Betreuungssache: Grenzen der Rechtspflegerzuständigkeit für die Bestellung eines Kontrollbetreuers; Behandlung einer unwirksamen Entscheidung des funktionell unzuständigen Rechtspflegers; persönliche Anhörung des Betroffenen im Verfahren auf Einrichtung einer Kontrollbetreuung
Leitsatz
1. Der Rechtspfleger ist nur dann funktionell für die Bestellung eines Kontrollbetreuers zuständig, wenn sie nicht zugleich eine Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf enthält; wird dem Kontrollbetreuer diese Ermächtigung erteilt, ist das gesamte Geschäft dem Richter vorbehalten (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 305/16, FamRZ 2017, 549).
2. Die unwirksame Entscheidung des funktionell unzuständigen Rechtspflegers ist im Rechtsbehelfsverfahren ohne Rücksicht auf ihre inhaltliche Richtigkeit aufzuheben und die Sache ist an den Richter des Ausgangsgerichts zur Behandlung und Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückzuverweisen (im Anschluss an , NJW-RR 2005, 1299).
3. Entschließt sich das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht in einem Verfahren auf Einrichtung einer Kontrollbetreuung zur Einholung eines ärztlichen Zeugnisses und will es dieses Zeugnis als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen, muss es den Betroffenen grundsätzlich auch dann persönlich anhören, wenn es im Ergebnis des Verfahrens von der Bestellung eines Kontrollbetreuers absehen will (Fortführung des Senatsbeschlusses vom - XII ZB 527/20, FamRZ 2021, 1412).
Gesetze: § 8 Abs 4 RPflG, § 15 Abs 1 RPflG, § 26 FamFG, § 1896 Abs 3 BGB, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: LG Nürnberg-Fürth Az: 13 T 5391/20vorgehend AG Erlangen Az: 5 XVII 1093/19
Gründe
I.
1Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob für die Betroffene eine Kontrollbetreuung einzurichten ist.
2Die 1929 geborene Betroffene hatte ihrem Sohn (Beteiligter zu 1) im März 2013 eine umfassende General- und Vorsorgevollmacht erteilt. Im Juli 2019 regte ihre Tochter (Beteiligte zu 3) die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene an und begründete dies damit, dass erhebliche Vermögenswerte der Betroffenen mittelbar oder unmittelbar zugunsten des bevollmächtigten Sohnes verschoben worden seien und die Betroffene nicht angemessen versorgt und betreut werde.
3Der Rechtspfleger bei dem Amtsgericht hat die Betroffene am angehört und im Anschluss daran die Einholung eines ärztlichen Zeugnisses „zu den medizinischen Voraussetzungen einer Kontrollbetreuung“ angeordnet, welches der Sachverständige Dr. R. am vorgelegt hat. Mit Beschluss vom hat der Rechtspfleger eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis „Kontrolle des Bevollmächtigten …. sowie Widerruf der notariellen General- und Vorsorgevollmacht vom “ eingerichtet und Rechtsanwalt M. (Beteiligter zu 2) zum Berufsbetreuer bestellt. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und das Kontrollbetreuungsverfahren eingestellt.
4Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt die Tochter der Betroffenen die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung.
II.
5Die Rechtsbeschwerde hat nur teilweise Erfolg.
61. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerdebefugnis der Tochter der Betroffenen folgt für das Verfahren der Rechtsbeschwerde aus einer entsprechenden Anwendung von § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Nach der Rechtsprechung des Senats können die in dieser Vorschrift genannten nahen Angehörigen des Betroffenen, sofern sie - wie hier - in erster Instanz beteiligt waren, gegen einen in der Beschwerdeinstanz abgeänderten Betreuungsbeschluss im Interesse des Betroffenen eine Rechtsbeschwerde im eigenen Namen führen, ohne dass sie durch die Beschwerdeentscheidung formell beschwert sein müssten (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 91/20 - FamRZ 2021, 228 Rn. 16 f. mwN).
72. In der Sache hat das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung des Rechtspflegers bei dem Amtsgericht - jedenfalls im Ergebnis - zu Recht aufgehoben. Allerdings durfte es das Kontrollbetreuungsverfahren nicht einstellen, so dass die Sache insoweit zur erneuten Behandlung und Entscheidung an den zuständigen Betreuungsrichter bei dem Amtsgericht zurückzuverweisen war.
