Zusatzurlaub für Nachtarbeitsstunden während Bereitschaftsdienst - TV-Ärzte/VKA
Leitsatz
Bereitschaftsdienststunden, die in der Zeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr geleistet werden, sind Nachtarbeitsstunden iSv. § 28 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA und lösen den tariflichen Anspruch auf Zusatzurlaub aus.
Gesetze: § 28 Abs 3 TV-Ärzte/VKA, § 1 TVG, § 6 Abs 5 ArbZG
Instanzenzug: ArbG Darmstadt Az: 12 Ca 240/08 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 9/11 Sa 2240/08 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz über die Abgeltung eines Anspruchs auf Zusatzurlaub für Nachtarbeitsstunden, die der Kläger im Jahr 2007 geleistet hat.
Die Beklagte betreibt in ihrem Gesundheits- und Pflegezentrum eine Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe. Der Kläger war dort als Arzt beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom (TV-Ärzte/VKA) Anwendung. Dieser Tarifvertrag regelte im Streitzeitraum ua. wie folgt:
3In der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe leisten die Ärzte außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit Bereitschaftsdienste. Die regelmäßige Arbeitszeit nach Dienstplan liegt montags bis donnerstags von 7:30 Uhr bis 16:45 Uhr und freitags von 7:30 Uhr bis 14:00 Uhr. Hieran schließt sich ein Bereitschaftsdienst bis zum nächsten Morgen an. An Wochenenden werden ausschließlich Bereitschaftsdienste geleistet. An Feiertagen erfolgt die Einteilung zum Bereitschaftsdienst wie an Sonntagen.
4Der Kläger leistete im Jahr 2007 an 80 Tagen Bereitschaftsdienst, von denen er 720 Stunden im Zeitraum zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr erbrachte. Mit Schreiben vom hat er einen Anspruch auf vier Tage Zusatzurlaub für 2007 geltend gemacht. Im Verlauf des Revisionsverfahrens ist das Arbeitsverhältnis beendet worden. Der in den Vorinstanzen eingeklagte Anspruch auf Zusatzurlaub entspricht einem Abgeltungsanspruch von 2.647,88 Euro brutto. Diesen Betrag begehrt der Kläger nunmehr mit dem Hauptantrag.
5Er hat die Auffassung vertreten, auch Bereitschaftsdienststunden seien Nachtarbeitsstunden im Sinne von § 28 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA. Hilfsweise macht der Kläger einen Anspruch aus § 6 Abs. 5 ArbZG geltend.
Der Kläger hat beantragt,
7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und die Auffassung vertreten, Bereitschaftsdienstzeiten lösten den Anspruch aus § 28 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA nicht aus.
Die Vorinstanzen haben der Klage auf Gewährung von Zusatzurlaub stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Antrag auf Klageabweisung weiter.
Gründe
9I. Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat aus § 28 Abs. 3, Abs. 5, § 27 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA iVm. § 280 Abs. 1 Satz 1, § 286 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB, § 7 Abs. 4 BUrlG einen Anspruch auf Abgeltung des Ersatzzusatzurlaubs für die im Jahr 2007 geleistete Nachtarbeit.
101. Die Änderung des Sachantrags auf Abgeltung des Ersatzzusatzurlaubsanspruchs ist zulässig. Zwar sind Änderungen und Erweiterungen des Sachantrags in der Revisionsinstanz grundsätzlich unzulässig. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Veränderung des Klageantrags unter § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO fällt und auch der neue Antrag auf unstreitiges oder festgestelltes tatsächliches Vorbringen gestützt werden kann( - zu II der Gründe; GMP/Müller-Glöge ArbGG 7. Aufl. § 74 Rn. 44). So ist es hier. Der Kläger verfolgt nach seinem Ausscheiden anstelle eines Anspruchs auf Gewährung von Ersatzzusatzurlaub einen Anspruch auf Abgeltung dieses Urlaubs in rechnerisch unstreitiger Höhe.
112. Bereitschaftsdienststunden, die in der Zeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr geleistet werden, sind Nachtarbeitsstunden iSv. § 28 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA, die einen Anspruch auf Zusatzurlaub auslösen. Dies ergibt die Auslegung der Norm.
12a) Der Wortlaut der tariflichen Regelung, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist (vgl. Senat - 10 AZR 1035/08 - Rn. 15, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 220), ist nicht eindeutig. Danach löst die Leistung einer bestimmten Anzahl von Nachtarbeitsstunden den Anspruch auf Zusatzurlaub aus. Der Tarifvertrag definiert nicht diesen Begriff, sondern in § 9 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA den der Nachtarbeit als Arbeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr. Geleistet werden in dieser Zeitspanne sowohl regelmäßige Arbeitsstunden wie auch Bereitschaftsdienststunden, in denen nach § 10 Abs. 1 Satz 2 TV-Ärzte/VKA regelmäßig Arbeit anfällt.
13b) Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang ergibt kein eindeutiges Ergebnis. Der Tarifvertrag differenziert zwischen den in § 9 TV-Ärzte/VKA geregelten Sonderformen der Arbeit einschließlich der Nachtarbeit und dem Bereitschaftsdienst, der in § 10 TV-Ärzte/VKA geregelt ist. § 28 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA greift diese Differenzierung nicht auf. Dies kann bedeuten, dass nur innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit geleistete Nachtarbeit den Anspruch auf Zusatzurlaub auslöst; denkbar ist aber auch ein tarifliches Verständnis, dass sämtliche Bereitschaftsdienststunden oder zumindest in diesem Rahmen tatsächlich anfallende Arbeitsstunden den Anspruch auslösen sollen.
