Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Anforderungen an eine wirksame Ausgangskontrolle bei Versendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax
Leitsatz
1. Ein Rechtsanwalt genügt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Dabei darf sich die Kontrolle des Sendeberichts grundsätzlich nicht darauf beschränken, die auf diesem ausgedruckte Faxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, etwa in den Schriftsatz eingefügten Faxnummer zu vergleichen. Vielmehr muss der Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle, etwa anhand eines geeigneten Verzeichnisses, vorgenommen werden, aus der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist.
2. Dem Erfordernis, durch organisatorische Anweisungen sicherzustellen, dass Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer erfasst werden, kann allerdings auch durch die Anweisung genügt werden, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der schriftlich niedergelegten zu vergleichen, wenn sichergestellt ist, dass diese ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist. Dies setzt aber voraus, dass zusätzlich die generelle Anweisung besteht, die ermittelte Faxnummer vor der Versendung auf eine Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen.
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO
Instanzenzug: Az: 8 U 1453/20vorgehend LG Mainz Az: 1 O 164/19
Gründe
I.
1Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat gegen das ihm am zugestellte Urteil am (Montag) Berufung eingelegt. Mit einem im Adressfeld an das Oberlandesgericht gerichteten Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung zu verlängern. Der Schriftsatz ist am um 17.37/17.45 Uhr entsprechend der im Adressfeld des Schriftsatzes angegebenen Telefaxnummer nicht an das Oberlandesgericht, sondern an das Landgericht gesendet worden. Das Landgericht hat den Schriftsatz am folgenden Tag an das Oberlandesgericht übermittelt.
2Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat beantragt, gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass einer der Partner der Kanzlei die konkrete Vorgehensweise über das Fristenmanagement einschließlich der Erledigung der Fristen mit der sachbearbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten intensiv besprochen und sich dabei ihrer fundierten Kenntnis und ihrer umfassenden Verständnisweise versichert habe. Die Telefaxnummer werde von der Kanzleisoftware nicht automatisch in den generierten Schriftsatz aufgenommen, da die jeweilige Versendungsweise von der Anordnung des anwaltlichen Sachbearbeiters abhänge. Daher habe die Rechtsanwaltsfachangestellte die gerichtliche Telefaxnummer in der üblichen Weise händisch eingetragen und dabei der jüngsten Gerichtskorrespondenz der Akte entnommen. Dabei habe sie jedoch übersehen, dass die zu diesem Zeitpunkt jüngste, im Gerichtsteil der Akte entsprechend chronologisch abgeheftete Gerichtskorrespondenz die Verfügung des Rechtspflegers des Landgerichts über das Kostenfestsetzungsverfahren der ersten Instanz gewesen sei. Mit dieser Telefaxnummer habe sie dann den Schriftsatz ausgefertigt, dem Prozessbevollmächtigten zur Unterschrift vorgelegt und nach dessen Unterschrift das Telefax übersendet.
3Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die Berufung als unzulässig verworfen und den Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Der Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung sei verspätet übermittelt worden. Der Beklagte habe keine Tatsachen vorgetragen, nach denen er ohne sein Verschulden an der Wahrung der Frist gehindert gewesen wäre. Nach seinem Vorbringen beruhe die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Beklagten zuzurechnenden Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten. Dem Vortrag sei nicht zu entnehmen, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte oder der Prozessbevollmächtigte selbst den Sendebericht nochmals selbständig dahingehend überprüft habe, ob es sich bei der aus dem Sendebericht ersichtlichen Faxnummer um diejenige des Oberlandesgerichts handle. Der Beklagte habe nicht vorgetragen, dass eine allgemeine Büroanweisung bestehe, die gewährleiste, dass die Übermittlung an die richtige Faxnummer des Empfängers erfolge. Es hätte zumindest der Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten bedurft, dass sie die von ihr in den Schriftsatz eingesetzte Telefaxnummer noch einmal abgeglichen habe.
II.
4Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Anspruch des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt. Der Beklagte hat nicht dargelegt, dass sein Prozessbevollmächtigter durch eine ordnungsgemäße Organisation der Ausgangskontrolle seiner Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass Fristen nicht versäumt werden (§ 233 Satz 1, § 236 Abs. 2 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO).
51. Ein Rechtsanwalt genügt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden. Dabei darf sich die Kontrolle des Sendeberichts grundsätzlich nicht darauf beschränken, die auf diesem ausgedruckte Faxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, etwa in den Schriftsatz eingefügten Faxnummer zu vergleichen. Vielmehr muss der Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle, etwa anhand eines geeigneten Verzeichnisses, vorgenommen werden, aus der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist. Denn diese Art der Ausgangskontrolle soll nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bei der Ermittlung der Faxnummer und ihrer Übertragung in den Schriftsatz ausschließen (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZB 32/16, NJW-RR 2017, 1139 Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom - XI ZB 16/17, FamRZ 2018, 610 Rn. 7; vom - XI ZB 20/18, juris Rn. 7; vom - VIII ZB 37/19, MDR 2021, 830 Rn. 26; jew. mwN).
6Dem Erfordernis, durch organisatorische Anweisungen sicherzustellen, dass Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer erfasst werden, kann allerdings auch durch die Anweisung genügt werden, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der schriftlich niedergelegten zu vergleichen, wenn sichergestellt ist, dass diese ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist. Dies setzt aber voraus, dass zusätzlich die generelle Anweisung besteht, die ermittelte Faxnummer vor der Versendung auf eine Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen. Der Sendebericht muss dann nicht mehr zusätzlich mit der zuverlässigen Ausgangsquelle verglichen werden. Infolge des vorangegangenen Abgleichs der auf den Schriftsatz übertragenen Faxnummer mit der zuverlässigen Ausgangsquelle ist die Nummer auf dem Schriftsatz nach diesem Abgleich selbst als ausreichend zuverlässige Quelle anzusehen (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZB 32/16, NJW-RR 2017, 1139 Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom - XI ZB 16/17, FamRZ 2018, 610 Rn. 8; vom - XI ZB 20/18, juris Rn. 8; vom - VIII ZB 37/19, MDR 2021, 830 Rn. 27; jew. mwN).
72. Der Beklagte hat nicht dargelegt, dass sein Prozessbevollmächtigter die danach erforderlichen Sorgfaltspflichten erfüllt hat. Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ergibt sich nur, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte die gerichtliche Telefaxnummer in der üblichen Weise händisch eingetragen und dabei der jüngsten Gerichtskorrespondenz der Akte entnommen habe. Ob und welche organisatorische Vorgaben zu diesem Vorgehen existierten und beachtet worden sind, bleibt demgegenüber offen. Insbesondere darf nicht die "jüngste Gerichtskorrespondenz", sondern muss die jüngste Korrespondenz mit dem "richtigen" Gericht herangezogen werden (vgl. dazu etwa Senat, Beschlüsse vom - VI ZB 32/16, juris Rn. 1 f., 8 f.; vom - VI ZB 58/14, juris Rn. 1 f., 8 ff.; , juris Rn. 2 f., 8 f., 12; siehe weiter , juris).
8Abweichendes ergibt sich nicht aus dem von der Rechtsbeschwerde als übergangen gerügten Vortrag. Insbesondere lassen sich allein aus dem Hinweis, dass in der Kanzlei ein Qualitätsmanagementsystem mit Zertifizierung eingeführt sei und für das Fristenmanagement ein Zertifikat mit aktueller Gültigkeit erteilt sei, keine tragfähigen Schlüsse ziehen.
9Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hätte dem Beklagten kein Hinweis erteilt und Gelegenheit zur Ergänzung seines Vortrags gegeben werden müssen. Denn eine Hinweispflicht (§ 139 ZPO) besteht nur bezogen auf erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZB 63/19, NJW 2020, 2641 Rn. 8; , NJW 2020, 3041 Rn. 9 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:211221BVIZB2.21.0
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 8 Nr. 8
NJW-RR 2022 S. 345 Nr. 5
PAAAI-03137