Instanzenzug: Az: I-24 U 53/20vorgehend Az: 116 O 8/15
Gründe
I.
1Die Kläger verlangen von den Beklagten die Bezahlung von Architektenleistungen, die Beklagten begehren widerklagend die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Kläger wegen einer angeblich fehlenden Genehmigungsfähigkeit einer Planung.
2Das Landgericht hat mit am verkündetem Urteil die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, 34.499,92 € nebst Zinsen an den Kläger zu 1 zu zahlen. Die Klagen im Übrigen und die Widerklagen hat es abgewiesen.
3Das Urteil ist den Beklagten zu Händen ihrer erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten mit beim Berufungsgericht am eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat auf Antrag der Beklagten die Berufungsbegründungsfrist bis zum verlängert. Die Berufungsbegründung ist am beim Berufungsgericht eingegangen, nachdem dieses die Beklagten mit Verfügung vom auf das Unterbleiben der Berufungsbegründung und die Absicht, die Berufung aus diesem Grunde als unzulässig zu verwerfen, hingewiesen hatte.
4Die Beklagten haben beantragt, ihnen wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages haben sie ausgeführt:
5Die Frist zur Begründung der Berufung sei durch ein außergewöhnliches Versehen der Mitarbeiterin N. ihres Prozessbevollmächtigten versäumt worden. Diese habe nach Eingang der Verfügung des Berufungsgerichts vom , durch die die Berufungsbegründungsfrist bis zum verlängert worden sei, auf dieser Verfügung vermerkt, dass die darin bestimmte Frist bereits im Fristenbuch notiert sei. Tatsächlich sei dies jedoch, wie erst nach Eingang der weiteren Verfügung des Berufungsgerichts vom aufgefallen, nicht der Fall gewesen. Die Mitarbeiterin N. sei seit der Kanzleigründung im Jahr 2006 für die Sozietät ihres Prozessbevollmächtigten tätig und habe stets zuverlässig gearbeitet. Ihr sei aus eigener Erinnerung kein vergleichbares persönliches Versäumnis in diesem Zeitraum erinnerlich und auch dem Prozessbevollmächtigten selbst sei seit seinem Eintritt in die Kanzlei im Jahr 2013 ein solches Versäumnis nicht bekannt. Der Prozessbevollmächtigte selbst habe, da der Fristenvermerk eindeutig gewesen sei und die Verfügung des Berufungsgerichts ihm mit der Tagespost vorgelegt worden sei, keinen Anlass gehabt, weitere Überprüfungen vorzunehmen. In der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten bestehe die eindeutige Anweisung, Fristenvermerke in der Handakte beziehungsweise auf dem relevanten Schriftstück, das zur Handakte zu nehmen sei, erst nach Eintragung beziehungsweise Kontrolle der bereits vorhandenen Eintragung vorzunehmen. Zudem bestehe die Anweisung, Rechtsmittelbegründungsfristen vorrangig vor sonstigen Bearbeitungsfristen zu notieren. Zudem habe der Prozessbevollmächtigte im vorliegenden Fall die konkrete Einzelweisung erteilt, telefonisch beim Berufungsgericht zu erfragen, ob dem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben worden sei, und nach Eingang der schriftlichen Fristverlängerung für eine Notierung der Frist beziehungsweise Fristenkontrolle Sorge zu tragen.
6Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten, ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.
7Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstreben die Beklagten die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
II.
8Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
9Der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten bleibe in der Sache ohne Erfolg. Die Beklagten hätten nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass es zu der unterbliebenen Abfassung der Berufungsbegründung allein aufgrund eines Büroversehens einer Kanzleimitarbeiterin gekommen sei, ohne dass ein zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten vorliege.
10Zwar hätten die Beklagten vorgetragen, dass der Ablauf der Fristenkontrolle in der Sozietät des Prozessbevollmächtigten sich einheitlich dergestalt darstelle, dass Fristabläufe mit Vorfristen notiert und die Akten zusammen mit einem Fristenzettel im Rahmen der Vorfristkontrolle dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt spätestens eine Woche vor Fristablauf vorgelegt würden. Es fehle jedoch jeder Vortrag dazu, dass auch im vorliegenden Verfahren eine Vorfrist notiert worden sei oder ob die Eintragung einer derartigen Vorfrist bei Eingang der schriftlichen Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist kontrolliert worden sei. Ebenso fehle es an jeder Darlegung, ob die Akte dem Beklagtenvertreter am Tag der Vorfrist vorgelegt worden sei und er die gebotene Prüfung der eingetragenen Fristen vorgenommen habe. Vor diesem Hintergrund bestünde bereits die Möglichkeit einer seitens des Prozessbevollmächtigten verschuldeten Fristversäumung.
