Ermittlungspflichten des Verwaltungsgerichts im Zusammenhang mit dem Wiederaufgreifen eines Verwaltungsverfahrens
Leitsatz
Stützt sich der Adressat eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes zur Begründung eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens auf das Vorliegen neuer Beweismittel i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, kann er als Verfahrensfehler i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht geltend machen, dass das Verwaltungsgericht Ermittlungen unterlassen hat, die dem Auffinden weiterer Beweismittel dienen sollen.
Gesetze: § 51 Abs 1 Nr 2 VwVfG, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 1 Abs 1 BerRehaG
Instanzenzug: Az: 9 K 226.11 Urteil
Gründe
1Der Kläger begehrt das Wiederaufgreifen eines Verwaltungsverfahrens nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG).
2Erstmals am hatte der Kläger beantragt, ihn mit einer Verfolgungszeit vom bis zum beruflich zu rehabilitieren. Er habe die Akademie der pädagogischen Wissenschaften (APW) aus politischen Gründen verlassen müssen, wodurch ihm das in der DDR als „Promotion B“ bezeichnete Habilitierungsverfahren verwehrt worden sei und er den Beruf des Hochschullehrers nicht habe ausüben können. Der Antrag wurde mit Bescheid vom abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos (zuletzt 3 B 83.06). Mit Schreiben vom beantragte der Kläger das Wiederaufgreifen des Verfahrens und legte Unterlagen aus der Stasi-Akte seiner Stiefschwester sowie Erklärungen eines Herrn Dr. F. vor. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom ab, die Klage hiergegen ist erfolglos geblieben. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, die vom Kläger vorgelegten Unterlagen seien keine neuen Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, weil auf ihrer Grundlage eine günstigere Entscheidung nicht möglich erscheine. Auch aus diesen Unterlagen ergebe sich nicht, dass der Kläger politisch verfolgt worden sei, wie es § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG voraussetze. Die Beweisanträge und Beweisanregungen des Klägers hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Die weiteren Unterlagen hätten schon im ursprünglichen Verfahren vorgelegt werden können (§ 51 Abs. 2 VwVfG) oder enthielten keinen neuen Sachverhalt.
3Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruhen kann, liegt nicht vor.
4Die Beschwerde rügt, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt, weil es Akten nicht beigezogen und angebotene Zeugen nicht vernommen habe. Hätte es die Beweise erhoben, hätte sich ergeben, dass das Ausscheiden des Klägers aus der APW politisch gesteuert gewesen, nämlich vom Staatssicherheitsdienst veranlasst worden sei.
5Die begehrte Sachaufklärung ist allerdings, wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist, nicht schon deshalb unerheblich, weil der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt keine rehabilitierungsfähige Position im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG innegehabt hätte (vgl. dazu 3 B 11.10 - ZOV 2010, 234 <235>; zur Aspirantur Urteil vom - 3 C 34.09 - Buchholz 428.8 § 1 BerRehaG Nr. 4 Rn. 18), wie es ihm 1999 vom Beklagten entgegengehalten wird. Nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts war zwischen dem Kläger und der APW im Oktober 1983 ein Förderungsvertrag zum Zwecke der Qualifizierung mit dem Ziel der Promotion B abgeschlossen worden, der ihm eine verfestigte berufsbezogene Position verschaffte. Die Beendigung dieses Verhältnisses durch Aufhebungsvertrag im August 1987 müsste, hätte sie ihre Ursache in einer politischen Verfolgung, als Eingriff in diese Position bewertet werden, sodass der Kläger keinen so genannten Aufstiegsschaden erlitten hätte, der nicht rehabilitierungsfähig wäre (zu diesem vgl. 3 PKH 8.12 - ZOV 2013, 33 m.w.N.).
6Die Aufklärungsrüge greift aber unter keinem der vom Kläger bezeichneten Gesichtspunkte durch.
