Rechtsweg - Abberufung als Geschäftsführer - nachgeschobene fristlose Kündigung - fristgerechte Kündigung
Gesetze: § 2 Abs 1 Nr 3 Buchst a ArbGG, § 2 Abs 1 Nr 3 Buchst b ArbGG, § 5 Abs 1 S 1 ArbGG, § 5 Abs 1 S 3 ArbGG
Instanzenzug: Az: 5 Ca 9174/12 Beschlussvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 25 Ta 713/13 Beschluss
Gründe
1I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Kündigungen und vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen.
2Der Kläger war seit Februar 1979 für die U-Fernsehproduktion GmbH tätig, entsprechend dem schriftlichen Anstellungsvertrag vom als Redakteur.
3Unter dem schlossen der Kläger und die U Film- und Fernseh-GmbH, die alleinige Gesellschafterin der Beklagten, einen Vertrag, der auszugsweise folgenden Inhalt hat:
„§ 1
Herr N ist Producer der Firmengruppe UNI VERWALTUNGSGESELLSCHAFT MBH in Berlin [die Beklagte firmierte zu diesen Zeitpunkt unter dieser Bezeichnung] und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der W FILM in Köln.
Der Umfang der Geschäftsführungsbefugnis für die W FILM richtet sich nach dem Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte. Die näheren Angaben … enthalten die Anlage 1 und 2, die Teil dieses Anstellungsvertrages sind.
Herr N ist Leitender Angestellter.
Die U kann Herrn N auch eine andere seiner Ausbildung und Erfahrung entsprechende Tätigkeit innerhalb der Unternehmensgruppe B zuweisen. Wenn nichts anderes vereinbart wird, gilt dieser Vertrag dann unverändert weiter. Vertragspartner wird gegebenenfalls allein das aufnehmende Unternehmen.
Soweit sich Rechte aus der Betriebszugehörigkeit ableiten, gilt als Eintrittsdatum der .
…
§ 14
Der Vertrag ersetzt alle früheren Vereinbarungen zwischen Herrn N und der U und ihren Konzernunternehmen. Er enthält alle Regelungen, die zwischen den Parteien über seinen Gegenstand vereinbart worden sind. Es gibt keine mündlichen Nebenabreden.
Änderungen, Ergänzungen und die Aufhebung dieses Vertrages und seiner Teile bedürfen generell und im Einzelfall der Schriftform; das gilt auch für die Aufhebung dieses Absatzes. …“
4Der Kläger wurde durch Beschluss vom zum Geschäftsführer der Beklagten (noch firmierend als Uni Verwaltungsgesellschaft mbH) bestellt und am als solcher im Handelsregister eingetragen. Darüber hinaus war der Kläger seit als Geschäftsführer der U-Fernsehproduktion GmbH im Handelsregister eingetragen. Daneben war er Geschäftsführer weiterer Gesellschaften.
5Am vereinbarten die U-Fernsehproduktion GmbH (als Gesellschaft bezeichnet) und die Beklagte (nunmehr firmierend als U Film & TV Produktion GmbH) mit dem Kläger einen „Nachtrag zum Anstellungsvertrag vom “, in dem es heißt:
„1. Die Parteien vereinbaren, dass der zwischen der Gesellschaft und dem Arbeitnehmer bestehende Anstellungsvertrag vom mit Wirkung ab mit allen Rechten und Pflichten übergeht auf die U Film & TV Produktion.
2. Alle übrigen Punkte des oben genannten Vertrages bleiben unberührt, insbesondere wird hiermit bestätigt, dass die zwischen den Parteien vereinbarte Altersversorgung dem Arbeitnehmer in vollem Umfang erhalten bleibt.”
6Mit Schreiben vom erklärte die U Film und Fernseh GmbH als Alleingesellschafterin der Beklagten gegenüber dem Kläger, sie kündige den zwischen ihm und der Beklagten bestehenden Geschäftsführerdienstvertrag sowie „vorsorglich ein etwaiges zudem bestehendes Arbeitsverhältnis“ zur Beklagten fristgerecht zum . Mit weiterem Schreiben vom kündigte die Beklagte selbst „vorsorglich ein etwaiges bestehendes Arbeitsverhältnis“ fristgerecht zum .
7Mit Klageschrift vom , eingegangen beim Arbeitsgericht Berlin am selben Tag und der Beklagten zugestellt am , erhob der Kläger Kündigungsschutzklage.