8a) Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass sich aus dem in erster Instanz eingeholten neurologisch-psychiatrischen Zeugnis des Sachverständigen Dr. R. vom keine Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung bzw. einer geistigen oder seelischen Behinderung der Betroffenen ergeben hätten. Auch sei die Betroffene aus psychiatrischer Sicht zur Bildung eines freien Willens in der Lage und als geschäftsfähig zu erachten. An der Fähigkeit der Betroffenen zur freien Willensbildung und an ihrer Geschäftsfähigkeit habe sich auch im weiteren Verlauf des Verfahrens nichts geändert. Eine Mitarbeiterin der Betreuungsbehörde habe die Betroffene am aufgesucht und keine Zweifel an der Orientiertheit der Betroffenen feststellen können. Die Betroffene wünsche keine Änderungen der Vollmacht und lehne die Kontrollbetreuung weiterhin ab. Die Einrichtung einer Kontrollbetreuung könne - anders als das Amtsgericht meine - nicht mit deren bloßer Erforderlichkeit gerechtfertigt werden. Der Kontrollbetreuer habe in seiner Stellungnahme vom zwar mitgeteilt, dass aus seiner Sicht mehr als ausreichende Anhaltspunkte für einen Missbrauch der Vollmacht zum Nachteil der Betroffenen vorliegen würden. Ein Widerruf der Vollmacht würde aber nach seiner Meinung nicht zur Einrichtung einer Betreuung führen können, weil die Einschätzung des Sachverständigen Dr. R. zur Geschäftsfähigkeit der Betroffenen und ihrer damit einhergehenden Fähigkeit zur Kontrolle des Bevollmächtigten dem entgegenstünde. Dementsprechend habe auch die Betreuungsbehörde in ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass eine widerrufene Vollmacht unmittelbar nach Widerruf von der Betroffenen neu erteilt werden könnte.
9b) Die Entscheidung des Amtsgerichts unterliegt bereits deshalb der Aufhebung, weil der funktionell unzuständige Rechtspfleger entschieden hat.
10Zwar gehört die Bestellung eines Betreuers mit dem Wirkungskreis der Geltendmachung von Rechten gegenüber seinem Bevollmächtigten (Kontrollbetreuung) nach der derzeit gültigen Rechtslage nicht zu den Geschäften des Betreuungsgerichts, für die ein Richtervorbehalt angeordnet ist (vgl. §§ 3 Nr. 2, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 2 RPflG). Indessen hat der Rechtspfleger den Kontrollbetreuer ausdrücklich zum Widerruf der Vollmacht ermächtigt. Der Vollmachtwiderruf ist nicht im allgemeinen Aufgabenkreis eines Kontrollbetreuers nach § 1896 Abs. 3 BGB enthalten, sondern bedarf einer besonderen Zuweisung als eigenständiger Aufgabenkreis. Bereits die Zuweisung des Aufgabenkreises des Vollmachtwiderrufs stellt einen gravierenden staatlichen Eingriff in das von Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen dar (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 68/20 - FamRZ 2020, 1677 Rn. 15 und BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702 Rn. 11 ff.), der wegen seines besonderen Gewichts dem Richter vorbehalten sein muss. Der Senat hat daher bereits entschieden, dass der Rechtspfleger nur dann funktionell für die Bestellung eines Kontrollbetreuers zuständig ist, wenn sie nicht zugleich eine Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf enthält (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 305/16 - FamRZ 2017, 549 Rn. 13). Wird dem Kontrollbetreuer - wie hier - diese Ermächtigung erteilt, ist das gesamte Geschäft dem Richter vorbehalten.
11Die Entscheidung des Rechtspflegers ist daher nach § 8 Abs. 4 Satz 1 RPflG unwirksam. Die unwirksame Entscheidung des funktionell unzuständigen Rechtspflegers ist im Rechtsbehelfsverfahren aufzuheben, ohne dass es auf die sachliche Richtigkeit der Entscheidung ankäme (vgl. - NJW-RR 2005, 1299).
12c) Von Rechtsfehler beeinflusst ist demgegenüber der weitere Ausspruch des Beschwerdegerichts, das Kontrollbetreuungsverfahren einzustellen. Denn unterliegt die Entscheidung des funktionell unzuständigen Rechtspflegers durch das Rechtsmittelgericht ohne materielle Nachprüfung der Aufhebung, muss die Sache grundsätzlich an den Richter des Ausgangsgerichts zur Behandlung und Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückverwiesen werden. Im Übrigen konnte das Beschwerdegericht über die Einstellung des Kontrollbetreuungsverfahrens auch deshalb nicht selbst entscheiden, weil es hier an verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen fehlt, die eine solche Entscheidung hätten tragen können.
