BAG Beschluss v. - 1 ABR 25/20

Mitbestimmung des Betriebsrats beim Arbeits- und Gesundheitsschutz - Einigungsstellenspruch

Gesetze: § 87 Abs 1 Nr 7 BetrVG, § 87 Abs 2 BetrVG, § 3 Abs 1 S 1 ArbSchG, § 3 Abs 1 S 2 ArbSchG, § 5 Abs 1 ArbSchG, § 5 Abs 3 Nr 6 ArbSchG, § 13 Abs 1 ArbSchG, § 13 Abs 2 ArbSchG

Instanzenzug: Az: 9 BV 18/18 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 8 TaBV 8/19 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.

2Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt Krankenhäuser, ua. die A Klinik, in dem der beteiligte Betriebsrat gebildet ist. Diese verfügt ua. über eine Allgemeinpädiatrie und Neonatologie. Im Jahr 2015 waren dort (umgerechnet) etwa 18, im Jahr 2017 22,81 ärztliche Vollzeitkräfte tätig. Bis Ende 2014 bildeten beide Bereiche eine einheitliche pädiatrische Abteilung (Kinderklinik).

3Im Jahr 2009 erstellte die D im Auftrag der Arbeitgeberin eine „Erhebung der psychischen Belastungssituation für die Ärzte der Abteilung Pädiatrie“. Diese beruhte auf einer Auswertung von Fragebögen und Interviews mit den Ärzten. Die Erhebung wies für die Arbeitsbedingung „passende mengenmäßige Arbeit“ einen Mittelwert von 1,5 aus, was - da der Wert unter 2,5 („stark negativ“) lag - als sog. Stresspotential gewertet wurde.

4Am 13./ schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung „zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes und der Anwendung von Gefährdungsbeurteilungen nach § 5 ArbSchG einschließlich der Erfassung psychischer Belastungen an den Arbeitsplätzen in der A Klinik“ (BV Arbeitsschutz). Darin ist auszugsweise geregelt:

5Im Juli 2010 trat eine von den Beteiligten gebildete Einigungsstelle zusammen. Diese beschloss im August 2010 die Hinzuziehung eines Sachverständigen (Prof. Dr. O), der ua. die Frage beantworten sollte, ob aus der Erhebung der D Rückschlüsse auf eine Gefährdung der Gesundheit oder zumindest Anhaltspunkte hierfür gezogen werden könnten. In seiner „Stellungnahme zur Ermittlung und Beurteilung gesundheitlicher Gefährdungen unter besonderer Berücksichtigung des Erfordernisses von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Vermeidung bzw. Verringerung psychischer Fehlbelastungen“ vom führte dieser ua. aus, der von der D verwendete Fragebogen entspreche den Anforderungen vertiefender Screening-Verfahren; bei den „negativen“ und „stark negativen“ Merkmalsausprägungen sei von einer Gesundheitsgefährdung der Arbeitnehmer auszugehen.

6Die Beteiligten einigten sich im Oktober 2011 im Rahmen der Einigungsstelle auf eine Reihe von Maßnahmen für die Kinderklinik, deren Wirksamkeit in der Folgezeit durch eine Mitarbeiterbefragung seitens der D überprüft wurde.

7Nachdem die Vertreter des Betriebsrats im Steuerungsausschuss in dessen Sitzung am unter dem Tagesordnungspunkt „Maßnahmen Wirksamkeitskontrolle Pädiatrie ÄD“ ua. erfolglos eine Neuberechnung und ggf. Nachbesetzung der dortigen Stellen verlangt hatten, beschloss - nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts - der Steuerungsausschuss, die Einigungsstelle anzurufen.

8Ende 2014 entschied die Einigungsstelle, eine arbeitswissenschaftliche Feinanalyse durch Dr. H durchführen zu lassen. Dieser erstellte im Jahr 2015 auf der Grundlage einer „fokussierte[n] teilnehmende[n] Beobachtung mit integrierten fokussierten Einzel- und Gruppeninterviews“ ein „Arbeitswissenschaftliches Gutachten zu psychischen Belastungen (Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen nach § 5 ArbSchG) des ärztlichen Personals in den Abteilungen Allgemeinpädiatrie und Neonatologie“.

