BAG Beschluss v. - 5 AZN 2097/12

Anspruch auf rechtliches Gehör - Hinweispflicht des Rechtsmittelgerichts

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: ArbG Neumünster Az: 4 Ca 242 b/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 3 Sa 57/12 Urteil

Gründe

1I. Die Parteien streiten über Überstundenvergütung. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr teilweise stattgegeben. Es hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.

2II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Das Landesarbeitsgericht war nicht verpflichtet, der Beklagten weitergehende Hinweise im Hinblick auf die Notwendigkeit substantiierten Bestreitens zu geben.

31. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessparteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei müssen die Parteien bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt erkennen können, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss ein Verfahrensbevollmächtigter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und bei seinem Vortrag berücksichtigen. Stellt das Gericht seine Entscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt ab, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte, wird ihm rechtliches Gehör zu einer streitentscheidenden Frage versagt. Ansonsten ist das Gericht vor Schluss der mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht zur Offenlegung seiner Rechtsauffassung verpflichtet ( - Rn. 60 mwN, NVwZ 2009, 1489; - 1 BvR 2341/00 - zu III 2 a der Gründe, DStRE 2004, 1050;  - AP ArbGG 1979 § 72a Rechtliches Gehör Nr. 7 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 104; - 5 AZR 342/06 (F) - BAGE 118, 229). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es nicht, dass das Rechtsmittelgericht auf seine vom erstinstanzlichen Gericht abweichende Rechtsauffassung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage hinweist, wenn die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt vom Rechtsmittelführer mit vertretbaren Ausführungen angegriffen wird. In einem solchen Fall muss der Rechtsmittelgegner in Betracht ziehen, dass das Rechtsmittelgericht den Ausführungen des Rechtsmittelführers folgt, so dass es naheliegen wird, diesen Ausführungen zwecks Verteidigung der erstinstanzlichen Entscheidung entgegenzutreten. Namentlich kann von einer Überraschungsentscheidung keine Rede sein, wenn das Rechtsmittelgericht abweichend vom erstinstanzlichen Gericht zu einer Rechtsfrage Stellung nimmt, die zwischen den Prozessbeteiligten von Anfang an umstritten war und bis zuletzt kontrovers erörtert wurde (vgl.  - BVerfGE 86, 133, 145;  - aaO).

42. Der Umstand, dass das Landesarbeitsgericht die Darlegungs- und Beweislast zulasten der Beklagten gewürdigt hat, stellt keine Überraschungsentscheidung dar. Die Klägerin hat ihr Vorbringen zweitinstanzlich ergänzt und vertieft. Zudem hat sie auf die ihres Erachtens überhöhten Anforderungen des Arbeitsgerichts an die Darlegungslast hingewiesen. Die Frage der Darlegungslast war damit die Kernfrage des Rechtsstreits. Angesichts einer solchen Sachlage musste die Beklagte damit rechnen, dass das Landesarbeitsgericht der Argumentation der Klägerin und deren Berufungsbegründung folgt und ihren Vortrag darauf einstellen.

5III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

6IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG.

Fundstelle(n):
YAAAI-20439