als unterstützende Dienstleistung des Klägers angesehen werden. Im Streitfall kämen jedoch weitere unterstützende Dienstleistungen hinzu, die ausreichten, um zu einem überwiegenden Dienstleistungsanteil zu führen. Es liege keine „standardisierte Zubereitung“ der verkauften Speisen vor, da die Zubereitung einen deutlich größeren Dienstleistungsanteil aufweise und mehr Arbeit und Sachverstand erfordere. Die Qualität der Gerichte, die Kreativität sowie die Darreichungsform seien im Streitfall Elemente, die dominierende Bestandteile der strittigen Umsätze darstellten. Außerdem rundeten die Tätigkeiten des klägerischen Personals (wie die Reinigung des Geschirrs, des Bestecks und der Tische, das portionsweise Austeilen des Mittagessens, die Nutzungsüberlassung von Geschirr und Besteck) die vom FG vorgenommene Würdigung ab, dass eine sonstige Leistung vorliege und die strittigen Umsätze dem Regelsteuersatz unterfielen.

14 Nach Ergehen des Urteils des FG hat das FA unter dem den Umsatzsteuer-Jahresbescheid für das Jahr 2018 (Streitjahr) erlassen.

15 Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (Art. 6 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem —MwSt-DVO—; § 3 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes). Die Art der Speisenzubereitung sei seit dem Inkrafttreten des Art. 6 MwSt-DVO für die Einordnung als Lieferung oder sonstige Leistung nicht mehr von Bedeutung. Dies entspreche der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. , BStBl I 2013, 444). Außerdem spiele das Mobiliar des X im Aufenthaltsbereich, das auch anderen Zwecken diene, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine Rolle.

16 Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für den Monat April 2018 dahin gehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat April 2018 auf 1.204,90 € festgesetzt wird. Eine Anpassung des Klageantrags nach Ergehen des Umsatzsteuer-Jahresbescheides für 2018 vom ist nicht erfolgt.

17 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

18 Das FA pflichtet zwar der Revision darin bei, dass —entgegen der Auffassung des FG— die Art der Speisenzubereitung im Streitjahr für die Einordnung als Lieferung oder sonstige Leistung nicht mehr von Bedeutung sei. Allerdings stelle sich das Urteil des FG gleichwohl als richtig dar. Die übrigen vom FG festgestellten Umstände (wie die Reinigung des Geschirrs, des Bestecks und der Tische, das portionsweise Austeilen des Mittagessens, die Nutzungsüberlassung von Geschirr und Besteck) genügten für die Einordnung als Dienstleistung.

Gründe

II.

19 Die Revision ist aus anderen als den vom Kläger geltend gemachten Gründen begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

20 Die Vorentscheidung ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben; denn das FG hat über einen mittlerweile nicht mehr wirksamen Bescheid entschieden. Der Senat kann im Streitfall nicht selbst entscheiden, weil das FG widersprüchliche tatsächliche Feststellungen dazu getroffen hat, wer leistender Unternehmer ist.

21 1. Das Urteil des FG ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil das FG über einen nicht mehr existierenden Verwaltungsakt entschieden hat; sein Urteil kann daher keinen Bestand haben (vgl. z.B. allgemein , BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86, Rz 25; vom  - V R 32/13, BFHE 246, 264, BStBl II 2017, 666, Rz 10; , BFH/NV 2019, 296, Rz 9). Der Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2018 vom hat den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für April 2018, der Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war, i.S. der §§ 68 Satz 1, 121 Satz 1 FGO ersetzt. Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung durch den Senat ist die Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuer-Jahresbescheides für das Jahr 2018 vom .

22 2. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen allerdings nicht aus, die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides beurteilen zu können; denn das Urteil des FG ist in Bezug auf den leistenden Unternehmer widersprüchlich, so dass die Vorentscheidung auch in der Sache keinen Bestand haben kann (vgl. allgemein , BFHE 215, 356, BStBl II 2007, 485, Rz 13 ff.).

23 a) Das FG hat einerseits (erklärungsgemäß) den Kläger als leistenden Unternehmer angesehen, aber andererseits —zutreffend— festgestellt, dass der Konzessionsvertrag zwischen X als AG und dem Kläger und seiner Ehefrau als AN abgeschlossen wurde. Das FG ist deshalb im Tatbestand seines Urteils einerseits davon ausgegangen, dass der Kläger und seine Ehefrau die Kantine „betreiben“, hat aber andererseits ausgeführt, dass der Kläger das Essen verkaufe.

