BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 3017/11

Nichtannahmebeschluss: Rauchverbot für öffentlich zugängliche Räumlichkeiten eines "Rauchervereins" berührt nicht den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit gem Art 9 Abs 1 GG

Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, Art 9 Abs 1 GG, Art 2 Nr 6 GesSchG BY 2010, Art 2 Nr 8 GesSchG BY 2010, Art 3 Abs 1 GesSchG BY 2010, Art 3 Abs 2 GesSchG BY 2010, Art 6 Abs 1 GesSchG BY 2010

Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 2 Ss OWi 1197/2011 Beschlussvorgehend OLG Bamberg Az: 2 Ss OWi 1197/2011 Beschlussvorgehend Az: 1122 OWi 383 Js 120479/11 Urteil

Gründe

I.

1 Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ihre Verurteilung in einem Bußgeldverfahren und mittelbar gegen das Gesetz zum Schutz der Gesundheit (Gesundheitsschutzgesetz - GSG).

2 1. Seit dem gilt in Bayern mit dem Gesundheitsschutzgesetz in der Fassung vom (BayGVBl S. 314) ein striktes Rauchverbot. Nach Art. 2 Nr. 6 und 8 GSG findet das Gesetz unter anderem Anwendung auf

6. Kultur- und Freizeiteinrichtungen:

Einrichtungen, die der Bewahrung, Vermittlung, Aufführung und Ausstellung künstlerischer, unterhaltender oder historischer Inhalte oder Werke oder der Freizeitgestaltung dienen, soweit sie öffentlich zugänglich sind, insbesondere Kinos, Museen, Bibliotheken, Theater und Vereinsräumlichkeiten,

(…)

8. Gaststätten:

Gaststätten im Sinn des Gaststättengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl I S. 3418), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom (BGBl I S. 2246),

(…)

3 Das Rauchverbot ist in Art. 3 GSG normiert:

(1)1 Das Rauchen ist in Innenräumen der in Art. 2 bezeichneten Gebäude, Einrichtungen, Heime, Sportstätten, Gaststätten und Verkehrsflughäfen verboten.2 In Einrichtungen für Kinder und Jugendliche (Art. 2 Nr. 2) ist das Rauchen auch auf dem Gelände der Einrichtungen verboten.

(2) Rauchverbote in anderen Vorschriften oder auf Grund von Befugnissen, die mit dem Eigentum oder dem Besitzrecht verbunden sind, bleiben unberührt.

4 Ausnahmen regelt Art. 5 GSG unter anderem für Privaträume zu Wohnzwecken. Die Möglichkeit, einen Raucherraum einzurichten, die Art. 6 Abs. 1 GSG vorsieht, gilt nicht für Gaststätten und Vereinsräumlichkeiten.

5 2. Die Beschwerdeführerin ist Geschäftsführerin der A… GmbH, welche die "G… " in München betreibt. Die Räumlichkeiten wurden mit Pachtvertrag vom - einen Tag vor dem Inkrafttreten des ursprünglichen Gesundheitsschutzgesetzes in der Fassung vom (BayGVBl S. 919) - an den "G… e.V." (im Folgenden: der Verein) zur ausschließlichen Nutzung verpachtet. Der Zweck dieses drei Tage zuvor gegründeten und im Februar 2008 im Vereinsregister eingetragenen Vereins, dessen Gründungsmitglied die Beschwerdeführerin war, ist die Förderung der arabischen und asiatischen Gastronomiekultur in Bayern. Laut Satzung wird dieser Zweck durch Besuch der Vereinsräumlichkeiten - die G… - und dortigem geselligen Beisammensein verwirklicht. Der Verein hatte im Zeitpunkt des amtsgerichtlichen Urteils circa 37.000 Mitglieder. In die Räumlichkeiten, in denen Getränke und kleinere Speisen verkauft werden und Wasserpfeife (Shisha) geraucht wird, werden nur Mitglieder des Vereins eingelassen. Möchten Interessierte die Räumlichkeiten betreten, müssen sie Vereinsmitglied werden. Voraussetzung ist ein Mindestalter von 20 Jahren, ein Antrag mit Namen und Adresse und ein Jahresmitgliedsbeitrag von 1 €. Jedes Mitglied bekommt einen Ausweis; wer den Ausweis nicht vorzeigen kann, muss einen neuen Antrag auf Mitgliedschaft ausfüllen, was zu Mehrfachmitgliedschaften führt. Die Kontrolle der Mitgliedsausweise erfolgt am Wochenende durch Türsteher, wochentags durch Servicepersonal. Alle Beschäftigten der G… sind Vereinsmitglieder.

