BGH Beschluss v. - 3 StR 485/20

Absoluter Revisionsgrund vorschriftswidriger Gerichtsbesetzung: Terminierungen des Strafkammervorsitzenden in Verhinderungs- und Vertretungsfällen; Grenzen revisionsgerichtlicher Prüfung der Einhaltung des Gebots des gesetzlichen Richters

Gesetze: Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 213 Abs 1 StPO, § 229 Abs 1 StPO, § 229 Abs 2 StPO, § 338 Nr 1 StPO, § 21e Abs 1 GVG

Instanzenzug: Az: 620 Js 43227/16 - 5 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in Tateinheit mit Geldwäsche und mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf eine Verfahrensrüge sowie die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten lässt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil erkennen; sie ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2Der Erörterung bedarf allein die Verfahrensrüge, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Die Revision macht insofern - ohne Erfolg - einen Verstoß gegen § 21e Abs. 1 GVG in Verbindung mit § 338 Nr. 1 StPO aF geltend.

31. Der Besetzungsrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

4In der Hauptverhandlung war die Strafkammer mit drei Berufsrichtern besetzt, und zwar dem Vorsitzenden Richter am Landgericht S.            , der Richterin am Landgericht A.       und dem Richter am Landgericht M.    . Der Angeklagte beanstandet, anstelle von Richter am Landgericht M.    hätte Richterin am Landgericht B.    mitwirken müssen.

5Die Hauptverhandlung in der Umfangssache mit drei Angeklagten hatte ursprünglich am begonnen, musste aber aufgrund einer langfristigen Erkrankung einer Beisitzerin ausgesetzt werden. Wegen deren Ausfalls wurde - wogegen sich die Revision ausdrücklich nicht wendet - der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts geändert; der Strafkammer waren nunmehr Vorsitzender Richter am Landgericht S.           , Richterin am Landgericht A.        und Richterin am Landgericht B.     als ordentliche Mitglieder zugewiesen. Daraufhin terminierte der Vorsitzende das Verfahren beginnend ab dem neu, und zwar unter Nutzung von 21 Terminstagen, die für die ursprüngliche Hauptverhandlung angesetzt und mit den seinerzeit sechs Verteidigern abgesprochen worden waren. Zudem wurden für die anschließende Zeit ab Anfang Februar 2020 ergänzend neue weitere Hauptverhandlungstage bestimmt.

6Richterin am Landgericht B.      war jedoch an drei sowohl ursprünglich als auch erneut vorgesehenen Hauptverhandlungstagen im Oktober und November 2019 wegen bereits zuvor bestimmter Hauptverhandlungstermine in einer anderen Strafkammer, der sie vorrangig zugewiesen war, anderweitig gebunden. Zudem war ihr bereits ein vierwöchiger Erholungsurlaub ab Anfang Februar 2020 genehmigt worden. Deshalb wurde die Hauptverhandlung nicht mit Richterin am Landgericht B.     , sondern mit dem ausweislich des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans im konkreten Fall als ihr Vertreter zuständigen Richter am Landgericht M.    durchgeführt.

72. Die Revision trägt vor, diese - als solche nicht in Frage gestellten - Umstände hätten den Verhinderungsfall nicht begründet und die Nichtmitwirkung von Richterin am Landgericht B.      als ordentliches Strafkammermitglied nicht gerechtfertigt. Die Strafkammer sei mithin nicht vorschriftsgemäß besetzt gewesen; dem Angeklagten sei Richterin am Landgericht B.      als gesetzliche Richterin entzogen worden.