9Im Jahr 2016 beschloss die Einigungsstelle eine weitere gutachterliche Überprüfung der Pädiatrie. Zu diesem Zweck fertigte die Arbeits- und Organisationspsychologin Prof. Dr. E eine „Analyse der vorhandenen Befragungen über die verschiedenen Arbeitsbereiche in den Kliniken A“. Nachdem in der Einigungsstelle am die Durchführung von Workshops erörtert worden war, beauftragte die Arbeitgeberin den Arbeitsmediziner Dr. S hiermit. Dieser erstellte - nach Durchführung zweier Workshops mit einigen Ärzten - im Sommer 2017 einen „Gutachterliche[n] Bericht zur Arbeitssituation in der A Klinik“ für die „Allgemeinpädiatrie und Intensiv/Neonatologie unter besonderer Berücksichtigung der gesundheitlichen Gefährdungen (psychische Belastungen)“.

10Am fasste die Einigungsstelle nach etwa 30 Sitzungen folgenden „Teilspruch“:

11Der vom Vorsitzenden der Einigungsstelle unterschriebene Spruch wurde der Arbeitgeberin am zugestellt.

12Die Arbeitgeberin hat in dem am beim Arbeitsgericht eingeleiteten Verfahren geltend gemacht, der Spruch sei unwirksam. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG gewähre kein Mitbestimmungsrecht bei der Personalbesetzung. Auch fehle es an konkret festgestellten Gefährdungen. Den Gutachten - und damit dem Spruch - lägen zum Teil überholte Daten zugrunde.

13Die Arbeitgeberin hat beantragt

14Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat geltend gemacht, die Gutachten belegten eine arbeitsbelastungsbedingte Gefährdung der Ärzte in den Bereichen Allgemeinpädiatrie und Neonatologie. Die verschiedenen Gutachten seien methodisch korrekt erstellt worden. Die Gefährdungen seien weder durch die im Jahr 2011 vereinbarten Maßnahmen noch durch die Erhöhung der Anzahl ärztlicher Vollzeitkräfte beseitigt worden.

15Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat ihn abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Feststellungsbegehren weiter.

16B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Teilspruch der Einigungsstelle vom ist unwirksam.

17I. Der zutreffend auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Teilspruchs vom und damit auf die Feststellung des Nichtbestehens eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtete Antrag ist zulässig. Die Arbeitgeberin hat an der begehrten Feststellung ein berechtigtes Interesse, da der Betriebsrat davon ausgeht, der Spruch ersetze nach § 87 Abs. 2 BetrVG die Einigung zwischen den Betriebsparteien.

18II. Der Antrag ist begründet. Der angefochtene Teilspruch ist unwirksam.

191. Es bestehen bereits Zweifel, ob der Regelungsauftrag der Einigungsstelle hinreichend bestimmt war.

20a) Einigungs- oder Bestellungsgegenstand bei der Bildung einer Einigungsstelle ist auch die Festlegung des von ihr zu verhandelnden Regelungsgegenstands. Dieser kann weit gefasst werden, was nicht zuletzt dem im Einigungsstellenverfahren angelegten Einigungsvorrang (vgl. § 76 Abs. 3 Satz 3 BetrVG) entspricht. Stets aber muss hinreichend klar sein, über welchen Gegenstand die Einigungsstelle überhaupt verhandeln und ggf. durch Spruch befinden soll. Das ist unerlässlich, weil mit dem Regelungsgegenstand der Zuständigkeitsrahmen der Einigungsstelle begrenzt wird, damit diese der gesetzgeberischen Konzeption genügen kann, eine regelungsbedürftige Angelegenheit im Rahmen der gestellten Anträge vollständig zu lösen. Da ein Spruch der Einigungsstelle auch dann unwirksam ist, wenn diese ihrem Regelungsauftrag nicht ausreichend nachgekommen ist und keine abschließende Regelung getroffen hat, muss sowohl für das Einigungsstellenverfahren als auch für die gerichtliche Überprüfung der Zuständigkeit der Einigungsstelle oder ihres Spruchs erkennbar sein, für welche konkreten Regelungsfragen sie errichtet worden ist. Das gilt auch für eine Einigungsstelle zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten in den Angelegenheiten des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Ein nicht ausreichend bestimmter Regelungsauftrag ist nicht geeignet, der Einigungsstelle die erforderliche Spruchkompetenz zu vermitteln. Ein solcher Mangel hat die Unwirksamkeit des gesamten Spruchs zur Folge (vgl.  - Rn. 19 f. mwN, BAGE 168, 323).

