BAG Urteil v. - 4 AZR 316/12

Eingruppierung - Auslegung eines Überleitungstarifvertrags

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Gera Az: 3 Ca 1587/10 Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht Az: 3 Sa 238/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin und damit in Zusammenhang stehende Entgeltansprüche.

2Die Klägerin ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern im Waldklinikum G seit dem Jahr 1987 tätig. Sie verfügt über eine Berufsausbildung als staatlich anerkannte Krankenschwester, die nach den Ausbildungsinhalten dem heutigen Berufsbild der Berufsausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin entspricht. Nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen vom ist sie als „Krankenschwester im OP“ beschäftigt.

3Zur Tätigkeit der Klägerin gehört die Vorbereitung, Überwachung, Nachsorge sowie die Assistenz bei operativen Eingriffen. Die Beklagte beschäftigt in den bei ihr vorhandenen Operationssälen auch Beschäftigte, die nach Abschluss einer einschlägigen Berufsausbildung eine zweijährige Weiterbildung für den Operationsdienst auf Grundlage der Fachempfehlungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG) absolviert haben - sog. Fachpflegerinnen im Operationsdienst (nachfolgend: Fachpflegerin OP).

4Die Klägerin wurde zunächst nach der VergGr. Kr. V des Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften - (BAT-O) und nach einem Bewährungsaufstieg bis zum Ende des Jahres 2009 nach der VergGr. Kr. VI BAT-O vergütet.

5Mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft schloss ua. die Beklagte einen für sie zum in Kraft getretenen „Eingruppierungs- und Vergütungstarifvertrag vom für die SRH Kliniken (SRH-Kliniken-EVTV)“ (nachfolgend: EVTV). Die Beklagte ordnete die Klägerin in Anwendung der im EVTV enthaltenen Überleitungsbestimmungen der Entgeltgruppe (EG) 5 zu. Die Klägerin hat erfolglos für die Zeit ab Beginn des Jahres 2010 eine Vergütung nach der EG 6 EVTV geltend gemacht.

6Mit ihrer Klage hat sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung, nach ihrem Bewährungsaufstieg habe ihr eine Vergütung wie einer Fachpflegerin OP zugestanden, die ein Entgelt nach der VergGr. Kr. VI BAT-O erhalten habe. Gleiches müsse auch nach der Überleitung gelten. Nach der Überleitungstabelle in der Anlage D EVTV werde die VergGr. Kr. VI BAT-O der EG 6 EVTV zugeordnet. Da der EVTV vorrangig auf die auszuübenden Tätigkeiten und nicht auf eine etwaige Qualifikation abstelle, komme es nicht darauf an, dass sie keine Weiterbildung zur Fachpflegerin OP absolviert habe. Sie erbringe Leistungen einer Gesundheits- und Krankenpflegerin im sog. OP-Dienst und übe damit im Wesentlichen die gleichen Tätigkeiten wie eine Fachpflegerin OP aus.

7Die Klägerin hat zuletzt in der Sache beantragt,

8Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, die in Anwendung der Überleitungstabelle sich zunächst ergebende Entgeltgruppe sei nur maßgebend, wenn diese nicht den Bestimmungen der Entgeltordnung des EVTV widerspreche. Nach der Entgeltordnung sei für eine Zuordnung zur EG 6 EVTV aber eine Fachweiterbildung erforderlich, über die die Klägerin nicht verfüge. Im Übrigen übe sie auch nicht alle Tätigkeiten einer Fachpflegerin OP aus.

9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und das Landesarbeitsgericht die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Gründe

10Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Die auch hinsichtlich des Feststellungsantrags als allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage zulässige Klage (st. Rspr., ua.  - Rn. 16 mwN) ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die Klägerin in Anwendung der Überleitungsbestimmung des § 18 Abs. 1 EVTV, auf die sie ihr Begehren stützt, keinen Vergütungsanspruch ab dem nach der EG 6 EVTV hat.

11I. Die aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme maßgebenden Regelungen des EVTV lauten ua. wie folgt:

12II. Danach kann die Klägerin in Anwendung der Überleitungsbestimmungen des EVTV (zu den Auslegungsmaßstäben etwa  - Rn. 40 mwN, BAGE 124, 240) keine Vergütung nach der EG 6 des Tarifvertrags beanspruchen.

131. Die Klägerin gehört zwar zu den Arbeitnehmern, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tarifvertrags iSd. § 18 Abs. 1 EVTV beschäftigt waren. Dementsprechend war sie, da ihre Tätigkeit der VergGr. Kr. VI BAT-O zugeordnet war, nach § 18 Abs. 1 EVTV „auf Grundlage ihrer vorliegenden Eingruppierung gem. der Zuordnungen in Anlage D rückwirkend ab dem “ nach der Tabelle in der Anlage D EVTV in die (neue) EG 6 des Tarifvertrags überzuleiten.

