Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - Landesblindengeld - Zweckverfehlungseinwand bei zerebral schwerstbehinderten Menschen - Stützung des LSG auf die Rechtsprechung des BSG - Divergenz - Darlegungsanforderungen
Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 162 SGG, § 163 SGG, § 1 Abs 1 BliGG SN 2001, § 1 Abs 2 Nr 2 BliGG SN 2001
Instanzenzug: Az: S 25 BL 6/17 Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 9 BL 7/20 Urteil
Gründe
1I. In der Hauptsache erstrebt die Klägerin die Gewährung von Blindengeld nach dem Sächsischen Blindengeldgesetz (SächsBlindG). Mit Urteil vom hat das LSG einen Anspruch der schwerstbehinderten Klägerin verneint. Zwar sei sie blind iS des SächsBlindG. Ein Anspruch auf Blindengeld bestehe aber dennoch nicht, weil der Beklagte erfolgreich den Einwand der Zweckverfehlung erhoben habe. Der Mangel an Sehvermögen der Klägerin könne krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen ausgeglichen werden. Bei der schweren Mehrfachschädigung der Klägerin sei ein blindheitsbedingter Mehraufwand nicht gegeben, auch wenn das Krankheitsbild keine dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma darstelle. Ein Ausgleich des fehlenden Sehvermögens mithilfe von Blindengeld im Sinne einer wesentlichen Verbesserung von Lebenssituationen und Teilhabemöglichkeiten sei nicht möglich.
2Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz.
3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie keinen der von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
41. Anders als rechtlich geboten hat die Klägerin bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des LSG zugrunde liegt, nicht hinreichend mitgeteilt. Ihren Schilderungen in der Beschwerdebegründung können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen werden. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung oder Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des BSG, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (stRspr; zB - juris RdNr 4; - juris RdNr 4; - juris RdNr 4).
5Ohne Sachverhaltswiedergabe kann das BSG nicht beurteilen, ob sich entscheidungserheblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder ob eine Abweichung zu einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsames Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG besteht, auf der die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtene vorinstanzliche Entscheidung beruht. Dies gilt umso mehr, wenn es sich - wie hier - um einen umfangreichen Lebenssachverhalt handelt. In einer solchen Konstellation ist vom Beschwerdeführer zu erwarten, dass die Tatsachenfeststellungen, die für das LSG und aus Sicht der Beschwerde entscheidungserheblich sind, in einer geordneten Abhandlung und nicht - wie hier erfolgt - im Rahmen der Begründung bruchstückhaft dargelegt werden (vgl - juris RdNr 5 mwN).
62. Auch im Übrigen hat die Klägerin weder den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hinreichend dargelegt (dazu unter a) noch den der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ordnungsgemäß bezeichnet (dazu unter b).
7a) Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - juris RdNr 4 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
8Die Klägerin hält folgende Fragen für Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung:"Ist der grundsätzliche Ausschluss zerebral schwerstbehinderter Menschen von der Förderung durch Blindengeld gerechtfertigt? Ist eine Ungleichbehandlung behinderter zerebral blinder Menschen gegenüber Menschen mit Blindheit aufgrund Störung der Sehorgane gerechtfertigt?"
9Es ist schon nicht klar, ob die Blindengeld nach dem SächsBlindG beanspruchende Klägerin damit insgesamt entscheidungserhebliche Fragen des revisiblen Rechts (§ 162 SGG) aufwirft, die in einem späteren Revisionsverfahren der Klärung zugänglich wären. Denn nach § 162 SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (vgl - juris RdNr 5 mwN). Hierzu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht.
