BAG Beschluss v. - 7 ABR 39/19

Mitbestimmung bei Ein- und Umgruppierungen - Zustimmungsersetzungsverfahren - Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis - einseitige Erledigungserklärung im Beschlussverfahren

Gesetze: § 95 S 4 ArbGG, § 83a Abs 2 ArbGG, TVöD-F, TVöD-V, § 99 Abs 1 S 1 BetrVG, § 99 Abs 4 BetrVG, § 256 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 13 BV 438/17 Beschlussvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 15 TaBV 122/18 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten haben in den Vorinstanzen darüber gestritten, ob die Zustimmungen des Betriebsrats zu Umgruppierungen einer Vielzahl von Arbeitnehmern als erteilt gelten oder zu ersetzen sind. Nunmehr streiten sie in erster Linie darüber, ob sich das Verfahren erledigt hat.

2Die zu 1. beteiligte Arbeitgeberin, Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband Hessen e.V. (KAV Hessen), beschäftigt in ihrem Unternehmen regelmäßig mehr als 20 Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb auf dem Flughafen F bietet sie überwiegend von sog. Service Agenten geleistete Betreuungsdienste für hilfsbedürftige Fluggäste an. Der Beteiligte zu 2. ist der in diesem Betrieb gebildete Betriebsrat.

3Im Zuge der Gründung der Arbeitgeberin schlossen der KAV Hessen und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (ver.di) den Landesbezirkstarifvertrag Nr. 4/2008 vom , dessen § 3 - unter Verweis auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in der für kommunale Arbeitgeber (VKA) geltenden Fassung - bestimmt, dass „Beschäftigte in der Funktion ‚Service Agent‘ … in der Entgeltgruppe 2 TVöD eingruppiert“ sind. Nachdem ver.di den Landesbezirkstarifvertrag Nr. 4/2008 im Jahr 2011 gekündigt hatte, schlossen der KAV Hessen, die Arbeitgeberin und ver.di den Landesbezirkstarifvertrag Nr. 2/2013, mit dem der Landesbezirkstarifvertrag Nr. 4/2008 mit Wirkung vom wieder in Kraft gesetzt wurde. Am kündigte ver.di die Landesbezirkstarifverträge Nr. 4/2008 und Nr. 2/2013 mit Wirkung zum . Mit Wirkung zum trat die Entgeltordnung zum TVöD (VKA) in Kraft, an die die Arbeitgeberin gebunden ist.

4Mit Schreiben vom erbat die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zu beabsichtigten Eingruppierungen der bei ihr beschäftigten Service Agenten „rückwirkend zum oder ihres Eintrittsdatums zwischen dem und “ in die Entgeltgruppe (EG) 2 TVöD-V (VKA) und begründete dies mit ihrer Ansicht, aufgrund der Kündigung der Landesbezirkstarifverträge finde der „unmodifizierte TVöD“ rückwirkend zum Anwendung. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung mit der Begründung, zutreffend seien die Service Agenten in EG 4, hilfsweise EG 3 TVöD-V (VKA) eingruppiert.

5Die Arbeitgeberin hat daraufhin das vorliegende Verfahren eingeleitet und die Auffassung vertreten, die Zustimmung des Betriebsrats zu den beabsichtigten Eingruppierungen gelte als erteilt; jedenfalls sei sie zu ersetzen.

6Sie hat - soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Interesse - beantragt

7Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

8Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht den Hauptanträgen entsprochen, wogegen sich die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats richtet.

9Die Arbeitgeberin hat im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens unter Bezugnahme auf einen rechtlichen Hinweis des Vierten Senats des in einem Parallelverfahren (- 4 ABR 1/20 -) eine Rücknahme ihrer Sachanträge erklärt. Der Vierte Senat hatte darauf hingewiesen, dass für eine Umgruppierung von Arbeitnehmern „rückwirkend zum oder ihres Eintrittsdatums zwischen dem und “ kein Anlass bestanden habe, da eine Änderung der betrieblichen Vergütungsordnung, die ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgelöst hätte, bis zum nicht vorgelegen haben dürfte. Die nachwirkenden Bestimmungen des gekündigten Landesbezirkstarifvertrags Nr. 2/2013 dürften erst mit dem Inkrafttreten der Entgeltordnung zum TVöD (VKA) mit Wirkung zum abgelöst worden sein, so dass erst zu diesem Zeitpunkt Anlass bestanden habe, anhand der Tätigkeitsmerkmale der Entgeltordnung zum TVöD (VKA) die zuvor durch den landesbezirklichen Tarifvertrag qua Funktionsbezeichnung festgelegte Eingruppierung unter Beteiligung des Betriebsrats zu überprüfen. Bei der Umgruppierung nach der Entgeltordnung handele es sich um andere personelle Einzelmaßnahmen als die vom Zustimmungsantrag erfassten.