7Soweit die Beschwerde bemängelt, dass die von dem - anwaltlich nicht vertretenen - Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge abgelehnt worden sind, ist kein Verfahrensfehler feststellbar. Die Ablehnung eines förmlichen (unbedingt gestellten) Beweisantrags ist nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO, § 244 StPO). Das Verwaltungsgericht hat die Anträge aber, wie erforderlich, noch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und begründet beschieden. Es ist dabei zu Recht davon ausgegangen, dass Beweisanträgen nicht nachzugehen ist, wenn die bezeichneten Beweistatsachen ungeeignet sind oder es auf die zu beweisende Tatsache nicht ankommt (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO entsprechend; stRspr; vgl. 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom - 9 C 510.93 - NVwZ 1994, 1119). Die Ablehnung der Beweisanträge war danach hier schon deshalb nicht zu beanstanden, weil es sich um Ausforschungsanträge handelte, die in der Hoffnung gestellt wurden, es könnten sich vermutete neue Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung ergeben.
8Damit überschritten die Beweisanträge zugleich den rechtlichen Rahmen, der Sachverhaltsermittlungen in einem Verfahren gesetzt ist, in dem sich der Adressat eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes zur Begründung eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen eines Verwaltungsverfahrens gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG auf neue Beweismittel stützt. In solchen Fällen ist der Antrag auf Wiederaufgreifen zulässig, wenn vom Antragsteller Beweismittel bezeichnet werden, die während der Anhängigkeit des abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens noch nicht existierten oder ohne sein Verschulden nicht oder nicht rechtzeitig beigebracht werden konnten, und wenn der Betroffene die Eignung des Beweismittels für eine ihm günstigere Entscheidung schlüssig darlegt. Der Antrag ist begründet, wenn feststeht, dass das neue Beweismittel, wäre es seinerzeit bereits verfügbar gewesen, tatsächlich eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte; es genügt nicht, dass es dazu lediglich geeignet erscheint. Darüber haben sich die Verwaltungsbehörde und im Streitfall das Gericht durch Beweisaufnahme Überzeugung zu verschaffen ( 8 B 75.10 - ZOV 2011, 87 <88>; Urteil vom - 8 C 75.80 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 11). Das Verwaltungsgericht ist so verfahren, indem es die vom Kläger bezeichneten Unterlagen im Wege des Urkundenbeweises (§ 98 VwGO i.V.m. §§ 415 ff. ZPO) ausgewertet und schon ihre Eignung verneint hat. Entsprechend ist es sogar mit Beweismitteln verfahren, die der Kläger erst nachträglich benannt hatte. Die Tatsachen- und Beweiswürdigung hat der Kläger nicht mit durchgreifenden Revisionsgründen entkräftet.
9Der Kläger kann nicht als Verfahrensfehler rügen, dass das Verwaltungsgericht weitere Ermittlungen unterlassen hat, die er nicht förmlich beantragt hatte. Ein solches Unterlassen wäre nur dann fehlerhaft, wenn das Gericht dabei Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. Das ist namentlich für die mit der Beschwerde genannten Maßnahmen, insbesondere die Beiziehung der Stasi-Akten, zu verneinen. Die Beschwerde übersieht insofern, dass ein Gericht bei der Prüfung des Antrags auf Wiederaufgreifen darauf beschränkt ist, die Eignung des vom Kläger als „neu“ bezeichneten Beweismittels zur Änderung des Verfahrensergebnisses zu bewerten und bejahendenfalls den Beweis zu erheben. Es ist ihm versagt, hiervon unabhängig - wenngleich auf Anregung des Klägers - weitere Tatsachen zu ermitteln, die den Anspruch erst begründen würden. Solche Aufklärungen waren dem Erstverfahren vorbehalten; sie überschreiten den Rahmen des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, der nicht die Funktion hat, das Erstverfahren in vollem Umfang wiederzueröffnen. Es obliegt vielmehr dem Antragsteller und nicht dem Gericht, den Wiederaufgreifensanspruch schlüssig darzulegen und ausreichende neue Beweismöglichkeiten aufzuzeigen. Das begrenzt zugleich die Amtsermittlungspflicht des Gerichts. Abgesehen davon diente hier ein erheblicher Teil der Beweisanregungen des Klägers der bloßen Ausforschung des Sachverhalts, wie besonders die Forderung der Beschwerde verdeutlicht, das Gericht sei verpflichtet gewesen, „vom BStU weitere Unterlagen anzufordern, die evtl. mit der Rehabilitationsangelegenheit direkt oder indirekt im Zusammenhang stehen“.
10Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2015:260115B3B3.14.0
Fundstelle(n):
OAAAI-50311