142. Entgegen der Auffassung der Klägerin bestimmt § 18 Abs. 1 iVm. der Anlage D EVTV aber keine „endgültige“ Zuordnung zu einer der Entgeltgruppen des Tarifvertrags. Die „vorläufige“ Zuordnung ist vielmehr daraufhin zu überprüfen, ob die auszuübende Tätigkeit den Anforderungen der Entgeltordnung der Anlage C EVTV entspricht. Allein dieses Ergebnis ist für die Bestimmung der zutreffenden Entgeltgruppe maßgebend.

15a) Die Überleitung in Anwendung der Anlage D EVTV ist nach § 18 Abs. 1 und 2 EVTV - „vorbehaltlich der inhaltlichen Übereinstimmung der Tätigkeit gem. Entgeltordnung (Anlage C)“ - unter den ausdrücklichen Vorbehalt gestellt, dass die auszuübende Tätigkeit inhaltlich mit den in der Anlage C EVTV geregelten Voraussetzungen übereinstimmt. Diese Überleitung verfolgt, wie § 18 Abs. 2 Satz 1 EVTV zeigt, zunächst „abrechnungstechnische“ Ziele. Auch in dieser Bestimmung haben die Tarifvertragsparteien nochmals festgelegt, die Überleitung dürfe nicht „der maßgeblichen Zuordnung zur Entgeltordnung gem. Anlage C widersprechen“. Anderenfalls ist „eine Korrektur“ durchzuführen (§ 18 Abs. 2 Satz 2 EVTV).

16Der Annahme, § 18 Abs. 2 EVTV sei „lediglich als Einleitung für die nachfolgenden Absätze“ zu verstehen - wie die Revision es meint -, steht der schon nach dem Wortlaut eindeutige Regelungsgehalt der Tarifbestimmung entgegen.

17b) Die Überleitungstabelle der Anlage D EVTV ist entgegen der Ansicht der Revision auch nicht „überflüssig“. Die Klägerin übersieht, dass es bei einer Korrektur der Zuordnung nach § 18 Abs. 2 Satz 1 EVTV nach dessen Satz 2 zu einer Erhöhung der „Besitzstandszulage gem. Absatz 5“ kommen kann, wenn infolge einer „Korrektur“ iSd. § 18 Abs. 2 Satz 2 EVTV das sich in Anwendung der Überleitungstabelle der Anlage D EVTV ergebende Entgelt höher sein sollte, als das nach § 18 Abs. 3 EVTV zu ermittelnde Vergleichsentgelt.

18c) Die Klägerin kann sich für ihren Anspruch nicht darauf stützen, § 18 Abs. 1 EVTV beziehe sich nach seinem Wortlaut auf die „Tätigkeit gem. Entgeltordnung (Anlage C)“ und es könne deshalb auf eine in der Spalte „Beschreibung“ der Anlage C EVTV aufgeführte Qualifikation nicht ankommen; ausreichend sei es, dass sie Tätigkeiten ausübe, die auch von einer Fachpflegerin OP wahrgenommen würden. Das ist unzutreffend.

19aa) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass mit dem Begriff „der Tätigkeit“ in § 18 Abs. 1 EVTV der Prüfungsgegenstand beschrieben, nicht aber der Prüfungsmaßstab für die „inhaltliche Übereinstimmung“ beschränkt wird. § 18 Abs. 1 EVTV nimmt nach seinem Wortlaut die „Entgeltordnung (Anlage C)“ insgesamt und nicht nur teilweise in Bezug. Mit dem Begriff „der Tätigkeit“ ist die von den Beschäftigten jeweils auszuübende Tätigkeit beschrieben, die für die Eingruppierung nach der Entgeltordnung maßgebend ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 7 EVTV). Deren inhaltliche Übereinstimmung ist anhand der gesamten Entgeltordnung zu prüfen. Das wird durch § 18 Abs. 2 Satz 1 EVTV bestätigt. Danach darf die Überleitung „der maßgeblichen Zuordnung zur Entgeltordnung gem. Anlage C“ - auf die gleichfalls insgesamt verwiesen wird - nicht widersprechen.

20bb) Darüber hinaus haben die Tarifvertragsparteien mit dem Tätigkeitsbeispiel „Fachpfleger/in OP“ nicht eine Tätigkeit beschrieben, sondern zugleich die erfolgreiche Fachweiterbildung für den Operationsdienst zur Voraussetzung des Tätigkeitsbeispiels erhoben, über die die Klägerin nicht verfügt.