14c) Sinn und Zweck der Vorschrift verdeutlichen jedoch, dass nächtliche Bereitschaftsdienststunden Nachtarbeitsstunden iSv. § 28 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA sind.
15aa) Ein tariflicher Zusatzurlaub etwa entsprechend der früheren Vorschrift des § 48a BAT/BAT-O dient dem Ausgleich der durch Wechselschicht-, Schicht- und Nachtarbeit verursachten besonderen Belastungen (vgl. - Rn. 21, AP TVöD § 46 Nr. 1 [Schichtarbeit, zu § 46 Nr. 7 TVöD-BT-V]; - 5 AZR 867/08 - Rn. 19, AP ArbZG § 6 Nr. 10 = EzA ArbZG § 6 Nr. 7 [Nachtarbeit, zu § 48a BAT-KF]; - 7 AZR 820/06 - Rn. 21, BAGE 124, 356 [Wechselschichtarbeit, zu § 48a BAT]). § 28 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA regelt den tariflichen Ausgleich iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG für die Belastung durch Nachtarbeit. Nach diesem Zweck ist der Auslegung der Norm der arbeitsschutzrechtliche Arbeitsbegriff zugrunde zu legen. Bereitschaftsdienst, den ein Arbeitnehmer in Form persönlicher Anwesenheit im Betrieb des Arbeitgebers leistet, ist nach der Rechtsprechung des EuGH und nach der hieran anknüpfenden Neufassung des ArbZG in vollem Umfang als Arbeitszeit iSv. Art. 2 der Richtlinie 2003/88/EG anzusehen, ohne Rücksicht darauf, welche Arbeitsleistung der Betroffene während dieses Bereitschaftsdienstes tatsächlich erbringt ( - [Dellas] Rn. 46, Slg. 2005, I-10253; - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeiffer ua.] Rn. 93, Slg. 2004, I-8835; - C-151/02 - [Jaeger] Rn. 75, Slg. 2003, I-8389; - C-303/98 - [Simap] Rn. 52, Slg. 2000, I-7963). Das hat der Senat bereits entschieden ( - 10 AZR 543/09 - Rn. 20 ff., AP ArbZG § 7 Nr. 4 = EzA ArbZG § 7 Nr. 8). Bereitschaftsdienst in der Nachtzeit ist in seiner gesamten Dauer nach § 6 Abs. 5 ArbZG auszugleichen, unabhängig davon, in welchen Arbeitsstunden tatsächlich Arbeitsleistung erbracht wurde (vgl. - Rn. 21, AP ArbZG § 6 Nr. 10 = EzA ArbZG § 6 Nr. 7). Für jede Stunde des nächtlichen Bereitschaftsdienstes besteht deshalb ein gesetzlicher Anspruch auf einen Belastungsausgleich, der durch § 28 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA näher bestimmt wird.
16bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten wird dieser Ausgleich tariflich nicht anderweitig gewährt. Das Bereitschaftsdienstentgelt nach § 12 TV-Ärzte/VKA enthält keinen entsprechenden Ausgleichsfaktor (zu § 48a BAT-KF bereits - Rn. 24, AP ArbZG § 6 Nr. 10 = EzA ArbZG § 6 Nr. 7). Seine Höhe ist nicht davon abhängig, ob Bereitschaftsdienste tagsüber oder während der Nachtzeit geleistet werden. Auch durch § 11 Abs. 1 Satz 3 TV-Ärzte/VKA wird kein Ausgleich gewährt; der Zuschlag je Nachtarbeitsstunde wird gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 TV-Ärzte/VKA während des Bereitschaftsdienstes nicht gezahlt.
17d) Schließlich spricht die Entstehungsgeschichte der Tarifnorm, auf die bei etwaigen Auslegungszweifeln zurückgegriffen werden kann (Senat - 10 AZR 1035/08 - Rn. 29, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 220), dafür, dass Bereitschaftsdienststunden in der Zeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr als Nachtarbeitsstunden anzusehen sind und den tariflichen Anspruch auf Zusatzurlaub auslösen. Der in der Vorgängernorm des § 48a Abs. 6 Satz 1 BAT/BAT-O enthaltene Vorbehalt, dass nur im Rahmen regelmäßiger Arbeitszeit geleistete Arbeitsstunden berücksichtigt werden, ist in § 28 TV-Ärzte/VKA nicht mehr enthalten.
18e) Nach § 28 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA erhalten Ärztinnen und Ärzte für eine Leistung von jeweils 150 Nachtarbeitsstunden einen Arbeitstag Zusatzurlaub. Dieser Ausgleich entspricht einem Zuschlag von etwa fünf Prozent und ist für Bereitschaftsdienstzeiten nicht unangemessen (vgl. - Rn. 22, AP ArbZG § 6 Nr. 10 = EzA ArbZG § 6 Nr. 7).
193. Die weiteren Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs (vgl. -) und des Abgeltungsanspruchs nach § 7 Abs. 4 BUrlG liegen vor. Der Anspruch auf Zusatzurlaub für das Jahr 2007 ist nach § 28 Abs. 5, § 27 Abs. 2 Buchst. a TV-Ärzte/VKA, § 7 Abs. 3 BUrlG spätestens mit Ablauf des verfallen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger mit Schreiben vom die Gewährung des Zusatzurlaubs verlangt und die Beklagte gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verzug gesetzt. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Ersatzzusatzurlaub in der zwischen den Parteien rechnerisch unstreitigen Höhe abzugelten.
204. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 BGB.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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CAAAI-18959