BGH Beschluss v. - VII ZB 37/21

Subsidiaritätsgrundsatz im Rechtsbeschwerdeverfahren: Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nach versäumter Stellungnahme zum Hinweisbeschluss über die beabsichtigte Verwerfung der Berufung

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 574 Abs 1 S 1 Nr 1 ZPO, § 574 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Az: 16a U 145/20vorgehend Az: 10 O 167/19

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einem im November 2017 bei einem Autohaus erworbenen Pkw Porsche Cayenne S Diesel in Anspruch.

2Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO genüge. Hierauf war der Kläger zuvor mit Beschluss des Berufungsgerichts unter Gelegenheit zur Stellungnahme hingewiesen worden. Eine Stellungnahme des Klägers ist nicht erfolgt.

3Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger weder in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

51. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur Rn. 5 m.w.N., NJW-RR 2020, 503). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr., vgl. nur Rn. 6 m.w.N., NJW-RR 2020, 503).

62. Ob die Berufungsbegründung des Klägers diesen Anforderungen gerecht wird, muss nicht entschieden werden. Der Geltendmachung der etwaigen Verletzung seiner Grundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs und wirkungsvollen Rechtschutzes steht jedenfalls der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

7a) Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st. Rspr.; vgl. Rn. 15, NJW 2020, 1740; Urteil vom - III ZR 54/17 Rn. 37, BGHZ 219, 77; Beschluss vom - IX ZR 211/14 Rn. 4, NJW-RR 2016, 699; jeweils m.w.N.). Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren (vgl. Rn. 15, NJW 2020, 1740). Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führten. Nichts Anderes kann für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelten ( Rn. 12 m.w.N., NJW-RR 2021, 1507).

8b) Gemessen daran hat der Kläger es versäumt, im Rahmen der ihm eingeräumten Stellungnahmefrist zum Hinweisbeschluss die jetzt geltend gemachten Grundrechtsverletzungen zu rügen.

9Dem Kläger war durch die ihm vom Berufungsgericht eingeräumte Frist zur Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss die Möglichkeit eröffnet, dem Berufungsgericht mit rechtlichen Ausführungen vor Augen zu führen, weshalb seine Berufungsbegründung nach seiner Auffassung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO gerecht geworden und die Berufung daher zulässig war.

10Die - von ihm nicht genutzte - Möglichkeit, auf den Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts Stellung zu nehmen, dient nach allgemeiner Auffassung dem Zweck, dem Berufungsführer das rechtliche Gehör zu gewähren ( Rn. 7, NJW-RR 2017, 641; Beschluss vom - VIII ZB 25/12 Rn. 5, NJW-RR 2013, 255; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 522 Rn. 6, 13). Diesem soll Gelegenheit gegeben werden, sich zu der vom Berufungsgericht beabsichtigten Verwerfung seines Rechtsmittels zu äußern. Dieser Zweck der Vorschrift würde verfehlt, wenn man dem Berufungskläger die Wahl ließe, ob er eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör oder auf effektiven Rechtsschutz im Hinweisbeschluss innerhalb der ihm eingeräumten Frist zur Stellungnahme oder erst in einem sich anschließenden Rechtsbeschwerdeverfahren rügt (vgl. Rn. 16, NJW 2020, 1740).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:120122BVIIZB37.21.0

Fundstelle(n):
CAAAI-59349