21Mit dem Tätigkeitsbeispiel „Fachpfleger/in OP“ (Fachpflegerin im Operationsdienst) verwenden die Tarifvertragsparteien einen branchenspezifischen Begriff. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass sie den Begriff verstanden wissen wollen, wie er den Anschauungen der beteiligten Berufskreise entspricht (zu diesem Verständnis s. nur  - Rn. 14 mwN). Das sind Beschäftigte, die über die einschlägige Weiterbildung verfügen. Dieses Verständnis wird durch die im Tätigkeitsmerkmal aufgenommene subjektive Anforderung einer „anerkannten Fachweiterbildung nach DKG“ bestätigt.

22d) Die Klägerin kann sich für ihr Verständnis, es komme allein auf die auszuübende Tätigkeit an, schließlich nicht auf § 6 Abs. 1 Satz 2 EVTV stützen. Soweit sie meint, einer Qualifikation komme in keiner Entgeltgruppe eine ausschlaggebende Bedeutung zu, ist dies nur insoweit zutreffend, als stets die auszuübende Tätigkeit für die Eingruppierung maßgebend ist und nicht allein eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung oder eine Weiterbildung. Setzt aber ein Tätigkeitsmerkmal oder ein Tätigkeitsbeispiel wie bei der EG 6 EVTV eine solche voraus, ist sie neben der „entsprechenden Tätigkeit“, die die Beschäftigte auszuüben hat, auch erforderlich.

23e) Diesem Auslegungsergebnis steht schließlich nicht der von der Klägerin angeführte „Sinn und Zweck einer Vereinheitlichung“ vormaliger Tarifregelungen entgegen. Die Tarifvertragsparteien sind rechtlich grundsätzlich nicht verpflichtet, eine „nach altem Tarifrecht erreichte Gleichstellung“ einer Eingruppierung von Beschäftigten mit unterschiedlichen Ausbildungen in zukünftigen Tarifverträgen beizubehalten.

24aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können die Tarifvertragsparteien die Eingruppierung von einem bestimmten Ausbildungserfordernis abhängig machen. Dies kann zur Folge haben, dass Arbeitnehmer, die die geforderte Ausbildung nicht besitzen, bei gleicher Tätigkeit eine niedrigere Vergütung erhalten. Den Tarifvertragsparteien steht es frei, den Vergütungsanspruch nicht nur von der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, sondern auch von weiteren persönlichen Voraussetzungen, wie dem Nachweis bestimmter Kenntnisse oder einer speziellen Ausbildung, abhängig zu machen ( - Rn. 39, BAGE 140, 291; - 4 AZR 412/88 - mwN zur Rspr.).

25bb) Die Tarifvertragsparteien können bei der vergütungsrechtlichen Bewertung einzelner Tätigkeiten als integralem Bestandteil der ihnen zustehenden Tarifautonomie (dazu etwa  - Rn. 32 mwN, BAGE 140, 291) weiterhin grundsätzlich - solange sie nicht Verfassungsgrundsätze verletzen - frei darüber befinden, im Rahmen von Eingruppierungsregelungen bestimmte Aus- oder Weiterbildungen als Voraussetzung für eine bestimmte Entgeltgruppe (neu) festzulegen und demgegenüber Arbeitnehmer, die nach einer abgelösten Entgeltordnung die gleiche Entgeltgruppe vermittelt über einen Bewährungsaufstieg erreicht haben, im ablösenden Tarifvertrag einer niedrigeren Entgeltgruppe zuzuordnen (vgl. nur  - Rn. 65; - 4 AZR 225/94 - zu II 7 der Gründe), zumal wenn dies - wie vorliegend durch § 18 Abs. 3 bis 5 EVTV - mit einer Besitzstandsregelung verbunden ist (dazu  - Rn. 66).

26cc) In der Folge erweist sich die tarifliche Bewertung einer Tätigkeit wie die der Klägerin mit einem Entgelt nach der EG 5 EVTV gegenüber der Tätigkeit einer Fachpflegerin OP, die zusätzlich zu einer staatlich anerkannten Berufsausbildung über die entsprechende Weiterbildung verfügt, nach der EG 6 EVTV als rechtswirksam.

27III. Die Klage ist auch nicht nach §§ 6, 7 EVTV iVm. der Anlage C EVTV begründet. Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt weder die Voraussetzung des Tätigkeitsmerkmals der EG 6 EVTV noch das Tätigkeitsbeispiel „Fachpfleger/in OP“, weil sie keine „anerkannte Fachweiterbildung nach DKG“ abgeschlossen hat. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Klägerin eine „entsprechende Tätigkeit“ wie eine Fachpflegerin OP auszuüben hat.

28IV. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

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Fundstelle(n):
DAAAI-21295