8Denn die drei Hauptverhandlungstermine im Oktober und November 2019, an denen Richterin am Landgericht B.    wegen ihrer nach dem Geschäftsverteilungsplan vorrangigen Tätigkeit in einer anderen Strafkammer verhindert war, hätten nicht zwingend stattfinden müssen. Sie hätten auch ohne Bestimmung anderer Termine im Oktober und November 2019 ersatzlos entfallen und damit "abgesagt" werden können, weil sie zur Wahrung der Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO nicht erforderlich waren. Um Richterin am Landgericht B.    als der gesetzlich zuständigen Richterin eine Mitwirkung an der Hauptverhandlung zu ermöglichen, hätte die Hauptverhandlung nicht auch auf diese drei Termine im Oktober und November 2019 angesetzt werden dürfen. Jedenfalls aber hätte geprüft werden müssen, ob die Richterin an diesen drei Tagen ganztägig verhindert war oder in der anderen Strafkammer nur kurze Verhandlungen angesetzt waren, so dass ihr eine Mitwirkung in der vorliegenden Sache auch an diesen Tagen, gegebenenfalls bei einem zeitlich reduzierten Beweisprogramm, möglich gewesen wäre.

9Soweit Richterin am Landgericht B.    für den Februar 2020 ein vierwöchiger Erholungsurlaub genehmigt worden war, hätte die Hauptverhandlung für diesen Zeitraum unterbrochen werden können und müssen, um ihre Mitwirkung als gesetzlich zuständige Richterin zu ermöglichen. Denn zu diesem Zeitpunkt sollte die Hauptverhandlung nach der vorgesehenen Terminierung bereits an mehr als zehn Hauptverhandlungstagen durchgeführt worden sein, so dass sie nach § 229 Abs. 2 StPO für einen - ausreichenden - Zeitraum von einem Monat hätte unterbrochen werden dürfen.

103. Die Besetzungsrüge ist statthaft und zulässig erhoben, indes unbegründet.

11a) Die Verfahrensbeanstandung ist statthaft. Denn die Hauptverhandlung hat am begonnen, also vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung des Verfahrens über einen Besetzungseinwand durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom (BGBl. 2019 I, S. 2121) am . Mithin hat vorliegend das neu geschaffene Vorabentscheidungsverfahren nicht durchgeführt werden können und kommt § 338 Nr. 1 StPO in seiner alten, zum Zeitpunkt des Beginns der Hauptverhandlung geltenden Fassung zur Anwendung.

12Der Angeklagte hat am ersten Hauptverhandlungstag noch vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache einen den gesetzlichen Anforderungen genügenden Besetzungseinwand erhoben. Diesen hat die Strafkammer mit Beschluss vom zurückgewiesen.

13b) Die Rüge dringt in der Sache nicht durch.

14aa) Ein Vorsitzender ist nicht von Rechts wegen generell gehalten, im Rahmen der gesetzlichen Unterbrechungsfristen auf die Bestimmung von Hauptverhandlungsterminen an Tagen und in Zeiträumen zu verzichten, an beziehungsweise in denen ein eigentlich nach dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan und dem spruchkörperinternen Mitwirkungsplan zuständiges reguläres richterliches Mitglied der Strafkammer wegen Urlaubs, Krankheit oder aus dienstlichen Gründen an einer Mitwirkung verhindert ist. Vielmehr kann es im Einzelfall rechtlich zulässig sein und liegt insbesondere nicht per se ein Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters vor, wenn eine Hauptverhandlung ohne eine durch die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO begründete Notwendigkeit an Terminen angesetzt wird, an denen ein originär zur Entscheidung berufendes Mitglied des Spruchkörpers verhindert ist, und so ein Vertretungsfall ausgelöst wird.

15(1) Wäre die gegenteilige Rechtsauffassung der Revision richtig, bedeutete dies, dass eine Hauptverhandlung nicht während einer urlaubs- oder krankheitsbedingten Abwesenheit eines originär zuständigen Richters unter Heranziehung eines Vertreters durchgeführt werden dürfte. Bei jeder Terminierung müssten urlaubs- oder krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten ausgespart werden; gegebenenfalls müsste - wenn die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO nicht ausreichen - mit dem Beginn einer Hauptverhandlung bis zur Rückkehr des regulär zuständigen Richters zugewartet werden.