10Nachdem der Betriebsrat der Antragsrücknahme nicht zugestimmt hat, hat die Arbeitgeberin das Ausscheiden der Beschäftigten B M, N N, H S, E G, J G, J K, D M, C Pi, U T, H V, B W, L Y, W B, S K, B Wi, M W, G H, L K, M Kre, S Se, K Se, L S und S Dr aus dem Arbeitsverhältnis, die Höhergruppierung der Arbeitnehmerin J A sowie die Zuordnungen sämtlicher anderer von den Anträgen umfassten Beschäftigten zu mittlerweile höheren Stufen der Entgelttabelle aufgrund der Stufenlaufzeit nach § 16 TVöD (VKA) mitgeteilt und das Verfahren für erledigt erklärt. Der Betriebsrat hat innerhalb von zwei Wochen mitgeteilt, das Ausscheiden und die Höhergruppierung der benannten Arbeitnehmer zu bestätigen und der Erledigterklärung nicht zuzustimmen.

11Der Betriebsrat begehrt die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung und beantragt für den Fall, dass „das Gericht die Einstellung des Verfahrens durch Erledigung in Erwägung zieht“,

12Die Arbeitgeberin beantragt sinngemäß, das Verfahren hinsichtlich ihrer Sachanträge einzustellen und die Rechtsbeschwerde im Übrigen zurückzuweisen.

13B. In Bezug auf die Sachanträge der Arbeitgeberin ist das Verfahren einzustellen. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen.

14I. Das Verfahren ist auf die Erledigterklärung der Arbeitgeberin hinsichtlich ihrer Sachanträge in entsprechender Anwendung von § 95 Satz 4, § 83a Abs. 2 ArbGG einzustellen.

151. Nach § 95 Satz 4, § 83a Abs. 2 ArbGG ist ein Beschlussverfahren in der Rechtsbeschwerdeinstanz einzustellen, wenn die Beteiligten es für erledigt erklärt haben. Hat der Antragsteller das Verfahren für erledigt erklärt und widersprechen andere Verfahrensbeteiligte der Erledigungserklärung, hat das Gericht zu prüfen, ob ein erledigendes Ereignis eingetreten ist. Ist dies der Fall, ist das Verfahren einzustellen. Ein erledigendes Ereignis sind tatsächliche Umstände, die nach Anhängigkeit des Beschlussverfahrens eingetreten sind und dazu führen, dass das Begehren des Antragstellers jedenfalls nunmehr als unzulässig oder unbegründet abgewiesen werden müsste. Anders als im Urteilsverfahren kommt es nicht darauf an, ob der gestellte Antrag bis dahin zulässig und begründet war (st. Rspr. zB  - Rn. 8; - 7 ABR 27/19 - Rn. 24 mwN).

162. Danach ist das Verfahren hinsichtlich der Sachanträge der Arbeitgeberin einzustellen. Die Arbeitgeberin hat als Antragstellerin das Verfahren einseitig für erledigt erklärt. Ihre Anträge festzustellen, dass die Zustimmung des Betriebsrats zu der Eingruppierung der im Tenor genannten Arbeitnehmer in die EG 2 TVöD-V (VKA) als erteilt gilt, hilfsweise zu ersetzen ist, haben sich erledigt. Diese Anträge, die der Sache nach Umgruppierungen betreffen (vgl.  - Rn. 27), wären nunmehr mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig.