21b) Den tatbestandlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lässt sich der Regelungsauftrag der Einigungsstelle nicht eindeutig entnehmen. Dort heißt es einerseits, die Einigungsstelle sei angerufen worden, nachdem in einer Sitzung des Steuerungsausschusses am von den dortigen Vertretern des Betriebsrats „unter anderem“ erfolglos eine Berechnung und ggf. Nachbesetzung ärztlicher Stellen in der Pädiatrie vorgeschlagen worden sei, und habe dann ihre Tätigkeit aufgenommen. Dies könnte dafür sprechen, dass die Einigungsstelle gebildet wurde, um über diejenigen Maßnahmen zu befinden, über die im paritätisch besetzten Steuerungsausschuss (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BV Arbeitsschutz) an diesem Tag kein Einvernehmen erzielt wurde. Andererseits hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, der Betriebsrat habe der Arbeitgeberin bereits im April 2009 einen Maßnahmenkatalog für die Ärzte in der Pädiatrie unterbreitet. Da die Arbeitgeberin das Vorliegen einer Gefährdung bestritten habe, habe die Einigungsstelle im Sommer 2010 beschlossen, dies durch einen Sachverständigen beurteilen zu lassen. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Einigungsstelle nicht nur zu einem früheren Zeitpunkt gebildet wurde, sondern auch einen andersgearteten Regelungsauftrag hatte. Den in der angefochtenen Beschwerdeentscheidung in Bezug genommenen tatbestandlichen Ausführungen im arbeitsgerichtlichen Beschluss lässt sich wiederum entnehmen, dass die Beteiligten den Regelungsauftrag der Einigungsstelle auf „etwaige Maßnahmen in der Abteilung der Pädiatrie (Kinderklinik), um die es in dem [angefochtenen] Teilspruch der Einigungsstelle … ausschließlich“ gehe, beschränkt haben sollen. Diese Feststellungen könnten den Schluss zulassen, dass ein zunächst weiter gefasster Regelungsauftrag der Einigungsstelle von den Betriebsparteien in der Folgezeit - zu einem nicht näher erkennbaren Zeitpunkt - auf die vom Spruch erfassten Maßnahmen eingegrenzt wurde.

22c) Das sonstige Vorbringen der Beteiligten lässt den Regelungsauftrag der Einigungsstelle ebenfalls nicht zweifelsfrei erkennen.

23aa) In einem Schreiben des Betriebsrats an die Arbeitgeberin vom  bezieht dieser sich auf eine „Einigungsstelle zur Durchführung und Umsetzung von Arbeitsplatzbelastungsanalysen und deren Auswirkungen“. Dies könnte ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Einigungsstelle schon vor Abschluss der BV Arbeitsschutz gebildet wurde und die Betriebsparteien ihr (zumindest anfänglich) einen umfassenden Regelungsauftrag erteilt haben.

