BAG Urteil v. - 2 AZR 790/09

Personenbedingte Kündigung - mehrjährige Freiheitsstrafe

Gesetze: § 1 Abs 2 S 1 Alt 1 KSchG, § 241 Abs 2 BGB

Instanzenzug: ArbG Braunschweig Az: 5 Ca 105/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 2 Sa 1261/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2Der 1976 geborene ledige Kläger war seit 1992 bei der Beklagten als Industriemechaniker tätig. Sein monatlicher Bruttoverdienst betrug zuletzt 2.500,00 Euro. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilindustrie. Sie beschäftigt regelmäßig weit mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

3Im November 2006 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen. Am wurde er - bei fortbestehender Inhaftierung - wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Zudem erfolgte der Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung, die ihm im Hinblick auf eine frühere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten gewährt worden war.

4Die Beklagte erfuhr im Sommer 2007 von der - inzwischen rechtskräftigen - Verurteilung des Klägers. Die Parteien verhandelten daraufhin über den Abschluss und die Modalitäten eines Aufhebungsvertrags. Im November 2007 teilte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten mit, er strebe den offenen Vollzug an und rechne mit baldiger Arbeitsaufnahme.

5Mitte Januar 2008 wurde für den Kläger ein Vollzugsplan erstellt. Darin sind der „2/3-Zeitpunkt“ für den und das Strafende für den notiert. Die Möglichkeit eines offenen Vollzugs wurde zunächst verneint. Eine Überprüfung dieser Entscheidung war gemäß dem Plan „im Rahmen einer langfristigen vollzuglichen Perspektivplanung“ und vor dem Hintergrund einer möglichen Beschäftigung bei der Beklagten - nach erfolgter Bewährung des Klägers in Vollzugslockerungen - für Dezember 2008 „angedacht“.

6Noch im Januar 2008 lehnte der Kläger einen Aufhebungsvertrag endgültig ab. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom ordentlich zum . Den Arbeitsplatz des Klägers besetzte sie aus ihrem Personalpool. Zu diesem gehören Mitarbeiter, deren Beschäftigungsmöglichkeit entfallen ist, die aber nicht aus dem Unternehmen ausgeschieden sind. Betriebsbedingte Kündigungen sind bei der Beklagten tarifvertraglich ausgeschlossen.

7Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Betriebsablaufstörungen seien nicht eingetreten. Der Beklagten sei es möglich und zumutbar gewesen, die Zeit seiner Inhaftierung bis zur Gewährung von Freigang zu überbrücken. Insbesondere sei ihr zumutbar gewesen, befristet Mitarbeiter einzustellen oder die Stelle intern nur vorübergehend zu besetzen. Sie sei zudem verpflichtet gewesen, ihn bei der Erlangung des Freigängerstatus zu unterstützen. Zumindest habe sie seine Aussicht hierauf nicht durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereiteln dürfen. Schließlich fehle es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Die Beklagte habe es versäumt, diesen von der für Dezember 2008 angedachten Prüfung seiner Eignung für den offenen Vollzug zu unterrichten.

Der Kläger hat beantragt

9Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, durch den haftbedingten mehrjährigen Ausfall des Klägers sei das Arbeitsverhältnis inhaltsleer geworden. Die befristete Beschäftigung eines anderen Arbeitnehmers auf dem Arbeitsplatz des Klägers habe sie wegen der langen Haftdauer nicht in Betracht ziehen müssen, zumal eine sachgrundlose Befristung lediglich für einen Zeitraum von zwei Jahren möglich sei. Unabhängig davon benötige sie Planungssicherheit. Sie habe den Arbeitsplatz deshalb dauerhaft anderweitig besetzen dürfen. Ihre Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG habe sie nicht verletzt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Gründe

11Die Revision ist begründet. Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung vom aufgelöst worden.