13aa) Zwar ordnet § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine persönliche Anhörung nur vor der Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen an. Damit ist aber nicht die Aussage verbunden, dass es einer persönlichen Anhörung dann, wenn es nicht zur Betreuerbestellung kommt, grundsätzlich nicht bedarf. Sieht das Gericht in solchen Fällen, in denen es im Ergebnis eine Betreuerbestellung ablehnen will, von vornherein von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen ab, verkürzt es damit seine Ermittlungspflicht in einer Weise, die mit dem durch das Betreuungsrecht gewährleisteten Erwachsenenschutz nicht zu vereinbaren ist. Denn die persönliche Anhörung dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern hat vor allem den Zweck, dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Ihr kommt damit auch in den Fällen, in denen sie nicht durch Gesetz vorgeschrieben ist, eine zentrale Stellung im Rahmen der gemäß § 26 FamFG in einem Betreuungsverfahren von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 527/20 - FamRZ 2021, 1412 Rn. 8 mwN).
14bb) Der Senat hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass das Gericht dann, wenn es sich im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 26 FamFG in einem betreuungsrechtlichen Verfahren zur Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens entschließt und dieses Gutachten als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen will, den Betroffenen auch dann persönlich anzuhören hat, wenn die Anhörung nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Dies gilt nicht nur in den Fällen, in denen das Gericht die Aufhebung einer bestehenden Betreuung ablehnen will, sondern grundsätzlich auch dann, wenn das Gericht im Verfahren auf erstmalige Bestellung eines Betreuers von der Einrichtung einer Betreuung absehen möchte (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 527/20 - FamRZ 2021, 1412 Rn. 11). Denn erst die persönliche Anhörung des Betroffenen und der dadurch von ihm gewonnene Eindruck versetzen das Gericht in die Lage, seine Kontrollfunktion gegenüber dem Sachverständigen sachgerecht auszuüben. Zur kritischen Würdigung des Sachverständigengutachtens ist das Gericht unabhängig vom Verfahrensergebnis verpflichtet.
15Andere Maßstäbe ergeben sich nicht daraus, dass das Amtsgericht im vorliegenden Fall von der Möglichkeit des § 281 Abs. 1 Nr. 2 FamFG Gebrauch gemacht hat, auf die Einholung eines den Erfordernissen des § 280 FamFG entsprechenden Gutachtens zu verzichten und dieses durch ein ärztliches Zeugnis zu ersetzen. Das ärztliche Zeugnis ist dem Sachverständigengutachten inhaltlich durchaus vergleichbar. Wie das Sachverständigengutachten soll auch das ärztliche Zeugnis dem Gericht eine ausreichende Tatsachengrundlage für seine Entscheidung verschaffen, was bei einem Zeugnis nur dann gewährleistet ist, wenn es - zumindest in groben Zügen und in verkürzter Form - die durchgeführten Untersuchungen, die sich hieraus ergebende Diagnose und den aus den krankheitsbedingten Einschränkungen des Betroffenen folgenden Betreuungsbedarf darstellt (vgl. BeckOK FamFG/Günter [Stand: ] § 281 Rn. 5). Auch muss der Arzt den Betroffenen, ebenso wie bei einem Gutachten, gemäß § 280 Abs. 2 FamFG persönlich untersucht oder befragt haben (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 187/17 - FamRZ 2017, 1866 Rn. 9). § 281 FamFG regelt somit nur die verfahrensrechtlichen Mindestvoraussetzungen für die auf die Notwendigkeit der Betreuerbestellung bezogene Sachverhaltsermittlung in den genannten Fallkonstellationen, lässt jedoch im Übrigen die Verpflichtung des Gerichts zur kritischen Würdigung des ärztlichen Zeugnisses sowie seine Amtsermittlungspflicht unberührt (vgl. Keidel/Giers FamFG 20. Aufl. § 281 Rn. 8).
16Gemessen daran hätte das Beschwerdegericht, welches das ärztliche Zeugnis des Sachverständigen Dr. R. als Tatsachengrundlage für seine Feststellung herangezogen hat, das Kontrollbetreuungsverfahren von vornherein nicht ohne vorherige persönliche Anhörung der Betroffenen einstellen können. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Betroffene bereits am durch den Rechtspfleger persönlich angehört worden ist. Unabhängig davon, dass diese Anhörung vor der Anordnung der Beweisaufnahme stattfand und sie im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung rund sechzehn Monate zurücklag, lässt sich aus der Entscheidung des Amtsgerichts nichts dafür entnehmen, dass der Rechtspfleger seinen persönlichen Eindruck von der Betroffenen aus der Anhörung durch das ärztliche Zeugnis des Dr. R. bestätigt gesehen hätte. Denn für das Amtsgericht hatte sich - aus seiner Sicht folgerichtig - ein Eingehen auf die medizinischen Voraussetzungen der Betreuung und auf den freien Willen der Betroffenen erübrigt, weil es der vom Beschwerdegericht mit Recht beanstandeten Auffassung war, eine Kontrollbetreuung könne schon beim Vorliegen eines objektiven Betreuungsbedarfs, also immer dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch der Vollmacht vorliegen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:160222BXIIZB355.21.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2022 S. 651 Nr. 10
HAAAI-59330