Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Annahme einer einheitlichen Tat des Handeltreibens aufgrund einer Bewertungseinheit bzw. nach den Grundsätzen für Serienstraftaten
Gesetze: § 261 StPO, § 267 Abs 1 StPO, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG
Instanzenzug: LG Ravensburg Az: 7 KLs 24 Js 11337/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen, davon in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchtem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts W. vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 16.260 Euro angeordnet. Zudem hat das Landgericht bestimmt, dass von der Strafe fünf Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten.
2Die auf die Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge - unter Erstreckung auf den Mitangeklagten D. (§ 357 Satz 1 StPO) - den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
3Das Landgericht hat zu Fall II. B. 1. der Urteilsgründe folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4Der Angeklagte und der nicht revidierende Mitangeklagte D. erwarben gemeinschaftlich ab August 2017 Betäubungsmittel über das Darknet und veräußerten diese anschließend im Großraum Allgäu. Dadurch wollten sie ihren eigenen Betäubungsmittelkonsum finanzieren und sich zudem eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen. Zwischen September 2017 und Mai 2018 bestellten sie insgesamt mindestens 6.310 Gramm Amphetamin, 95 LSD-Trips, 36 Gramm Kokaingemisch sowie 1.520 Ecstasy-Tabletten. Das Landgericht vermochte die Anzahl, den Zeitpunkt und die Zusammensetzung der Einzelbestellungen nicht festzustellen und hat vor diesem Hintergrund zugunsten des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt einer „umfassenden Bewertungseinheit“ lediglich eine Tat des Handeltreibens angenommen.
5Die Angeklagten erlösten aus der Veräußerung der Betäubungsmittel Einnahmen in Höhe von 18.370 Euro. Nach Abzug eines sichergestellten Betrages, auf den der Angeklagte verzichtet hat, hat das Landgericht gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 16.260 Euro angeordnet.
II.
61. Die Verurteilung des Angeklagten wegen nur einer Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in dem Fall II. B. 1. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7a) Anders als das Landgericht meint, ist in diesem Fall keine Bewertungseinheit gegeben, die es rechtfertigen würde, von nur einer Tat des Handeltreibens auszugehen. Bei einer Bewertungseinheit werden sämtliche Betätigungen, die sich im Rahmen ein und desselben Güterumsatzes auf den Vertrieb einer einheitlichen Rauschgiftmenge beziehen, vom gesetzlichen Tatbestand in dem pauschalierenden, verschiedenartige Tätigkeiten umfassenden Begriff des Handeltreibens und damit zu einer Tat des Handeltreibens verbunden. Dabei ist entscheidend, dass sich die Bemühungen des Täters auf dieselbe Rauschgiftmenge beziehen. Eine Bewertungseinheit kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Betäubungsmittel aus einem einheitlichen Erwerbsvorgang stammen, aber auch dann, wenn Drogen aus verschiedenen Erwerbsvorgängen zu einem einheitlichen Verkaufsvorrat vereint werden (vgl. insgesamt BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 310/19 Rn. 6; vom - 1 StR 300/19 Rn. 10; vom - 3 StR 88/18 Rn. 7 mwN und vom - 3 StR 487/16 Rn. 4 mwN).
8Die Strafkammer hat jedoch festgestellt, dass die Angeklagten die Betäubungsmittel jeweils nur in solchen Mengen bestellten, dass sie sie innerhalb weniger Tage vollständig verkaufen konnten. Überdies ist das Landgericht aufgrund der Einlassungen des Angeklagten und des Mitangeklagten D. davon ausgegangen, dass Fall II. B. 1. der Urteilsgründe „zahlreiche gemeinsame Bestellungen“ (so der Angeklagte W. ) bzw. eine „Vielzahl von Bestellungen“ (so der Mitangeklagte D. ) im Zeitraum September 2017 bis Mai 2018 umfasste. Vor diesem Hintergrund scheidet die Annahme einer Bewertungseinheit aus.
9b) Aber auch nach den Grundsätzen, die für Serienstraftaten gelten, ist die Annahme nur einer Tat des Handeltreibens hier nicht möglich. Es liegen ausreichende tatsächliche Anknüpfungspunkte für die Feststellung einer Mindestanzahl von Einzeltaten vor.
