BGH Beschluss v. - 3 StR 406/21

Revision in Strafsachen: Beruhen des Urteils auf nicht mehr ordnungsgemäßer Vereidigung eines Dolmetschers

Gesetze: § 189 Abs 1 GVG, § 189 Abs 2 GVG, § 337 Abs 1 StPO

Instanzenzug: LG Aurich Az: 11 Ks 3/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt; zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete und auf eine Verfahrensrüge sowie die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2Der Erörterung bedarf lediglich die zulässig erhobene Verfahrensrüge, ein in der Hauptverhandlung tätig gewordener Dolmetscher sei weder gemäß § 189 Abs. 2 GVG allgemein beeidigt gewesen noch vom Gericht nach § 189 Abs. 1 GVG vereidigt worden.

31. Der Rüge liegt Folgendes zu Grunde:

4In der Hauptverhandlung wurde bei der Vernehmung von zwei Zeugen ein Dolmetscher tätig; der Angeklagte selbst war der deutschen Sprache hinreichend mächtig. Vor seinem Tätigwerden erklärte der Dolmetscher auf Frage des Gerichts, er sei allgemein beeidigt, und berief sich in dem Glauben an die Wirksamkeit seiner allgemeinen Beeidigung auf diese. Das Landgericht sah in der Annahme der Richtigkeit der Angaben des Dolmetschers davon ab, ihn gemäß § 189 Abs. 1 GVG zu vereidigen. Der Dolmetscher übersetzte daraufhin bei der Vernehmung des einen Zeugen, der kein Deutsch sprach. Da der andere Zeuge der deutschen Sprache weitgehend kundig war, wurde der Dolmetscher bei dessen Vernehmung nur partiell benötigt. Beanstandungen gegen die Übersetzungsleistungen wurden nicht erhoben, insbesondere nicht vom Angeklagten und dessen Verteidiger, die selbst Kenntnisse der fremden Sprache haben beziehungsweise ihrer mächtig sind.

5Zwar war der Dolmetscher für die betreffende Sprache gemäß § 189 Abs. 2 GVG in Niedersachsen allgemein beeidigt worden. Diese Beeidigung war indes zum Zeitpunkt seines Tätigwerdens in der Hauptverhandlung nicht mehr gültig. Denn mit Wirkung vom wurden in Niedersachsen die Vorschriften über die allgemeinen Beeidigungen von Dolmetschern und Ermächtigungen von Übersetzern grundlegend neu gestaltet (§§ 9 ff. Nds. AGGVG aF, nunmehr §§ 22 ff. NJG). Alle vor dem in Niedersachsen vorgenommenen allgemeinen Beeidigungen - darunter auch diejenige des hier tätig gewordenen Dolmetschers - waren gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 NJG nur während einer Übergangsfrist bis zum weiter wirksam; sie erloschen mithin zum (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom - 13 LA 401/18, Nds. RPfl. 2019, 124).

6Allein die seit dem in Niedersachsen (derzeit gemäß §§ 22 ff. NJG) erfolgten allgemeinen Beeidigungen sind noch wirksam. Sie verlieren ihre Gültigkeit - wie alle nach den landesrechtlichen Vorschriften der einzelnen Bundesländer vorgenommenen allgemeinen Beeidigungen von Dolmetschern - nach derzeitiger Rechtslage erst zum Ablauf des , wenn eine im Anschluss an das Inkrafttreten des Gerichtsdolmetschergesetzes des Bundes (BGBl. 2019 I, S. 2121, 2124) zum geltende Übergangsfrist endet (Art. 4 und Art. 10 Satz 2 des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens vom , BGBl. 2019 I, S. 2121, 2124, 2127). Ab dann wird nur noch eine Berufung auf eine nach dem Gerichtsdolmetschergesetz des Bundes vorgenommene allgemeine Beeidigung von § 189 Abs. 2 GVG erfasst sein (vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 44 f.).

72. Die Verfahrensrüge ist unbegründet.

8a) Zwar war der Dolmetscher weder nach § 189 Abs. 2 GVG zum Zeitpunkt seines Tätigwerdens rechtswirksam allgemein beeidigt noch wurde er vor seinem Tätigwerden vom Gericht nach § 189 Abs. 1 GVG i.V.m. § 64 StPO individuell vereidigt. Damit liegt der geltend gemachte Verfahrensfehler vor.

9b) In der Regel beruht ein Urteil auch auf einem Verstoß gegen die Vereidigungsvorschriften des § 189 GVG, weil zumeist nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein nach § 189 Abs. 1 GVG vom Gericht einzelfallbezogen vereidigter oder ein nach § 189 Abs. 2 GVG allgemein beeidigter Dolmetscher, der sich zudem unmittelbar vor seinem Tätigwerden in der Hauptverhandlung auf die allgemeine Beeidigung berufen und sich damit seine Eidespflicht noch einmal vergegenwärtigt hat, sorgfältiger als ein nicht vereidigter Dolmetscher übersetzt hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 190/19, BGHR GVG § 189 Abs. 2 Verteidigung 2 Rn. 4 ff.; vom - 4 StR 273/13, NStZ 2014, 356 f.; vom - 5 StR 604/82, NStZ 1982, 517; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 189 GVG Rn. 3 mwN). Vielfach ohne Auswirkungen auf die Übersetzungsleistung ist jedoch das bloße Unterbleiben einer ausdrücklichen Berufung eines tatsächlich gemäß § 189 Abs. 2 GVG wirksam allgemein beeidigten Dolmetschers auf diesen Eid. In einem solchen Fall kann, sofern es sich um einen seit langem regelmäßig in Hauptverhandlungen tätig werdenden Dolmetscher handelt und keine Zweifel an der Richtigkeit der erbrachten Übersetzungsleistung vorliegen, nach gefestigter Rechtsprechung regelmäßig ausgeschlossen werden, dass das versehentliche und vereinzelte Unterbleiben einer Berufung auf die allgemeine Beeidigung die Qualität der Übersetzung negativ beeinflusst haben könnte, womit das Urteil nicht auf dem Rechtsfehler der fehlenden Berufung auf den wirksamen Eid beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 441/13, NStZ 2014, 228; vom - 1 StR 579/11, BGHR GVG § 189 Beeidigung 5; vom - 1 StR 208/05, NStZ 2005, 705, 706; vom - 2 StR 257/97, NStZ 1998, 204; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 189 GVG Rn. 3 mwN).