8Der Kläger wurde zum als Geschäftsführer der Beklagten und der U-Fernsehproduktion GmbH abberufen, die Eintragung der Abberufungen im Handelsregister erfolgte am .
9Mit Schreiben vom erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger, sie kündige „ein etwaiges bestehendes Arbeitsverhältnis“ mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund fristlos. Hiergegen wandte sich der Kläger mit einer Klageerweiterung vom , zugestellt am .
10Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei eröffnet. Er sei auf der Grundlage eines zu keinem Zeitpunkt aufgelösten Arbeitsverhältnisses beschäftigt worden. Die Vereinbarung vom habe nicht zu einer Auflösung des Vertrags vom geführt. Zwar sei in diesem Vertrag eine Geschäftsführertätigkeit für die W Film vereinbart worden, im Übrigen sei er aber Producer der Firmengruppe und insoweit Arbeitnehmer gewesen. Der Überleitungsvertrag vom habe nicht zu einer Aufhebung des Arbeitsverhältnisses vom geführt, sondern verdeutliche, dass das Arbeitsverhältnis unabhängig von seinen diversen Geschäftsführerpositionen in der Gruppe habe fortbestehen sollen.
11Der Kläger hat zuletzt beantragt
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die von der Beklagten mit Schreiben vom noch durch die von der U Film und Fernseh GmbH mit Schreiben vom ausgesprochene ordentliche Kündigung beendet worden ist,
2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom aufgelöst worden ist,
3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende begründete Geschäftsführeranstellungsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom aufgelöst worden ist.
12Die Beklagte hat die Rüge erhoben, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht eröffnet. Der Anstellungsvertrag vom sei unter dem auf die U Film- und Fernseh-GmbH übertragen worden. Dieser Vertrag, nach dem der Kläger angestellter Geschäftsführer sei, sei mit dem Nachtrag vom auf sie übergeleitet worden. Es komme nicht darauf an, dass in den Regelungen auch einmal der Begriff „leitender Angestellter“ oder „Arbeitnehmer“ verwendet werde. Für die Klage eines Geschäftsführers gegen die Kündigung seines Anstellungsvertrags durch die GmbH sei der Rechtsweg zum Arbeitsgericht nicht gegeben. Weitere Vertragsverhältnisse gebe es nicht.
13Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den Antrag zu 3. (Beendigung des Geschäftsführeranstellungsverhältnisses durch außerordentliche Kündigung) an das Landgericht Berlin verwiesen und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde strebt die Beklagte weiterhin eine vollständige Verweisung an das Landgericht Berlin an.
14II. Die Rechtsbeschwerde ist zum Teil begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen nur für den Antrag zu 2. zu Recht angenommen. Hinsichtlich des Antrags zu 1. ist das Landgericht Berlin zuständig.
151. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und Buchst. b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG.
16a) Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gelten jedoch in Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit Personen nicht als Arbeitnehmer, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind. Für einen Rechtsstreit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person sind nach dieser gesetzlichen Fiktion die Gerichte für Arbeitssachen nicht berufen. Die Fiktion der Norm gilt auch für das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis. Sie greift unabhängig davon ein, ob das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. Auch wenn ein Anstellungsverhältnis zwischen der juristischen Person und dem Mitglied des Vertretungsorgans wegen dessen starker interner Weisungsabhängigkeit als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und deshalb materielles Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, sind zur Entscheidung eines Rechtsstreits aus dieser Rechtsbeziehung die ordentlichen Gerichte berufen ( - Rn. 11 mwN; - 10 AZB 51/10 - Rn. 12 mwN, BAGE 139, 63; - 10 AZB 32/10 - Rn. 11 mwN). An der Unzuständigkeit der Arbeitsgerichte ändert es nichts, wenn zwischen den Prozessparteien streitig ist, wie das Anstellungsverhältnis zu qualifizieren ist ( - zu II 3 b der Gründe) und der Geschäftsführer geltend macht, er sei wegen seiner eingeschränkten Kompetenz in Wirklichkeit Arbeitnehmer gewesen ( - Rn. 16, BAGE 118, 278). Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG soll sicherstellen, dass die Mitglieder der Vertretungsorgane mit der juristischen Person selbst dann keinen Rechtsstreit im „Arbeitgeberlager“ vor dem Arbeitsgericht führen, wenn die der Organstellung zugrunde liegende Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist ( - zu B I 3 der Gründe, BAGE 107, 165). Für Ansprüche der Klagepartei aus dem der Geschäftsführertätigkeit zugrunde liegenden Vertrag sind deshalb die ordentlichen Gerichte ohne Weiteres zuständig (vgl. - zu II 1 der Gründe). Dabei ändert sich der rechtliche Charakter des Anstellungsverhältnisses eines Organvertreters nicht allein dadurch, dass der Organvertreter abberufen wird. Durch den Abberufungsakt wird das Anstellungsverhältnis nicht zum Arbeitsverhältnis ( - zu II 1 b aa der Gründe; - 2 AZB 28/93 - zu II 3 b bb der Gründe).
