(Sozialgerichtliches Verfahren - negativer Kompetenzkonflikt - örtliche Zuständigkeit in einem Statusfeststellungsverfahren - willkürliche Auslegung des § 57 Abs 7 SGG - Begriff des Auftraggebers)
Gesetze: § 57 Abs 7 S 1 SGG, § 57 Abs 7 S 2 SGG, § 58 Abs 1 Nr 3 SGG, § 58 Abs 1 Nr 4 SGG, § 58 Abs 1 Nr 5 SGG, § 98 SGG, § 17a Abs 2 S 3 GVG, § 7a SGB 4
Instanzenzug: SG Heilbronn Az: S 8 BA 1283/21 Beschluss
Gründe
1I. Die im Bezirk des SG Heilbronn wohnende Klägerin streitet mit der Beklagten über eine Statusfeststellung hinsichtlich ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 1), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Sitz im Bezirk des SG Marburg.
2Die Beklagte ging davon aus, dass es sich bei der Tätigkeit der Klägerin als Franchisenehmerin im Lieferdienst für die Beigeladene zu 1) um eine selbstständige Tätigkeit handele und die von der Klägerin begehrte Sozialversicherungspflicht in den unterschiedlichen Zweigen der Sozialversicherung aufgrund einer abhängigen Beschäftigung nicht bestehe (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ; Klage zum SG Marburg am ).
3Nach Anhörung der Beteiligten (Schreiben des ) hat sich das SG Marburg für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Heilbronn verwiesen, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Statusfeststellung und bei Klageerhebung ihren Wohnsitz in Ludwigsburg gehabt habe; mit "Auftraggeber" iS des § 57 Abs 7 SGG sei nicht die Beigeladene zu 1) gemeint, sondern die Klägerin als "Auftraggeberin" für die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status (Beschluss vom ). Das SG Heilbronn hat sich anschließend für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem BSG zur Feststellung des zuständigen Gerichts vorgelegt (Beschluss vom ).
4II. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG ("negativer Kompetenzkonflikt") durch das BSG liegen vor. Zwar sind nach § 98 SGG iVm § 17a Abs 2 Satz 3 GVG rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, grundsätzlich bindend. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts hat aber zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses kommt und keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten. Dies ist vorliegend der Fall. Das SG Heilbronn konnte von einem eigenen Verweisungsbeschluss absehen und von seiner Unzuständigkeit ausgehend unmittelbar das BSG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts anrufen (vgl - SozR 4-1500 § 57a Nr 2 RdNr 8).
5Zuständig ist das SG Marburg. Die Verweisung an das SG Heilbronn ist für dieses nicht bindend, weil der Verweisungsbeschluss willkürlich ist. Das Gesetz schreibt in § 98 SGG iVm § 17a Abs 2 Satz 3 GVG vor, dass eine Verweisung wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend ist. Nur in seltenen Ausnahmefällen kommt eine Durchbrechung der Bindungswirkung in Betracht, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichen Erwägungen beruht ( - juris RdNr 4 mwN; - juris RdNr 5). Eine fehlerhafte Auslegung des Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird und die vertretene Auffassung jeden sachlichen Grundes entbehrt, sodass sich die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt (stRspr; vgl nur - juris RdNr 9; - RdNr 7; - juris RdNr 6; - juris RdNr 5). Ist eine Entscheidung derart unverständlich, dass sie sachlich schlechthin unhaltbar ist, ist sie objektiv willkürlich ( - BVerfGE 57, 39 [42]; BVerfG [K] vom - 2 BvR 103/20 - juris RdNr 64). Maßgeblich ist, ob die Entscheidung im Ergebnis objektiv vertretbar ist (vgl BVerfG [K] vom - 1 BvR 3271/14 - juris RdNr 13 f). Auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an ( - BVerfGE 57, 39 [42]; BVerfG [K] vom - 2 BvR 103/20 - juris RdNr 64 mwN).
6Nach diesen Maßstäben ist der Verweisungsbeschluss des SG Marburg willkürlich. Die vom SG Marburg vertretene Auffassung zur Auslegung des § 57 Abs 7 SGG lässt den Wortlaut, den Willen des Gesetzgebers und den von diesem intendierten Sinn und Zweck der Regelung vollständig außer Acht. Das SG Marburg beschränkt sich auf die Behauptung, dass mit dem Begriff des "Auftraggebers" in dieser Regelung zur örtlichen Zuständigkeit nicht die Beigeladene zu 1) gemeint sei, mit der die Klägerin in einer geschäftlichen Beziehung gestanden habe. Gemeint sei vielmehr der Auftraggeber für die Feststellung des versicherungsrechtlichen Status.
7Aus der Zusammenschau mit § 57 Abs 7 Satz 2 SGG ergibt sich, dass die Klägerin nicht Auftraggeberin iS des § 57 Abs 7 Satz 1 SGG sein kann. § 7a SGB IV, der von § 57 Abs 7 SGG in Bezug genommen wird, enthält die Aussage, dass ein Antrag, nicht jedoch ein "Auftrag" auf Statusfeststellung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund erfolgen muss, die hierüber entscheidet (§ 7a Abs 1 Satz 3 SGB IV). Wenn es sich bei dem Auftraggeber um den Beschäftigten handeln könnte, müsste es sich bei dem Auftragnehmer iS des § 57 Abs 7 Satz 2 SGG um die Deutsche Rentenversicherung Bund handeln, die aber gerade keinen "Wohnsitz" oder in Ermangelung dessen einen "Aufenthaltsort" haben kann. Zudem ist der Wille des Gesetzgebers eindeutig: Der Gesetzgeber wollte durch die Einfügung des § 57 Abs 7 SGG erreichen, dass sich die örtliche Zuständigkeit in Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV nach dem Sitz des Auftraggebers bzw Arbeitgebers richtet; maßgebend für die örtliche Zuständigkeit soll der Sitz des Beteiligten sein, auf dessen Veranlassung die hinsichtlich des Status zu beurteilende Tätigkeit ausgeübt wird (Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucks 18/3699, S 45). In den Fällen der gemeinschaftlichen Klageerhebung durch Auftraggeber und Auftragnehmer sollte die sonst erforderliche Anrufung des nächsthöheren Gerichts nach § 58 Abs 1 Nr 3 und Nr 5 SGG vermieden werden (Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucks 18/3699, S 45; vgl Scholz in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, 2. Aufl 2021, § 57 RdNr 38, Stand ). In der Begründung des Gesetzentwurfes wird auch ausdrücklich ausgeführt, dass für Statusfeststellungsverfahren eines Auftraggebers bzw Arbeitgebers künftig unabhängig von dem Wohnsitz des Auftragnehmers bzw des Beschäftigten immer dasselbe SG örtlich zuständig sein werde (BT-Drucks 18/3699, S 45). Auftraggeber iS des § 57 Abs 7 SGG kann daher nur derjenige sein, auf dessen Veranlassung die hinsichtlich des Status zu beurteilende Tätigkeit ausgeübt wird (vgl auch Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 57 RdNr 86; Hauck in Zeihe, SGG, § 57 RdNr 32, Stand Mai 2020; Scholz in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, 2. Aufl 2021, § 57 RdNr 38, Stand ). Auslegungsgesichtspunkte, die die vom SG Marburg vertretene Auffassung stützen könnten, existieren nicht. Dessen Auffassung ist daher nicht vertretbar und damit im oben beschriebenen Sinne willkürlich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:060821BB11SF921S0
Fundstelle(n):
KAAAI-01040