11Darüber hinaus halte das Berufungsgericht die Schilderung der Vorgänge, durch die es zu der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gekommen sein solle, nicht für überzeugend. Insbesondere erscheine nicht nachvollziehbar und daher nicht glaubhaft, dass es zu der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist allein aufgrund eines einmaligen außergewöhnlichen Versehens der zuständigen Mitarbeiterin N. gekommen sei. Denn angesichts des Vortrags der Beklagten, in der Kanzlei des Beklagtenvertreters würden stets Vorfristen notiert beziehungsweise kontrolliert, wäre ein versehentliches Notieren des Vermerks auf der beglaubigten Abschrift der schriftlichen Fristverlängerung durch die Mitarbeiterin nur dann erklärlich, wenn sie bei Eingang der Verfügung nicht nur übersehen hätte, dass der Fristablauf am selbst nicht eingetragen gewesen sei, sondern auch, dass keine Vorfrist zu diesem Fristablauf im Fristenkalender eingetragen worden war. Ein einmaliges "Vergucken" vermöge die Vorgänge, die zu der Fristversäumung geführt hätten, daher nicht zu erklären.
III.
12Die Rechtsbeschwerde der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
131. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Denn die angefochtene Entscheidung weicht - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend ausführt - von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Soweit das Berufungsgericht aufgrund einer fehlenden Kontrolle der Vorfrist dem Beklagtenvertreter selbst ein Verschulden zuweist, ist dies nicht mit dem Rn. 9, NJW-RR 2018, 1451, zu vereinbaren. Hinsichtlich der Ausführungen zur fehlenden Glaubhaftmachung beachtet die angefochtene Entscheidung nicht die Beschlüsse des Rn. 18, FamRZ 2018, 281, vom - XII ZB 379/19 Rn. 13, NJW-RR 2020, 501, und vom - XII ZB 200/20, Rn. 18, NJW-RR 2021, 505.
142. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu einem nicht auszuschließenden Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sowie zur fehlenden Glaubhaftmachung halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
15a) aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zur ordnungsgemäßen Organisation einer Anwaltskanzlei die allgemeine Anordnung, dass zur Wahrung der Frist für die Einreichung einer Rechtsmittelbegründung außer dem Datum des Fristablaufs noch eine Vorfrist notiert werden muss. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Dauer der Vorfrist hat grundsätzlich etwa eine Woche zu betragen. Desweiteren entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ein Rechtsanwalt die Berechnung der allgemein anfallenden einfachen Fristen sowie die Führung des Fristenkalenders im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbständigen Erledigung übertragen darf. Zu den die Führung des Fristenkalenders betreffenden Aufgaben, die delegiert werden dürfen, gehört die Ermittlung und Notierung von Vorfristen. Da eine Vorfrist keine echte Frist darstellt, sondern die rechtzeitige Wiedervorlage sichert, hängt sie von der Hauptfrist ab und wird von dieser ausgehend durch einfache Rückrechnung ermittelt. Infolge dessen muss der Rechtsanwalt zwar durch allgemeine Anweisung im Rahmen der Büroorganisation sicherstellen, dass bei Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist in den Fristenkalender zugleich eine ausreichende Vorfrist eingetragen wird; unter dieser Voraussetzung kann er aber, wenn in der Handakte die Hauptfrist notiert und ein Erledigungsvermerk über die Eintragung in den Fristenkalender enthalten ist, grundsätzlich davon ausgehen, dass bei der Eintragung auch die Vorfrist weisungsgemäß ermittelt und in den Fristenkalender übernommen worden ist ( Rn. 7, 9 m.w.N., NJW-RR 2018, 1451).
16bb) Mit dieser Rechtsprechung ist es nicht zu vereinbaren, dass das Berufungsgericht dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorwirft, die Eintragung einer Vorfrist nicht kontrolliert zu haben.
17Soweit das Berufungsgericht weiter ausführt, den Begründungen zu dem Antrag auf Wiedereinsetzung und den eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiterin N. sei nicht zu entnehmen, ob eine Vorfrist eingetragen worden sei, weshalb die Möglichkeit bestünde, dem Prozessbevollmächtigten wäre zu einer eingetragenen Vorfrist die Akte vorgelegt worden und dieser habe den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist nicht geprüft, ist das mit den Antragsbegründungen und den eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiterin N. und des Prozessbevollmächtigten nicht zu vereinbaren. Denn daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass die Akte nicht mehr bearbeitet wurde, bis das Berufungsgericht mit Verfügung vom auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte.
18b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss das Berufungsgericht, will es einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenken, den Antragsteller darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten ( Rn. 18, NJW-RR 2021, 505; Beschluss vom - XII ZB 379/19 Rn. 13, NJW-RR 2020, 501; Beschluss vom - VII ZB 35/11 Rn. 12, MDR 2012, 539; jeweils m.w.N.).
19Unabhängig davon hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob in der Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Beklagtenvertreters und seiner Mitarbeiterin als Zeugen liegt (, Rn. 19, NJW-RR 2021, 505; Beschluss vom - XII ZB 379/19, Rn. 13, NJW-RR 2020, 501 jeweils m.w.N.), wovon regelmäßig auszugehen ist ( Rn. 18, FamRZ 2018, 281).
20Die Rechtsbeschwerde hat nunmehr im Rechtsbeschwerdeverfahren die Zeugin N. und den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausdrücklich als Zeugen benannt.
IV.
21Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird die Frage der Glaubhaftmachung einer im Sinne von § 233 Satz 1 ZPO unverschuldeten Versäumung der Berufungsbegründungsfrist - gegebenenfalls unter Vernehmung der benannten Zeugen - neu zu prüfen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:260122BVIIZB2.21.0
Fundstelle(n):
HAAAI-58961