16Eine solche Rechtsansicht, die auf einen absoluten Vorrang der Mitwirkung des nach dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan und dem spruchkörperinternen Mitwirkungsplan originär zuständigen Richters hinausliefe und den Einsatz von geschäftsverteilungsplanmäßigen Vertretern weitestgehend ausschlösse, geht fehl (vgl. , BGHR GVG § 21f Abs. 2 Satz 1 Verhinderung 1). Sie ist nicht von Verfassungs wegen geboten und findet auch keinen Rückhalt im einfachen Recht.

17Ein derartiger absoluter Vorrang des regulär zuständigen Richters wäre weder mit dem in Strafsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatz noch mit der Konzentrationsmaxime und dem Gebot der effizienten Nutzung begrenzter justizieller Ressourcen vereinbar (vgl. , BGHR GVG § 21f Abs. 2 Satz 1 Verhinderung 1). Er hätte zur Folge, dass - auch in dem besonderen Beschleunigungsgebot unterliegenden Haftsachen - mit einer Hauptverhandlung nicht begonnen werden dürfte, obgleich dies unter Mitwirkung eines Vertreters möglich wäre, oder längere Unterbrechungen hingenommen werden müssten, obwohl eine Hauptverhandlung bei Heranziehung eines Vertreters zügig zum Abschluss gebracht werden könnte. Gegebenenfalls könnten zur Verfügung stehende personelle Ressourcen anderer nicht verhinderter Richter nicht genutzt werden, weil diese allein aufgrund der Abwesenheit eines anderen Richters daran gehindert wären, Hauptverhandlungen durchzuführen. Zu bedenken ist zudem, dass es in der gerichtlichen Praxis - wie auch das vorliegende Verfahren zeigt - insbesondere in Strafsachen mit mehreren Angeklagten und umfangreichem Verfahrensstoff regelmäßig nicht einfach ist, mit Verteidigern Hauptverhandlungstermine abzusprechen. Versagte man den Gerichten weitestgehend, unter Heranziehung von Vertretern zu verhandeln, erschwerte das ohnehin aufwändige und schwierige Terminabsprachen mit den Verfahrensbeteiligten zusätzlich und hätte vielfach weitere Verfahrensverzögerungen oder notwendige Verteidigerwechsel gegen den Willen von Angeklagten zur Konsequenz.

18(2) Dementsprechend ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass eine Verhinderung eines originär zuständigen Mitglieds eines Spruchkörpers durch Urlaub und in der Folge ein Vertretungsfall auch dann eintreten kann, wenn von dem Urlaub nur einzelne Sitzungstage betroffen sind, wobei darunter nicht notwendigerweise der erste Hauptverhandlungstag einer auf mehrere Tage anberaumten Hauptverhandlung fallen muss (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 374/19, NStZ 2020, 757 Rn. 17, 19; vom - 5 StR 60/02, BGHR StPO § 338 Nr. 1 Vertreter 6; vom - 2 StR 39/89, BGHR StPO § 338 Nr. 1 Vertreter 2; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 21e GVG Rn. 144; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 338 Rn. 8a). Ein Verhinderungsfall kann zudem dadurch entstehen, dass einem regulär zuständigen Richter erst nach erfolgter Terminierung Urlaub bewilligt wird, der lediglich einzelne Sitzungstage betrifft (, NStZ 2020, 757 Rn. 17). Ebenso ist anerkannt, dass ein Vorsitzender nicht gehalten ist, den Eintritt eines Verhinderungsfalls durch kurzfristige Änderung der Terminierung zu vermeiden (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 374/19, NStZ 2020, 757 Rn. 18; vom - 4 StR 622/09, NStZ-RR 2010, 184; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 338 Rn. 8a).

19(3) Das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) zwingt nicht zur Annahme eines absoluten Vorrangs des regulär zuständigen Richters. Denn auch ein durch den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan und gegebenenfalls die spruchkörperinternen Mitwirkungsregeln und damit vorab nach abstrakt-generellen Regelungen bestimmter Vertreter ist gesetzlicher Richter - und zwar der im Vertretungsfall zur Mitwirkung berufene gesetzliche Richter.

