Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG - Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters - Herausnahme der Beschäftigten mit Altersteilzeitregelung aus dem Geltungsbereich des Sozialplans
Gesetze: § 15 Abs 1 AGG, § 613a Abs 1 S 1 BGB, § 75 BetrVG, § 823 Abs 2 BGB
Instanzenzug: ArbG Gießen Az: 5 Ca 257/18 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 18 Sa 655/19 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters zu zahlen.
2Die Beklagte mit Sitz in W gehört zum C Konzern und ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der C AG (im Folgenden auch C AG). Innerhalb des Konzerns gehört sie zum Unternehmensbereich „Consumer Products“ mit Verantwortung für die strategische Geschäftseinheit „S“ (im Folgenden S, im Folgenden wird auch die Beklagte so genannt).
3Im Oktober 2017 erfuhren die Beschäftigten der Beklagten, dass kunden- und marktnahe Funktionen wie Produkt-Management, Marketing, Produktentwicklung, Vertrieb, Einkauf sowie Teile der Administration und des Service bei der C AG gebündelt und von der Beklagten zur C AG nach O verlagert werden sollten („Strang A“). Zudem sollten die Bereiche Teilefertigung und Vorgruppenmontage von der Beklagten an Konzerngesellschaften im Ausland ausgelagert werden („Strang B“). Bei der Beklagten am Standort W sollten etwas mehr als 100 Arbeitsplätze verbleiben.
4Der 1956 geborene Kläger war seit September 1999 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Referent Training und International Supports in der von der Verlagerung betroffenen „Funktion Marketing“. Seit dem befand sich der Kläger auf der Grundlage des Vertrags vom mit der Hälfte seiner früheren Arbeitszeit in Altersteilzeit (ATZ). Nach Ziff. 1 dieses ATZ-Vertrags endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des . Das Bruttomonatsentgelt des Klägers betrug zuletzt 5.074,48 Euro.
5Am schlossen die C AG, die Beklagte, der Konzernbetriebsrat des C Konzerns, der Betriebsrat der Beklagten sowie der Betriebsrat der C AG eine „Konzernbetriebsvereinbarung, die zugleich ein Interessenausgleich ist“ (im Folgenden KBV). In der KBV heißt es ua.:
6In der Anlage 6 zur KBV heißt es ua.:
7Unter der „Funktion Marketing“ ist ua. der Kläger namentlich aufgeführt. In der Spalte „Austrittsgrund“ ist für ihn „Altersteilzeit“ vermerkt.
8Ebenfalls am schlossen die in Rn. 5 genannten Betriebspartner einen Sozialplan (im Folgenden Sozialplan), der ua. folgende Regelungen enthält:
9Der Kläger erhielt - wie auch andere Beschäftigte in Altersteilzeit, deren Abteilungen/Funktionen von der Verlagerung nach O betroffen waren - kein Angebot für einen Wechsel zur C AG nach O. Der Kläger wie auch die anderen in Altersteilzeit Beschäftigten verblieben vielmehr bis zum Ende der jeweils vereinbarten Altersteilzeit am Standort in W.
10Unter dem wandte der Kläger sich mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten an die Beklagte. In diesem Schreiben heißt es:
11Mit Schreiben vom rügte der Kläger gegenüber der Beklagten, dass ihm kein Angebot zur Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses in O unterbreitet worden sei. Dies stelle einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot „gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG“ dar; den entstandenen Schaden werde er nunmehr gerichtlich geltend machen.
12Mit seiner Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung von 92.669,83 Euro in Anspruch genommen. Er hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei ihm nach § 15 Abs. 1 AGG zum Schadensersatz verpflichtet. Sie habe ihn entgegen den Vorgaben des AGG wegen seines Alters benachteiligt. Ihm sei - anders als anderen Beschäftigten mit identischen oder im Wesentlichen gleichen Tätigkeiten - wegen der Altersteilzeit und damit wegen seines Alters kein Wechselangebot zur C AG nach O unterbreitet worden. Damit sei ihm die Möglichkeit vorenthalten worden, selbst zu entscheiden, ob er sein Arbeitsverhältnis in O fortsetzen wolle oder nicht. Ein entsprechendes Angebot hätte er angenommen. Außerdem liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Betriebsangehörigen nach § 75 Abs. 1 BetrVG vor. Bei Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses in O hätten ihm Leistungen nach § 2 des Sozialplans, nämlich eine Wechselprämie iHv. 30.000,00 Euro sowie eine zusätzliche Zahlung für die mit dem Wechsel verbundenen Aufwendungen iHv. 62.669,83 Euro, mithin insgesamt 92.669,83 Euro zugestanden. In dieser Höhe sei die Beklagte ihm zum Schadensersatz verpflichtet.
