Revisionszulassung - Verfahrensfehler - Mitwirkung eines wegen Befangenheit abgelehnten Richters - Heilung durch Zustellung eines Beschlusses über die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs
Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 60 Abs 1 SGG, § 46 Abs 1 ZPO, § 47 Abs 1 ZPO, § 133 S 2 SGG
Instanzenzug: Az: S 17 AS 6167/17 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 3 AS 3686/20 WA Beschluss
Gründe
1Der am Montag, dem , beim BSG eingegangene Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der vorgenannten Entscheidung, die ihm am zugestellt wurde, PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, ist abzulehnen.
2Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; das ist hier nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen.
3Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Solche Zulassungsgründe sind nach summarischer Prüfung des Streitstoffs auf der Grundlage des Inhalts der Gerichts- und Verwaltungsakten nicht erkennbar.
4Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nur anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der vorliegende Rechtsstreit wirft keine solche abstrakten Rechtsfragen auf. Der Kläger begehrt mit seiner vom LSG als unzulässig verworfenen Restitutionsklage die Wiederaufnahme eines rechtskräftig (Senatsbeschluss vom - B 4 AS 74/20 B) abgeschlossenen Berufungsverfahrens (Az: L 3 AS 3321/19) wegen einer später aufgefundenen Urkunde und des Verdachts strafbarer Handlungen der Vertreter des Beklagten. Klärungsbedürftige Rechtsfragen zu den einschlägigen Wiederaufnahmegründen des § 580 Nr 5 und 7 lit b ZPO stellen sich in diesem Zusammenhang nicht. Der Kläger bemängelt vielmehr die Subsumtion des LSG in seinem Einzelfall.
5Es ist auch nicht erkennbar, dass die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht, weshalb eine Divergenzrüge keine Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Insbesondere ist nicht erkennbar, inwieweit die Ausführungen des LSG zum Vorliegen von Wiederaufnahmegründen Aussagen des BVerfG in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen im SGB II ( - BVerfGE 152, 68) widersprechen sollen.
6Nach Aktenlage ist schließlich nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Rechtsanwalt mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend machen könnte, auf dem die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG).
7Das gilt zunächst für den absoluten Revisionsgrund, dass das LSG bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO). Zwar hat es über die Restitutionsklage nicht in der vollen Senatsbesetzung des § 33 Abs 1 Satz 1 SGG verhandelt und entschieden; bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung wirken die ehrenamtlichen Richter indes generell nicht mit (§ 33 Abs 1 Satz 2 SGG). Von dieser in § 158 Satz 2 SGG für die Verwerfung einer Berufung als unzulässig eröffneten Entscheidungsform hat das LSG im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht. Die entsprechende Anwendbarkeit der Regelung auf eine Wiederaufnahmeklage gegen eine Berufungsentscheidung, die gemäß § 179 SGG iVm §§ 579, 580 ZPO unzulässig ist, entspricht ständiger Rechtsprechung ( - SozR 4-1500 § 158 Nr 6; - SozR 4-1500 § 179 Nr 1 RdNr 15-16). Der Kläger ist vor der Entscheidung des LSG auch ordnungsgemäß angehört worden (vgl hierzu etwa - SozR 4-1500 § 158 Nr 3; - juris RdNr 10).
