Steuerstrafverfahren: Wegfall der gerichtlichen Bindung an eine Verständigung über den Strafrahmen
Gesetze: § 257c Abs 4 S 1 StPO
Instanzenzug: Az: 11 KLs 213 Js 13720/12
Tenor
Die Revision der Angeklagten gegen das wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Auch die Verfahrensrüge, das Landgericht habe sich zu Unrecht an eine Verständigung i.S.v. § 257c StPO gebunden gefühlt, bleibt ohne Erfolg.
1. Dieser Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Am dritten Tag der Hauptverhandlung traf die Strafkammer mit der Staatsanwaltschaft, der Angeklagten und dem Verteidiger eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO. Die Verständigung umfasste für den Fall eines frühzeitigen Geständnisses der Angeklagten u.a. die Zusage der Strafkammer, dass sie bei der zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe eine Strafuntergrenze von einem Jahr und vier Monaten nicht unterschreiten und eine Strafobergrenze von einem Jahr und acht Monaten nicht überschreiten werde, wobei sie die Vollstreckung der zu verhängenden Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen werde.
An einem späteren Hauptverhandlungstag erteilte die Strafkammer den rechtlichen Hinweis (§ 265 Abs. 1 StPO), dass in den Fällen der Steuerhinterziehung anstelle der in der Anklageschrift angenommenen mittäterschaftlich begangenen Steuerhinterziehung jeweils lediglich Beihilfe zur Steuerhinterziehung verwirklicht sein könnte. In diesen zehn Fällen verurteilte die Strafkammer die Angeklagte dann auch nur wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung.
Insgesamt wurde die geständige Angeklagte vom Landgericht wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Verkürzen von Arbeitsentgelt in 50 Fällen (Einzelstrafen zwischen 30 Tagessätzen Geldstrafe und zehn Monaten Freiheitsstrafe) und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zehn Fällen (Einzelstrafen zwischen einem Monat und vier Monaten Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Der Verteidiger hatte für diese Taten in seinem Schlussvortrag die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten beantragt. Nach den Urteilsfeststellungen hatte die Angeklagte auf Anweisung des Mitangeklagten J. für die von diesem geführte E. Hoch- und Industriebau GmbH gegenüber den Sozialversicherungsträgern und in Lohnsteueranmeldungen in den Jahren 2005 und 2006 bezüglich der bei der GmbH beschäftigten Arbeitnehmer geringere als die tatsächlich bezahlten Löhne angemeldet und dadurch Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung sowie Lohnsteuer verkürzt.
2. Die Revision ist der Ansicht, dass wegen der Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts „Beihilfe statt Mittäterschaft“ in den zehn Fällen der Steuerhinterziehung die Bindung des Gerichts an die Verständigung gemäß § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO entfallen sei und dass das Landgericht diesen Umstand in den Urteilsgründen bei der Strafzumessung zum Ausdruck hätte bringen müssen.
3. Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob die Verfahrensrüge schon deshalb den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entspricht, weil die Revision sich nicht dazu verhält, ob auch die Angeklagte in der Hauptverhandlung nach dem rechtlichen Hinweis des Gerichts den in der Verständigung für die Gesamtstrafe vereinbarten Strafrahmen nach wie vor für schuldangemessen erachtet und die Verständigung weiterhin für bindend angesehen hat. Hierfür spricht, dass die Verteidigung - was von der Revision ebenfalls nicht mitgeteilt wird - in ihrem Schlussvortrag eine in der Mitte des vereinbarten Rahmens liegende Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten beantragt hat. Die Rüge hat - ihre Zulässigkeit unterstellt - jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
a) Die abweichende rechtliche Einstufung der Tatbeiträge der Angeklagten bei den Steuerstraftaten durch das Gericht führte - entgegen der Auffassung der Revision - nicht zum Entfallen der Bindungswirkung der Verständigung.