10Unabhängig davon hat die Klägerin auch die Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der von ihr bezeichneten Fragestellungen in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht dargestellt. Das BSG hat den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanzen zu beurteilen, deren tatsächlichen Feststellungen es nach § 163 SGG binden. Nur auf dieser Grundlage kann das BSG darüber befinden, ob eine Rechtsfrage überhaupt entscheidungserheblich und damit klärungsfähig ist (vgl - juris RdNr 6 mwN). Dies hat die Klägerin jedoch nicht aufgezeigt. Sie legt nicht dar, aufgrund welcher für den Senat bindenden Feststellungen das LSG entschieden hat, dass der Beklagte den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung wirksam erhoben hat. Sie teilt schon nicht mit, welches konkrete Krankheitsbild der Klägerin mit welchen Funktionsstörungen das LSG diesbezüglich seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
11Darüber hinaus hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der von ihr aufgeworfenen Fragestellungen nicht aufgezeigt. Sie selbst weist auf die Rechtsprechung des BSG zur Frage der blindheitsbedingten Mehraufwendungen und des Einwands der Zweckverfehlung hin ( - BSGE 126, 63 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 4, RdNr 17 ff). Gegen diese Rechtsprechung erhebt sie aber keine substantiierten Einwendungen. Vielmehr stellt sie lediglich die Schlussfolgerungen des LSG aus der genannten Entscheidung des BSG bezogen auf ihren Einzelfall infrage. Damit wendet sie sich jedoch gegen eine aus ihrer Sicht fehlerhafte Rechtsanwendung des Berufungsgerichts. Hierauf kann eine Grundsatzrüge nicht gestützt werden (vgl - juris RdNr 8; - juris RdNr 9).
12Sofern die Klägerin mit ihren Fragestellungen sinngemäß eine Verletzung von Art 3 Abs 1 und 3 Satz 2 GG rügen wollte, legt sie auch insoweit einen Verstoß nicht hinreichend dar. Denn wer sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Regelung beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Grundrechte beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der infrage stehenden einfachgesetzlichen Norm aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelungen des GG dargelegt werden (stRspr; zB - juris RdNr 9 mwN). Solche Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung nicht.
13b) Eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt dann vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat.
14Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (stRspr; zB - juris RdNr 9 mwN).
15Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss daher entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und inwieweit das LSG von dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen ist (stRspr; zB - juris RdNr 23 mwN). Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt daher die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt. Dafür genügt es nicht, wenn das LSG eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt oder einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte (stRspr; zB - juris RdNr 10 mwN).
16An diesen notwendigen Darlegungen einer Divergenzrüge fehlt es vorliegend.
17Die Klägerin sieht eine Abweichung zur BSG-Rechtsprechung darin, dass das LSG statuiere, "Mehraufwendungen (…) sind bei dem schweren Krankheitsbild der Klägerin nicht vorstellbar", und überdies verlange, dass durch das Blindengeld eine "wesentliche Verbesserung von Lebenssituationen und Teilhabemöglichkeiten" entstehen müsse, weil anderenfalls eine Zweckverfehlung vorliege.
18Damit hat die Klägerin jedoch keinen von den von ihr in Bezug genommenen BSG-Entscheidungen ( - BSGE 126, 63 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 4; - BSGE 119, 224 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 3) divergierenden abstrakten Rechtssatz aus dem angefochtenen LSG-Urteil bezeichnet. Sie legt auch nicht dar, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG zur Frage der blindheitsbedingten Mehraufwendungen und des Einwands der Zweckverfehlung infrage gestellt hat. Vielmehr hat es sich in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auf diese BSG-Rechtsprechung gestützt, worauf der Beklagte in seiner Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist. Im Kern ihres Vorbringens wendet sich die Klägerin unter Darstellung ihrer eigenen Rechtsansicht daher gegen die Subsumtion und Rechtsanwendung des LSG in ihrem Einzelfall. Damit geht ihr Vortrag jedoch nicht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge hinaus (vgl - juris RdNr 6; - juris RdNr 11, jeweils mwN).
19Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
203. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
214. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Kaltenstein Röhl Othmer
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:310122UB9BL321B0
Fundstelle(n):
IAAAI-58294