Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Anwaltliche Eigensorgfalt bei der Fristenkontrolle
Leitsatz
Ein Rechtsanwalt muss den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. Dazu muss er gegebenenfalls veranlassen, ihm die Handakten vorzulegen.
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO
Instanzenzug: Az: I-6 U 193/13vorgehend LG Essen Az: 11 O 483/05
Gründe
I.
1Dem Kläger ist das Urteil des Landgerichts am zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat er am Berufung eingelegt. Die Meldung der Prozessbevollmächtigten der Gegenseite ist ihm am zugestellt worden und der Hinweis des dass innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Berufungsbegründung vorgelegt worden sei, am . Mit Schriftsatz vom hat er am beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Am ist der Schriftsatz vom mit der Berufungsbegründung und einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Oberlandesgericht eingegangen.
2Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages macht der Kläger geltend, die Berufungsbegründungsfrist sei ohne ein ihm zurechenbares Verschulden seines in L. /Österreich ansässigen, aber auch in Deutschland zugelassenen Prozessbevollmächtigten versäumt worden. Wie bei Rechtsstreitigkeiten vor deutschen Gerichten bei ihm üblich, habe sein Prozessbevollmächtigter die Fristeintragung persönlich veranlasst und im Terminkalender eingetragen. Anlässlich der Postbesprechung in seiner Kanzlei am habe er die Frist für die Berufungseinlegung für den im Kalender eingetragen. Die Frist zur Berufungsbegründung sei ebenfalls zutreffend berechnet worden. Ihm sei aber der Fehler unterlaufen, diese Frist nicht für den im Kalender vorzumerken, sondern erst für den im Terminkalender einzutragen. Der Grund für diesen Fehler liege darin, dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden habe. Kurz vor der Postbesprechung habe er durch ein mit seiner Frau geführtes Telefonat erfahren, dass sein jüngster Sohn kurz zuvor einen Grandmal-Anfall erlitten habe, der nur mit einem Notfallmedikament habe gestoppt werden können; die Zukunftsperspektive seines erkrankten Sohnes sei sehr negativ.
3Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger müsse sich die von seinem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen lassen. Zwar könne das Versäumnis eines Prozessbevollmächtigten als unverschuldet gewertet werden, wenn es auf einem durch Krankheit verursachten Erregungszustand, auf einer krankheitsbedingten Fehleinschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit oder einer besonderen persönlichen Belastungssituation durch Todesfälle naher Angehöriger oder befreundeter Kollegen beruhe. Derartige besondere Umstände hätten das Fristversäumnis jedoch nicht, jedenfalls nicht allein verursacht. Bei der Frist, deren Falscheintragung der Prozessbevollmächtigte des Klägers am vorgenommen habe, habe es sich nicht um eine unaufschiebbare Maßnahme gehandelt und er hätte diese zurückstellen können. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte irrtümlich gemeint haben sollte, trotz seiner momentanen Erregung zuverlässig arbeiten zu können, hätte es nahegelegen, bei der weiteren Bearbeitung des Rechtsmittelauftrags nach dem , also nachdem die Störung der Aufmerksamkeit geendet hatte, die in der jedenfalls im Rückblick offensichtlichen Ausnahmesituation vorgenommenen Maßnahmen noch einmal zu kontrollieren.
4Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
51. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach zutreffend entschieden hat.
62. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt, weil er sich ein eigenes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Fristversäumung gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Zutreffend hat das Berufungsgericht ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten darin gesehen, dass er bei der weiteren Bearbeitung des Rechtsmittelauftrags nach dem , also nachdem die Störung der Aufmerksamkeit geendet hatte, nicht mehr geprüft hat, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist.
7Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Rechtsanwalt die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache nachprüfen muss, wenn ihm diese zur Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird. Nach den zur anwaltlichen Fristenkontrolle entwickelten Grundsätzen hat der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden. Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich dabei nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist, die nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht. Mit der anwaltlichen Verpflichtung, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen Fristversäumnisse zu treffen, wäre nicht zu vereinbaren, wenn sich der Anwalt bei der im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung der Fristnotierung auf die Berufungsfrist beschränken und die Prüfung der bereits feststehenden Berufungsbegründungsfrist aussparen wollte. Er hat daher bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsschrift auch zu prüfen, dass die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 4/11, juris Rn. 6; , NJW 2014, 3452 Rn. 8, 10; Beschlüsse vom - XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183 f.; vom - XII ZB 164/03, NJW-RR 2005, 498, 499).
8Hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Fertigung der am bei Gericht eingegangenen Berufungsschrift kontrolliert, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist, hätte er bemerken können, dass ihm am insoweit ein Fehler unterlaufen ist und die fehlerhafte Notierung der Frist auf den im Terminkalender korrigieren können. Soweit sein Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag und mit der Rechtsbeschwerde dahin zu verstehen sein sollte, dass ihm bei Fertigung der Berufungsschrift eine Handakte nicht und vielmehr erst aufgrund der auf den notierten Vorfrist - auch mit den bereits am in seiner Kanzlei eingetroffenen Unterlagen - vorgelegt wurde, läge bereits insoweit ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten vor (vgl. , NJW 2014, 3452 Rn. 8, 10 mwN).
93. Da mithin dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
Galke Wellner Stöhr
Oehler Roloff
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
IAAAI-30938