13Der Kläger hat zuletzt beantragt,
14Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und die Ansicht vertreten, den Kläger nicht wegen seines Alters benachteiligt zu haben. Jedenfalls sei die Herausnahme der Beschäftigten in Altersteilzeit aus der Verlagerung zur C AG nach O gerechtfertigt gewesen. Die Betriebspartner hätten es als unzumutbar und nicht sozialverträglich angesehen, Beschäftigte kurz vor dem Renteneintritt noch mit einer Verlagerung des Arbeitsplatzes zu belasten.
15Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Zahlung von Schadensersatz weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
16A. Mit dem Einverständnis der Parteien konnte vorliegend im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 128 Abs. 2 ZPO.
17B. Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Es kann dahinstehen, ob das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers mit der von ihm gegebenen Begründung zurückweisen durfte, in der KBV sei bestimmt worden, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch Betriebsteilübergang auf die C AG übergehen sollte, weshalb für ihn keine Ausgleichsleistungen nach dem Sozialplan vorgesehen gewesen seien. Das angefochtene Urteil stellt sich nämlich aus einem anderen Grund als richtig dar (§ 561 ZPO). Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch scheitert - unabhängig von der Frage, welche Anspruchsgrundlage in Betracht käme - an der fehlenden Passivlegitimation der Beklagten.
18I. Es kann offenbleiben, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers infolge eines Betriebsteilübergangs gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB von der Beklagten auf die C AG übergegangen ist. Ebenso dahinstehen kann, ob die in § 1 des Sozialplans bestimmte Herausnahme der Beschäftigten der „S“ mit Altersteilzeitregelung aus dem Geltungsbereich des Sozialplans wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters unwirksam ist. Selbst wenn beides der Fall wäre, könnte der Kläger seinen Zahlungsanspruch nicht mit Erfolg auf § 2 des Sozialplans stützen. Vielmehr käme ausschließlich ein Anspruch auf Schadensersatz in Betracht. Ein Anspruch auf der Grundlage von § 2 des Sozialplans würde daran scheitern, dass der Kläger die Voraussetzungen dieser Bestimmung des Sozialplans nicht erfüllt, weshalb es auch keiner Entscheidung darüber bedarf, wen - die Beklagte oder die C AG oder beide - die Verpflichtung zur Zahlung der in § 2 des Sozialplans vorgesehenen Abfindung traf.
191. Nach dem Eingangssatz von § 2 des Sozialplans - „Konditionen bei Übergang nach O (Strang A)“ - dienen sowohl die unter Ziff. 1 zugesagte Wechselprämie als auch die unter Ziff. 2 aufgeführte zusätzliche Zahlung dem Ausgleich bzw. der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die Arbeitnehmern aufgrund des Wechsels ihres Arbeitsvertrags nach O zur C AG und der damit verbundenen Veränderung des Arbeitsorts entstehen. Damit setzt der Anspruch auf Leistungen nach § 2 Ziff. 1 und Ziff. 2 des Sozialplans nicht nur voraus, dass das Arbeitsverhältnis der betroffenen Arbeitnehmer infolge eines Betriebsteilübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB von der Beklagten auf die C AG übergegangen ist; hinzukommen muss, dass es zu einer Veränderung des Arbeitsorts gekommen ist.
202. Diese weitere Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Der Kläger ist bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses unverändert am bzw. vom Arbeitsort W aus zum Einsatz gekommen.
21II. Ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Schadensersatz scheitert - unabhängig davon, ob er auf § 15 Abs. 1 AGG oder § 75 BetrVG iVm. § 823 Abs. 2 BGB gestützt wird - an der fehlenden Passivlegitimation der Beklagten.
221. Dies gilt zunächst, soweit der Kläger seinen Schadensersatzanspruch darauf stützt, dass die Beklagte ihm kein Wechselangebot unterbreitet habe. Selbst wenn dem Kläger bei diskriminierungsfreiem Vorgehen zusammen mit dem in § 4 Abs. 2d der KBV vorgesehenen Unterrichtungsschreiben iSv. § 613a Abs. 5 BGB auch das in § 4 Abs. 2e der KBV vorgesehene „Angebot auf den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages“ hätte unterbreitet werden müssen, wäre Schuldnerin dieses Angebots nicht die Beklagte, sondern die Betriebsteilübernehmerin, und damit die C AG gewesen. Schadensersatz wegen einer pflichtwidrigen bzw. diskriminierenden Unterlassung eines solchen Angebots bzw. eines Wechselangebots würde daher auch nur die C AG und nicht die Beklagte schulden.
