Auslegung einer Verweisungsklausel als Gleichstellungsabrede - allgemeinverbindlicher Tarifvertrag
Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 611 Abs 1 BGB, § 3 Abs 1 TVG, § 4 Abs 1 TVG, § 5 TVG
Instanzenzug: ArbG Regensburg Az: 6 Ca 4435/06 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 2 Sa 1069/07 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Restlohnansprüche der Klägerin für die Zeit von August 2003 bis September 2006.
Die Klägerin war in der Zeit vom bis zum bei der Beklagten beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag ein schriftlicher Formulararbeitsvertrag vom zugrunde, in dem es ua. hieß:
3Bei Vertragsabschluss waren der vom Landesverband des bayerischen Einzelhandels(LBE) abgeschlossene Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vom 22./, der Tarifvertrag über Sonderzahlungen vom 22./, der Rahmentarifvertrag über vermögenswirksame Leistungen vom 22./ sowie der Tarifvertrag über die Höhe der vermögenswirksamen Leistungen vom 22./ für allgemeinverbindlich erklärt. Der ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärte Gehaltstarifvertrag für die Angestellten im bayerischen Einzelhandel vom 22./ (GTV 1993) war am außer Kraft getreten. Hinsichtlich der Vergütung für die Auszubildenden endete er erst am . Am schloss der LBE den Gehaltstarifvertrag für die Angestellten im Einzelhandel in Bayern (GTV 1995) ab, der ab gültig war. Er wurde am rückwirkend zum für allgemeinverbindlich erklärt. Auch nachfolgende Gehaltstarifverträge im bayerischen Einzelhandel wurden für allgemeinverbindlich erklärt. Die letzte Allgemeinverbindlicherklärung des GTV, hier: vom endete am .
4Die Beklagte, die zunächst tarifgebundenes Mitglied des LBE war, erklärte mit Schreiben vom gegenüber dem LBE unter Bezugnahme auf § 4a seiner Satzung den dort vorgesehenen Ausschluss aus der Tarifbindung. Nach § 4a der Satzung des LBE wirkt die Erklärung „zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge“.
5Zum trat der am abgeschlossene Gehaltstarifvertrag(GTV 2003) für die Angestellten des Einzelhandels in Bayern in Kraft. Dieser sah für die Beschäftigungsgruppe II im 6. Tätigkeitsjahr ab dem ein Tarifgehalt von monatlich 1.950,00 Euro brutto und für die Zeit ab dem von monatlich 1.986,00 Euro brutto vor. Gleichzeitig trat nach § 5 Nr. 9 GTV 2003 zum der frühere Gehaltstarifvertrag vom (GTV 2002) außer Kraft.
6In der Zeit von August 2003 bis September 2006 erhielt die Klägerin von der Beklagten ein monatliches Gehalt in Höhe von 1.915,00 Euro brutto.
7Mit ihrer nach erfolgloser Geltendmachung erhobenen Klage begehrt die Klägerin eine Gehaltsdifferenz für die Zeit von August 2003 bis einschließlich Juli 2004 in Höhe von monatlich 35,00 Euro brutto sowie für die Zeit von August 2004 bis September 2006 in Höhe von monatlich 71,00 Euro brutto.
8Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass der GTV 2003 über § 17 ihres Arbeitsvertrages auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung gefunden habe. Die Verweisungsklausel sei nicht als Gleichstellungsabrede auszulegen, da wegen der bei Abschluss des Arbeitsvertrages bestehenden Allgemeinverbindlicherklärungen der Tarifverträge des bayerischen Einzelhandels für die Beklagte kein Interesse bestanden habe, eine Gleichstellungsabrede zu vereinbaren. Das zukünftige Außerkrafttreten der Allgemeinverbindlicherklärungen sei bei Abschluss des Arbeitsvertrages nicht naheliegend gewesen. Den Parteien könne auch nicht unterstellt werden, dass sie erst für den Fall des Endes der Allgemeinverbindlicherklärungen eine vertragliche Regelung hätten treffen wollen.