24bb) Der Betriebsrat hat zum einen vorgebracht, die Einigungsstelle sei im Laufe des Jahres 2010 zunächst tätig geworden, um - da die Arbeitgeberin Gefährdungen für die Ärzte in Abrede gestellt habe - die umstrittene Frage zu klären, ob angesichts der von der D erstellten Auswertung Handlungsbedarf bestehe. Nach Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. O und dem daraufhin erfolgten Hinweis des Einigungsstellenvorsitzenden, dass von einer Gefährdung auszugehen sei, sei die Einigungsstelle dann „in die Phase getreten“, Maßnahmen zu erarbeiten, um diese zu minimieren. Zum anderen hat der Betriebsrat geltend gemacht, es habe sich - wofür die Protokollnotiz zu § 5.2 BV Arbeitsschutz sprechen könnte - bei der Erhebung der D um eine „Grobanalyse“ gehandelt. Die nachfolgenden - aufgrund Beschlusses der Einigungsstelle eingeholten - Gutachten von Dr. H und Prof. Dr. E seien Feinanalysen gewesen. Letzteres könnte - auch mit Blick auf die Regelungen in der BV Arbeitsschutz - den Schluss zulassen, dass die Einigungsstelle auch einen auf die Angelegenheiten des § 5 Abs. 1 ArbSchG bezogenen Regelungsauftrag zu erfüllen hatte. § 6 Abs. 4 BV Arbeitsschutz sieht vor, dass die Einigungsstelle auch dann zuständig ist, wenn nach Ermittlung der gesundheitlichen Belastungen durch einen der Betriebsvereinbarung als Anlage beigefügten Fragebogen der Steuerungsausschuss „aus den Ergebnissen der Grobanalyse Anhaltspunkte einer Gesundheitsgefährdung sieht“ (vgl. § 6 Abs. 1 BV Arbeitsschutz) und daher über eine ggf. durchzuführende Feinanalysemethode entscheiden muss (vgl. § 3 Nr. 5 BV Arbeitsschutz). Wird im Steuerungsausschuss „über durchzuführende Feinanalysen“ kein Einvernehmen erzielt, so entscheidet nach § 6 Abs. 4 iVm. § 8 Abs. 2 BV Arbeitsschutz die Einigungsstelle über das Ob und die anzuwendende Methode. Dies könnte darauf hindeuten, dass diese auch beauftragt worden war, die Beurteilung der Arbeitsbedingungen iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG - soweit nicht schon durch die BV Arbeitsschutz geschehen - auszugestalten.

25cc) Demgegenüber ist das Protokoll für die Einigungsstellensitzung vom - wie auch nachfolgende Protokolle, zuletzt das für die Sitzung am  - lediglich mit „Umsetzung von Maßnahmen nach Gefährdungsbeurteilung der Ärzte ‚Innere I‘“ überschrieben. In einem Protokoll für eine zeitlich spätere Sitzung findet sich die Bezeichnung „Umsetzung von Maßnahmen nach Gefährdungsbeurteilung der Pädiatrie“. Im angefochtenen Teilspruch heißt es hingegen - personell weitergehend - „Umsetzung von Maßnahmen nach Gefährdungsbeurteilung“. Dies könnte für einen auf Maßnahmen iSv. § 3 Abs. 1 ArbSchG bezogenen Regelungsauftrag sprechen.

262. Ob der Regelungsauftrag der Einigungsstelle zumindest zum Zeitpunkt des Spruchs hinreichend bestimmt war, kann jedoch dahinstehen. Selbst wenn der Senat zugunsten des Betriebsrats davon ausgeht, dass sich der ihr von den Betriebsparteien zur Regelung übertragene Gegenstand zuletzt lediglich auf Maßnahmen des Arbeitsschutzes, mit denen psychischen Belastungen (vgl. § 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG) der Ärzte in den Bereichen Allgemeinpädiatrie und Neonatologie entgegengewirkt werden soll, und nicht - was die Unwirksamkeit des Spruchs schon wegen fehlender Spruchkompetenz der Einigungsstelle zur Folge hätte (vgl. dazu ausf.  - Rn. 26 ff., BAGE 168, 323) - auch auf die Ausgestaltung der Beurteilung der Arbeitsbedingungen in Bezug auf solche Belastungen iSv. § 5 ArbSchG (Gefährdungsbeurteilung) bezog, ist der angefochtene Spruch mangels eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 3 Abs. 1 ArbSchG unwirksam.

