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Ermittlung von Wesentlichkeitsgrenzen
Ergebnisse einer Fallstudie im deutschen Berufsstand
Das Konzept der Wesentlichkeit ist eine der zentralen Konventionen, auf denen die Durchführung einer Abschlussprüfung basiert. Schon Leffson zog dabei das Fazit: „Materiality is a matter of judgement“ . Dieses judgement, d. h. die Beurteilung, was als wesentlich respektive unwesentlich anzusehen ist, kann jedoch erheblich divergieren, wenn unterschiedliche Individuen ein und denselben Sachverhalt beurteilen. Das Ergebnis dieser Beurteilung versteht sich daher stets als Ergebnis eines subjektiven Entscheidungsprozesses. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Ergebnisse einer Fallstudie im deutschen Berufsstand, bei der die Studienteilnehmer eine Wesentlichkeitsentscheidung zu Abschlussinformationen eines fiktiven Mandanten zu treffen hatten.
Claßen/Hargarten/Quick, Kommunikation der Wesentlichkeit im Rahmen der Abschlussprüfung, WP Praxis 2/2020 S. 45, NWB DAAAH-40466
Eine große Mehrheit der Befragten hat sich für die Bezugnahme auf eine Ertragsposition entschieden. Gleichwohl ergaben sich teilweise erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Wesentlichkeitsgrenze.
Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer sieht keinen weiteren Regulierungsbedarf am Prozess zur Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze. Insbesondere wird ihre Veröffentlichung durch die Anwender des Konzepts als nicht vorteilhaft angesehen.
Sowohl Anwender (Abschlussprüfer) als auch Nutznießer des Prüfungsurteils (Stakeholder) sollten sich über Konzept, Stellenwert und Reichweite dieser Ermessensentscheidung wohl bewusst sein – schließlich bestimmt diese Entscheidung die Intensität und die Effektivität der Prüfung in einem besonderen Maße.
I. Hintergrund
Der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer in Deutschland vertritt die Auffassung, dass es keine allgemeingültigen Bezugsgrößen mit korrespondierenden Abschlagswerten geben kann. Angesichts dessen und vor dem Hintergrund der bestehenden Erwartungslücke zwischen dem, was eine Abschlussprüfung leisten soll und dem, was bisweilen seitens der Öffentlichkeit davon erwartet wird, erscheint es daher attraktiv, diese Entscheidung transparent und öffentlich zugänglich zu machen.
Eben diese Information bleibt den meisten Abschlussadressaten jedoch verborgen, sofern sie nicht Empfänger des Prüfungsberichts sind und es sich bei der Prüfung um die eines Unternehmens von öffentlichem Interesse (sog. public interest entities, PIE) handelte. Denn die herangezogene Wesentlichkeitsgrenze wird lediglich bei der Prüfung von PIEs im Prüfungsbericht kommuniziert (Art. 11 Abs. 2 Buchst. h Verordnung (EU) Nr. 537/2014). Eine Veröffentlichung im Bestätigungsvermerk, wie es etwa u. a. in Großbritannien der Fall ist, erfolgt hierzulande nicht.
In Ermangelung öffentlich verfügbarer Informationen über den im Rahmen einer Abschlussprüfung herangezogenen Betrag der Wesentlichkeit erfolgten daher im Berufsstand bereits verschiedene Fragebogenaktionen. Diese bestätigten die Vermutung einer erheblichen Spannweite unterschiedlicher Ermessensentscheidungen im Hinblick auf die gewählte Bezugsgröße, den prozentualen Abschlag mithin über die Entscheidung zur Festlegung des Betrags der Wesentlichkeit als solcher. Die diesbezüglich letzte umfangreiche Studie geht allerdings auf Wolz (2003) zurück. Seitdem erfolgten jedoch nicht zuletzt Konkretisierungen und Hilfestellungen durch den Berufsstand, die seinerzeit noch nicht existierten. S. 90
Insofern zeigt der vorliegende Beitrag die Ergebnisse einer Befragung des hiesigen Berufsstands auf. Den Befragten wurden im Rahmen einer Online-Fallstudie Abschlussinformationen eines fiktiven Mandanten vorgelegt. Anschließend war von den Studienteilnehmern eine Wesentlichkeitsentscheidung zu treffen.
II. Ablauf und Inhalt der Befragung
1. Hinweise zum Ablauf
Zur Sicherstellung einer breiten und möglichst aussagekräftigen Stichprobe wurden sämtliche im Berufsregister auf der Website der WPK eingetragenen Wirtschaftsprüfer kontaktiert, sofern diese eine E-Mail-Adresse bei ihren Kontaktinformationen hinterlegt hatten. Innerhalb eines vier-Wochen-Fensters hatten dann alle, d. h. 5.298 kontaktierten Wirtschaftsprüfer die Möglichkeit an der Befragung teilzunehmen. Es wurde ein geschätzter Zeitumfang von ca. 15 Min. kommuniziert. Bereits der Einladungstext enthielt die Zielsetzung der Studie, indem festgehalten wurde, dass eine Wesentlichkeitsentscheidung zu treffen sei.