Die Klägerin hat beantragt,
10Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass der GTV 2003 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anzuwenden sei. Bei § 17 des Arbeitsvertrages handele es sich um eine Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Senatsrechtsprechung. Da die Allgemeinverbindlichkeit schon wegen des auf jeden einzelnen Tarifvertrag bezogenen Antragsverfahrens keine dauerhafte Gewähr für die normative Geltung aller Tarifverträge des bayerischen Einzelhandels darstelle, habe auch bei Vertragsabschluss ein Bedürfnis für den Abschluss einer Gleichstellungsabrede bestanden.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
12Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Entgeltdifferenz. Der GTV 2003 fand auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin keine Anwendung. Bei der Bezugnahmeklausel in § 17 des Arbeitsvertrages der Klägerin handelte es sich um eine Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Senatsrechtsprechung und nicht um eine von der Tarifgebundenheit der Beklagten unabhängige zeitdynamische Verweisung auf die einschlägigen Tarifverträge des bayerischen Einzelhandels in ihrer jeweiligen Fassung. Die Klägerin kann daher aus der Verweisung im Arbeitsvertrag nur solche vertraglichen Ansprüche herleiten, die sich aufgrund unmittelbarer Tarifbindung an die einschlägigen Tarifverträge ergeben würden. Die Beklagte ist jedoch nicht nach § 3 Abs. 1 TVG an den am angeschlossenen GTV 2003 gebunden, da sie mit Schreiben vom bereits mit Wirkung zum gegenüber dem LBE wirksam den Ausschluss der Tarifbindung erklärt hat.
13I. Die Auslegung eines Formulararbeitsvertrages wie des streitgegenständlichen durch das Landesarbeitsgericht kann vom Revisionsgericht ohne Einschränkung überprüft werden(st. Rspr., vgl. nur - zu I 1 b der Gründe mwN, BAGE 95, 296).
14II. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei § 17 des Arbeitsvertrages um eine Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung des Senats handelte.
151. Nach der früheren Senatsrechtsprechung waren bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Verweisungsklauseln in aller Regel als sogenannte Gleichstellungsabreden auszulegen. Mit der Verweisung auf die einschlägigen Tarifverträge sollten die Arbeitnehmer arbeitsvertraglich so gestellt werden, wie sie tarifrechtlich stünden, wenn sie tarifgebunden wären. Ziel der Bezugnahme war danach die einheitliche Anwendung des in Bezug genommenen Tarifrechts unabhängig von der Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers. Das Arbeitsverhältnis nahm an den dynamischen Entwicklungen des in Bezug genommenen Tarifvertrages deshalb auch nur so lange teil, wie der Arbeitgeber selbst tarifgebunden war(vgl. nur - Rn. 18 f. mwN, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 68; - 4 AZR 536/04 - Rn. 12 ff., BAGE 116, 326; - 4 AZR 50/04 - zu I 2 a der Gründe, BAGE 113, 40).
162. Diese Auslegungsregel wendet der Senat aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin auf Bezugnahmeklauseln an, die vor dem in Kraft treten der Schuldrechtsreform zum vereinbart wurden; für Verweisungsklauseln, die seit diesem Zeitpunkt vereinbart worden sind, verlangt der Senat für den Wegfall der Dynamik bei Entfallen der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers eine hinreichend klare arbeitsvertragliche Vereinbarung, die über die bloße Verweisungsklausel ohne Zusatz hinausgeht(vgl. - Rn. 24 ff., BAGE 116, 326; - 4 AZR 652/05 - Rn. 29 ff., BAGE 122, 74; - 4 AZR 602/06 - Rn. 20 ff., AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 63 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 38; - 4 AZR 881/07 - Rn. 18 ff., AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 68).
173. In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die Verweisungsklausel in § 17 des Arbeitsvertrages der Klägerin vom als Gleichstellungsabrede. Die Klausel nimmt die fachlich einschlägigen Tarifverträge in Bezug und die Beklagte war zum damaligen Zeitpunkt aufgrund ihrer Mitgliedschaft im LBE an die im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Tarifverträge normativ gebunden.
184. Gegen diese Auslegung spricht entgegen der Auffassung der Revision nicht, dass die Tarifverträge für den Einzelhandel in Bayern bei Abschluss des Arbeitsvertrages überwiegend allgemeinverbindlich waren. Trotz dieses Umstandes bestand die der früheren Senatsrechtsprechung zur Gleichstellungsabrede zugrundeliegende Interessenlage der gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG tarifgebundenen Beklagten.
19a) Die Gleichstellungsabsicht der Beklagten ergibt sich schon daraus, dass eine Allgemeinverbindlicherklärung höchstens für die Laufzeit des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages gilt. Nach der vorhersehbaren Beendigung der Laufzeit und damit auch der Wirkung der Allgemeinverbindlicherklärung kommt diese Absicht daher sowohl für den Zeitraum der Nachwirkung als auch für etwa neu abgeschlossene, aber (noch) nicht für allgemeinverbindlich erklärte Änderungstarifverträge wieder zum Tragen(vgl. schon - Rn. 22). Dass sich zwischen der Antragstellung nach § 5 Abs. 1 TVG und dem Ausspruch der Allgemeinverbindlicherklärung regelmäßig Zeiträume ergeben, in denen der jeweils gültige Tarifvertrag für die Außenseiter - zunächst - noch nicht gemäß § 5 Abs. 4 TVG normativ gilt, zeigt beispielhaft der vorliegende Rechtsstreit. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages am war der GTV 1992 schon seit dem außer Kraft getreten, so dass seine Allgemeinverbindlichkeit nach § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG zu diesem Zeitpunkt beendet war und der Tarifvertrag nach § 4 Abs. 5 TVG nur noch nachwirkte. Der den GTV 1992 zum ablösende GTV vom war hingegen am noch nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden. Dies erfolgte erst am rückwirkend zum (vgl. Bundesanzeiger Nr. 47 vom ).