17b) Anders kann es jedoch dann liegen, wenn und soweit der Rechtsstreit nicht das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis betrifft, sondern eine weitere Rechtsbeziehung besteht. Insoweit greift die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht ( - Rn. 13 mwN, BAGE 139, 63; - 10 AZB 32/10 - Rn. 11 mwN). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Organvertreter Rechte auch mit der Begründung geltend macht, nach der Abberufung als Geschäftsführer habe sich das nicht gekündigte Anstellungsverhältnis - wieder - in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt ( - zu II 3 c der Gründe).
18c) Eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte kann ferner dann gegeben sein, wenn die Klagepartei Ansprüche aus einem auch während der Zeit als Geschäftsführer nicht aufgehobenen Arbeitsverhältnis nach Abberufung als Organmitglied geltend macht. Zwar liegt der Berufung eines Arbeitnehmers zum Geschäftsführer einer GmbH eine vertragliche Abrede zugrunde, die regelmäßig als ein Geschäftsführer-Dienstvertrag zu qualifizieren ist und mit der das Arbeitsverhältnis grundsätzlich aufgehoben wird (vgl. zB - Rn. 8; - 2 AZR 754/06 - Rn. 23; - 6 AZR 774/06 - Rn. 10, BAGE 123, 294). Zwingend ist dies aber nicht. Zum einen kann die Bestellung zum Geschäftsführer einer GmbH auch auf einem Arbeitsvertrag beruhen. Zum anderen bleibt der Arbeitsvertrag bestehen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer formlosen Abrede zum Geschäftsführer der GmbH bestellt wird, da eine wirksame Aufhebung des früheren Arbeitsverhältnisses die Einhaltung der Schriftform des § 623 BGB voraussetzt (vgl. - Rn. 12; - 5 AZB 100/08 - Rn. 8). Ansprüche aus diesem Arbeitsvertrag können dann nach Abberufung aus der Organschaft und damit nach dem Wegfall der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG vor den Gerichten für Arbeitssachen geltend gemacht werden. Dies gilt auch für die während der Zeit der Geschäftsführerbestellung auf dieser arbeitsvertraglichen Basis entstandenen Ansprüche ( - Rn. 13; - 10 AZB 51/10 - Rn. 14, BAGE 139, 63).
192. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nur hinsichtlich des Antrags zu 2. eröffnet.
20a) Der Kläger macht mit seinen Feststellungsanträgen zu 1. und 2. den Fortbestand eines seiner Auffassung nach fortbestehenden Arbeitsverhältnisses geltend.
21Es handelt sich um Anträge, die nur dann begründet sein können, wenn das Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist und nach wirksamer Beendigung der Organstellung als solches fortbestand oder wieder auflebte. In diesen Fällen (sic-non-Fälle) eröffnet bei streitiger Tatsachengrundlage die bloße Rechtsansicht der Klagepartei, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ( - zu II 1 b der Gründe; - Rn. 16; - 5 AZB 16/00 -). Nach der Beendigung der Organstellung und damit nach dem Wegfall der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen berufen, über die Frage, ob das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und durch eine ausgesprochene ordentliche Kündigung beendet wurde, zu entscheiden.
22b) Daraus folgt hinsichtlich des (vorgreiflichen) Antrags zu 2., mit dem der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Beendigung eines zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom begehrt, eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte. Zum Zeitpunkt der entsprechenden Klageerweiterung vom , zugestellt am , war der Kläger als Geschäftsführer abberufen und die Abberufung war im Handelsregister bereits am eingetragen worden.
23c) Hingegen steht einer Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen hinsichtlich des Antrags zu 1., mit dem der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Beendigung eines zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses durch die Kündigungen vom begehrt, die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG entgegen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung der Klage am (vgl. dazu - Rn. 23; - 10 AZB 78/12 - Rn. 15) war der Kläger noch Geschäftsführer der Beklagten und durch diese noch nicht abberufen worden.
24III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92, 97 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
RAAAI-20664