12I. Die Kündigung ist durch Gründe in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

131. Als personenbedingter Kündigungsgrund kommen solche Umstände in Betracht, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden „Störquelle“ beruhen ( - Rn. 27 mwN, AP BGB § 626 Nr. 212 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 22). Dazu zählt - anknüpfend an frühere Wertungen des Gesetzgebers in § 72 Abs. 1 Nr. 3 HGB (aF) - auch eine Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht (st. Rspr.,  - Rn. 12; - 2 AZR 719/93 - zu II 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 11). Diese Betrachtung lässt es zu, auf eine mögliche Resozialisierung des straffällig gewordenen Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Nicht jede Freiheitsstrafe kann ohne Rücksicht auf ihre Dauer und ihre Auswirkungen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen ( - aaO; - 2 AZR 613/83 - AP BGB § 626 Nr. 87 = EzA BGB § 626 nF Nr. 95).

14Eine Würdigung des Geschehens unter verhaltensbedingten Gesichtspunkten ist nur veranlasst, wenn die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben oder der Arbeitnehmer auf andere Weise arbeitsvertragliche Pflichten, insbesondere seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hat ( - Rn. 13; - 2 AZR 257/08 - Rn. 19 ff., AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77). Auf einen solchen, im Verhalten des Klägers begründeten Kündigungssachverhalt beruft sich die Beklagte nicht. Sie stützt die Kündigung ausschließlich auf die haftbedingten Abwesenheitszeiten des Klägers.

152. Voraussetzung einer - ordentlichen wie außerordentlichen - Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung ist, dass der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen ( - zu II 3 der Gründe, RzK I 6a Nr. 154; - 2 AZR 339/64 - zu III der Gründe, BAGE 17, 186). Die Nichterfüllung der Arbeitspflicht muss sich außerdem nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Arbeitgeber im Fall der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit ist (§ 616 Abs. 1, § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 BGB), hängt es von der Dauer sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet ist, einen Grund zur Kündigung abzugeben ( - zu II 3 der Gründe, aaO; - 2 AZR 497/94 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 123 = EzA BGB § 626 nF Nr. 154). Liegt eine beachtliche Störung vor, bedarf es der abschließenden, alle Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Abwägung, ob es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar war, das Arbeitsverhältnis bis zum Wegfall des Hinderungsgrundes fortzusetzen ( - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 11; - 2 AZR 613/83 - zu II 2 c der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 87 = EzA BGB § 626 nF Nr. 95). Sowohl bei der Frage, ob von einer erheblichen Störung des Austauschverhältnisses auszugehen ist, als auch bei der Interessenabwägung ist im Fall einer Kündigung wegen Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsverhinderung in aller Regel zu vertreten hat. Deshalb sind dem Arbeitgeber zur Überbrückung des Arbeitsausfalls regelmäßig nicht die gleichen Anstrengungen und Belastungen zuzumuten wie etwa bei einer Krankheit ( - Rn. 14, 18).

163. Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt ein Kündigungsgrund vor. Das Arbeitsverhältnis war im Kündigungszeitpunkt durch die haftbedingt zu erwartende Arbeitsverhinderung des Klägers erheblich belastet. Das Freihalten des Arbeitsplatzes war der Beklagten nach den Umständen des Falls nicht zumutbar.

17a) Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch kann nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Berücksichtigung finden ( - Rn. 52, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; - 2 AZR 48/03 - zu B I 1 a der Gründe, BAGE 109, 40).

18b) Im Kündigungszeitpunkt musste die Beklagte damit rechnen, dass der Kläger für die Dauer von mehr als zwei Jahren an seiner Arbeitsleistung verhindert wäre. Der Kläger war - unter Einbeziehung der Strafe aus einer vorhergehenden Verurteilung - zu einer Freiheitsstrafe von über sechs Jahren verurteilt worden, von der im Kündigungszeitpunkt noch knapp fünf Jahre zu verbüßen waren. Konkrete Anhaltspunkte für eine baldige Vollzugslockerung durch die Gewährung von Freigang (§ 11 StVollzG in der bis geltenden Fassung) lagen nicht vor. Die Mitteilung des Klägers vom November 2007, er rechne mit einer baldigen Arbeitsaufnahme, beruhte auf seiner rein subjektiven Einschätzung, die durch die Feststellungen des Vollzugsplans widerlegt ist. Das Ergebnis einer für Dezember 2008 „angedachten“ erneuten Prüfung der Möglichkeit einer Vollzugslockerung war völlig offen. Dieses hing insbesondere vom künftigen, keineswegs vorhersehbaren Verhalten des Klägers im Vollzug ab. Als frühestmöglicher Zeitpunkt für eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aufgrund von § 57 Abs. 1 StGB war im Vollzugsplan ein Termin im Februar 2011 notiert. Auch insoweit ist überdies das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug von Bedeutung und bedarf es zudem deren Einwilligung. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann nicht schon für Jahre im Voraus vorhergesagt werden (ähnlich  - Rn. 17).

