BSG Beschluss v. - B 12 R 14/21 B

(Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung - Revisibilität iS des § 162 SGG tarifvertraglicher Normen)

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 162 SGG

Instanzenzug: Az: S 19 R 2420/18 Urteilvorgehend Thüringer Landessozialgericht Az: L 3 R 147/20 Urteil

Gründe

1I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die aufgrund einer Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum vom bis zum erhobene Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen auf regelmäßig gewährte Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit für Urlaubszeiten und Entgeltfortzahlung im Fall von Krankheit und an Feiertagen in Höhe von insgesamt 1810,08 Euro (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Die Klage ist erfolglos geblieben (). Das Thüringer LSG hat die Berufung zurückgewiesen. An die Beschäftigten der Klägerin seien unstreitig Sonn- und Feiertagszuschläge gezahlt worden, obwohl nach dem zugrunde liegenden Manteltarifvertrag zwischen dem Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverband Thüringen eV und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (MTV) bei planmäßig verlagerter Arbeitszeit (Einsatz nach Schichtplan) keine Zuschläge zu zahlen gewesen wären. Diese regelmäßig bei tatsächlicher Arbeit angefallenen Zuschläge seien auch im Rahmen der Entgeltfortzahlung im Fall von Krankheit und an Feiertagen sowie im Urlaub zu beanspruchen und zu verbeitragen. Dieser grundsätzliche Anspruch könne nur durch eine tarifvertragliche Regelung auf Grundlage einer Tariföffnungsklausel nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) oder des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) ausgeschlossen werden. An einer solchen fehle es hier. Die Klarstellung der Tarifvertragsparteien sei hier nicht maßgebend, da sie außerhalb des Wortlauts der betreffenden Normen liege (Urteil vom ). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

2II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.

3Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt ( - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

5Da es der Klägerin allein um die Auslegung tariflicher Regelungen geht, fehlt es an der erforderlichen Darlegung der Revisibilität des Tarifvertrags. Grundsätzliche Bedeutung für eine Zulassung der Revision kann nur solchen Fragen zukommen, zu deren Klärung das Revisionsgericht berufen ist. Die als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage muss daher eine der Entscheidung des Revisionsgerichts zugängliche Vorschrift betreffen. Revisibel iS von § 162 SGG sind tarifvertragliche Normen nur, soweit sie über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus gelten, wenn also für andere Tarifgebiete gleiche Vorschriften existieren, die bewusst und gewollt inhaltlich übereinstimmend gestaltet sind (vgl - BSGE 79, 197 = SozR 3-4100 § 69 Nr 3 = juris RdNr 19; - SozR 3-4100 § 117 Nr 15 = juris RdNr 15; - BSGE 113, 277 = SozR 4-4300 § 147a Nr 11, RdNr 27). Die Erstreckung des Geltungsbereichs über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus bedarf der Darlegung in der Beschwerdebegründung (vgl - juris RdNr 8 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 162 RdNr 5b und § 160a RdNr 14i). Ausführungen dazu sind in der Beschwerdebegründung indes nicht enthalten. Vielmehr bezieht sich die Klägerin bei ihren Darlegungen zum Interesse der Allgemeinheit an der erstrebten Entscheidung allein auf den betroffenen Personenkreis der "Arbeitsvertragsparteien in der Thüringer Landwirtschaft".

6Dass die Klägerin den Klärungsbedarf durch das BSG mit der Vielzahl anhängiger Gerichtsverfahren in der thüringischen Sozialgerichtsbarkeit begründet, führt allein nicht zur Zulassung.

7Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

8Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO.

9Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG und entspricht der Festsetzung des LSG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:220921BB12R1421B0

Fundstelle(n):
KAAAI-04034