17a) Das Rechtsschutzbedürfnis verlangt als Sachentscheidungsvoraussetzung das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Inanspruchnahme der Gerichte. Fehlt es, ist ein Antrag als unzulässig abzuweisen. Während das Rechtsschutzbedürfnis bei Feststellungsanträgen in Gestalt des rechtlichen Interesses an einer alsbaldigen gerichtlichen Feststellung nach § 256 Abs. 1 ZPO stets gesondert geprüft werden muss, ist es bei Leistungs- und Gestaltungsklagen regelmäßig gegeben. Es folgt in der Regel aus der Nichterfüllung des behaupteten Anspruchs. Besondere Umstände können aber bereits das Verlangen, in die materiellrechtliche Sachprüfung einzutreten, als nicht schutzwürdig erscheinen lassen. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Antragsteller offensichtlich gerichtlicher Hilfe zur Erreichung seines Ziels nicht (mehr) bedarf ( - Rn. 22). Der Antrag eines Arbeitgebers, die Zustimmung des Betriebsrats zu einer personellen Maßnahme nach § 99 Abs. 4 BetrVG gerichtlich zu ersetzen - einschließlich der Frage, ob die Zustimmung bereits als erteilt gilt -, setzt deshalb voraus, dass der Arbeitgeber die Durchführung dieser Maßnahme noch beabsichtigt ( - Rn. 24). Dies ist bei einem auf eine Ein- oder Umgruppierung bezogenen Zustimmungsersetzungsverfahren nur so lange der Fall, wie der betroffene Arbeitnehmer im Betrieb mit unveränderter Eingruppierung beschäftigt ist ( - Rn. 10 mwN).

18b) Sämtlichen Sachanträgen der Arbeitgeberin mangelte es nunmehr am Rechtsschutzinteresse.

19aa) Das gilt zunächst für die Anträge, die sich auf die mittlerweile aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmer beziehen. Gegenstand eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG - einschließlich der Frage, ob die Zustimmung bereits als erteilt gilt - ist die betriebsverfassungsrechtliche Befugnis des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat, die beabsichtigte personelle Maßnahme auf der Grundlage eines bestimmten Zustimmungsersuchens gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG auch angesichts der vorgebrachten Verweigerungsgründe gegenwärtig und zukünftig durchzuführen. Nach dem Ausscheiden der Arbeitnehmer stellt sich diese Frage nicht mehr (vgl.  - Rn. 23; - 7 ABR 39/11 - Rn. 24 f.).

20bb) Die Arbeitnehmerin J A ist mittlerweile höhergruppiert. An der ursprünglich beabsichtigten Maßnahme hält die Arbeitgeberin nicht fest.

21cc) Auch die „rückwirkenden“ Eingruppierungen der von den Anträgen noch betroffenen weiteren Service Agenten „zum oder ihres Eintrittsdatums zwischen dem und “ in die EG 2 TVöD-V (VKA) beabsichtigt die Arbeitgeberin nicht mehr. Dies folgt zwar nicht aus ihrer Erklärung im Verfahren, dass sie die Anträge zurücknehme. Allerdings hat sie zur Begründung ihrer Antragsrücknahme auf das Hinweisschreiben des Vierten Senats vom in dem Parallelverfahren Bezug genommen. Damit hat sie deutlich zum Ausdruck gebracht, sich der Auffassung des Vierten Senats anzuschließen und von den streitbefangenen Maßnahmen Abstand zu nehmen.

22II. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen. Die mit der Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der Sachanträge der Arbeitgeberin zur Entscheidung angefallenen Wideranträge des Betriebsrats bleiben ohne Erfolg.

231. Die Wideranträge sind mit der Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der Sachanträge der Arbeitgeberin zur Entscheidung angefallen. Soweit der Betriebsrat ausgeführt hat, die Anträge seien für den Fall gestellt, dass das Gericht „die Einstellung des Verfahrens durch Erledigung in Erwägung zieht“, ist damit erkennbar der Fall der Einstellung des Verfahrens in Bezug auf die Sachanträge der Arbeitgeberin gemeint. Diese innerprozessuale Bedingung ist eingetreten.

242. Die Erhebung von Wideranträgen in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist grundsätzlich unzulässig (vgl.  - Rn. 26). Ungeachtet dessen sind die Anträge bereits aus anderen Gründen unzulässig.