24 b) Zumindest gegenüber X scheint als Vertragspartner des Konzessionsvertrags (und damit möglicherweise als Konzessionsinhaber sowie Empfänger der Nutzungsüberlassungen des X) eine aus dem Kläger und seiner Ehefrau bestehende Personenmehrheit aufgetreten zu sein. Allerdings kann der Senat insoweit nicht beurteilen, ob sich aus dem in § 2 des Vertrags erwähnten Angebot vom etwas anderes ergeben könnte, weil das FG dessen Inhalt nicht festgestellt hat.

25 c) Zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Umstand, wer leistender Unternehmer der hier streitigen Ausgangsumsätze ist, ob der Kläger (Ehemann), seine Ehefrau oder eine aus den Eheleuten bestehende Personenmehrheit gegenüber Kunden der Kantine nach außen als Leistende(r) aufgetreten ist (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Kriteriums , BFHE 251, 253, BStBl II 2015, 919, Rz 27, m.w.N.; s.a. zur Zurechnung der Umsätze einer Gaststätte , BFH/NV 2018, 457), hat das FG hingegen keine Feststellungen getroffen. Der Inhalt der dem Senat vorliegenden Handakten der Prüferin bietet (neben dem Auftreten des Klägers gegenüber dem FA) insofern zwar durchaus Anhaltspunkte dafür, dass dies —ungeachtet der in eine andere Richtung deutenden Feststellungen des FG zum Betrieb der Kantine durch den Kläger und seine Ehefrau— nur der Kläger gewesen sein könnte. Mit der für eine abschließende Sachentscheidung notwendigen Klarheit ergibt sich dies indes nicht, so dass das FG Feststellungen dazu nachholen muss.

26 3. Ohne dass es darauf ankäme, weist der Senat darauf hin, dass es außerdem im Hinblick auf die Erweiterung des Streitzeitraums von ursprünglich April 2018 auf nunmehr das gesamte Kalenderjahr 2018 durch den Umsatzsteuerbescheid vom tunlich ist, den Rechtsstreit gemäß § 127 FGO an das FG zurückzuverweisen, da tatsächliche Feststellungen zu den Umsätzen des gesamten Streitjahrs fehlen und der Kläger weder seinen Antrag an die geänderte Bescheidlage angepasst noch erklärt hat, dass die übrigen Besteuerungsgrundlagen im Jahresbescheid unstreitig seien (vgl. zur Bedeutung dieses Umstands für die Anwendung des § 127 FGO , BFHE 272, 259, Rz 45, m.w.N.).

27 4. Soweit es im zweiten Rechtsgang darauf ankommen sollte, verweist der Senat zu der bisher zwischen den Beteiligten streitigen Rechtsfrage, ob die Abgabe von Mittagessen in der Kantine des X als Lieferungen oder Dienstleistungen anzusehen ist, auf sein Urteil vom gleichen Tag XI R 2/21 (juris, zur Veröffentlichung bestimmt), das (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Deutsches Steuerrecht 2021, 2785), den Senatsbeschluss vom  - XI R 12/21 (XI R 25/19) (juris, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) und das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach vom  - C-703/19 (EU:C:2021:314).

28 a) Nach den in diesen Entscheidungen ausführlich dargestellten Grundsätzen dürften die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG zur Reinigung des Geschirrs, des Bestecks und der Tische, zum portionsweisen Austeilen des Mittagessens sowie zur Nutzungsüberlassung des Geschirrs und Bestecks seine Entscheidung tragen, dass sonstige Leistungen vorliegen und die strittigen Umsätze (bei dem vom FG noch festzustellenden leistenden Unternehmer) im Streitjahr dem Regelsteuersatz zu unterwerfen waren, weil die unterstützenden Dienstleistungen neben der Abgabe der Speisen mehr als nur einen geringfügigen personellen Einsatz erforderten. Die abschließende Würdigung im zweiten Rechtsgang obliegt allerdings dem FG.

29 b) Auf die von beiden Beteiligten auf der einen Seite und dem FG auf der anderen Seite unterschiedlich beantwortete Rechtsfrage, ob für die Einordnung als Lieferung oder sonstige Leistung unter Geltung der MwSt-DVO die Zubereitung der Speisen noch von Bedeutung ist (vgl. dazu EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 54 einerseits, Rz 58, 60 und 63 andererseits), kommt es im Streitfall voraussichtlich nicht mehr an.

30 5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:U.201021.XIR24.20.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2022 S. 620 Nr. 6
DStR 2022 S. 876 Nr. 18
DStR-Aktuell 2022 S. 10 Nr. 17
DStRE 2022 S. 632 Nr. 10
NJW 2022 S. 10 Nr. 19
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2022 S. 1280
UR 2022 S. 456 Nr. 12
UStB 2022 S. 174 Nr. 6
UAAAI-60577