27a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften konkretisieren. Es setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und mangels einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Unerheblich ist, ob die Rahmenvorschriften dem Gesundheitsschutz mittelbar oder unmittelbar dienen. Sowohl § 5 als auch § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbSchG stellen zwar ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschriften in diesem Sinne dar. Jedoch kann ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG erst eingreifen, wenn eine konkrete Gefährdung nach Art und Umfang entweder feststeht oder im Rahmen einer - vom Arbeitgeber auf der Grundlage einer von den Betriebsparteien oder der Einigungsstelle (§ 87 Abs. 2 BetrVG) zuvor getroffenen Regelung über das Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen durchgeführten - Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG festgestellt wurde. Dies gilt auch, wenn es um die Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung durch psychische Belastungen bei der Arbeit nach § 5 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG geht (vgl.  - Rn. 28, 32 ff. mwN, BAGE 168, 323).

28b) Nach Systematik und Konzeption des Arbeitsschutzgesetzes ist die Gefährdungsbeurteilung das maßgebende Instrument, um arbeitsbedingte Gefährdungen zu ermitteln. Welche Schutzmaßnahmen geeignet und angemessen sind, lässt sich erst bestimmen, wenn das von der Arbeit für die Beschäftigten ausgehende Gefährdungspotential im Rahmen der nach § 5 Abs. 1 ArbSchG durchzuführenden Beurteilung eruiert wurde. Je genauer und wirklichkeitsnäher solche Gefährdungen im Betrieb anhand der jeweiligen Gefahrenquellen ermittelt und beurteilt werden, umso gezielter können konkrete Maßnahmen getroffen werden. Die vom Arbeitgeber - und nicht von den Betriebsparteien gemeinsam - durchzuführende Beurteilung der Arbeitsbedingungen iSv. § 5 ArbSchG umfasst die Überprüfung, ob und ggf. welche Gefährdungen mit einer Tätigkeit einhergehen. Die mit der Arbeit des Beschäftigten verbundenen möglichen Gefährdungen müssen anhand der jeweiligen Gefahrenquellen ermittelt und im Hinblick auf ihre Schwere (Art und Umfang eines möglichen Schadens) und das Risiko ihrer Realisierung (Eintrittswahrscheinlichkeit) bewertet werden. Notwendige Bestandteile der Gefährdungsbeurteilung sind zudem die Prüfung, ob Schutzmaßnahmen geboten sind, sowie die Bewertung der Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs. Das im Rahmen von § 5 ArbSchG von den Betriebsparteien oder - im Fall ihrer Nichteinigung - einer Einigungsstelle auszugestaltende Verfahren zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung erfasst jedoch weder die Beantwortung der Frage, welche konkreten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer angesichts einer festgestellten Gefährdung ergriffen werden können, noch die auf konkrete Schutzmaßnahmen bezogene Kontrolle ihrer Wirksamkeit (vgl.  - Rn. 29 mwN, BAGE 168, 323).

29c) Besteht - wie vorliegend - zwischen den Betriebsparteien Streit darüber, ob die Arbeitnehmer durch arbeitsbedingte psychische Belastungen gefährdet sind, müssen sie zunächst die Vorgaben für die nach § 5 Abs. 1 ArbSchG vom Arbeitgeber durchzuführende Beurteilung der Arbeitsbedingungen festlegen. Die nach der gesetzlichen Konzeption mitbestimmte Ausgestaltung der für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung wesentlichen Grundlagen soll verhindern, dass später Streit über das angewandte Verfahren und die Methoden entsteht. Das dem Betriebsrat bei der Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 ArbSchG zustehende Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG umfasst dabei zunächst die Klärung, inwieweit die Arbeitsbedingungen mehrerer Beschäftigter gleichartig sind und deshalb die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreicht (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG). Zudem müssen die Betriebsparteien regeln, mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer solchen Gefährdung - also ihre Schwere und das Risiko ihrer Realisierung -, die grundsätzliche Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen und die Dringlichkeit eines möglichen Handlungsbedarfs festgestellt werden sollen (vgl.  - Rn. 32, BAGE 168, 323). Da die Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG in regelmäßigen Abständen anlassunabhängig zu wiederholen ist, haben die Betriebsparteien außerdem abstrakte Vorgaben zu treffen, in welchen zeitlichen Abständen die Gefährdungsbeurteilung erneut durchzuführen ist. Der dabei festzulegende Rhythmus hängt von den jeweiligen betrieblichen Umständen ab (vgl. dazu  - Rn. 63, BAGE 167, 230). Schließlich müssen die Betriebsparteien vereinbaren, auf welche Art und Weise die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG dokumentiert werden sollen (vgl.  - Rn. 31, aaO). Können die Betriebsparteien über die danach festzulegenden Vorgaben für eine Gefährdungsbeurteilung kein Einvernehmen erzielen, hat nach § 87 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle zu entscheiden (vgl.  - Rn. 32, aaO).