6 3. Am wurde bei einer Kontrolle der Bar festgestellt, dass dort Shishas und Zigaretten geraucht wurden. Nach Anhörung wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Geldbuße von 750 € festgesetzt.

7 Nach Einspruch verurteilte das Amtsgericht die Beschwerdeführerin wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot zu einer Geldbuße in Höhe von 750 €. Das Rauchverbot erfasse auch die von dem Verein genutzten Räumlichkeiten. Es handele sich bei den Zusammenkünften der Mitglieder nicht um eine echte geschlossene Gesellschaft, für die das gesetzliche Rauchverbot in Gaststätten nicht greife. Echte geschlossene Gesellschaften seien dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht für jedermann oder einen bestimmten Personenkreis zugänglich seien, sondern nur im Vorhinein eindeutig bestimmten, also nicht beliebig wechselnden Einzelpersonen Zutritt gewährt werde. Insbesondere private Familienfeiern und auch interne Vereinssitzungen erfüllten diese Voraussetzungen.

8 Trotz der Zugangskontrollen und der Vereinsmitgliedschaft könne hier aufgrund der Vielzahl der Mitglieder gerade nicht mehr von einem feststehenden und jederzeit namentlich bekannten Personenkreis gesprochen werden. Vielmehr könne, wer mindestens 20 Jahre alt sei, Mitglied des Vereins werden und erhalte dann sofort Zutritt. Dass ein Mitglied, das den Mitgliedsausweis vergessen habe, einen neuen "Mitgliedsantrag" stellen und die "Aufnahmegebühr" zahlen müsse, verdeutliche, dass es gerade nicht auf eine echte Vereinsmitgliedschaft, sondern lediglich auf den Besitz eines Ausweises ankomme. Es handele sich bei dem Verein mithin um einen "Raucherclub" in Gestalt eines Vereins mit offener Mitgliederstruktur zur Umgehung des Rauchverbots in der Gastronomie. Dies habe mit der Neufassung durch das Gesundheitsschutzgesetz vom gerade verhindert werden sollen. Es sei auch grundrechtskonform, das Merkmal einer geschlossenen Gesellschaft, für die kein Rauchverbot gelte, eng auszulegen.

9 Die Rechtsbeschwerde gegen das amtsgerichtliche Urteil verwarf das Oberlandesgericht unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft als unbegründet. Die nachfolgende Gehörsrüge (§ 356a StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) wurde ebenfalls als unbegründet verworfen. Der Senat habe alle Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Kenntnis genommen, das Vorbringen aber nicht als durchgreifend erachtet.

10 4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 9 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Im Hinblick auf die kurze Begründung des Beschlusses des Oberlandesgericht rügt sie eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.

II.

11 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der zulässigen Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, denn die von ihr aufgeworfenen Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Sie ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, weil sie offensichtlich unbegründet ist und daher keine Aussicht auf Erfolg hat.

12 1. Eine Verletzung von Art. 9 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich.

13 a) Das Grundrecht des Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit, sich zu Vereinigungen des privaten Rechts zusammenzuschließen (vgl. BVerfGE 10, 89 <102>; 10, 354 <361 f.>). Mit dem Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden, garantiert Art. 9 Abs. 1 GG die freie soziale Gruppenbildung (vgl. BVerfGE 38, 281 <302 f.>). Der Schutz des Grundrechts umfasst sowohl für Mitglieder als auch für die Vereinigung die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte (vgl. BVerfGE 50, 290 <354>) sowie das Recht auf Entstehen und Bestehen (vgl. BVerfGE 13, 174 <175>).