19c) Unter diesen Umständen war der Beklagten ein Festhalten am Arbeitsverhältnis über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus nicht zumutbar. Der Darlegung konkreter Betriebsablaufstörungen bedurfte es angesichts der vom Kläger noch zu verbüßenden, 24 Monate deutlich übersteigenden Freiheitsstrafe nicht.

20aa) Der Arbeitsvertrag ist auf den ständigen Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichtet. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers geht dahin, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, damit dieser sie im Rahmen seiner arbeitsteiligen Betriebsorganisation sinnvoll einsetzen kann. Ist der Arbeitnehmer dazu nicht in der Lage, tritt hinsichtlich seiner Arbeitsleistung Unmöglichkeit ein, wenn - wie bei lang andauernder Arbeitsverhinderung die Regel - eine Nachleistung beiden Seiten nicht zugemutet werden kann (ErfK/Preis 11. Aufl. § 611 Rn. 676). Zugleich ist der Arbeitgeber gehindert, von seinem Weisungsrecht Gebrauch zu machen und muss, wenn er seine bisherige Arbeitsorganisation unverändert aufrechterhalten will, für eine anderweitige Erledigung der Arbeit sorgen. Bereits darin liegt eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen ( - Rn. 22).

21bb) Der Beklagten war es nicht zumutbar, zur Beseitigung der langfristigen Störung bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und dem Kläger den Arbeitsplatz bis zur Rückkehr aus der Haft freizuhalten.

22(1) Angesichts der in der Regel vom Arbeitnehmer selbst verschuldeten Arbeitsverhinderung ist fraglich, ob dem Arbeitgeber bei rechtskräftig verhängter Freiheitsstrafe überhaupt zugemutet werden kann, für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn eine Wiederaufnahme der Arbeit nicht kurzfristig zu erwarten steht (vgl. MünchKommBGB/Henssler 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 204). Auch bei befristeter Einstellung läuft er immerhin Gefahr, auf den unbefristeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in Anspruch genommen zu werden. Hält er eine Personalreserve vor, dient diese üblicherweise nicht dem Zweck, haftbedingte Ausfälle zu überbrücken. Auch mögen zwar die Folgen langer Strafhaft für den Arbeitgeber besser zu kalkulieren sein als die einer Untersuchungshaft von unabsehbarer Dauer. Dennoch besteht die Unsicherheit, ob nicht der Arbeitnehmer gerade vorzeitig aus der Haft entlassen oder ihm eine Vollzugslockerung gewährt wird. Erlangt der Arbeitgeber davon nicht rechtzeitig Kenntnis, kann dies dazu führen, dass er sowohl von der Ersatzkraft als auch von dem aus der Haft entlassenen Arbeitnehmer auf Lohnzahlung in Anspruch genommen wird ( - Rn. 24; Franzen Anm. zu Senat - 2 AZR 497/94 - SAE 1996, 37, 38).

23(2) Zumindest dann, wenn im Kündigungszeitpunkt noch eine Haftstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen ist und eine Entlassung vor Ablauf von zwei Jahren nicht sicher zu erwarten steht, kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Dabei ist neben den bereits angesprochenen Unwägbarkeiten zu berücksichtigen, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Beschäftigung einer Aushilfskraft im sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnis lediglich für einen Zeitraum von 24 Monaten eröffnet ist. Er kann deshalb bei längerer Haftzeit nicht damit rechnen, die Abwesenheit des Arbeitnehmers einigermaßen problemlos überbrücken zu können. Hinzu kommt, dass mit zunehmender Haftdauer die Verwirklichung des Vertragszwecks in Frage gestellt wird. Eine mehrjährige Abwesenheit des Arbeitnehmers geht typischerweise mit einer Lockerung seiner Bindungen an den Betrieb und die Belegschaft sowie dem Verlust von Erfahrungswissen einher, das aus der täglichen Routine resultiert. Dementsprechend muss der Arbeitgeber bei der Rückkehr eines langjährig inhaftierten Arbeitnehmers mit Einarbeitungsaufwand rechnen ( - Rn. 25).

24Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, selbst bei mehrjähriger Haftstrafe bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, besteht auch nicht aus Gründen der Resozialisierung. Zwar ist bei kurzzeitigen Inhaftierungen oder in Fällen, in denen nach Ablauf der Kündigungsfrist zeitnah eine Weiterbeschäftigung im offenen Vollzug möglich ist, auf die entsprechenden Belange des Arbeitnehmers angemessen Rücksicht zu nehmen. Dies rechtfertigt es aber nicht, vom Arbeitgeber zu verlangen, den Arbeitsplatz für den inhaftierten Arbeitnehmer für voraussichtlich mehr als zwei Jahre frei zu halten und ihm die damit verbundenen Lasten aufzuerlegen. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass der Gesetzgeber für Fälle, in denen er es für erforderlich erachtet, dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz bei persönlicher Leistungsverhinderung mit Rücksicht auf übergeordnete Interessen (Schutz von Ehe und Familie; Erfüllung staatsbürgerschaftlicher Pflichten) zu sichern, ausdrückliche, eigenständige Regelungen (bspw. §§ 15, 16 BEEG; §§ 3, 4 PflegeZG; § 1 ArbPlSchG) getroffen hat. Die durchaus strengeren Anforderungen an eine Kündigung wegen lang anhaltender Erkrankung (bspw.  - Rn. 27 mwN, BAGE 123, 234; - 2 AZR 431/98 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 91, 271) rechtfertigen sich daraus, dass eine schwere Krankheit - anders als eine Freiheitsstrafe - für den Betroffenen in der Regel unvermeidbar war ( - Rn. 26).

25cc) Die Besonderheiten des vorliegenden Falls verlangen keine andere Beurteilung.

26(1) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger alsbald den Freigängerstatus erlangen würde, waren bei Kündigungsausspruch nicht ersichtlich. Es bestand auch keine Verpflichtung der Beklagten, den Arbeitsplatz zumindest bis zur Entscheidung über eine etwaige Vollzugslockerung im Dezember 2008 freizuhalten. Zwar kann sich aus § 241 Abs. 2 BGB eine Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, bei der Erlangung des Freigängerstatus des Arbeitnehmers mitzuwirken, wenn dies für den Arbeitgeber nicht risikobehaftet ist ( - Rn. 28; - 2 AZR 497/94 - zu II 5 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 123 = EzA BGB § 626 nF Nr. 154). Im Streitfall war aber völlig ungewiss, ob dem Kläger eine so weitreichende Vollzugslockerung gewährt würde. Die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in seinem Resozialisierungsbemühen zu unterstützen, geht nicht so weit, diesem auf die vage Aussicht hin, in ferner Zukunft eine Vollzugslockerung zu erreichen, den Arbeitsplatz bis zu einer Klärung, ggf. über Monate hinweg freizuhalten. Ob die Beklagte davon auszugehen hatte, eine Beschäftigung des Klägers im Rahmen eines offenen Vollzugs wäre für sie risikofrei, kann unter diesen Umständen dahinstehen.

27(2) Unerheblich ist, dass die Beklagte den Arbeitsausfall des Klägers durch eine interne Umbesetzung ausgeglichen hat. Damit hat sie nicht zugleich gezeigt, dass ihr eine Überbrückung des Arbeitsausfalls zumutbar war. Um eine in diesem Sinne vorläufige Maßnahme handelte es sich nicht. Vielmehr hat die Beklagte den Arbeitsplatz des Klägers dauerhaft mit einem Arbeitnehmer aus dem Personalpool besetzt.