30d) Ergibt die nach dem mitbestimmt ausgestalteten Verfahren durchgeführte Beurteilung der Arbeitsbedingungen, dass Schutzmaßnahmen erforderlich sind, hat der Arbeitgeber diese nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG - möglichst zeitnah - zu treffen. Kann der Gefährdung mittels unterschiedlicher Schutzmaßnahmen begegnet werden, besteht dabei im Rahmen dieser Norm ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Entscheidung, welche der möglichen Maßnahmen umgesetzt werden sollen (vgl.  - Rn. 29, BAGE 168, 323). Der Arbeitgeber hat zudem nach § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Bei der Ausgestaltung dieser Wirksamkeitskontrolle hat der Betriebsrat ebenfalls nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen zeitliche und ggf. methodische Vorgaben für deren Durchführung festlegen (vgl.  - Rn. 39, BAGE 167, 230). Kommt keine Einigung der Betriebsparteien über die mitbestimmungspflichtig auszugestaltenden Angelegenheiten zustande, entscheidet auch insoweit nach § 87 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle.

31e) Demgegenüber können Grund und Ausmaß von Gefährdungen der Arbeitnehmer durch Arbeit nicht durch die Einigungsstelle geklärt werden. Diese ist weder die nach § 13 Abs. 1 ArbSchG verantwortliche Person für die Erfüllung der sich ua. aus § 5 ArbSchG ergebenden Pflichten des Arbeitgebers noch können Arbeitsschutzpflichten iSd. § 13 Abs. 2 ArbSchG an sie delegiert werden. Daher ist es auch nicht ihre Aufgabe, die Beurteilung, ob Gefährdungen vorliegen, selbst vorzunehmen oder diese durch Hinzuziehung von Sachverständigen zu ermitteln. Die Einigungsstelle kann allerdings Sachverständige hinzuziehen, um sich zu den in Betracht kommenden Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG sachkundig zu machen (vgl.  - Rn. 33 mwN, BAGE 168, 323). Gleiches gilt, soweit sie Sachverstand für die Beurteilung benötigt, welche Schutzmaßnahmen angesichts der unstreitig feststehenden oder iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG ermittelten Gefährdungen, ihrer Schwere und des Risikos einer Schadensrealisierung infrage kommen.

32f) Daran gemessen waren die Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG vorliegend nicht gegeben. Wegen des Streits der Beteiligten über das Vorhandensein psychischer Gefährdungen für die in den Bereichen Allgemeinpädiatrie und Neonatologie tätigen Ärzte fehlt es an einer zunächst erforderlichen Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG, die auf der Grundlage einer von den Betriebsparteien oder - im Fall ihrer Nichteinigung - einer Einigungsstelle zuvor getroffenen Regelung über das Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen durchgeführt wurde.

33aa) Die im Jahr 2009 von der D erstellte „Erhebung der psychischen Belastungssituation für die Ärzte der Abteilung Pädiatrie“ genügt diesen Anforderungen nicht.