14 Art. 9 Abs. 1 GG schützt insbesondere vor einem Eingriff in den Kernbereich des Vereinsbestandes und der Vereinstätigkeit (vgl. BVerfGE 30, 227 <241>; 80, 244 <252 f.>). Das Grundrecht kann indes einem gemeinsam verfolgten Zweck keinen weitergehenden Schutz vermitteln als einem individuell verfolgten Interesse (vgl. BVerfGE 50, 290 <353>; 54, 237 <251>). Betätigt sich eine Vereinigung im Rechtsverkehr wie Einzelpersonen auch, ist diese Betätigung grundrechtlich nicht durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützt, denn die Vereinigung und ihre Tätigkeit bedürfen insoweit nicht als solche des Grundrechtsschutzes; dieser richtet sich vielmehr nach den materiellen (Individual-)Grundrechten (vgl. BVerfGE 70, 1 <25>).

15 b) Nach diesen Maßstäben ist der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 1 GG durch ein Rauchverbot bereits nicht berührt. Das Rauchverbot betrifft den Verein - und damit auch die Beschwerdeführerin als Vereinsmitglied - nicht in einer von Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Tätigkeit. Die Regelungen des Gesundheitsschutzgesetzes verbieten ebenso wie die angegriffenen Entscheidungen weder die Gründung, das Bestehen oder den Fortbestand des Vereins noch stehen sie dem Beitritt oder der Mitgliederwerbung entgegen. Ein Rauchverbot in den Vereinsräumlichkeiten ist jedenfalls dann kein Eingriff in die Betätigungsfreiheit des Vereins und der Vereinsmitglieder, wenn die Räumlichkeiten zwar zur Ausübung des gemeinsam verfolgten Vereinszwecks - dem gemeinsamen Rauchen - genutzt werden sollen, aber aufgrund der offenen Mitgliederstruktur tatsächlich öffentlich zugänglich sind. Die Gründung eines Vereins kann den Grundrechtsschutz einer individuellen Tätigkeit insofern nicht erweitern (vgl. BVerfGE 54, 237 <251>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1938/93 -, juris, Rn. 9; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2161/93 -, juris, Rn. 7; vgl. auch BayVerfGH, Entscheidung vom - Vf. 26-VII-10 -, juris, Rn. 61 ff.; Entscheidung vom - Vf. 100-VI-12 -, juris, Rn. 24 ff.). Die rechtliche Zulässigkeit des Vereinszwecks muss an der Zulässigkeit des entsprechenden Individualverhaltens gemessen werden; Art. 9 Abs. 1 GG privilegiert nicht die kollektive gegenüber der individuellen Zweckverfolgung (vgl. Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 9 Rn. 25). Dagegen spricht auch nicht, dass ein Rauchverbot für einen Raucherverein existenzbedrohend sein kann, denn Art. 9 Abs. 1 GG schützt nicht den gemeinsamen Tabakgenuss, dem ein spezifischer Bezug zur korporativen Organisation fehlt (vgl. Cornils, in: BeckOK, GG, Art. 9 Rn. 14 <März 2014>).

16 2. Soweit die Beschwerdeführerin die Vorschriften des Gesundheitsschutzgesetzes auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG angreift, hat die Verfassungsbeschwerde ebenfalls keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 121, 317 <358 f.>).

17 3. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG, auf das sich die Rüge beschränkt, ist nicht ersichtlich. Zwar werden "geschlossene Gesellschaften" anders behandelt als große, allgemein zugängliche Vereine. Doch sind an die Rechtfertigung für die daraus resultierende Benachteiligung nur geringe Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfGE 130, 131 <142>), da der Verein die Ungleichbehandlung durch eigenes Verhalten - eine andere Mitgliederstruktur, persönliche Einladungen an einen bestimmten, alternierenden Mitgliederkreis - steuern kann. Die Unterscheidung ist jedenfalls nicht willkürlich, da der Gesetzgeber dem hohen Gut des Gesundheitsschutzes Vorrang vor anderen Interessen einräumen durfte (vgl. BVerfGE 121, 317 <357 ff.>).

18 4. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG liegt offensichtlich nicht vor. Das Grundgesetz zwingt die Gerichte nicht dazu, sich mit allen Aspekten des Vorbringens der Beteiligten in der schriftlichen Begründung ausführlich auseinander zu setzen (vgl. BVerfGE 54, 86 <91 f.>; für letztinstanzliche Entscheidungen BVerfGE 104, 1 <7 f.>).

19 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2014:rk20140924.1bvr301711

Fundstelle(n):
GAAAI-45922