Die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt gemäß § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO erst dann, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Dabei liegt die Prüfung und Entscheidung, ob eine mit dem materiellen Recht in Einklang stehende Ahndung auch bei veränderter Beurteilungsgrundlage noch im Rahmen der getroffenen Verständigung möglich ist, im Verantwortungsbereich des Gerichts (vgl. , NJW 2012, 3113). In § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO ist ausdrücklich geregelt, dass ein Abweichen von der Verständigung und damit ein Entfallen der Bindung an diese unter anderem voraussetzt, dass das Gericht wegen der veränderten Beurteilungsgrundlage zu der Überzeugung gelangt, der in Aussicht gestellte Strafrahmen sei nicht mehr tat- oder schuldangemessen. Dies war hier ersichtlich nicht der Fall.
b) Das Landgericht durfte die hier für die Gesamtstrafe gemäß § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO in Aussicht gestellten Strafrahmengrenzen nach dem Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO zur rechtlichen Einstufung der Mitwirkung der Angeklagten an den Steuerhinterziehungsdelikten lediglich als Beihilfe statt als Mittäterschaft weiterhin als tat- und schuldangemessen ansehen.
aa) Bei der Beantwortung der Frage, ob die in Aussicht gestellten Strafrahmengrenzen auch auf veränderter Beurteilungsgrundlage eine tat- und schuldangemessene Ahndung ermöglichen, kommt dem Gericht wie auch sonst bei Wertungsakten im Bereich der Strafzumessung ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der erst überschritten ist, wenn die zugesagte Strafober- oder die zugesagte Strafuntergrenze nicht mehr mit den Vorgaben des materiellen Rechts in Einklang zu bringen ist. Dies wäre etwa anzunehmen, wenn die Strafrahmenzusage sich unter Berücksichtigung von neu eingetretenen oder erkannten Umständen so weit von dem Gedanken eines gerechten Schuldausgleichs entfernte, dass sie als unvertretbar erschiene. In diesem Fall wäre das Gericht jedenfalls aus Gründen sachlichen Rechts verpflichtet, von der getroffenen Verständigung abzuweichen.
bb) So verhält es sich hier indes nicht.
(1) Der Schuldgehalt einer gewichtigen Beihilfetat kann sogar größer sein als der einer mittäterschaftlichen Tatbeteiligung, die sich auf weniger gewichtige Tatbeiträge beschränkt. Das Landgericht durfte deshalb bei der Bewertung des Schuldgehalts der nunmehr von ihm als Beihilfe eingestuften Tatbeiträge der Angeklagten der „Intensität der jeweiligen Unterstützungshandlung“ (UA S. 49) besondere Bedeutung beimessen.
(2) Gewicht hatte hier auch der Umstand, dass sich die Verständigung gemäß § 257c StPO nicht auf die für die zehn Steuerdelikte festzusetzenden Einzelstrafen bezog, sondern lediglich auf die insgesamt zu verhängende Gesamtstrafe. In die Gesamtstrafenbildung waren jedoch auch die Einzelstrafen für 50 Fälle der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) - darunter dann auch die zweifach verwirkte Einsatzstrafe von zehn Monaten Freiheitsstrafe - einzubeziehen, die von der veränderten rechtlichen Einstufung der Tatbeteiligung bei den Steuerdelikten nicht betroffen waren.
4. Einer ausdrücklichen Darlegung, aus welchen Gründen das Tatgericht die der Verständigung zugrunde gelegten Strafrahmengrenzen für die Gesamtstrafe auch auf der Grundlage veränderter Bewertung der Tatbeteiligung bei den Steuerdelikten als Beihilfe statt Mittäterschaft weiterhin für tat- und schuldangemessen erachtet und deswegen an der Verständigung festgehalten hat, bedurfte es in den Urteilsgründen nicht (vgl. , NJW 2012, 3113).
Maßgeblich ist lediglich, ob sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung gelöst hat, gerechter Schuldausgleich zu sein. Dies ist hier bei der moderaten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten, in die auch die 50 Einzelstrafen wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt eingeflossen sind, nicht der Fall.
Nack Wahl Jäger
Sander Radtke
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ZAAAI-10989