BGH Beschluss v. - II ZR 118/21

GmbH & Co. KG: Haftung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH für Obliegenheitsverletzungen; stillschweigendes Einverständnis der Gesellschafter der Kommanditgesellschaft mit dem Handeln des Geschäftsführers

Gesetze: § 43 Abs 2 GmbHG

Instanzenzug: OLG Celle Az: 9 U 58/20vorgehend LG Lüneburg Az: 7 O 15/19

Gründe

I.

1Die Klägerin, eine UG & Co. KG, nimmt den Beklagten als früheren Geschäftsführer ihrer Komplementärin wegen von ihm von Januar 2017 bis Februar 2018 veranlasster Zahlungen in Höhe von insgesamt 139.345,86 € auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Beklagte war im maßgeblichen Zeitraum Kommanditist der Klägerin und neben            H.     einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer ihrer Komplementärin (im Folgenden: Komplementär-UG).

3Hauptsächlicher Geschäftsgegenstand der Klägerin war die Grundstücksverwaltung. Neben einer Immobilie hielt sie weitere Unternehmensbeteiligungen, unter anderem war sie an der "T.                      GmbH        "(im Folgenden: T.      -GmbH) bis Mai 2017 mit einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Minderheitsgesellschafter, ab dann als alleinige Gesellschafterin beteiligt. Geschäftsführer der T.        -GmbH war bis Ende Mai 2017            H.    , seit Juli 2017 der Beklagte.

4Nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 des Gesellschaftsvertrags der Klägerin war u.a. die Zusage und Gewährung von Krediten von mehr als 10.000 € ebenso wie das Eingehen von Bürgschaften sowie Erfüllungsversprechen und -garantien in dieser Höhe nur mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung zulässig.

5Von Januar 2017 bis Februar 2018 veranlasste der Beklagte zu Lasten der Klägerin Zahlungen in Höhe von insgesamt 139.345,86 € an Dritte, um damit Verbindlichkeiten der T.       -GmbH zu begleichen, ohne dass diesbezüglich ein Gesellschafterbeschluss gefasst worden war. Rückzahlungen oder geldwerte Gegenleistungen der T.    -GmbH an die Klägerin erfolgten nicht. Am wurde über das Vermögen der T.     -GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.

6Im September 2018 wurde der Beklagte als Geschäftsführer der Komplementär-UG abberufen und im Dezember 2018 aus der Klägerin ausgeschlossen.

7Das Landgericht hat den Beklagten auf die Klage antragsgemäß zur Zahlung von 139.345,86 € nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht durch Beschluss zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten, mit der er seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgen will.

II.

8Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Der angefochtene Beschluss beruht auf einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

91. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

10Die Klägerin könne den Beklagten auf Schadensersatz nach § 43 Abs. 2 GmbHG in Anspruch nehmen, weil die Voraussetzungen der - auch im Fall einer Komplementär-UG anwendbaren - Grundsätze zur Einbeziehung einer GmbH & Co. KG in den Schutzbereich der Haftung des Geschäftsführers ihrer Komplementär-GmbH nach § 43 Abs. 2 GmbHG erfüllt seien. Der Beklagte habe mit den streitgegenständlichen Zahlungen gegen seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung verstoßen. Zum einen habe er damit den im Gesellschaftsvertrag enthaltenen Zustimmungsvorbehalt ignoriert, zum anderen habe er erkennen müssen, dass die Unterstützung der T.     -GmbH per se pflichtwidrig, nämlich ein "Fass ohne Boden" sein würde. Soweit er behaupte, die Zahlungen seien im Einverständnis mit sämtlichen Gesellschaftern erfolgt, sei ihm der dafür obliegende Nachweis schon deshalb nicht gelungen, weil der in erster Instanz als Zeuge vernommene Kommanditist G.    nach der Feststellung des Landgerichts sein Einverständnis nicht bekundet habe. Konkrete Anhaltpunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellung zeige der Beklagte nicht auf. Zudem habe er, selbst wenn man die Angaben des Zeugen G.    für unglaubhaft halten wollte, den Beweis einer allseitigen Zustimmung aus dem Gesellschafterkreis nicht geführt. Einer Vernehmung der von ihm zur Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen G.   benannten Zeugen bedürfe es daher nicht. Schließlich sei der Anspruch der Klägerin auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass er keinen Eingang in ihre Jahresabschlüsse für 2017 und 2018 gefunden habe. Die Rechtsprechung zur Verbindlichkeit des Jahresabschlusses sei nicht einschlägig, weil sie das Verhältnis der Gesellschafter untereinander betreffe, während es hier um die Stellung des Beklagten als Geschäftsführer der Komplementärin gehe und die Jahresabschlüsse erst nach seinem Ausschluss aus der Klägerin aufgestellt worden seien.

112. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe den ihm obliegenden Nachweis eines Einverständnisses sämtlicher Gesellschafter der Klägerin mit den streitgegenständlichen Zahlungen nicht geführt, beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

12a) Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfG, NVwZ 2016, 1475 Rn. 14 f.; NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26; , juris Rn. 8; Beschluss vom - VIII ZR 18/20, ZMR 2021, 957 Rn. 12; jeweils mwN). Außerdem stellt die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr.; siehe etwa BVerfGE 65, 305, 307; 69, 141, 144; , NJW 2020, 1740 Rn. 4 mwN).

13b) Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom im Anschluss an die mündliche Verhandlung des Landgerichts unter anderem vorgetragen, der Zeuge G.   habe entgegen seiner Bekundung nicht erst im Mai 2017 die massive Verwendung von Geldern der Klägerin für die T.    -GmbH bemerkt, sondern sei als Steuerberater der Klägerin bereits zuvor laufend von seinen Mitarbeitern im Steuerberaterbüro über die streitgegenständlichen Zahlungen unterrichtet worden. Insbesondere sei bereits von Januar bis Mitte 2017 erörtert worden, ob die Zahlungen auf einem gesonderten Darlehenskonto oder lediglich auf einem Verrechnungskonto zu buchen seien; die Verbuchung auf einem Verrechnungskonto habe auf einer Anweisung G.     beruht, der die Behandlung der Beträge noch habe klären wollen. Als Zeugen für diese Behauptung hat der Beklagte       N.   , der im Büro G.     für die Steuerberatung der Klägerin zuständig gewesen sei, und Herrn L.     , der die Klägerin buchhalterisch betreut habe, benannt. Dieses Vorbringen hat der Beklagte in der Berufungsbegründung durch Bezugnahme auf seine erstinstanzlichen Ausführungen aufrechterhalten und die Nichtberücksichtigung der von ihm benannten Zeugen durch das Landgericht in seiner Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts nochmals ausdrücklich gerügt.

14c) Das Berufungsgericht hat dieses Vorbringen zwar zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt, indem es die angebotene Zeugenvernehmung in seinem Zurückweisungsbeschluss erörtert und für die Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen G.    für nicht entscheidungserheblich erachtet hat. Damit hat es jedoch den wesentlichen Kern des Vorbringens des Beklagten verkannt. Die vom Beklagten behauptete und unter Beweis gestellte Kenntnis des Zeugen G.    von den streitgegenständlichen Zahlungen und seinen Umgang mit diesen seit Januar 2017 betraf nicht nur die Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen G.    , sondern vor allem die vom Beklagten behauptete Haupttatsache der (stillschweigenden) Billigung dieser Zahlungen durch den Zeugen.

15d) Dieses Vorbringen und die diesbezüglichen Beweisangebote des Beklagten waren erheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Erhebung der angebotenen Beweise ein haftungsausschließendes stillschweigendes Einverständnis der Gesellschafter der Klägerin zumindest für einen Teil der Zahlungen bejaht hätte.

16aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des Senats eine pflichtwidrige haftungsbegründende Handlung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH für Schäden der Kommanditgesellschaft im Hinblick auf das für die Haftungserstreckung nach § 43 Abs. 2 GmbHG notwendige Schutzbedürfnis der Kommanditgesellschaft regelmäßig auch dann nicht angenommen werden kann, wenn sämtliche Gesellschafter der Kommanditgesellschaft als potentiell Geschädigte nach zutreffender Information über den Sachverhalt mit dem Handeln des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einverstanden waren (vgl. , WM 1956, 61, 62; Urteil vom - II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 33), und dies gleichermaßen im Fall einer Komplementär-UG gilt.

17bb) Legt man den unter Beweis gestellten Vortrag des Beklagten zur Kenntnis des Zeugen G.    von den streitgegenständlichen Zahlungen und deren Verbuchung seit Januar 2017 zugrunde, ist die Annahme eines stillschweigenden Einverständnisses des Zeugen mit den Zahlungen (zumindest bis Mai 2017) nicht ausgeschlossen.

18Zwar lässt allein der Umstand, dass ein Gesellschafter Kenntnis von einer Maßnahme hat, noch nicht zwingend auch auf sein Einverständnis schließen (vgl. Scholz/Verse, GmbHG, 12. Aufl., § 43 Rn. 265). Auch werden in der Literatur - worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat - teilweise hohe Anforderungen an ein haftungsausschließendes stillschweigendes Einverständnis gestellt (vgl. BeckOK GmbHG/Ziemons/Pöschke, Stand: , § 43 Rn. 278; MünchKommGmbHG/Fleischer, 3. Aufl., § 43 Rn. 279; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl., § 43 Rn. 17). Gleichwohl kann im Einzelfall bei Hinzutreten weiterer Umstände eine zumindest stillschweigende Übereinkunft der Gesellschafter über eine Maßnahme anzunehmen sein, wenn der Geschäftsführer in Anbetracht des Sach- und Kenntnisstands der Gesellschafter bis zu einer gegenteiligen Weisung berechtigterweise davon ausgehen durfte, mit ihrem Einverständnis zu handeln (vgl. , ZIP 2000, 135, 136; Urteil vom - II ZR 90/00, DStR 2002, 227; so auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, 3. Aufl., § 43 Rn. 221). Ob dies der Fall ist, ist in einer umfassenden Würdigung sämtlicher wesentlicher Umstände des konkreten Falles zu beurteilen.

19Danach ist es nicht ausgeschlossen, dass das Verhalten des Zeugen G.   , sollten die vom Beklagten benannten Zeugen glaubhaft bestätigen, dass er als Steuerberater der Klägerin bereits seit Januar 2017 Kenntnis von sämtlichen streitgegenständlichen Zahlungen gehabt und über deren Verbuchung entschieden hat, bis zu einer gegenteiligen Äußerung als stillschweigende Billigung verstanden werden konnte. Zwar können die Zeugen N.   und L.      möglicherweise nichts aus eigenem Wissen über etwaige Einwände des Zeugen G.   gegenüber dem Beklagten bekunden. Gleichwohl können ihre Aussagen deswegen nicht von vornherein als schlechthin bedeutungslos angesehen werden, da es um die Feststellung und Bewertung des Gesamtverhaltens des Zeugen G.   geht. Die Annahme, dass die Zeugen hierzu überhaupt nichts Sachdienliches bekunden könnten, wäre eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung (vgl. , NJW-RR 2013, 9 Rn. 14).

20cc) Da das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - zur Frage einer stillschweigenden Billigung der streitgegenständlichen Zahlungen durch die übrigen Gesellschafter der Klägerin keine Feststellungen getroffen hat, ist dies im vorliegenden Verfahren gemäß dem Vortrag des Beklagten zu seinen Gunsten zu unterstellen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:080222BIIZR118.21.0

Fundstelle(n):
DStR 2022 S. 1968 Nr. 38
DStR-Aktuell 2022 S. 12 Nr. 13
NJW-RR 2022 S. 547 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 14/2022 S. 962
RAAAI-58923