25a) Die Wideranträge bedürfen der Auslegung.

26aa) Mit dem Hauptwiderantrag geht es dem Betriebsrat um die Feststellung, dass die Eingruppierungen von Service Agenten in die EG 2 TVöD (VKA) unzutreffend sind (soweit die Beschäftigten noch als Service Agenten tätig sind) bzw. unzutreffend waren (soweit die Beschäftigten inzwischen ausgeschieden oder in anderen Funktionen tätig sind). Dem Betriebsrat geht es also um eine Klärung, ob (Neu-)Eingruppierungen in die zutreffende EG erfolgt sind; die jeweilige Stufe ist nicht Gegenstand des Antrags. Da es um die Richtigkeit der „von der Arbeitgeberin vorgenommenen Eingruppierungen“ geht, die rückwirkend „zum oder ihres Eintrittsdatums zwischen dem und “ erfolgt sind, ist der Antrag entgegen seinem Wortlaut („2017“) dahin zu verstehen, dass er auf die Feststellung der Richtigkeit der ursprünglich beabsichtigten Eingruppierungen unter Berücksichtigung der in der Zeit vom bis zum geltenden Eingruppierungsmerkmale des TVöD (VKA) gerichtet ist.

27bb) Mit dem Hilfswiderantrag begehrt der Betriebsrat die Feststellung, dass er berechtigt war, seine Zustimmung zu den von der Arbeitgeberin beabsichtigten Eingruppierungen der von den Anträgen noch betroffenen Arbeitnehmer in die EG 2 der Entgelttabelle des TVöD (VKA) zu verweigern.

28b) Die so verstandenen Anträge genügen nicht den Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO.

29aa) Nach dieser auch im Beschlussverfahren anwendbaren Vorschrift kann die gerichtliche Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses beantragt werden, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der entsprechenden richterlichen Entscheidung hat. Ein Rechtsverhältnis ist jede durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Der Antrag nach § 256 Abs. 1 ZPO muss sich dabei nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis als Ganzes erstrecken. Er kann sich auch auf daraus folgende einzelne Beziehungen, Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Rechtspflicht beschränken. Bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses können jedoch ebenso wie abstrakte Rechtsfragen nicht Gegenstand eines Feststellungsantrags sein. Das liefe auf die Erstellung eines Rechtsgutachtens hinaus, was den Gerichten verwehrt ist ( - Rn. 16). Für eine nur auf die Vergangenheit gerichtete Feststellung, aus der sich keinerlei Rechtsfolgen für die Zukunft mehr ergeben, besteht regelmäßig kein besonderes rechtliches Interesse. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, einem Beteiligten zu bescheinigen, dass er im Recht war, oder eine die Verfahrensbeteiligten interessierende Rechtsfrage gutachterlich zu klären (ausf.  - Rn. 17 mwN).

30bb) Diesen Anforderungen werden die Anträge nicht gerecht.

31(1) Der Hauptwiderantrag ist bereits nicht auf die Feststellung eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses gerichtet. Mit ihm geht es dem Betriebsrat nicht um die Klärung der sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergebenden Pflichten der Arbeitgeberin, sondern um die Klärung der zwischen den Beteiligten streitigen Vorfrage einer Berechtigung der Arbeitgeberin zur Vornahme - ohnehin nicht mehr beabsichtigter - personeller Einzelmaßnahmen.

32(2) Der Hilfsantrag ist auf die Feststellung vergangener Rechtsverhältnisse gerichtet. Aus der begehrten Feststellung ergeben sich keine Rechtsfolgen für die Zukunft. Die Prüfung, ob der Betriebsrat zu Recht - also mit Zustimmungsverweigerungsgrund - die Zustimmung zu den in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch streitigen Eingruppierungen verweigert hat, liefe letztlich nur darauf hinaus, einem Beteiligten im Sinne eines Rechtsgutachtens die Richtigkeit seiner Rechtsauffassung zu bestätigen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:171121.B.7ABR39.19.0

Fundstelle(n):
BB 2022 S. 243 Nr. 5
DB 2022 S. 6 Nr. 5
NJW 2022 S. 10 Nr. 6
OAAAI-02310