Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Grundsatzrüge - weiterer Klärungsbedarf - Maßgeblichkeit der Entscheidungsgründe
Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG
Instanzenzug: Az: S 9 R 162/19 Gerichtsbescheidvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 5 R 115/20 Urteil
Gründe
1I. Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens eine höhere Altersrente unter Einbeziehung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten. Die entsprechenden Zeiten sind bislang der Beigeladenen (Mutter der Kinder und frühere Ehefrau) zugeordnet. Die im Jahr 2002 geschlossene Ehe wurde 2018 geschieden; dabei wurde zugunsten der bisherigen Ehefrau ein Versorgungsausgleich durchgeführt. Der Kläger macht geltend, er habe seine drei in den Jahren 1990 und 1995 geborenen Kinder seit ihrer Geburt gemeinsam und "gleichberechtigt" mit seiner damaligen Ehefrau erzogen. Wegen der Kindererziehung habe er seine Beschäftigung als Angestellter im öffentlichen Dienst zunächst auf die Hälfte und später auf 30 Stunden pro Woche reduziert, während die Mutter freiberuflich tätig gewesen sei.
2Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte den im Januar 2019 vom Kläger gestellten Antrag auf "Nachberechnung" der seit Juli 2017 bezogenen Altersrente unter Zuordnung von Kindererziehungszeiten für die beiden im Jahr 1995 geborenen Kinder auf sein Rentenkonto ab (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben ( ). Das LSG hat ausgeführt, der Kläger könne eine Änderung des Rentenbescheids vom nicht beanspruchen, weil bei dessen Erlass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich nachträglich als unrichtig erweise. Maßgeblich sei hier § 56 SGB VI in der ab geltenden Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes (vom , BGBl I 787). Da eine gemeinsame Erklärung der Elternteile über die Zuordnung der Erziehungszeiten nicht existiere, komme eine Zuordnung zum Kläger nur in Betracht, wenn festgestellt werden könne, dass er die Kinder überwiegend erzogen habe. Das sei schon nach seinem eigenen Vortrag nicht der Fall. Die Zuordnung der Erziehungszeiten in einem solchen Fall zur Mutter verletze kein Verfassungsrecht. Das habe das BSG bereits entschieden (Hinweis auf - SozR 4-2600 § 56 Nr 5). Eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG komme daher nicht in Betracht.
3Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
4II. 1. Nach Schließung des 13. Senats zum durch Erlass des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 130 Abs 1 Satz 2 GVG) ist nach dem Geschäftsverteilungsplan nunmehr der 5. Senat des BSG für die Entscheidung über die zunächst unter dem Aktenzeichen B 13 R 97/21 B erfasste Beschwerde zuständig.
52. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Eine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
6Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; - juris RdNr 6).
7Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die aufgeworfene Frage noch nicht beantwortet worden ist (vgl ua - juris RdNr 7 mwN).
9Er trägt dazu vor, in der Zuordnung der Erziehungszeiten zur Mutter liege ein Eingriff in das Elternrecht. Bei einer vorrangigen Anwendung des § 56 Abs 2 Satz 8 SGB VI würden für Eltern "potentiell rentenversicherungsrechtliche Hürden geschaffen", sich für eine Kindererziehung durch den Vater zu entscheiden. Durchgreifende Rechtfertigungsgründe seien dafür nicht ersichtlich. Zudem rügt der Kläger eine benachteiligende Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts. Dass mit der Zuordnung zur Mutter eine möglichst rechtssichere, rasche und eindeutige Zuordnung der Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung möglich sei, könne die Regelung nicht rechtfertigen. Insoweit gehe es nicht um einen biologischen Umstand, sondern allein um Zweckmäßigkeitserwägung. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Regelung sei klärungsbedürftig, weil das - SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 17 ff) und zuletzt im Beschluss vom (B 13 R 284/18 B - juris RdNr 7) nur zu Kindern entschieden habe, die 1983 oder früher geboren seien.