8Der Kläger ist seinem gesetzlichen Richter auch nicht dadurch entzogen worden, dass der LSG-Senat in seiner planmäßigen Besetzung unter Einschluss der vom Kläger mit Schriftsatz vom wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richter entschieden hat. Zwar erlaubt es § 60 Abs 1 SGG iVm § 47 Abs 1 ZPO einem abgelehnten Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur, solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. Die dafür erforderliche Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht gemäß § 60 Abs 1 SGG iVm § 46 Abs 1 ZPO durch Beschluss. Die diesbezügliche Entscheidung des LSG in dem Verfahren L 3 SF 1056/21 AB datiert zwar vom , ist dem Kläger aber erst am zugestellt worden (dem Beklagten gar erst am ). Knüpft man die Wirksamkeit des Beschlusses nach § 133 Satz 2 SGG an dessen Zustellung (so etwa - juris RdNr 5; aA Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 142 RdNr 3c unter Hinweis auf ), ist der verfahrensbeendende vor Beendigung des vorläufigen Tätigkeitsverbots ergangen. Ein solcher Verstoß gegen die Wartepflicht wird jedoch durch die Zustellung eines Beschlusses über die Verwerfung bzw Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs geheilt ( - SozR 3-1500 § 160a Nr 29 - NZS 2001, 221 f). Von vornherein schon keinen Verfahrensmangel stellt die Mitwirkung der abgelehnten Richter T und B an der Entscheidung in dem Verfahren L 3 SF 1056/21 AB dar, weil der Kläger im Hinblick auf diese entgegen § 60 Abs 1 SGG iVm § 44 Abs 2 Satz 1 ZPO keinen Ablehnungsgrund glaubhaft gemacht hat. In der Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass der abgelehnte Richter selbst über ein rechtsmissbräuchliches oder sonst offensichtlich unzulässiges Ablehnungsgesuch mitentscheiden darf, soweit das Ablehnungsgesuch völlig ungeeignet ist und es sich daher um eine bloße Formalentscheidung handelt (, NJW 2007, 3771, 3772; - juris RdNr 15 ff; - SozR 4-1500 § 60 Nr 6 RdNr 10; - juris RdNr 7). Das ist hier der Fall, weil der Kläger pauschal und ohne konkrete Anhaltspunkte vorzubringen, alle Mitglieder des Spruchkörpers abgelehnt hat (vgl dazu - juris RdNr 28; - SozR 4-1500 § 60 Nr 7). Der von ihm als Befangenheitsgrund angeführte richterliche Hinweis vom ist ausschließlich von der Berichterstatterin verantwortet worden. Dass der LSG-Senat das gegen diese gerichtete Ablehnungsgesuch (ohne ihre Mitwirkung) zurückgewiesen hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
9Soweit der Kläger der Ansicht ist, das LSG sei gehalten gewesen, das Wiederaufnahmeverfahren nach § 114 Abs 3 SGG auszusetzen, rügt er dessen Beweiswürdigung bezüglich des Vorliegens eines hinreichenden Anfangsverdachts einer Straftat. Eine solche (vermeintliche) Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stellt indes gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG keinen Revisionszulassungsgrund dar.
10Ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) könnte schließlich auch nicht mit Erfolg den Erlass eines Prozess- anstelle eines Sachurteils (siehe hierzu nur - BSGE 34, 236, 237) als Verfahrensmangel geltend machen. Die Ansicht des LSG, die Zulässigkeit einer Wiederaufnahmeklage setze die schlüssige Behauptung eines Anfechtungsgrunds voraus, entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung (statt aller - SozR 4-1500 §179 Nr 1). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Die vom Kläger vorgelegte Urkunde lässt nicht erkennen, gegen welchen Bescheid Widerspruch erhoben worden ist, und hätte daher keine ihm günstigere Entscheidung des Vorprozesses herbeigeführt (vgl § 179 SGG iVm § 580 Nr 7 lit b ZPO). Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass wegen der von ihm angenommenen Straftaten eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann (vgl § 179 SGG iVm §§ 580 Nr 5, 581 Abs 1 ZPO).
11Die vom Kläger mit Schriftsatz vom erhobene Einrede der Verjährung vermag seiner Wiederaufnahmeklage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Sie wird von dem Beklagten im weiteren Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen sein.
12Die Bewilligung von PKH muss daher abgelehnt werden. Damit scheidet die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH aus (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
13Die vom Kläger persönlich beim BSG erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des LSG ist schon deshalb nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften des § 73 Abs 4 SGG über den Vertretungszwang beim BSG entspricht. Auf diese Zulässigkeitsvoraussetzung hat das LSG den Kläger in der Rechtsmittelbelehrung seiner Entscheidung ausdrücklich hingewiesen.
14Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG. Meßling Söhngen B. Schmidt
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:250122BB4AS17621B0
Fundstelle(n):
MAAAI-06278