20b) Im Übrigen verkennt die Revision, dass sich die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Abs. 1 TVG immer nur auf einen konkreten Tarifvertrag bezieht. Da das Antragserfordernis für die Allgemeinverbindlicherklärung bei den tarifschließenden Gewerkschaften und Verbänden liegt(§ 5 Abs. 1 TVG), hat der einzelne Arbeitgeber keinen unmittelbaren Einfluss darauf, ob ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt und damit seine Gleichstellungsabsicht bereits durch die Allgemeinverbindlicherklärung gewahrt wird. Das gilt um so mehr in den Fällen, in denen die Verweisungsklausel - wie vorliegend - nicht nur einzelne Tarifverträge, sondern das gesamte Tarifwerk einer Branche in Bezug nimmt. Deshalb besteht für den Arbeitgeber auch in dieser Konstellation regelmäßig ein Interesse am Abschluss einer Gleichstellungsabrede.
215. Die Revision kann sich auch nicht mit Erfolg auf § 305c Abs. 2 BGB berufen, nach dem Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen. Die Anwendung der Unklarheitenregelung setzt voraus, dass nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel über die Auslegung verbleibt und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar bleiben( - Rn. 41, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 54). Ihre Anwendung ist hingegen ausgeschlossen, wenn - wie hier - die aus Vertrauensgesichtspunkten weiter vorzunehmende Auslegung zu einem eindeutigen Ergebnis führt (vgl. nur - Rn. 22 mwN, AP BGB § 305c Nr. 4 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 3).
22III. Die Klägerin kann aus der Verweisung in § 17 ihres Arbeitsvertrages keine vertraglichen Ansprüche auf Gewährung der Tarifvergütung nach dem GTV 2003 ableiten.
231. Als Gleichstellungsabrede stand die Verweisung auf den GTV in seiner jeweiligen Fassung unter der auflösenden Bedingung der Tarifgebundenheit der Beklagten.
242. Die Beklagte war aufgrund ihrer Erklärung vom , die im hier interessierenden Zusammenhang zum wirkte, an den GTV 2003, auf dessen Normen die Klägerin ihren Anspruch stützt, nicht normativ gebunden. Hiervon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.
25Nach § 4a der Satzung des LBE können die Mitglieder des LBE den Ausschluss der Tarifbindung erklären. Der Zweck dieser Regelung besteht erkennbar darin, den Mitgliedern des LBE einen Wechsel in eine sog. OT-Mitgliedschaft zu ermöglichen, durch die keine Tarifbindung nach § 3 Abs. 1 TVG mehr vermittelt werden soll(vgl. nur - Rn. 62 ff., BAGE 119, 103 zu der hier maßgebenden Satzungsregelung des LBE; vgl. auch - Rn. 50 ff. zu einer entsprechenden Regelung). Die Einhaltung einer Frist für einen derartigen Statuswechsel sieht § 4a Satz 1 der Satzung nicht vor. Dass die Erklärung der Mitglieder nach § 4a Satz 3 der Satzung erst zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge „wirkt“, steht dem nicht entgegen. Denn § 4a Satz 3 der Satzung spiegelt lediglich die in § 3 Abs. 3 TVG enthaltene Regelung wider ( - aaO; - 4 AZR 316/07 - aaO). In rechtlicher Hinsicht ist die Einhaltung einer Mindestfrist für einen Statuswechsel nicht erforderlich ( - Rn. 30, AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 27 = EzA TVG § 3 Nr. 31). Dass die Satzung des LBE den nach der Rechtsprechung des Senats gebotenen Anforderungen an eine wirksame Trennung von Mitgliedern mit Tarifbindung und solchen ohne Tarifbindung nicht gerecht wird (vgl. dazu nur - Rn. 25 ff., AP TVG § 3 Nr. 38 = EzA GG Art. 9 Nr. 95; - 4 AZR 111/08 - AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 26 = EzA TVG § 3 Nr. 30) oder dass der Statuswechsel der Beklagten wegen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zumindest tarifrechtlich unwirksam sein könnte (vgl. hierzu - Rn. 73, aaO), ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
IV. Die Kosten der erfolglosen Revision hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Klägerin zu tragen.
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Fundstelle(n):
PAAAI-18382