20bb) Ist ein Richter lediglich an einzelnen Tagen nicht in der Lage, an einem Verfahren mitzuwirken, begründet diese zeitweise Verhinderung jedoch nicht notwendigerweise den Vertretungsfall (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99 Rn. 16; vom - 2 StR 854/84, NStZ 1986, 518, 519). Namentlich bei der Terminierung umfangreicher Verfahren erfordert der Grundsatz des gesetzlichen Richters, auf einzelne Verhinderungstage eines originär zuständigen Richters Rücksicht zu nehmen. In solchen Fällen wird es vielfach ohne Beeinträchtigung der Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime möglich und daher rechtlich geboten sein, von der Anberaumung von Hauptverhandlungsterminen auch an einzelnen Verhinderungstagen abzusehen und so den Eintritt eines Vertretungsfalles zu vermeiden.

21cc) Mithin hat der Vorsitzende im jeweiligen Einzelfall bei der Terminierung abzuwägen zwischen einerseits dem aus dem Grundsatz des gesetzlichen Richters resultierenden Gebot, möglichst unter Mitwirkung der regulär zuständigen Richter zu verhandeln (, BGHSt 61, 160 Rn. 5), und andererseits den ebenfalls verfassungsrechtlich fundierten Anforderungen des Beschleunigungsgrundsatzes, der Konzentrationsmaxime, dem Gebot der effizienten Nutzung justizieller Ressourcen und dem berechtigten Interesse des Angeklagten an einer Vertretung durch einen Verteidiger seines Vertrauens. Dabei gilt: Das Beschleunigungsgebot lässt das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht vollständig zurücktreten. Vielmehr besteht Anspruch auf eine zügige Entscheidung durch diesen. Daher muss das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter mit dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz, aber auch der Konzentrationsmaxime und dem rechtsstaatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden (BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 229/09, NJW 2009, 1734 Rn. 26; vom - 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690; BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 10/20, juris Rn. 36; vom - 3 StR 490/15, StV 2016, 623, 625; vom - 3 StR 569/14, NJW 2015, 2597 Rn. 8; Urteil vom - 3 StR 376/08, BGHSt 53, 268 Rn. 9).

22Fällt die Abwägung zu Gunsten einer Terminierung aus, die einem originär zuständigen Richter eine Mitwirkung unmöglich macht, liegt ein Verhinderungsfall vor und ist der zuständige Vertreter gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Dies gilt auch dann, wenn die Fristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO eine Unterbrechung der Hauptverhandlung über den Verhinderungszeitraum des regulär zuständigen Richters hinaus zuließen.

23dd) Die Terminierungsentscheidung des Vorsitzenden, die keiner schriftlichen Dokumentation und Begründung in den Akten bedarf, und der daraus resultierende Eintritt eines Vertretungsfalles sind vom Revisionsgericht - und ebenso vom Rechtsmittelgericht im Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO (vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 29; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 222b Rn. 19) - nur begrenzt überprüfbar:

24(1) Das Revisionsgericht prüft nicht, ob die tatsächlichen Voraussetzungen einer Verhinderung des originär zuständigen Richters an den vom Vorsitzenden bestimmten Sitzungstagen vorgelegen haben, sondern ist auf die Kontrolle beschränkt, ob der Rechtsbegriff der Verhinderung verkannt worden ist (vgl. KK-StPO/Diemer, 8. Aufl., § 21e GVG Rn. 10; SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 338 Rn. 38; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 338 Rn. 36; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 21e GVG Rn. 147; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 338 Rn. 8, jeweils mwN).