10Für Serientaten ist anerkannt, dass es - soweit sich der genaue Zeitpunkt der jeweiligen Taten nicht ermitteln lässt - ausreichend ist, wenn sie etwa durch die Kennzeichnung der Art und Weise der Tatbegehung, der Beute oder durch die Benennung des Geschädigten individualisiert werden können.Soweit sich die Häufigkeit von Tatbestandsverwirklichungen nicht sicher ermitteln lässt, ist unter Anwendung des Zweifelssatzes eine individualisierbare Mindestzahl festzustellen und gegebenenfalls der Schuldumfang zu schätzen. Nur, wenn sich auch bei sorgfältiger Beweiserhebung keine Anhaltspunkte für die Aufteilung des Mindestschuldumfangs auf bestimmbare Einzeltaten ergeben, kann im Extremfall der Zweifelssatz die Annahme nur einer Tat gebieten (vgl. Rn. 13; vom - 2 StR 758/94 Rn. 20 und vom - 5 StR 305/94 Rn. 22 ff., BGHSt 40, 374, 376 f.; Fischer, StGB, 68. Aufl., Vor § 52 Rn. 53, 56 mwN; siehe insgesamt auch LK-StGB/Rissing-van Saan, 13. Aufl., Vorbem. zu §§ 52 ff. Rn. 81 ff.).
11Der Mitangeklagte D. hat bezogen auf Fall II. B. 1. der Urteilsgründe über die zuvor genannten Gesichtspunkte hinaus angegeben, dass sie Amphetamin meistens in Mengen von 500 Gramm bis 1.000 Gramm bestellt hätten; Ecstasy üblicherweise 500 Tabletten, nur einmal 1.000 Tabletten. Beide Angeklagten haben sich zudem dahingehend eingelassen, dass von den Fall II. B. 1. der Urteilsgründe umfassenden Bestellungen drei Bestellungen über jeweils ein Kilogramm Amphetamin von so schlechter Qualität waren, dass sie die Betäubungsmittel entsorgen mussten. Damit bestehen aber tatsächliche Anhaltspunkte für die Aufteilung auf eine Mindestanzahl individualisierbarer Einzeltaten, so dass die Annahme nur einer Tat bezüglich der Gesamtmengen der bestellten Betäubungsmittel ausscheidet.
12Es ist hier auch nicht von vornherein auszuschließen, dass der Angeklagte durch die Annahme nur einer Tat beschwert ist, da Fall II. B. 1. der Urteilsgründe die Einsatzstrafe betrifft. Zudem könnten insbesondere vor dem Hintergrund, dass drei Bestellungen über jeweils ein Kilogramm Amphetamin von so schlechter Qualität waren, dass sie nicht veräußert werden konnten, sowie weitere 1.000 Gramm Amphetamin gar nicht bei den Angeklagten ankamen (UA S. 15), jeweils minder schwere Fälle nach § 29a Abs. 2 BtMG in Betracht kommen.
132. Die Aufhebung der Verurteilung in dem Fall II. B. 1. der Urteilsgründe hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs und der Einziehungsentscheidung zur Folge.
14Der Senat hebt die Feststellungen in dem Fall II. B. 1. der Urteilsgründe, auch wenn sie nur teilweise von dem Rechtsfehler betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO), insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu den Bestellungen im Tatzeitraum September 2017 bis Mai 2018 zu ermöglichen.
15Die Kompensationsentscheidung auf Grund rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung bleibt von der Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs unberührt (vgl. Rn. 10 mwN).
163. Gemäß § 357 Satz 1 StPO ist die Aufhebung der Verurteilung in dem Fall II. B. 1. der Urteilsgründe und der Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen auf den nicht revidierenden Mitangeklagten D. zu erstrecken. Dies führt auch bei diesem zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.
174. Der Senat weist für den Fall einer erneuten Verurteilung in dem Fall II. B. 1. der Urteilsgründe darauf hin, dass die gesamtschuldnerische Haftung der Angeklagten für die Einziehung des Wertes von Taterträgen in den Urteilstenor aufzunehmen ist.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:021121B1STR322.21.0
Fundstelle(n):
IAAAI-03404