34(1) Selbst wenn sich die Betriebsparteien - wie in der Begründung des angefochtenen Einigungsstellenspruchs angegeben - über den inhaltlichen Ablauf dieser Erhebung und damit ggf. auch über die hierbei anzuwendende Methode geeinigt haben sollten, ist nicht ersichtlich, dass die Beteiligten vereinbart hätten, das mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung beauftragte Unternehmen solle ggf. festgestellte Gefährdungen im Hinblick auf das mit ihnen verbundene Risiko (Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß eines möglichen Schadens) bewerten und eine sich hieraus ergebende Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs bestimmen.

35(2) Aber auch wenn hierzu zunächst entsprechende Festlegungen von den Betriebsparteien getroffen worden sein sollten, wären diese zumindest durch die im Januar 2010 in Kraft getretene BV Arbeitsschutz abgeändert worden. Deren Inhalt und Systematik zeigen, dass etwaige von den Beteiligten zuvor geschlossene Vereinbarungen über Vorgaben für eine nach § 5 Abs. 1 ArbSchG vom Arbeitgeber bereits durchgeführte Beurteilung der Arbeitsbedingungen im Hinblick auf arbeitsbedingte psychische Belastungen nicht abschließend sein sollten. § 5.2 Abs. 1 Satz 1 BV Arbeitsschutz sieht zwar vor, dass die Ermittlung gesundheitlicher Belastungen durch einen in der Anlage beigefügten „Fragebogen zur Ermittlung der gesundheitlichen Belastungen am Arbeitsplatz“ erfolgen soll. Nach § 6 Abs. 1 BV Arbeitsschutz soll durch die Befragung der Arbeitnehmer jedoch lediglich eine „umfassende Grobanalyse“ erreicht werden. Sieht der Steuerungsausschuss „aus den Ergebnissen der Grobanalyse“ Anhaltspunkte einer Gesundheitsgefährdung, hat er - bevor er abzuleitende Maßnahmen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 3 Nr. 6 BV Arbeitsschutz festlegt - über eine durchzuführende Feinanalyse(methode) zu entscheiden. Mögliche Methoden sind dabei in § 6 Abs. 2 BV Arbeitsschutz beispielhaft aufgezählt. Kommt hierüber keine Einigung zustande, soll nach § 6 Abs. 4 iVm. § 8 Abs. 2 Satz 1 BV Arbeitsschutz die Einigungsstelle entscheiden. Wie die Protokollnotiz zu § 5.2 BV Arbeitsschutz erkennen lässt, bedurfte es in den Bereichen, in denen - wie in der Kinderklinik - bereits eine „psychische Gefährdungsbeurteilung“ durchgeführt worden war, zwar keiner erneuten Grobanalyse in Form einer Mitarbeiterbefragung. Damit entfiel jedoch lediglich die Pflicht zur Wiederholung einer Grobanalyse, nicht aber - wie der Wortlaut der Protokollnotiz zeigt - das Erfordernis einer im Steuerungsausschuss noch festzulegenden Methode für eine Feinanalyse.

36bb) Ungeachtet dessen bildet die im Jahr 2009 durchgeführte Erhebung auch keine taugliche Grundlage mehr für eine Annahme von Gefährdungen im Jahr 2018. Das aus § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG resultierende Prinzip der Wirksamkeitskontrolle verlangt, dass die Arbeitsbedingungen in einem regelmäßigen Rhythmus erneut zu beurteilen sind. Die Gefährdungsbeurteilung stellt kein einmaliges Ereignis dar, sondern ist angesichts der Dynamik von Arbeitsprozessen und der Weiterentwicklung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse eine dauerhafte Aufgabe ( - Rn. 63, BAGE 167, 230). Die Betriebsparteien bzw. - im Streitfall - eine Einigungsstelle haben daher abstrakte Vorgaben zu treffen, in welchen zeitlichen Abständen anlassunabhängig die Beurteilung der Arbeitsbedingungen iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG erneut durchzuführen ist. Hieran fehlt es vorliegend. § 9 Abs. 2 Satz 1 BV Arbeitsschutz sieht lediglich vor, dass der Steuerungsausschuss über die Wiederholung der Gefährdungsbeurteilung in einem überprüften Bereich entscheidet. Unabhängig davon war eine erneute Beurteilung der Arbeitsbedingungen - auf der Grundlage mitbestimmt ausgestalteter Vorgaben - auch deswegen erforderlich, weil die Beteiligten bereits im Oktober 2011 die Umsetzung einer Reihe von Schutzmaßnahmen für den Bereich der damaligen Kinderklinik vereinbart hatten und sich der betroffene Bereich zudem zwischenzeitlich nicht nur organisatorisch, sondern auch personell verändert hat.