25(2) Die Abwägung der grundrechtsgleichen Rechte des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter einerseits und ein beschleunigtes Verfahren sowie sonstiger widerstreitender Interessen andererseits bei der Terminierung unterfällt keiner umfassenden revisionsrechtlichen Überprüfung, zumal die Terminierung gemäß § 213 Abs. 1 StPO ohnehin eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden ist (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 374/19, NStZ 2020, 757 Rn. 19; vom - 1 StR 415/17, BGHR StPO § 213 Terminierung 2 Rn. 9; KK-StPO/Gmel, 8. Aufl., § 213 Rn. 1, 4), bei der eine Rechtskontrolle nicht über eine Prüfung auf Ermessensfehlerfreiheit hinausreichen kann.

26(a) Insofern ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Vorsitzende bei der Terminierung eine Vielzahl abwägungsrelevanter Entscheidungsgrundlagen zu berücksichtigen hat, die dem sachverhaltsferneren Revisionsgericht durch dienstliche Äußerungen und andere Mittel des Freibeweises nur unvollkommen vermittelt werden könnten. Dies gilt etwa für die konkrete Belastungssituation des Spruchkörpers, Art und Umfang der Befassung der Strafkammer mit anderen Verfahren, den zu erwartenden zukünftigen Geschäftsanfall, die Verfügbarkeit von Verteidigern sowie Abwesenheitszeiten von Kammermitgliedern wegen Urlaubs, Fortbildungen, Krankheit oder aus sonstigen Gründen. Zudem enthält jede Terminierungsentscheidung notwendigerweise prognostische Elemente, etwa zur voraussichtlichen Dauer einer Hauptverhandlung und dem zukünftigen Arbeitsanfall in der betreffenden Strafsache und anderen anhängigen Strafverfahren, die ihrer Natur nach eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle nicht zulassen.

27(b) Zum anderen ist in Bezug auf die hier inmitten stehende Rechtsfrage zu bedenken, dass ein Verstoß gegen das Prinzip des gesetzlichen Richters nicht schon bei jeder abwägungsfehlerhaften richterlichen Terminierungsentscheidung vorliegt, die zur Nichtmitwirkung eines regulär zuständigen Spruchkörpermitglieds führt. Eine Entziehung des gesetzlichen Richters und damit ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch eine richterliche Entscheidung in Auslegung und Anwendung geltenden Rechts einschließlich gerichtlicher Geschäftsverteilungspläne ist vielmehr nur bei einer objektiv willkürlichen Entscheidung gegeben (BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 2675/17, NJW 2018, 1155 Rn. 20; vom - 2 BvR 2011/16 u.a., NJW 2017, 1233 Rn. 27; vom - 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138, 64 Rn. 71 mwN; vom - 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690; , NStZ 2021, 434, 435; Sachs/Degenhart, GG, 9. Aufl., Art. 101 Rn. 17 mwN; Jarass/Pieroth/Kment, GG, 16. Aufl., Art. 101 Rn. 17 mwN). Die Revisibilität von Besetzungsmängeln nach § 338 Nr. 1 StPO dient, soweit es - wie hier - nicht um die Anwendung einfachgesetzlich ausdrücklich geregelter Zuständigkeitsvorschriften geht, der Gewährleistung des gesetzlichen Richters im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und damit einem Schutz vor objektiv willkürlicher Rechtsanwendung.

28(c) Daher beschränkt sich auch die revisionsrechtliche Überprüfung einer Terminierungsentscheidung unter dem Blickwinkel einer etwaigen vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts wegen Mitwirkung eines Vertreters auf eine Willkürkontrolle (vgl. , NStZ 2020, 757 Rn. 19 f.: "willkürlicher Ermessensfehlgebrauch"; Urteil vom - 1 StR 216/64, BGHSt 19, 382, 385 f.; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 338 Rn. 18; s. - mit speziellem Bezug zum Maßstab der Überprüfung von Präsidiumsbeschlüssen zur richterlichen Geschäftsverteilung - auch , juris Rn. 40 ff. mwN; kritisch SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 338 Rn. 38 Fn. 240; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, § 338 Rn. 19). Insofern gilt der gleiche begrenzte Prüfungsmaßstab wie bei der revisionsrechtlichen Kontrolle der vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts im Falle des Eintritts eines Ergänzungsrichters oder Ergänzungsschöffen in das Quorum (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 400/20, juris Rn. 8 f.; vom - 2 StR 421/17, BGHR GVG § 192 Abs. 2 Ergänzungsrichter 2 Rn. 7; vom - 3 StR 544/15, BGHSt 61, 160 Rn. 4 mwN; vom - 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99 Rn. 17; Urteil vom - 5 StR 130/01, BGHSt 47, 220, 222; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 192 GVG Rn. 7 mwN).