23Dass es ggf. die Beklagte war, die den vom Betriebsteilübergang betroffenen Beschäftigten - ggf. zusammen mit dem in § 4 Abs. 2d der KBV vorgesehenen Unterrichtungsschreiben - die Angebote übermittelt hat, führt zu keiner anderen Bewertung. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte - wie der Kläger meint - nach der Fassung des Interessenausgleichs für die Unterbreitung eines solchen Angebots „zuständig“ gewesen sein sollte. Insoweit wäre die Beklagte nur als Botin der Betriebsteilübernehmerin, dh. als Botin der C AG aufgetreten. Dass die C AG die Beklagte nach §§ 164 ff. BGB zur Abgabe eines Angebots bevollmächtigt hatte, hat der Kläger nicht behauptet. Aus seinem Vorbringen ergibt sich vielmehr das Gegenteil.
242. Dass der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch - unabhängig davon, ob er auf § 15 Abs. 1 AGG oder § 75 BetrVG iVm. § 823 Abs. 2 BGB gestützt wird - an der fehlenden Passivlegitimation der Beklagten scheitert, gilt aber auch dann, wenn sein Vorbringen dahin zu verstehen sein sollte, dass er sein Schadensersatzbegehren darauf stützt, entgegen den Vorgaben des AGG bzw. des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht in O beschäftigt worden zu sein. Sofern das Arbeitsverhältnis des Klägers infolge eines Betriebsteilübergangs gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB von der Beklagten auf die C AG übergegangen sein sollte, wären die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis des Klägers von Gesetzes wegen automatisch auf die neue Inhaberin, die C AG übergegangen. Der Übergang hängt nicht vom Willen des Veräußerers oder des Übernehmers ab und kann auch nicht durch (anderslautende) Abmachungen beeinflusst werden, sondern erfolgt ipso iure, also „automatisch“ (vgl. nur - [Celtec] Rn. 38; - C-305/94 - [Rotsart de Hertaing] Rn. 16 ff.; vgl. auch - Rn. 80, BAGE 170, 98). Dann wäre die C AG als Übernehmerin grundsätzlich verpflichtet gewesen, den Kläger in O bzw. von dort aus einzusetzen, ohne dass es eines Angebots auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags bedurft hätte. Da die Beschäftigungspflicht die C AG und nicht die Beklagte getroffen hätte, könnte auch nur die C AG und nicht die Beklagte Schuldnerin eines Schadensersatzanspruchs wegen eines diskriminierenden Unterlassens eines Einsatzes des Klägers in bzw. von O aus sein.
25III. Einer Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) bedarf es nicht.
261. Zwar haben die Vorinstanzen dem Kläger keinen Hinweis auf die fehlende Passivlegitimation der Beklagten erteilt. Eines solchen gerichtlichen Hinweises bedurfte es im vorliegenden Verfahren allerdings nicht, weil die fehlende Passivlegitimation der Beklagten ohne Weiteres erkennbar war.
272. Unabhängig davon hat die Beklagte mit der Revisionserwiderung vom Ausführungen zu dieser Frage gemacht und ausdrücklich ihre fehlende Passivlegitimation gerügt. Hierauf hat der Kläger mit Schriftsatz vom erwidert und seine abweichende Rechtsauffassung damit begründet, die Beklagte, die nach der Fassung des Interessenausgleichs dafür zuständig gewesen sei, den von dem Betriebsteilübergang betroffenen Arbeitnehmern das Angebot zum Wechsel nach O zu unterbreiten, habe ihm ein derartiges Angebot verweigert. Damit sei es die Beklagte gewesen, die ihn unmittelbar benachteiligt habe, weshalb sie auch Schuldnerin des an ihn zu leistenden Schadensersatzes sei. Dass dieses Vorbringen des Klägers nicht geeignet ist, die Passivlegitimation der Beklagten zu begründen, hat der Senat bereits unter Rn. 22 f. ausgeführt. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers handelt es sich bei den Ausführungen der Beklagten zur fehlenden Passivlegitimation in der Revisionserwiderung vom auch nicht um neuen, grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähigen Sachvortrag in der Revisionsinstanz.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:161221.U.8AZR303.20.0
Fundstelle(n):
BB 2022 S. 1785 Nr. 31
FAAAI-59737