28(3) Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die Beklagte nach der Inhaftierung des Klägers für eine nicht unerhebliche Zeit mit der Besetzung des Arbeitsplatzes zugewartet hat. Die damit verbundene Rücksichtnahme auf die Interessen des Klägers belegt - zumal angesichts laufender Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags - nicht, dass es ihr zumutbar gewesen wäre, den Arbeitsplatz des Klägers auch angesichts der Verurteilung des Klägers zu einer mehr als zweijährigen Freiheitsstrafe frei zu halten. Dass die Beklagte in anderen Arbeitsbereichen des Unternehmens einen Personalabbau betrieben haben mag, ist für die Besetzung der Stelle des Klägers nicht relevant. Der Kläger stellt nicht in Abrede, dass bei Ausspruch der Kündigung in seinem Tätigkeitsbereich Beschäftigungsbedarf bestand.

294. Die Interessenabwägung führt nicht zu einem Überwiegen der Belange des Klägers. Zwar ist zu seinen Gunsten eine mehr als fünfzehnjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, deren beanstandungsfreier Verlauf unterstellt werden kann. Gleichwohl geht das Beendigungsinteresse der Beklagten vor. Der Kläger hat seinen langen Ausfall selbst verschuldet. Dabei wiegt besonders schwer, dass er während einer laufenden Bewährungsphase erneut straffällig geworden ist. Hinzu kommt, dass die Beklagte nach der Inhaftierung des Klägers mit der Kündigung über ein Jahr zugewartet und bereits dadurch in erheblichem Umfang auf dessen Interessen Rücksicht genommen hat. Außerdem war sie, wie die Neubesetzung des Arbeitsplatzes indiziert, auf die Erledigung der dem Kläger übertragenen Arbeit angewiesen.

30II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

311. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Insbesondere hat die Beklagte den Personalausschuss des Betriebsrats, dem die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte in personellen Angelegenheiten übertragen ist, ordnungsgemäß über die Gründe der Kündigung unterrichtet. Dies vermag der Senat auf der Grundlage des im Wesentlichen unstreitigen Vortrags der Beklagten selbst zu entscheiden.

32a) Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitteilen, die aus seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind. Diesen Sachverhalt muss er unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, so beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann. Teilt der Arbeitgeber objektiv erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deshalb nicht mit, weil er darauf die Kündigung nicht oder zunächst nicht stützen will, dann ist die Anhörung ordnungsgemäß, weil eine nur bei objektiver Würdigung unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Anhörung und Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG führt. Eine objektiv unvollständige Anhörung verwehrt es dem Arbeitgeber allerdings, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhalts hinausgehen ( - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 20; - 2 AZR 536/02 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 65 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 5).

33b) Hiervon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte dem Betriebsrat - wie der Kläger gemeint hat - Tatsachen vorenthalten hätte, die aus ihrer Sicht für den Kündigungsentschluss maßgebend waren. Unstrittig lag dem zuständigen Personalausschuss die vollständige Personalakte des Klägers vor, aus der sich dessen Sozialdaten ergaben. Darüber hinaus hatte die Beklagte mitgeteilt, der Kläger sei seit November 2006 haftbedingt der Arbeit fern geblieben und sie beabsichtigte, das Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen „wegen unzumutbarer langer Abwesenheit auf nicht absehbare bzw. nicht weiter zumutbare längere Dauer“ fristgemäß zu kündigen. Auch der Behauptung der Beklagten, sie habe den Personalausschuss im Zusammenhang mit der Einleitung des Anhörungsverfahrens am überdies mündlich über die Verurteilung des Klägers und die Dauer der zu verbüßenden Strafhaft unterrichtet, ist der Kläger nicht entgegen getreten. Damit war der Personalausschuss in die Lage versetzt, den Entschluss der Beklagten zur Kündigung nachzuvollziehen und sich über dessen Berechtigung klar zu werden. Auf die für Dezember 2008 „angedachte“ Prüfung der Möglichkeit eines offenen Vollzugs brauchte die Beklagte nicht hinzuweisen. Dies war schon mangels Kenntnis für ihren Kündigungsentschluss nicht bestimmend. Den Vollzugsplan vom Januar 2008 hat der Kläger erst im Verlauf des Kündigungsschutzprozesses vorgelegt.

342. Sonstige Mängel der Kündigung hat der Kläger nicht geltend gemacht.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
YAAAI-19163