10c) Aber auch vorliegend beruht das Urteil nicht auf dem Verstoß gegen § 189 GVG - hier dem Fehlen einer weiterhin rechtswirksamen allgemeinen Beeidigung des in der Hauptverhandlung tätig gewordenen Dolmetschers nach § 189 Abs. 2 GVG - und auf dem daraus resultierenden relativen Revisionsgrund (§ 337 Abs. 1 StPO; vgl. , juris Rn. 8).

11aa) Es ist auszuschließen, dass der Dolmetscher sorgfältiger als geschehen übersetzt hätte, wenn seine erloschene allgemeine Beeidigung noch wirksam gewesen wäre. Denn er ging, wie seine ausdrückliche Berufung auf seine allgemeine Beeidigung zeigt, bei seinem Tätigwerden in der Hauptverhandlung - wenngleich irrtümlich - davon aus, diese vor dem vorgenommene allgemeine Beeidigung sei noch wirksam. Er fühlte sich mithin ebenso an seinen geleisteten Eid gebunden, treu und gewissenhaft zu übertragen, wie dies der Fall gewesen wäre, wenn der Eid noch rechtsgültig gewesen wäre.

12Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass ein Urteil nicht auf einem Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Vereidigung eines in der Hauptverhandlung tätig gewordenen Dolmetschers beruht, wenn dieser allgemein beeidigt war, sich im Glauben an die Wirksamkeit des Eides und dessen Erstreckung auf die konkrete Übersetzungsleistung auf diesen berufen hat und auch das Gericht von der Wirksamkeit des Eides ausgegangen ist, die allgemeine Beeidigung aber im Einzelfall mängelbehaftet oder unzureichend war, weil der Eid statt vom Gerichtspräsidenten von einem von diesem beauftragten Richter abgenommen worden war (, NStZ 1984, 328), weil er sich auf eine andere als die Sprache bezog, aus der im konkreten Fall übertragen wurde (, BGHR GVG § 189 Abs. 2 Übertragung zusätzliche 1), oder weil er - unter der bis zum geltenden Fassung des § 189 Abs. 2 GVG - ein Tätigwerden bei dem betreffenden Gericht nicht erfasste (, NStZ 1986, 469 f.). In diesen Fällen war vor dem Hintergrund der Berufung auf einen geleisteten Eid und der damit verbundenen Annahme des Dolmetschers, an diesen im konkreten Fall gebunden zu sein, jeweils auszuschließen, dass der Dolmetscher sich seiner besonderen Verantwortung und seiner Pflicht zur treuen und gewissenhaften Übersetzung, die auch aus der Eidesleistung resultiert, nicht bewusst war (vgl. insofern auch , BGHR GVG § 189 Abs. 2 Verteidigung 2 Rn. 8). Diese Fallkonstellationen sind vergleichbar mit der hier vorliegenden.

13bb) Rechtlich unerheblich ist, dass die vorgenannte Neuregelung der allgemeinen Beeidigung von Dolmetschern in Niedersachsen besondere Anforderungen an die fachliche Qualifikation und persönliche Zuverlässigkeit von Dolmetschern aufgestellt hat und nicht ohne Weiteres gewährleistet ist, dass Dolmetscher, die lediglich vor dem in Niedersachsen allgemein beeidigt wurden, die seither geltenden Voraussetzungen für eine allgemeine Beeidigung erfüllen. Denn § 189 Abs. 1 GVG gestattet es den Gerichten, auch solche Personen als Dolmetscher zu vereidigen und einzusetzen, die den von § 23 NJG (und vergleichbaren Regelungen anderer Bundesländer) aufgestellten Anforderungen nicht genügen oder dies nicht nachgewiesen haben. § 189 GVG dient mithin nicht dazu, Dolmetscher von einem Tätigwerden auszuschließen, welche die derzeit landesrechtlich und zukünftig in §§ 3 f. GDolmG festgelegten formellen Voraussetzungen für eine allgemeine Beeidigung nicht erfüllen (vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 45).

14cc) Zwar beruht ein Urteil regelmäßig auf der fehlenden Vereidigung eines Dolmetschers, wenn er - und sei es in gutem Glauben - behauptet hat, allgemein beeidigt zu sein, eine allgemeine Beeidigung gemäß § 189 Abs. 2 GVG tatsächlich jedoch nie stattfand. Denn dann fehlt es an einer hinreichenden Grundlage für eine Annahme des Dolmetschers, einer Eidespflicht genügen zu müssen (vgl. , BGHR GVG § 189 Abs. 2 Verteidigung 2 Rn. 4 ff.). Eine solche Fallgestaltung ist hier jedoch nicht gegeben, denn der tätig gewordene Dolmetscher war allgemein beeidigt worden; lediglich die Wirksamkeit des Eides war wegen Fristablaufs erloschen.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:110122B3STR406.21.0

Fundstelle(n):
wistra 2022 S. 439 Nr. 10
XAAAI-59650