29(d) Objektiv willkürlich ist eine Entscheidung über die Gerichtsbesetzung oder mit unmittelbaren Auswirkungen auf diese nur, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruht, schlechthin unvertretbar ist oder wenn sie die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf den gesetzlichen Richter grundlegend verkennt, also die Entscheidung sich so weit von dem die Bestimmungen über die Besetzung des Gerichts beherrschenden Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. , BVerfGE 138, 64 Rn. 71 mwN; BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 401/20, NStZ 2021, 434, 435; vom - 1 StR 544/09, juris Rn. 41; Urteil vom - 1 StR 330/85, BGHSt 33, 290, 293 f.; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, § 338 Rn. 18). Schon eine nur vertretbare Terminierungsentscheidung mit daraus resultierenden Folgen für die Gerichtsbesetzung verstößt weder gegen den sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden Anspruch auf Mitwirkung des gesetzlichen Richters, noch wird dadurch eine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts im Sinne von § 338 Nr. 1 StPO herbeigeführt (vgl. , juris Rn. 41; Urteil vom - 1 StR 249/81, NStZ 1982, 476, 477).

30ee) Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Vorsitzenden, die neue Hauptverhandlung auch ganztägig auf drei bereits mit den Verteidigern abgesprochene Tage im Oktober und November 2019 zu terminieren, an denen Richterin am Landgericht B.      - wenn auch möglicherweise nur für begrenzte Zeit - vorrangig anderweitig dienstlich gebunden war, sowie weitere Termine für den Februar 2020 anzusetzen, an denen Richterin am Landgericht B.    urlaubsbedingt verhindert war, und somit einen Verhinderungsfall auszulösen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

31Anhaltspunkte für eine objektiv willkürliche Entscheidung lassen sich dem Revisionsvorbringen und dem Urteil nicht entnehmen. Ausweislich des Urteils befanden sich die drei Angeklagten seit dem und damit zu Beginn der neuen Hauptverhandlung seit zehn Monaten in Untersuchungshaft. Der Vorsitzende war deshalb verpflichtet, für einen möglichst baldigen Neubeginn der Hauptverhandlung zu sorgen. Zudem war er von Rechts wegen gehalten, dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen, das grundsätzlich eine Verhandlungsdichte von mehr als einem Sitzungstag pro Woche gebietet (, juris Rn. 52 mwN; KK-StPO/Gmel, 8. Aufl., § 213 Rn. 4a mwN), auch angesichts der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft durch eine enge Terminierung Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund erweist es sich jedenfalls als frei von Willkür, unter Inkaufnahme des Eintritts eines Vertretungsfalles sämtliche bereits mit den Verteidigern abgesprochenen Termine ab dem ganztägig für die neue Verhandlung vorzusehen und auch für den Februar 2020 Hauptverhandlungstermine anzusetzen.

32Die Vorgehensweise des Vorsitzenden lässt mithin keinen Rechtsfehler erkennen. Insbesondere ist das Gericht mit Richter am Landgericht M.    nicht vorschriftswidrig besetzt gewesen (§ 338 Nr. 1 StPO) und der Angeklagte nicht seinem gesetzlichen Richter entzogen worden (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:051021B3STR485.20.1

Fundstelle(n):
LAAAI-06261