10Woraus sich ergibt, dass die zitierten BSG-Entscheidungen die Verfassungsmäßigkeit von § 56 Abs 2 Satz 8 und 9 SGB VI lediglich für bis zum Jahr 1983 geborene Kinder geklärt haben, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass der zweite Teil des dem beigefügten Leitsatzes ("Eine hälftige Aufteilung sieht das Gesetz nicht vor; sie ist jedenfalls für Geburten der Jahrgänge bis 1983 auch verfassungsrechtlich nicht gefordert") den Eindruck hervorrufen kann, dass hinsichtlich der Geburtsjahrgänge ab 1984 die Regelungen zur Zuordnung der Erziehungszeiten in der Rentenversicherung einer abweichenden Beurteilung unterliegen könnten. Maßgeblich für die Frage, ob weiterer Klärungsbedarf besteht, sind jedoch nicht die zu einer Entscheidung im Rahmen ihrer Veröffentlichung nachträglich gebildeten Leitsätze, sondern nur die jeweiligen Entscheidungsgründe selbst (vgl - SozR 4-1500 § 151 Nr 6 RdNr 8 mwN; - RdNr 22, zur Veröffentlichung in SozR 4-2600 § 6 Nr 21 vorgesehen). Mit ihnen befasst sich die Beschwerdebegründung nicht näher.
11Auch zeigt der Kläger nicht auf, welche für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Zuordnung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten maßgeblichen Umstände sich bei den nach 1983 geborenen Kindern so wesentlich geändert haben, dass den Aussagen im keine ausreichenden Hinweise zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage mehr zu entnehmen sind und deshalb erneuter Klärungsbedarf besteht (zu den insoweit bestehenden Darlegungserfordernissen vgl zB - juris RdNr 7; B 10 ÜG 8/20 B - juris RdNr 6). In der Entscheidung vom (B 13 R 131/07 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 17 ff) ist ausgeführt, die Lösung des Gesetzgebers in ihrer Auslegung durch das BSG gebe in weiten Bereichen Raum dafür, die kinderbezogenen Zeiten auch zugunsten des Vaters anzurechnen. Soweit danach die Regelung in § 56 Abs 2 Satz 9 SGB VI nur für den Fall des Fehlens einer übereinstimmenden Erklärung der Elternteile und gleichzeitiger Nichtfeststellbarkeit einer überwiegenden Erziehung durch den Vater iS einer "Auffangregelung" zum Tragen komme, unterliege das keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar kann eine ursprünglich unbedenkliche gesetzliche Typisierung aufgrund von zum Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht absehbarer Entwicklungen in Frage gestellt werden. Eine zunächst verfassungskonforme Regelung kann dadurch verfassungswidrig werden, sofern der Gesetzgeber nicht durch Nachbesserung entgegenwirkt (vgl eingehend ua - NJW 2021, 3309 RdNr 114 f, 149 ff, 200). Wer sich hierauf beruft, muss aber nachvollziehbar und konkret aufzeigen, welche für die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Bedingungen sich so stark verändert haben, dass die ursprünglichen Rechtfertigungsgründe die Typisierung nicht mehr zu tragen vermögen. Der pauschale Hinweis des Klägers, dass die ursprünglichen, vom BVerfG gebilligten Rechtfertigungsgründe in ihrer Pauschalität heute nicht mehr zuträfen, genügt insoweit nicht.
12Die Beschwerdebegründung setzt sich ebenfalls nicht damit auseinander, dass der Gesetzgeber in Art 1 Nr 2 des RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetzes (vom , BGBl I 2016) die hier relevanten Vorschriften mit Wirkung ab umgestaltet hat. Nunmehr ermöglicht § 56 Abs 2 Satz 10 SGB VI nF unter bestimmten Umständen eine Aufteilung der Erziehungszeiten auf die Elternteile in kalendermonatlichem Wechsel. Hierzu wird vertreten, dass diese Regelung - nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen - auch anzuwenden sei, wenn feststehe, dass die Erziehungsbeiträge beider Elternteile gleichwertig seien; für die Zuordnung zur Mutter nach § 56 Abs 2 Satz 9 SGB VI nF sei in solchen Konstellationen kein Raum mehr (vgl Schuler-Harms in jurisPK-SGB VI, 3 Aufl 2021, § 56 RdNr 40, 42; ebenso wohl Fichte in Hauck/ Noftz, SGB VI, K § 56 RdNr 37 f, Stand Mai 2019). Welche Auswirkungen sich hieraus insbesondere für Versicherte ergeben, die - wie der Kläger - bei Inkrafttreten der Neuregelung bereits Rentenleistungen bezogen haben (vgl § 300 Abs 3, § 306 Abs 1 SGB VI), hätte der Kläger bei seiner Darlegung der ausschließlich auf einen Verstoß gegen Verfassungsrecht gestützten grundsätzlichen Bedeutung ebenfalls erörtern müssen.
13Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
143. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:221221BB5R16321B0
Fundstelle(n):
XAAAI-02722