37cc) Die „Stellungnahme zur Ermittlung und Beurteilung gesundheitlicher Gefährdungen unter besonderer Berücksichtigung des Erfordernisses von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Vermeidung bzw. Verringerung psychischer Fehlbelastungen“ von Prof. Dr. O aus dem Jahr 2010 stellt bereits deshalb keine Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG dar, weil der Sachverständige nicht die Arbeitsbedingungen der in der Pädiatrie tätigen Ärzte beurteilt hat, sondern der Einigungsstelle lediglich die erforderliche Kenntnis vermitteln sollte, um beurteilen zu können, ob die von der D erhobenen Daten und die hierbei verwendeten Methoden Rückschlüsse auf eine Gesundheitsgefährdung erlauben. Nur zu diesem Zweck wurde er auch nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts von der Einigungsstelle herangezogen.

38dd) Das im Jahr 2015 von Dr. H erstellte Gutachten, die „Analyse“ durch Prof. Dr. E im Jahr 2016 sowie der gutachterliche Bericht von Dr. S aus dem Jahr 2017 wurden nicht in Vollzug einer von den Beteiligten zuvor abstrakt getroffenen Regelung über die Beurteilung der Arbeitsbedingungen der Ärzte auf psychische Belastungen iSv. § 5 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG erstellt.

39(1) Die gutachterliche Beurteilung durch Dr. H beruht auf einem Beschluss der Einigungsstelle. Diese hatte entschieden, eine arbeitswissenschaftliche Feinanalyse durchführen zu lassen. Der Gutachter war daher von der Einigungsstelle hinzugezogen worden, um den nach ihrer Ansicht hinsichtlich etwa bestehender psychischer Gefährdungen für die in der Pädiatrie tätigen Ärzte weiterhin aufklärungsbedürftigen Sachverhalt näher zu ermitteln. Selbst wenn - wie vom Betriebsrat vorgebracht - eine Einigung der Betriebsparteien über die hierbei anzuwendende Methode einer teilnehmenden Beobachtung mit integrierten fokussierten Einzel- und Gruppeninterviews erfolgt sein sollte, fehlt es zumindest an einer Festlegung der Betriebsparteien, wonach der Gutachter etwaige Gefährdungen auf Risiko und Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs bewerten sollte.

40(2) Entsprechendes gilt für die „Analyse“ von Prof. Dr. E aus dem Jahr 2016. Auch deren Einholung wurde durch die Einigungsstelle beschlossen. Weitergehende - auch methodische - Vorgaben vereinbarten die Beteiligten im Übrigen nicht.

41(3) Der gutachterliche Bericht von Dr. S im Jahr 2017 wurde ebenfalls nicht auf der Grundlage einer von den Beteiligten zuvor (abstrakt) getroffenen Regelung über die Beurteilung der Arbeitsbedingungen der Ärzte iSv. § 5 ArbSchG erstellt. Ungeachtet des Umstands, dass der Gutachter ausweislich der Beauftragung durch die Arbeitgeberin nur Workshops durchführen sollte, fehlt es an den erforderlichen Festlegungen der Betriebsparteien für die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:071221.B.1ABR25.20.0

Fundstelle(n):
BB 2022 S. 756 Nr. 13
DB 2022 S. 1012 Nr. 16
NJW 2022 S. 10 Nr. 14
SAAAI-06195